Platte raus aus Mitte

— Nachricht — In der Wilhelmstraße sollen Plattenbauten abgerissen werden. Ein Wohnblock mit fast 100 Wohnungen zwischen Behren- und Französischer Straße nahe der Britischen Botschaft soll einem Neubau mit Lochfassade weichen, berichtet die Berliner Zeitung am Mittwoch Abend. Demnach sollen die betroffenen Mieter der Wilhelmstraße 56 bis 59 jetzt in einem Sozialplanverfahren in andere Häuser der Straße umgesetzt werden. Die meisten Mieter wehren sich dagegen und bekommen Unterstützung von der Bürgerinitiative Wilhelmstraße, die 2011 schon gegen die Nutzung der Plattenbauten als Ferienwohnungen aktiv geworden war. Auch Katrin Lompscher, stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken im Abgeordnetenhaus, kritisiert in dem Bericht die „Vernichtung von bezahlbarem Wohnraum“. Eigentümerin der Häuser ist die B.Ä.R. Grundstücksgesellschaft, die die insgesamt 933 Wohnungen 2003 von der Wohnungsbaugesellschaft Mitte gekauft hatte. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hatte die Bewohner über die Abrisspläne der B.Ä.R. vor zwei Wochen informiert. (Berliner Zeitung, Futurberlin)

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Wie die Bramstedter Landfrauen mich in die Bethlehemkirche brachten

— Kurzgeschichte — Wenn Gäste Wünsche äußern, sollte man auf der Hut sein. Sie können einen in die Bredouille bringen, das ganze Schiff zum Kentern bringen, sagt man zu allen Ja und Amen. Manchmal aber blasen sie damit genau das frische Lüftchen an, das die kleine Reise so richtig rund macht und den Seemann glücklich.

Als meine lieben Landfrauen aus Bramstedt kurz vor dem Ende der Tour vehement nach einer Kirche verlangten, die sie auch von innen zu sehen wünschten, war ich drauf und dran, mit ihnen zur Hedwigskathedrale zurückzuradeln. Sowas ist unschön. Doppelt hält da nicht besser, sondern macht schlapp. Ganz verwehren konnte ich ihnen den Wunsch aber nicht. Also, was tun? In einer dreiviertel Stunde, abends halb Sieben, wollten wir am Hotel in der Anhalter Straße sein. Jetzt standen wir nach Kaffee und Kuchen auf dem Gendarmenmarkt. Alle Kirchen lagen nach drei Stunden Radtour schon hinter uns, und hinzu kam, dass der Reisebusfahrer der Landfrauen, Lutz L., der an diesem Samstag seit 5 Uhr früh mit insgesamt und ausschließlich 48 Damen unterwegs gewesen war, uns drei Guides telefonisch in die Lindenstraße vors Jüdische Museum bestellte. Ein zufriedener Mann. Es lagen noch zu viele Handtaschen auf den Sitzen im Bus. Die Landfrauen würden sie brauchen, in der Stadt. Und Landfrau ist ein Beruf.

Sie hätten die Kirche nicht gefordert, wären sie auf dem Weg in die Französische Friedrichstadtkirche nicht auf verschlossene Türen gestoßen. Ausgerechnet heute, da hatten sie einfach Pech gehabt. Zuvor waren sie schon in den Deutschen Dom gegangen und hatten drinnen einen Altar erwartet. Den Hinweis auf die Ausstellung hatte ich mir heute geschenkt. Ausgerechnet heute. Die Rede ist von zwei der Landfrauen, die sich in der Kaffeepause ein bisschen die Füße vertraten. Die Beiden waren es dann auch gewesen, die den seltenen Wunsch äußerten, als ich die Räder aufschloss. Soviel Gottessuche muss belohnt werden, dachte ich. Und dann kam das leise Lüftchen, die anfliegende Idee: auf einen “halben” Kirchgang in die Mauerstraße.

Wer hier Kirchen sucht, sucht womöglich vergeblich, liegt aber gar nicht so falsch. Wir standen mit den Rädern zwischen den Bänken der Dreifaltigkeitskirche, aber meine Landfrauen zeigten auf das Museum für Kommunikation, als ich sie fragte, wo hier die Kirche sei. Die Überraschung war gelungen. Für den Kirchenraum, der sich aus dem rot-schwarz gepflasterten Grundriss erhebt, bräuchte man schon Phantasie, sagte ich. Und so ist es ja auch. Wer kennt den Ort schon? Allerdings, wer hatte ihn schon alles betreten? Vor 181 Jahren stand hier der kleine Otto, der Deutschlands größter Kanzler werden sollte und wurde konfirmiert. Das beflügelt die Phantasie, auch die Phantasie Bramstedter Landfrauen. “Kirche von unten”, mal ganz anders.

So, dann käme jetzt noch der Handtaschenpflichtstopp und das wärs, dachte ich. Zur Lindenstraße, na klar, einfach die Mauerstraße runterbrettern, Checkpoint Charlie ignorieren, links halten und da. Das war der Moment, als aus dem Lüftchen ein Wind wurde: Wir kämen zwangsläufig auch am Bethlehemkirchplatz vorbei. Gleiches Phänomen, nur ohne Reichskanzler. Nicht halten? Nicht ansprechen? – Das ist die Falle, in die man als Guide ja öfters mal tappt. An diesem Tag hatte ich keine Wahl. Nur, ich wusste es nicht.

Und dann glotzte der Seemann auf das Land, das er nicht erwartet hatte. Das Haus, in dem die Böhmen beteten, es stand wieder da! Wir sahen ein Gerippe aus Stahl, aber für die Landfrauen muss es normaler gewesen sein als für mich selbst. Hier baute ein Künstler die Bethlehemkirche wieder auf. Kein gepflasterter Grundriss mehr nötig, keine Phantasien. Ich hatte die Landfrauen in ihre Kirche geführt und war baff. Das war zwar nicht das Hotel, und die Handtaschen mussten wir auch noch holen. Aber angekommen, nach vier Stunden Fahrradtour, waren wir hier.


Der Künstler, der die Bethlehemkirche als Lichtinstallation wieder aufgebaut hat, heißt Juan Garaizabal und kommt aus Spanien. Die Installation ist vom 27. Juni bis 19. August auf dem Bethlehemkirchplatz, Mauerstraße/Ecke Krausenstraße, zu sehen. Das Museum für Kommunikation präsentiert eine Begleitausstellung. 

Schlichte Architektur für Schinkelplatz

— Nachricht — Für das reizvolle Bauland zwischen Friedrichswerderscher Kirche und dem Fassadenwerk der Bauakademie am Schinkelplatz in Mitte gibt es neue Architekturideen. Die Entwürfe der zwei Berliner Büros Volker Staat Architekten und Bruno Fioretti Marquez sind seit Donnerstag noch bis 28. Juni im Roten Saal der Bauakademie zu sehen. Sie wurden von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in einem städtebaulichen Wettbewerb preisgekrönt und stoßen bei der Gesellschaft Historisches Berlin, beim Förderverein Bauakademie und bei der Bürgerinitiative „Schöne Mitte. Schöne Stadt“ wegen undekorativer Fassadengestaltung, zum Bespiel fehlender Gesimsbänder, auf Kritik, berichtet die Berliner Zeitung. Kritiker forderten jetzt einen Alternativentwurf. Am Schinkelplatz will ein Münchner Investor Wohnungen und Büros auf 7.000 Quadratmetern  bauen. (Berliner Zeitung)

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Schlossbau beginnt

— Nachricht — Heute beginnt der Bau des Berliner Schlosses. Wie die Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum mitteilt, treffen sich um 11:30 Uhr Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU), Staatsminister Bernd Neumann (CDU), Stiftungsratsvorsitzender und Staatssekretär Rainer Bomba (CDU), Stiftungsvorstand Manfred Rettig, der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) und Architekt Franco Stella auf dem Schlossplatz am Eingang Breite Straße. Es wird damit begonnen, die Baugrube auszuheben. Bis zu 300 Holzpfähle werden im Untergrund vermutet, berichtet „Berlin1.de“. Sie sollen mit dem gesamten Boden entfernt und durch Sand und Kies ausgetauscht werden. Die ausgegrabenen Fundamente des Eosanderportals sollen dagegen als begehbares archäologisches Fenster in den Neubau integriert werden. Auch die Betonwanne des ehemaligen Palastes der Republik bleibt im Boden erhalten. 2013 soll der Grundstein gelegt werden. Das Schloss soll momentan 590 Millionen Euro kosten. (Futurberlin, Berlin1.de)

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ZLB ins ICC

— Nachricht — Die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB) soll ins Internationale Congress Centrum (ICC) einziehen. Das hat laut Tagesspiegel der haushaltspolitische Sprecher der CDU-Abgeordnetenhausfraktion Christian Goiny vorgeschlagen. Um Kosten zu sparen, will er, statt die ZLB auf dem Tempelhofer Feld neuzubauen, das ICC zur Bibliothek umbauen, das ab 2013 sowieso saniert werden soll. 270 Millionen Euro soll der geplante ZLB-Neubau in Tempelhof kosten; für das ICC stehen bisher 182 Millionen Euro im Finanzhaushalt zur Verfügung. Es seien aber etwa 300 Millionen Euro für eine Sanierung nötig, schreibt der Tagesspiegel. Jochen Esser von den Grünen kritisierte in dem Artikel den Vorschlag als „Schnapsidee“ und hält es für besser, die Bibliothek im alten Flughafengebäude auf dem Tempelhofer Feld einzurichten. Christian Goiny wolle in den nächsten Wochen mit der SPD über seinen Vorschlag reden. (Tagesspiegel)

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Neues Kulturforum für Berlin

— Nachricht — An den Spreeufern zwischen Jannowitz- und Schillingbrücke in Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg soll Berlin ein zweites Kulturforum bekommen. Dafür jedenfalls plädierte gestern Berlins Ex-Stadtenwicklungssenator Volker Hassemer in der Berliner Zeitung. Das Gebiet habe mit der alten Bar 25, dem Kater Holzig und dem Radialsystem eine kulturelle Energie, die ihresgleichen suche und das Zeug für ein neues Kulturforum, so Hassemer. Er kritisierte die geplanten Wohnungs- und Bürobauten: “Es ist notwendig durchzusetzen, dass es so nicht kommen wird”, und die stadtplanerische Vorsorge wäre offensichtlich nicht auf der Höhe der Zeit. Wie die Berliner Zeitung schreibt, planen die Betreiber vom Kater Holzig und Radialsystem, am alten Standort der Bar 25 ein Wohn- und Kulturdorf einzurichten. Die Berliner Stadtreinigungsbetriebe (BSR) wollen das Grundstück über den Liegenschaftsfonds verkaufen. (Berliner Zeitung)

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Von Fliegern und Überfliegern – Das Labor ist eröffnet

Endlich gelandet ist, was man auf den ersten Blick als entweder elegant gestrandeten Hafencontainer oder flügelloses Rieseninsekt ausmachen könnte. Sechs Beine, auf denen es steht, hat es jedenfalls. Im Anflug auf Berlin ist dieses unbestimmbare Etwas, das über den großen Teich gehüpft ist und vor dem die Berliner Angst haben, wochenlang über der Stadt gekreist, auf der Suche nach der richtigen Piste: über der Kastanienallee, dem Pfefferberg, der Cuvrystraße in Kreuzberg. Am BER war zu wenig los. Im Tagesspiegel liest man, dass sich dort, wo das BMW Guggenheim Lab beim letzten Mal eigentlich hin sollte, dort, auf der Brache an der Spree, ein Mann, der sich “Flieger” nennt, sein Zelt aufgeschlagen hat. Er protestiere nicht, sondern seine Wohnung hätte ihn erdrückt, sagt er. Wenn das kein Fall für das Laboratorium ist: das Guggenheim Lab bietet ab 23. Juni auch Ausflüge an, “das wöchentliche städtische Abenteuer auf Rädern”, wie es im Programm heißt. Treffpunkt: Pfefferberg. Also doch, der Pfefferberg. Hier rufen die Veranstalter des Labs ab heute die Berliner zum Mitreden, Diskutieren, Experimente machen auf. Und wenn einer aus der Stadt keine Angst vorm Lab hat, dann ist das Berlins Regierender Bürgermeister Klaus Wowereit. Er wolle am Nachmittag auf einen Besuch vorbeikommen, schreibt die taz. Ab 14 Uhr gehts los unter dem Motto “Gestalten Sie Ihre Stadt”. Das machen die “Leute vom Teute” schon seit Jahren. Und wer denkt, Protestieren passe nicht zum gepflegten Prenzlauer Berg, möge einen Salat machen für die Grill- und Gegen-Lab-Party auf dem Teutoburger Platz, zu der die gleichnamige Bürgerinitiative für den Samstagnachmittag auf ihrer website aufruft. Hier wird dem Lab in die offene Wunde gestochen, da nützt auch der edle Carbon-Stahl nichts: Gegen Abend zeigen die Leute einen Film über die Familie Quandt und ihre NS-Vergangenheit. Nicht von Stadt und Zukunft wird dann die Rede sein, gleich um die Ecke vom Lab, sondern von BMW. Warum rollt das Insekt eigentlich nicht auf vier Rädern?

Prinzessinnen ohne Garten

— Nachricht — Der Liegenschaftsfonds will das Grundstück, auf dem sich die Prinzessinnengärten befindet, verkaufen. Der Mietvertrag mit den urbanen Gärtnern ende Ende 2013, wie die Berliner Zeitung berichtet. Die Betreiber der Prinzessinnengärten Marco Clausen und Robert Shaw wollten demnach langfristig am Standort Moritzplatz bleiben, obwohl die Idee ursprünglich gewesen sei, mit den Pflanzen in den Behältern auch umziehen zu können. Clausen betont in dem Artikel aber jetzt die sozialen Beziehungen vor Ort, und dass der Garten kiezbasiert sei. Laut Liegenschaftsfonds hätten die Betreiber gewusst, dass das Projekt nur eine Zwischennutzung sei, schreibt die Zeitung; eine Sprecherin schließe aber eine Weiternutzung durch die Prinzessinnengärten nicht aus. Etwa 40.000 Besucher würden die Betreiber pro Jahr zählen, und etwa 1.000 Menschen engagierten sich. (Berliner Zeitung).

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„Nolle“ im Gespräch

— Nachricht — Am Freitag hat der Tagesspiegel in seiner Serie “Platz da!” mit Anwohnern, Initiativen, Architekten und Politikern auf einer Veranstaltung im Goya in Schöneberg über die Zukunft des Nollendorfplatzes geredet. Wie die Zeitung berichtet, hätten Anwohner das radikale Konzept von Janine Teßmer und Janika Schmidt favorisiert. Die Studentinnen der Landschaftsarchitektur hatten Pläne für die Umgestaltung des Platzes in einem Projekt der Technischen Universität Berlin erarbeitet (Futurberlin berichtete, siehe “Nolle unter die Lupe genommen”). Sie schlagen einen Kreisverkehr vor, der aus dem Verkehrsplatz wieder einen Stadtplatz mit Aufenthaltsqualitäten machen soll. Das fordert auch Florian Mausbach in einem zuvor erschienenen Artikel im Tagesspiegel; der Parkplatz vor dem Goya verhindere den würdigen Auftrtitt des geschichtsträchtigen Kulturdenkmals, so der Stadtplaner. Überhaupt fragt er nach dem Schönheitssinn und Gestaltungswillen Berlins und fordert in Anbetracht des vermüllten Neptunbrunnens unter der Hochbahn “Blumen statt Kronkorken”. Auch auf Berlin als Fahrradstadt weist er hin, indem er eine Radstation unter der Hochbahn am Platz vorschlägt. Anwohner wünschten sich in diesem Punkt, so der Tagesspiegel weiter, auch eine Verkehrsberuhigung und fahrbahnintegrierte Radwege in der Maaßenstraße. Ein Umbau der Verkehrswege, wie ihn die Studentinnen vorschlagen, wäre aber kostenintensiv. Stadträtin Sibyll Klotz (Grüne) versuche daher, etwas mit kleinen Maßnahmen zu bewirken; etwa durch den Rückbau von Straßenecken, wie schon geschehen an der Kleist-/Ecke Einemstraße. Im August starte ein Dialog mit Bürgern, Interessengruppen und Investoren. Dabei ginge es aber um den gesamten Kiez bis zum Winterfeldtplatz. (Tagesspiegel, Futurberlin)

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Das Wort Gottes muss durch den Mund der Menschen

Bürger platzen mit Bannern ins Tempelhofer Feld-Bürgergespräch: "Früh stören" - na, wenn das nicht zur Fußball-EM passt! (Foto: André Franke)Moderatorin Ursula Flecken greift zum Mikro, um es sogleich wieder aus der Hand zu geben. Ohne das vorher gewusst zu haben. Als die Stadtplanerin das Publikum zum Bürgergespräch über die Zukunft des Tempelhofer Feldes begrüßt, ziehen Bürgerinitiativen aus Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof mit Bannern vor der Brust vor den Altar der Passionskirche am Marheinekeplatz. Dass man in die Kieze hineingehen wolle, teilt sie mit. Dann kann das Publikum auf den Transparenten lesen: “Kiez wehrt sich” und “Wir wollen keine Spielwiese, wir wollen die Freiheit, wie sie ist!”

Die Bürger fordern das Wort. Ursula Flecken lenkt ein. “Ich gebe das Mikrofon für fünf Minuten aus der Hand”, sagt sie. Doch es wurden mehr als dreißig. Erst liest eine Frau vom “Mieterrat Chamissoplatz” aus einer vorbereiteten Erklärung. Dann fordert ein Mann von “100% Tempelhofer Feld” die Sicherung des gesamten Tempelhofer Feldes als Freiraum und einen direkten Dialog mit der Politik, gefolgt von einem jungen Aktivisten aus Neukölln, dessen Initiative noch in der Gründung sei und noch keinen Namen hätte, wie er sagt. “Es ist eine soziale Frage”, sind seine letzten Worte, als noch schnell eine Piratin nach vorn springt und ihre Unterstützung für “100% Tempelhofer Feld” kund tut. Wer an diesem Donnerstagabend moderieren will, hat ein dickes Brett zu bohren.

So, jetzt sei alles raus, möchte man meinen. Als wäre dieser Fehlstart nicht schwierig genug, bekommt Ursula Flecken auch noch einen nicht bestellten Co-Moderator an die Seite gestellt. Ein Anwohner mit stadtplanerischem Hintergrund erklärt sich selbst dazu und will sie durch die Abend-Veranstaltung begleiten. Er stellt erstmal das Programm um und schlägt eine große Fragestunde vor.

Gegen 18:45 Uhr kommt endlich Ursula Flecken wieder zu Wort. Sie erklärt sich solidarisch und findet den Programmvorschlag und die eigene Themensetzung der Bürger erstmal gut. Gerne würde sie aber erläutern, welches Programm sie und der Veranstalter, die Tempelhof Projekt GmbH, sich für heute Abend ausgedacht haben. “Wir wollen informieren”, stellt sie klar. Über den aktuellen Stand der Planung, auch wären Arbeitsgruppen vorgesehen. – Aber das Publikum lässt sie nicht. Ein Mann ruft dazwischen: “Wir wollen nicht, dass in der Zeitung steht, man hätte die Bürger informiert!” Die Zwischenrufe reißen nicht ab. Es war weiß Gott nicht der erste. Apropos: “Das Wort Gottes hören”, steht an der märchenhaften Backsteinkanzel. Im Rücken von Flecken.

Doch aus der Fragestunde wird nichts. Die Moderatorin erkennt, dass es im Publikum durchaus Interesse daran gibt, was die Veranstalter zu berichten haben. Auf Nachfrage melden sich eine Hand voll Leute. Und als Ursula Flecken die Rebellen geschickt fragt, ob sie es den Neutralinteressierten wirklich verwehren möchten, zu ihrem Recht auf allgemeine Information zu kommen, da können die Lautstarken, so wütend sie auch sind, dann doch nicht anders und stimmen der Quickinfo zu.

Zuvor war schon der Versuch gescheitert, den Landschaftsarchitekten der geplanten Parklandschaft seine Ideen erläutern zu lassen und der Diskussion eine Grundlage zu geben. Der Co-Moderator schritt ein, forderte im Auftrag der Initiativen die Fragerunde ein. Der Architekt von GROSS.MAX. aus Edinburgh kam nicht zu Wort.

Ursula Flecken gibt das Wort also an Martin Pallgen von der Tempelhof Projekt GmbH. Nur kurz. Vorm Altar kommen jetzt Beamer und Leinwand zum Einsatz. Gäste aus dem Publikum hatten schon vor Beginn der Veranstaltung über Pallgens Outfit gelästert: Glänzende Anzüge stünden keinem Mann, urteilten sie auf der Kirchenbank. Pallgen versucht jetzt das Unmögliche: für eine Minderheit das Notwendigste in halber Zeit zu berichten und gleichzeitig die Protestler im Publikum durch vage gehaltene Informationen nicht gegen sich aufzubringen. Er schlägt sich gut. Aber die Fragen und Einwände, die das Publikum Martin Palgen immer wieder entgegenruft, entgegenschreit, lassen den Vortrag nicht allzu lang werden. Es scheint, als lehne die Menge prinzipiell das Format ab. Anzugträger, Powerpoint und die immer willkürlich erscheinende Geometrie der Pläne, mit denen “die da oben” den Berliner Boden abstecken. – “Das Wort Gottes hören”? – Die Bürger wollen selber sprechen. Fordern das jetzt. Ursula Flecken leitet über zur Fragerunde.

Kurz nach 19 Uhr hat sich am Saalmikro eine lange Schlange gebildet. Etwa zehn bis fünfzehn Wortbeiträge gehen in der nächsten knappen Stunde durch das Mikrofon. Die meisten fragen nicht, sie stellen fest. Empören sich. Ein Mann regt sich über die Grün Berlin GmbH auf, weil die Gesellschaft seiner Meinung nach an zu vielen Projekten in Berlin beteiligt ist. “Welches Recht hat Grün Berlin …?”, schimpft er. Die Antwort bekommt er vom Geschäftsführer. “Wir haben einen Auftrag vom Land Berlin, das kann man ganz nüchtern sagen”, so Christoph Schmidt, dem ein Lächeln über die Mundwinkel läuft. Die Pläne wären zum jetzigen Zeitpunkt noch aufhaltbar, mahnt ein anderer Sprecher. Und dann wieder Zwischenrufe. Viele ersparen sich ein Anstehen in der Rednerschlange, posaunen ihre Anliegen quer durch die Kirche. Heute gibt es viel Leidenschaft in der Kreuzberger Passionskirche. “Gänseblümchen sammeln und Brennnessel, mit den Kindern, das ist Bildung!”, ruft ein Vater, der sich auf das von Martin Pallgen erwähnte Bildungsquartier am Tempelhofer Damm bezieht.

Einer der Schreier kommt aus den Bänken hervor und greift zum Mikrofonständer. Ohne sich hinten anzustellen. Es sieht zuerst wie Sabotage aus. Dann erkennt man, dass der Mann das Mikro um 180 Grad drehen will, damit das Publikum die Bürgersprecher besser sehen kann. Die Moderatorin lässt ihn gewähren. Damit ist der Kirchenraum endgültig zur Verlautbarungsbühne der besorgten Initiativen geworden. Die Manager- und Moderatorenriege des Senats ist in die zweite Reihe gerückt.

Ein Berliner Ire, der für das Quartiersmanagement Schillerpromenade arbeitet, beklagt, die Tempelhof Projekt GmbH hätte mehrere seiner Projekte zur Weiterentwicklung des Tempelhofer Feldes als unausgegoren abgelehnt. Ein anderer bezweifelt den grundsätzlichen Ansatz der Parklandschaft: “Landschaft braucht nicht geplant werden, die Landschaft ist schon da!” Der junge Initiativengründer aus Neukölln kontert einen Redebeitrag einer Sachbearbeiterin aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung damit, dass Protest marginalisiert würde, und dass das eine große Frechheit sei; seine Vorrednerin hatte die Bürgerbeteiligung erläutert, die sie seit 2007 begleitet hat.

Wenn das Kriterium für ein erfolgreiches Bürgergespräch der Fakt ist, dass Bürger sprechen, dann war die Veranstaltung gelungen, bevor sie zu Ende war. Nach zwei Stunden Kirchenbank sind um 20 Uhr längst nicht alle Messen gesungen. Ursula Flecken und ihr Co-Moderator, der nicht von ihrer Seite wich, drängen jetzt in die Arbeitsgruppen. Der Forderung des Publikums nach eigener Themensetzung wird entsprochen. Aber müde nur rufen die von der Gemeinschaftsmoderation aufgeforderten Bürger nach ihrem Protesteifer die Stichworte aus, mit denen die AG’s betitelt werden sollen. Es stockt. Die Luft ist raus.

Aber es ist auch dem Wechsel der Spielart geschuldet. Der Bürger soll jetzt wieder was. Er soll denken. Er soll diskutieren. Er soll sogar selbst moderieren, alles in den AG’s. Die Passionskirche verwandelt sich in eine Schulbank. Und in jeder Ecke stehen Stühle und Flipcharts bereit, liegen Stifte zum Malen. Zögerlich füllen sich die AG’s. Einer ruft: “Wir brauchen hier noch einen Moderator.” Viele stehen an der Bar. Hier gibt es Brezel und Saft, gesponsert vom Veranstalter. Serviert von Kirchenleuten. Verlässt man zu diesem Zeitpunkt den Ort, kann man draußen vor dem Eingang manchen stehen und frische Luft schnappen sehen. Zum Beispiel den Mann, der mit der Politik sprechen will.

So sieht das Schloss aus

— Nachricht —

Die Musterfassade des Berliner Stadtschlosses an der Karl-Liebknecht-Brücke in Mitte ist fertiggebaut. Zu sehen ist nach einer Pressemitteilung der Stiftung Humboldtforum ein Ausschnitt aus der Südfassade des Schlosses mit einer Fensterachse über zwei Obergeschosse, dazu Hauptgesims und Balustrade. Die Stiftung wolle mit dem Bau die Materialien in den Witterungsverhältnissen testen, deshalb sei die Fassade nach Westen ausgerichtet. Sie werde bis 2017/18 stehenbleiben, solange wie die benachbarte Humboldt-Box, teilte eine Stiftungssprecherin auf Anfrage von Futurberlin mit. Die Fassade wäre mit 16 Metern Höhe etwa halb so groß wie der Originalbau. Am 21. Juni würde mit dem Bau begonnen. Bundesbauminister Peter Ramsauer (CSU) werde an dem Tag die Baustelle besuchen. (Stiftung Humboldtforum, Futurberlin)

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Keine Reko am Reko-Schloss

— Nachricht —

Der geplante Freiraumwettbewerb für die Umgebung des Humboldtforums soll im August ausgeschrieben werden. Wie die Berliner Zeitung berichtet, hat Senatsbaudirektorin Regula Lüscher das heute Nachmittg im Kulturausschuss des Abgeordetenhauses angekündigt. Alle professionellen Architekten und Landschaftsplaner könnten demnach an ihm teilnehmen. In die Wettbewerbsjury als Fachberater hinzugeladen habe Lüscher die Gesellschaft Historisches Berlin, die sich für eine Rekonstruktion der historischen Umgebung des Schlosses einsetzt, zum Beispiel für die Rückkehr des Neptunbrunnens vom Platz vor dem Roten Rathaus zurück auf den Schlossplatz. Das hatte Lüscher schon vor einigen Wochen abgelehnt. Der Schlossplatz solle aber freigehalten werden, sollten zukünftige Generationen den Brunnen versetzen wollen. An ihren aktuellen Standorten bleiben sollen auch der Große Kurfürst am Schloss Charlottenburg, die Rossebändiger im Kleistpark und der Heilige Georg im Nikolaiviertel. (Berliner Zeitung, Futurberlin)

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Osthafen wird schwimmender Kiez – vielleicht

— Nachricht —

Das Wasser- und Schifffahrtsamt Berlin (WSA) verkauft den noch aus DDR-Zeiten stammenden, ruinösen Steg im Osthafen. Zehn Investoren hätten sich beworben, die denkmalgeschützte, 480 Meter lange ehemalige Grenzanlage zu sanieren und mit neuen Konzepten weiterzuentwickeln, schreibt der Tagesspiegel. Die Betreiber vom historischen Hafen an der Fischerinsel wollten demnach im Osthafen ein Museum zur lokalen Schifffahrtsgeschichte errichten; die Osthafensteg UG wolle die Steganlage einerseits zum Gedenkort mit Aussichtspodesten umbauen, andererseits einen 35 Meter hohen Solarturm mit Solarbootsverleih errichten; und die Eventagentur Workisplay habe vor, unter dem Titel “Stadt im Fluss” aus dem Ort einen schwimmenden Kiez mit Imbiss-, Restaurant- und Ausstellungsschiffen zu machen. Partner von Workisplay ist der benachbarte Club der Visionäre an der Lohmühlensinsel. Morgen träfe das WSA gemeinsam mit der Senatsverwaltung für Umwelt und den Bezirksbürgermeistern von Friedrichshain-Kreuzberg und Treptow-Köpenick die Entscheidung, welche Idee verwirklicht werden soll. Gleich gegenüber, am Friedrichshainer Ufer, war am 23. Mai der Startschuss zum Projekt “Spree 2011” gefallen und ein 50 Meter langer Unterwassercontainer versenkt worden, der durch das Auffangen von Kanalisationswasser das Spreewasser wieder badebar machen soll. (Tagesspiegel, Futurberlin)

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Bypass zum Spittelmarkt gelegt

— Nachricht —

Stadtentwicklungssenator Michael Müller (SPD) hat am Donnerstag die neugebaute Axel-Springer-Straße in Mitte eingeweiht. Sie verbindet jetzt wieder Kreuzberg mit der Kreuzung Spittelmarkt, wo sie vierspurig inklusive Radweg auf die Leipziger und Gertraudenstraße trifft. Bis zur Wende war die Straße durch die Berliner Mauer abgeschnitten und bis vorgestern für den Straßenverkehr in Richtung Altstadt nicht befahrbar. Wie die Berliner Zeitung schreibt, sei die Fahrbahn mit lärmmindernden Asphalt gebaut worden. Außerdem wären 64 Fahrradbügel errichtet und 40 Ahornbäume gepflanzt worden. Die Klage von Anwohnern und dem Bund für Umwelt und Naturschutz in Deuschland (BUND) gegen Lärm und Feinstaub sei im Februar 2011 vor dem Verwaltungsgericht gescheitert. Der nur 300 Meter lange Bau soll 11,4 Millionen Euro gekostet haben. Die Grünen kritisierten das. (Berliner Zeitung)

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Tempelhof lassen, nach Tegel schauen

— Nachricht —

Die “Stiftung Zukunft Berlin” kritisiert die Pläne für Tempelhof. Nicht nur die für 2017 geplante Internationale Gartenschau (IGA) sei überflüssig, sondern auch der Landschaftspark, sagte Stiftungschef Volker Hassemer (CDU) nach einem Bericht der “Welt”. Der Ex-Stadtentwicklungssenator fordert stattdessen, den finanziellen und konzeptionellen Aufwand auf die Nachnutzung von Tegel zu konzentrieren. Seiner Meinung nach funktioniere das Tempelhofer Feld, es würde von den Berlinern in seiner heutigen Form geliebt und vielfältig genutzt. 2013 sollen für den Landschaftspark die ersten Bäume gepflanzt werden, insgesamt sind 2000 geplant. Auf 240 Hektar soll nach Plänen des schottischen Büros Gross.Max eine Wiesenlandschaft mit Wasser-, Plansch- und Eislaufflächen, dazu weiteren Sport- und Spielmöglichkeiten, zum Beispiel ein Kletterfelsen entstehen. (Die Welt)

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Ein Ort zum Downloaden

— Bericht —

Vor zehn Tagen sollte er die revolutionäre 1. Mai-Demo empfangen, jetzt wird der Bebelplatz “ein Ort zum Lesen”. Diesen Titel gibt der Berliner Urban Curator Jürgen Breiter seinem Kunstprojekt, bei dem er am 10. Mai in Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 zwischen Staatsoper und alter Bibliothek 50 Stühle mit Büchern darauf platziert. Bücher, die damals verbrannt wurden und heute darauf warten, gelesen zu werden: Erich Kästners “Das fliegende Klassenzimmer”, zum Beispiel.

“Ein Ort zum Lesen” soll auch zum Verweilen einladen. Auf die roten, orangenen und braunen Plastikstühle kann man sich beim Lesen deshalb auch setzen. “Sie assoziieren die Farben des Feuers”, sagt Jürgen Breiter und denkt schon daran, das Projekt unter dem Arbeitstitel “Ein Ort zum Lesen 2.0” in digitaler Form fortzuführen. Für den Platz will er eine IT-basierte Medienskulptur vorschlagen. Per Smartphone soll man sich vor Ort Leseproben und Hörbuchausschnitte aus der Bibliothek der verbrannten Bücher 365 Tage im Jahr herunterladen können. Die Skulptur solle eher unscheinbar aussehen und “sich zurücknehmend in den Platz integrieren, einem Stadtmöbel ähnlich”, sagt Breiter. Er wirbt für die Idee auf der Konferenz für Kultur und Informatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die am Donnerstag und Freitag im Pergamonmuseum stattfindet.

Das analoge Kunstprojekt findet 2012 das vierte Mal statt. Breiter begann 2009 mit zehn Stühlen und Büchern. Ein Jahr später waren es 50, dann 100. Dann hat er die Erfahrung gemacht, dass zuviele aufgestellte Stühle auf das Publikum hemmend wirken. Deshalb werden es jetzt wieder 50 sein.

Außerdem teilt er sich den Bebelplatz mit der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Sie veranstaltet wie jedes Jahr das “Lesen gegen das Vergessen”. Zwei Stunden lang lesen prominente Politiker und Künstler aus den gebrandmarkten Büchern vor, darunter Beate Klarsfeld, Gesine Lötzsch und Katrin Lompscher. Auch die 101-jährige Elfriede Brüning wird an der Gedenkfeier teilnehmen. Die Schriftstellerin hatte die Bücherverbrennung 1933 auf dem Bebelplatz miterlebt.

Erst am Sonntag war auf dem Platz das Salzburger “StadtLesen 2012”-Projekt zu Ende gegangen, das dieses Jahr erstmals in Berlin stattfand. Vier Tage lang konnten Besucher komfortabel auf Kissen und in Hängematten liegend Bücher lesen. Von den verbrannten Büchern stand aber keines in den Regalen. “Ein bisschen enttäuscht von der Promotionshow des Projekts” gab sich Jürgen Breiter. Obwohl er die Idee einer Lesetour durch Deutschland “super charmant” findet, gehörte die Leseförderung besser in die Kieze, statt auf den Bebelplatz, sagt er. “StadtLesen” reist bis Oktober durch insgesamt 23 Städte in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.

(verkürzt erschienen in taz vom 10.05.2012, Print)

Die Priorität ist der Weg aus dem Dickicht und außerdem tut sie uns gut

Zwei Flughäfen auf dem Abstellgleis, eine Bibliothek, die mehr Aufmerksamkeit kriegt als mancher Stadtteil, eine IBA, die mit jeder Kalenderwoche das Motto wechselt und eine Altstadt, die mehr verlangt als die Retourkutsche Schloss. Und dann wäre da noch das Problem mit den Mieten. Berlin quillt über vor Themen, so viel ist einem klar, wenn man am letzten Mittwoch nach dreieinhalb Stunden Vortrag und Diskussion das Architekturgebäude am Ernst-Reuter-Platz verlässt. Die Stadtplaner-Initiative “Think Berlin” hatte unter dem Titel “Berlin sieht schwarz-rot” zu einem ersten Dialog “Stadtpolitik trifft Stadtforschung” geladen. Da darf natürlich auch der Ernst-Reuter-Platz selbst als Thema nicht fehlen. Und so wird Berlins To-Do-Liste nicht kürzer an diesem Abend. Glaubt man Cordelia Polinna vom Fachgebiet Architektursoziologie der TU Berlin, ist zu ihrer erfolgreichen Abarbeitung sogar eine “Urban Task Force” nötig, die projektübergreifend in der Stadt agieren soll. Als Rettungsring für eine überforderte Verwaltung verstanden, springt dann auch in der Diskussion ein Verwaltungsinterner aus dem Publikum auf und verteidigt sich, seine Kollegen und seine Arbeit. Wer sich mit der IBA 84/87 auskennt, entdeckt in der “Task Force” den Versuch der TU-Planer, jene Parallelverwaltung einzurichten, die damals zum Erfolg führte. Ein Produkt wird von “Think Berlin” gleich mitgeliefert: der IBA-Vorschlag “Radikal Radial!”. Er wird in einem Impulsvortrag auch nach der Berlin-Wahl brav durchexerziert. Es klingt wie eine Werbeveranstaltung der Gastgeber und nährt den Zweifel, ob Berlin das braucht, diese fünfte Bauausstellung.

Was Berlin allerdings braucht, ist Dialog. Und da erschafft “Think Berlin” mit dem als Reihe angedachten “Stadtpolitik trifft Stadtforschung” etwas Neues. Nach sechs Vorträgen von Wissenschaftlern äußern sich fünf Politiker der Berliner Abgeordnetenhausfraktionen auf dem Podium zu den Themen. Allein die Zeit scheint zu kurz und die Themen sind zu viele, als dass es hier zu dem kommen könnte, was sich Aljoscha Hofmann von der Initiative von der Dialogreihe erhofft. Eine langfristig angelegte Plattform soll sie sein, auf der Argumente ausgetauscht werden und man die Themen tiefer kommunizieren kann. Da darf man gespannt sein, wieviel Unterhaltung Teil 2 bieten wird. Noch wird hier nämlich gelacht: als dem Publikum vom Veranstalter scherzhaft die Pause verwehrt wird, als dem Moderator Gerd Nowakowski vom Tagesspiegel das Handy in der Hosentasche klingelt, als SPD-Staatssekretär Ephraim Gothe mit dem vermeintlichen Pfund wuchert, mit Katrin Lompscher von der Linken “gut zu können”. Darf Stadtentwicklung so locker sein?

Ernsthaft besorgt um die Stadt schien hier nur eine. Antje Kapek sprach aus, was einem in Berlin tatsächlich spanisch vorkommen kann: “Ja wieviel Zukunftstechnologie wollen wir denn noch bauen?” Braucht Berlin ein zweites Adlershof in Reinickendorf? Und warum muss Wirtschaft auch noch aufs Tempelhofer Feld, wo Freizeit herrscht und bald auch die Stille der Bücher?

Aber wo soll der Wohnungsbau herrschen? 30.000 Wohnungen neubauen und damit gewachsene Quartiere auffüllen, das wird eng – in den Quartieren und in Bezug auf die Frage, ob man dieses Ziel erreicht. Warum gibt man dem Thema nicht auch den Raum – in räumlichen Sinne –, den es angesichts des neuen Bevölkerungswachstums in der Stadt jetzt verdient und angesichts der zwei Leerflughäfen haben kann? Wohnen in Tegel am Terminal. Und den Raum im Sinne von Priorität auf der Liste gleich dazu! Vor allem das konnte man bei der Veranstaltung nicht erkennen: Was derzeit das Wichtigste in Berlins Stadtentwicklung ist, weder von wissenschaftlicher Seite, noch aus Sicht der Politik. Bedenklich im Sinne der Veranstaltung ist also weniger, dass Berlin seit September schwarz-rot sieht, sondern eher den Wald vor lauter Bäumen nicht.

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„Hingehen, sehen lernen“

Platz der Abwesenheit! – Wer diesen Berliner Ort wirklich finden will, sollte nach keinem Straßenschild suchen. Dem Platz fehlt selbst der Name. Auch die Begriffsschöpfung „Rathausforum“ ist missverständlich, wo das Verständnis von der Geschichte des Ortes keine Selbstverständlichkeit ist. Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil hat mit Futurberlin über das gesprochen, was zwischen Spree und Fernsehturm anwesend und abwesend ist – und in Zukunft sein könnte.

Frau Pfeiffer-Kloss, Sie halten es mit dem Berlin von Karl Scheffler: „verdammt, immerfort zu werden, niemals zu sein“. Wird Berlin am Rathausforum noch oder ist es schon?

Mich hat dieser Satz fasziniert, weil all diejenigen, die ihn benutzen, ja immer davon ausgehen, mit einer Neubebauung im historischen Stil die Bestimmung zu brechen und eben nicht mehr wollen, dass Berlin immer weiter wird.

Sie wollen, dass man das Rathausforum sein lässt. Warum?

Weil es sich, wenn etwas Neues wiederentsteht, doch um ein Fortführen der Bestimmung handelt, auch wenn es auf historischem Grundriss geschieht, weil dann das, was jetzt da ist, komplett verschwindet.

Was ist da, zwischen Spree und Alexanderplatz?

Ein Stadtensemble aus den 60er Jahren mit zugehöriger Freiraumplanung aus den 70ern, das die urbane Idee der Nachkriegsmoderne der DDR exemplarisch repräsentiert. Es ist eine Rarität an so einem zentralen Ort Berlins, historisch und städtebaulich wertvoll.

 

Sie haben sich mit der Rolle von Abwesenheit an dem Ort beschäftigt. Was ist hier abwesend?

Der Ort ist voller Abwesenheiten, von der Bebauung des Mittelalters über die Bauten des 19. Jahrhunderts bis zu den späteren Veränderungen. Straßen sind abwesend, der Stadtgrundriss. Es sind verschiedene Schichten von Abwesenheiten auf dem Platz.

Abwesenheiten, von denen Viele nichts wissen, Laien, Touristen. Wie kann man die Abwesenheiten erkennbar machen, kommunizieren?

Durch Erzählen. Ich hatte ein schönes Erlebnis auf dem Platz mit einem jungen Paar aus Bonn, das hier zu Besuch war. Ich habe die beiden angesprochen und war überrascht, wie unglaublich positiv sie den Ort empfanden, weil sie gleich meinten, hier sei soviel Platz, und es sei wie auf einem Boulevard in Paris …

Oh.

… ja, ich war auch überrascht, wo doch oft eine so negative Szenerie bei dem Platz heraufbeschworen wird. Dann habe ich auf die Kirche gezeigt und erzählt, dass sie ein Relikt aus dem mittelalterlichen Berlin ist und dieser Ort früher, als erste Stadterweiterung Berlins, dicht bebaut gewesen, eben der Kern des alten Berlins ist. Sofort wurden sie still, haben sich umgeschaut und gesagt: Aha, dann ist das jetzt irgendwie etwas anderes.

Was heißt das?

Dass das Wissen um Abwesendes Emotionen auslöst und auch ein solches Gespräch und auch eine städtebauliche Debatte beeinflussen kann.

Ist der Begriff Abwesenheit für Sie positiv oder negativ besetzt?

Weder noch. Man kann den Begriff neutral benutzen. Gerade bei städtebaulichen Debatten wird ganz oft über Verluste gesprochen. Verlust ist jedenfalls ein negativ konnotiertes Wort, wie auch Nichts oder Leere. Wenn man aber das Wort Abwesenheit benutzt, dann heißt das erstmal nur, dass etwas ganz Bestimmtes nicht mehr da oder noch nicht da ist. Man kann sich ja auch darüber freuen, dass etwas nicht mehr da ist.

Kulturstaatssekretär André Schmitz (SPD) freut sich über die abwesende Altstadt nicht, schätze ich. Er fordert eine „urbane Rückgewinnung“ des Ortes und sieht für die Freifläche keine Zukunft. Wie beurteilen Sie das?

Die Frage, die ich mir gestellt habe, war: Worum geht es hier eigentlich? Geht es um die abwesende Altstadt oder um die Abwesenheit der Altstadt? Worum es auf jeden Fall immer geht, ist die Frage nach Urbanität. An dieser Stelle würde ich immer fragen, was eigentlich das jeweilige Verständnis von Urbanität ist, ob sich das an einer bestimmten Bebauung festmachen lässt und ob Freiräume keine Urbanität schaffen können. Ist eine kleinteilige Bebauung wirklich urban?

Ist sie es denn irgendwo nicht?

Wenn ich mir eine Stadt ansehe wie Budapest: In Buda liegen auf dem Berg das barocke Schloss und die alte Bürgerstadt, auf mittelalterlichem Grundriss. Es wirkt dort ganz beschaulich, ein bisschen romantisch, aber überhaupt nicht urban. In Pest liegt die gründerzeitliche Neustadt mit der großen breiten Straße, dem Boulevard. Dort ist es, wie wir das heute auch verstehen, urban. Ich bin mir nicht sicher, ob das Ziel einer Urbanität durch kleinteilige Strukturen erreicht werden kann.

Es gibt ja auch die Planungen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, die 2009 vorgestellt wurden. Die wollen den Freiraum erhalten und qualifizieren. Deckt sich das mit Ihrem Ansatz der Bestandserhaltung?

Das waren ja Diskussionsgrundlagen. Ich finde diese Qualifizierungsvarianten nicht gelungen, weil sie oft so eine Unernsthaftigkeit haben, die der Bedeutung des Ortes nicht gerecht wird. Also ich rede jetzt gar nicht von diesem See. Auch diese kleinen Berge, die bei der IBA 2020 aufgetürmt werden, wirken wie etwas Sandkastenartiges.

 

Eine der Varianten war aber auch ein großer, freier Stadtpark. Das wäre doch auch eine Art, den Freiraum zu erhalten oder?

Ein Park ist aber kein Platz. Wichtig ist mir der Erhalt des Ortes als Stadtplatz. Deswegen würde ich auch eine Parkvariante mit vollkommener Begrünung nicht gut finden.

Was wollen Sie dann?

Ich bin für ein denkmalpflegerisches Konzept.

Was bedeutet Abwesenheit für Sie denn genauer?

Abwesenheit in Städtebau und Architektur ist eine subjektive Empfindung. Das ist die Grundannahme. Dann ist die Idee, dass Abwesenheit sowohl in die Vergangenheit, als auch in die Zukunft verweisen kann: also dass etwas abwesend ist, weil es einst da war, jetzt aber nicht mehr da ist oder dass etwas abwesend ist, weil man es plant, weil es da sein soll, aber noch nicht da ist. Abwesenheiten können die individuelle Wahrnehmung eines Ortes verändern, wie bei den Bonner Touristen vorhin. Bei geschicktem Einsatz der Abwesenheit als Medium, klassischerweise in Form von gut ausgewählten und zielgerichtet zusammengesetzten Bildern, kann Abwesenheit auch die kollektive Wahrnehmung eines Ortes beeinflussen.

Was ist mit den unterirdischen Stadtresten, die unter dem „Platz der Abwesenheit!“ liegen, wie Sie das Rathausforum auch bezeichnen. Sind sie ab- oder anwesend?

Die sind anwesend. Auch wenn man sie nicht sehen kann oder nur an bestimmten Stellen, aber sie sind definitiv da. Das sind ja nicht nur Bilder, sondern das ist die Originalsubstanz, die da im Boden liegt.

Staatsekretär für Stadtentwicklung Ephraim Gothe (SPD) will zunächst eine strukturierte Debatte über den Ort führen. Welche Erfolgsaussichten hat das?

Die Ansätze sind ja immer einseitig, noch zu radikal, emotional. Den Bebauungsbefürwortern geht es auch um einen großen Zug gegen die Nachkriegsmoderne, Ostmoderne. Den Menschen, die sich für die Freifläche aussprechen, geht es um ihr Lebensumfeld und um den Umgang mit Geschichte. Bei den Veranstaltungen sind sich dann jeweils alle einig. Die beiden Meinungen sind aktuell noch zu weit auseinander, zu sehr Feind. Ich glaube, dass so schnell kein vernünftiger Dialog zu Stande kommen kann. – Außer über die archäologischen Funde! Ich denke, dass sie ein unglaublich guter Anknüpfungspunkt sind, weil sie in der Tat echtes, originales Anwesendes sind, das alles verbindet.

 

Was bleibt zu tun?

Sehen lernen. Hingehen, noch mal hinschauen. Dann entwickelt man plötzlich ein Gefühl dazu. Es ist wichtig, dass man herausgeht und ins Original schaut.

Zurück zur Abwesenheit. Sie schreiben, dass sogar von noch abwesenden Gebäuden städtebauliche Gestaltungskraft ausgehen könne. Wie wirken das Humboldtforum und die geplanten Türme vom Alex auf den Ort?

Das Interessante ist, dass in der Diskussion um die Platzgestaltung der Alex nie eine Rolle spielt.

Das Schloss, das von Westen kommt, aber schon?

Genau. Das Schloss schon. Das ist immer dieser Antagonismus Schloss und Bürgerstadt. Der wird immer aufgemacht. Ich denke, man muss da aufpassen. Wenn man heute das Marx-Engels-Forum mit etwas bebaut, dann wäre ja auch der Stadtplatz vor dem Rathaus wesentlich kleiner und hätte einen Abschluss. Dann passt er wieder, dann stimmt der Platz mehr. Jetzt ist die Frage, kommt das Schloss? – Wahrscheinlich kommt es. Wenn das Schloss dann aber da ist, eignet sich wiederum eine Grünfläche gegenüber dem Schloss ganz gut.

Heißt das, dass das Marx-Engels-Forum und der Platz direkt vor dem Rathaus als zwei verschiedene Raumelemente betrachtet werden müssen?

Das ist eine Unterscheidung, die gemacht werden muss, und die eigentlich viel zu selten gemacht wird. Das Marx-Engels-Forum hat eine ganz andere Geschichte als der Stadtplatz vor dem Rathaus. Es ist aus der Not entstanden, weil das von der DDR geplante Zentrale Gebäude nie kam, immer abwesend blieb. Wenn man das als Maßstab anlegt, um die Wertigkeit dieses Ensembles zu bestimmen, kann man leicht auf die Idee kommen, zu sagen, das Forum als Notlösung ist nichts wert. Dabei ist es auch ein Zeugnis dieser Geschichte und ein Zeugnis der Abwesenheit.

 

Gesetzt den Fall, das Rathausforum wäre in der Zukunft bebaut. Wäre der heutige Freiraum in der Lage, als vergangene Abwesenheit zu wirken, wie es heute die Altstadt tut?

Ich denke, dass der Freiraum auch das Potenzial hätte, abwesend zu sein. Ich weiß, dass die Bürger, die hier wohnen, hier leben ja viele Menschen, sich jetzt schon dafür stark machen, den Raum eben nicht verschwinden zu lassen. Man könnte ganz sicher, wenn er nicht mehr da wäre – und er ist ja nicht mehr da, wenn er bebaut ist – mit Bildern des jetzigen Raumes ein Gefühl von Verlust und Abwesenheit schaffen.

Ephraim Gothe wird den Dialog also weiterführen, den Senatsbaudirektorin Regula Lüscher 2009 schon begonnen hat. Welcher Kompromiss könnte am Ende der Diskussionen herauskommen?

Es gibt keinen Kompromiss an dem Ort. Es gab mal diesen Vorschlag in den 90er Jahren mit der kritischen Rekonstruktion von Bernd Albers und Dieter Hoffmann-Axthelm, der ja nachher nicht ins Planwerk Innenstadt kam, weil er einfach unzureichend und unzutreffend war. Ich denke, an dem Beispiel wird klar, dass dieser Ort entweder eine gestaltete Freifläche bleiben oder eben komplett bebaut werden muss. Ein paar Kuben unvermittelt in den Raum zu stellen, kann hier nicht funktionieren.

 

Wer teilt den Ansatz der Bestandsentwicklung mit Ihnen?

Da bin ich in ganz guter Gesellschaft von Menschen, die eine gute nachkriegsmoderne Gestaltung schätzen und auch der Freiraumplaner. Und eigentlich müsste auch jeder Stadtklimaforscher meiner Meinung sein.

Frau Pfeiffer-Kloss, schönen Dank für das Gespräch!

Zur Person:

Verena Pfeiffer-Kloss, Jahrgang 1981, Dipl. Ing. für Stadt- und Regionalplanung. Vorsitzende von Urbanophil e.V. – Netzwerk für urbane Kultur, Lehrauftrag an der TU Berlin im Fachgebiet Stadt- und Regionalsoziologie, Mitarbeit bei complan Kommunalberatung.

Diplomarbeit von Verena Pfeiffer-Kloss:

Platz der Abwesenheit! – Analyse der Gestaltungsdebatte 2009/10 um den Teil des historischen Berlins zwischen Spree und Alexanderplatz, Institut für Stadt- und Regionalplanung TU Berlin, 2011.

(Dieser Beitrag ist die „extended version“ des taz-Interviews vom 28. März 2012)

 

„Nolle“ unter die Lupe genommen

— Fotostory —

Wie am 9. März berichet, soll der Nollendorfplatz umgestaltet werden. Wie der Platz und sein Umfeld in Schöneberg heute aussehen und was genau sich die Studenten der Landschaftsarchitektur an der TU Berlin bei ihren Entwürfen vorstellen – Futurberlin präsentiert fünf der insgesamt 14 Entwürfe neben einer fotografischen Bestandsaufnahme in der folgenden Fotostory.

Die von Westen einfahrende U-Bahn „klettert“ den Bahnhof rauf. Immerhin vier U-Bahnlinien (U1, U2, U3, U4) verkehren über den Nollendorfplatz. Im Hintergrund das „Goya“, heutige Eventlocation, historischer Theaterbau, führt in die Motzstraße.

 

Der oberirdische Teil des Bahnhofs von Süden aus der Maaßenstraße betrachtet. An seiner westlichen Seite die in der Nachwendezeit wiedererrichtete Kuppelkonstruktion.

Der Bahnhof von Norden her gesehen, Einem-Str./Ecke E.-Lasker-Schüler-Str.

Aus der Einemstraße gesehen: Der Platz funktioniert als Verkehrsknotenpunkt, nicht nur für den U-Bahnverkehr, sondern auch für den Kfz-Verkehr. Die Straßenführung wurde in den 70er Jahren im Sinne der „autogerechten“ Stadt umgestaltet.

Schmuddelecke am Nollendorfplatz (auf Nahaufnahme freundlich verzichtet.) – Dieses Image soll der Platz loswerden.

Schmuddelecke II – Historisches Relief unter der Hochbahntrasse verschreckt als Müllkippe, Geländer verhindert direkten Zugang, dient nur als Fahrradständer.

Blick aus den Bahnhofsfenstern in die Einemstraße und E.-Lasker-Schüler-Straße nach Norden. Der Schmuddel liegt hier im Dunkeln, die Taubenpiekser sind kein Garant für Reinlichkeit).

Blick in die nach Norden zur Siegessäule führende Einemstraße.

Und so könnte es sein: Die U-Bahneinfahrt inszenieren, auch die Ausfahrt natürlich. Die Höhenstufung zur Bahntrasse hin ist Teil des Entwurfs von Andi Streidl.

Die Treppen zur Bahntrasse (voriges Bild) resultieren aus der Streifengestaltung der Gesamtidee. Die veränderte, nach außen verlegte Straßenführung ermöglicht mehr Platzfläche. Auch gedacht: 70 Fahrradständer unter der Bahntrasse und ein neues Gebäude dort für ein Café oder eine Bar (Andi Streidl).

Im Entwurf von Johanna Kühnelt finden wir im südöstlichen Bereich des Platzes einen Skulpturengarten. Hier, direkt vor dem „Goya“, stellt sich die Studentin in Lebensgröße aufgestellte und in Bronze gegossene, Schöneberger Berühmtheiten vor.

Mehr als „Kiezgrößen“: David Bowie wohnte in Schöneberg, Bertolt Brecht arbeitete im Theater am Nollendorfplatz (heute: „Goya“).

Das sind die „Trampelpfade“ des Fußgängers, der sich heutzutage über den Nollendorfplatz bewegt. Wie ginge das anders?

Mit einem umlaufenden, baumbestandenen Promenadenring in Anlehnung an die Platzstruktur um 1900 entwirft Janika Schmidt eine attraktive Verbindung aller sechs Kopfplätze – und damit auch der Kieze – an das zentral gelegene Bahnhofsgebäude. Voraussetzung auch hier: eine Reduzierung von Verkehrsflächen (auch der Parkplätze) zu Gunsten von Fuß- und Radverkehr.

Ausschnitt des Promenadenringes mit Kopfplatz südöstlich vom Bahnhof, direkt vor dem „Goya“ (Janika Schmidt).

Die Bodenplatten zitieren die Bahnhofsfassade aus großen Natursteinen (Janika Schmidt).

„Im Sog des Nollendorfplatzes“, so nennt Maik Karl seinen Entwurf. Seine Idee ist es, die Fußgänger schnell an ihr Ziel zu führen. Das zentrale Bahnhofsgebäude soll die Umgebung wie ein Strudel „anziehen“. Der neue Platz wird durch Wege und Aufenthaltsflächen unterteilt.

Der Entwurf von Maik Karl mit den umliegenden Kiezen aus der Luft betrachtet.

Perta Dorottya Mandoky orientiert sich bei ihrem Entwurf an der Linearität des Platzes, die durch die oberirdische U-Bahntrasse vorgegeben wird. Im Bild zu sehen ist die abstrahierte Grundstruktur.

Und das hat sie daraus abgeleitet: Einen Platzentwurf, der vor allem mehr Transparenz schaffen soll, durchlässiger sein soll. Die längs positionierten Elemente stellen Pflanzenbeete dar und eine neuartige Bodenbeleuchtung unter der Hochbahn.

Projektentwickler auf der Suche nach maroden Plattenbauten

— Nachricht —

Eine Firma aus dem Westerwald baut abrissreife Berliner Plattenbauten zu kostengünstigen Wohnraum um. Wie die F.A.Z. gestern berichtet, errichtet die Gesellschaft für Immobilien-Projektentwicklung und Unternehmensberatung (GPU) insgesamt 850 Wohnungen in Lichtenberg; so in einem ehemaligen DDR-Warenhaus am Anton-Saefkow-Platz, in einem alten Bahn-Verwaltungsgebäude in der Frankfurter Allee beim Bahnhof Lichtenberg (Q216) und in einer ehemaligen Sportlerunterkunft auf dem Sportforum Hohenschönhausen. Demnach sähen die Unternehmer Lutz Lakomski und Arndt Ulrich in Berlin einen riesigen Bedarf an Einraumwohnungen und wollten solche mit monatlichen Warmieten von 300 bis 350 Euro auf den Markt bringen. Anstatt abzureißen und neuzubauen, saniere die GPU die Gebäude zweckorientiert, aber qualitätvoll. Der Bezirk unterstütze die Vorhaben und reagiere mit zügigen Genehmigungen. (F.A.Z.)



Pioniere haben es schwer, aber keine Gentrifizierung in Neukölln?

— Bericht —

Den Ort für die Vorstellung der neuen Nordneuköllner Sozialraumstudie hätte man mit dem Rütli-Campus besser kaum wählen können. Zwischen Indoor-Kletterwänden und Schul-Polizeischutz bot die Schulmensa gestern das perfekte Ambiente für eine Diskussion um steigende Mieten, Gentrifizierung und Kiezstrukturen. Darauf lief die Veranstaltung am Ende hinaus, nachdem Sigmar Gude vom Büro Topos Stadtplanung die Ergebnisse der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen Studie präsentiert hatte.

Deutliche soziokulturelle Veränderungstendenzen wären laut Studie nur im Gebiet Reuterplatz zu erkennen, sagt Gude. Hier hätten es selbst „Pioniere“ schwer, ins Gebiet zu kommen, denn der Anteil der „Gentrifier“ an der Bevölkerung erhöht sich nach 2007 von vormals 24 auf 33 Prozent. Gleichzeitig gehen die Anteile der „Normalbevölkerung“ von 44 auf 26 Prozent und der „Alten“ von 12 auf 2 Prozent stark zurück. Die Entwicklungen hier seien vergleichbar mit dem Graefekiez in Kreuzberg, nicht aber mit dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, sagt Gude. Im Gebiet Schillerpromenade habe die Gentrifizierung dagegen noch nicht begonnen. Die Anziehungskraft des Kiezes sei aber gewachsen. Der Anteil der „Pioniere“ steigt hier von 24 auf 45 Prozent, der der „Gentrifier“ bleibt mit 16 Prozent gering und hat sich zu vor 2007 kaum verändert. Die übrigen Gebiete im Neukölln innerhalb des S-Bahn-Rings seien mit der Schillerpromenade vergleichbar. In diese drei Gebiete hat die Studie das Untersuchungsgebiet aufgeteilt.

Die Studie untersucht auch die Wohnverhältnisse, Fluktuationen, Einkommensstrukturen und Mieten. Demnach hätten 85 Prozent aller Wohnungen Vollstandard. Die höchste Fluktuation, also kürzeste Wohndauer weist das Gebiet Schillerpromenade auf; hier befinden sich viele Kleinwohnungen. Für das Gebiet Reuterplatz gilt das Gegenteil, hier wäre der Wohnflächenverbrauch entsprechend höher. Zuzügler hätten ein höheres Einkommen als der Neuköllner Durchschnitt, lägen aber deutlich unter dem Berliner Durchschnittseinkommen. „Arme Haushalte werden durch etwas weniger arme ersetzt“, so sagt es Gude. Im gesamten Untersuchungsraum gibt es laut Studie nur 5 Prozent Eigentumswohnungen. Die Mieten liegen laut Studie bei Neuvermietungen in den letzten Jahren deutlich über dem Mietspiegel. Die Mietdifferenz bei Zuzüglern vor und nach 2009 ist mit plus 24 Prozent im Gebiet Schillerpromenade am größten. Doch die höchsten Mieten werden am Reuterplatz gezahlt.

Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) nimmt die Studie ernüchtert zur Kenntnis. „Es ist eine gute Sache, dass Panik in Sachen Gentrifizierung nicht angesagt ist“, sagt er. Gleichzeitig findet er es schade, dass von Neukölln keine Sogwirkung auf Gesamtberlin ausgehe. Buschkowsky selbst warf die Frage auf, wie die Studie denn mit der migrantischen Vielfalt im Bezirk umgegangen sei. Die Antwort von Sigmar Gude fiel dürftig aus; er verwies nur auf den statistischen Migrationsanteil von ca. 50 Prozent in der Neuköllner Bevölkerung.

Staatssekretär für Bauen und Wohnen Ephraim Gothe (SPD) sieht mit Neukölln kein neues Wohlstandsquartier entstehen: „Nein, davon sind wir wohl noch weit entfernt.“ Er verwies bei den steigenden Mieten auf den abnehmenden Wohnungsleerstand in Neukölln und betonte für ganz Berlin, es müsse über Wohnungsneubau geredet werden. „Das ist das einzige Mittel, das Druck vom Kessel nimmt“, sagt er.

Dass das in Neukölln gar nicht so einfach ist, darauf machte Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) aufmerksam. 2010 wäre Neukölln mit 13 neugebauten Wohnungen pro 1.000 Einwohner der Bezirk mit der geringsten Neubauaktivität gewesen. Die Neubaupotenziale lägen laut Gothe vor allem in anderen Gebieten Berlins; so führte er in der Diskussion das Tempelhofer Feld als Beispiel an. Das Publikum antwortete mit einem Raunen.

Die Studie „Sozialstrukturentwicklung in Neukölln“ ist online abrufbar unter: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/studie-sozialstruktur

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