Der Retter der Bauakademie

Die merkwürdigste Figur in dem spärlich besetzten Gerichtssaal war die Richterin. Und damit meine ich, dass ich ihre Erscheinung, Ausdrucksweise, ihre Gesten und ihr Geschick, das Gespräch zu führen, als würdig erachte, in Erinnerung zu bleiben und nicht: dass sie „schräg“ war. Sie redete recht leise, für meinen Geschmack etwas zu leise, konnte aber auch (und das tat sie) laut werden, wenn sie Wert darauf legte, einen Gedanken, eine Ausführung, ein Argument zu Ende zu bringen. Sie redete streckenweise auch recht lange, als dachte sie für sich selbst laut nach, als säße sie zu Hause über den Akten und bereitete sich noch auf den Fall am kommenden Tage vor. Sehr sympathisch, wenn Juristen nicht immer sprechen wie gedruckt. Nahm sie die Brille ab und lehnte sich in den Stuhl zurück, so wusste man: Gleich kommt sie ans Ende und übergibt den Ball an die Gesprächspartner, an den „Verfügungskläger“ oder an den „Verfügungsbeklagten“.

Bauakademie im Januar 2020: Alle warten auf Form und Inhalt des proklamierten Architekturzentrums (Foto: André Franke)

Der Name des (gefühlt) Beklagten war im Vorfeld bekannt geworden: Florian Pronold, der ausgewählte Gründungsdirektor der Berliner Bauakademie. Er sollte von dem Posten wieder herunter geholt werden, war im Saal selber aber nicht anwesend, nur durch einen Anwalt vertreten. Wo er hätte sitzen sollen, da stellte der Anwalt bequem die Tasche ab. Da Gefühle im Gerichtssaal aber fehl am Platze sind, sei hier richtiggestellt: Beklagt wurde die Stiftung Bauakademie, nicht Pronold selbst, für den sie sich bei der Vergabe des Postens entschieden hatte. Der Morgenpost, die heute über den Prozess berichtet, sagte Pronold entsprechend, er sei „Gegenstand des Prozesses, nicht Teil des Prozesses“. Also, Platz frei für eine Tasche.

Auf der Klägerbank saß dagegen ein anderes Rätsel. Wer genau klagte hier eigentlich? Aus der Zeitung erfuhr man es im Vorfeld nicht. Von einem Architekten und einem Professor war nur die Rede. Nicht zuletzt diese Frage brachte mich am Dienstag dazu, mich zum Magdeburger Platz ins Landesarbeitsgericht zu bewegen. Es war doch eine öffentliche Verhandlung, bei der sich niemand verstecken konnte. Hier saß zunächst der Professor; der Architekt kommt morgen, am Donnnerstag um 12:30 Uhr mit demselben Anliegen ins Gericht. Der Professor war im Gegensatz zu Pronold präsent und erkennbar. Aha. – Aber als sich das eine Rätsel löste, kam bereits ein anderes in die Welt.

Was aussieht wie Kollegenschelte

Der Verfügungskläger (es ging um eine einstweilige Verfügung) war nicht in die Endrunde des Auswahlverfahrens gelangt, bekam nach einem ersten Vorstellungsgespräch eine Absage. Vor Gericht stellte sich jetzt heraus, dass der Professor mit der Klage nicht nur erreichen wollte, Pronold den Direktorposten an der Bauakademie abzusprechen. Der Professor klagte direkt darauf, selber die Stelle zu bekommen; diesen Sachverhalt hat die Richterin feinsäuberlich abgeklopft. Merkwürdig! Sie sollte den verhinderten Mitbewerber über den Rechtsweg des Konkurrentenschutzes und vorbei an allen ebenfalls gescheiterten (aber immerhin Endrundenkandidaten) in die Bauakademie bugsieren. Das ist mehr als merkwürdig. Das ist schräg.

Warum macht einer das? So einen vermessenen Anspruch eingelöst zu bekommen, ist doch aussichtslos. Deshalb muss man dem Professor unterstellen, es ginge ihm darum, seinen Namen ins Spiel zu bringen, ihm eine kleine, nette, unvergessliche Geschichte anzuhängen. Die Wiederaufbaugeschichte der Berliner Bauakademie würde nach dem Prozess – egal wie er ausginge – nicht mehr erzählt werden können, ohne den Schlenker über den Magdeburger Platz einzubauen. Wenn der Verfügungskläger aus solch egoistischen Gründen das Gericht bemüht haben sollte, will ich seinem Namen hier keine Bühne bereiten. Mein Verfügungskläger bleibt bis auf weiteres anonym.

Im Zentrum des Architekturzentrums ein Staatssekretär?

Das Motiv des Professors könnte aber auch ein anderes gewesen sein. Deshalb fällt sein Name im Folgenden schließlich doch. Er könnte, ganz uneigennützig, die Bauakademie retten wollen. So ein Gründungsdirektor ist ja keine Tresenkraft, sondern die Hauptfigur des Projekts. Man stelle sich das Humboldtforum ohne Neil MacGregor vor (auch wenn er längst wieder weg ist) oder das Berliner Ensemble ohne Bertolt Brecht (auch schon weg). Gründer sind Lokomotiven. Sie müssen sich mit Dampf auskennen. Florian Pronold, Politiker, kennt sich mit dem Dampf der Architektur wohl eher nicht so gut aus wie unser klagender Professor; das beweisen die Biografien. Darüber, wer dem Anforderungsprofil des Bauakademie-Direktors besser entspricht, wird bald in einem Hauptverfahren verhandelt, so entschied das Gericht am Dienstag. Es hat die Postenvergabe tatsächlich gestoppt. So hat Philipp Oswalt – Professor für Architekturtheorie an der Uni Kassel, Ex-Stiftungsleiter am Bauhaus Dessau, Kurator und Publizist – die Bauakademie womöglich vor einem größeren Fehlstart bewahrt (wenn man sich diese kleine Personaldebatte mal kurz aus dem Auge wischt).

Und vermutlich wird diese Weichenstellung auch einen Einfluss auf die Sterne haben. Denn dort, in den Sternen, steht ja der Architekturwettbewerb und die Frage, die alle beantwortet haben wollen: In welcher Architektur kommt die Bauakademie zurück?

Über das Wagnis, in Berlin einen Grundstein zu legen

Grundsteinlegungen in Berlin waren immer riskant. Als der König nach dem Sieg über die Dänen das Denkmal in Auftrag gab, das wir heute als Siegessäule kennen, wusste er noch nicht, dass er auch gegen die Österreicher gewinnen würde und gegen die Franzosen. So buddelten die Berliner den Grundstein der Siegessäule gleich zweimal wieder aus, ehe das Denkmal 1873 endlich eingeweiht werden konnte: dann von einem König, der auch Kaiser war. Springen wir ins Jahr 2012, zum 12. Juni an den Schlossplatz: Damals wurde dort der Grundstein fürs Humboldtforum gelegt, und Hermann Parzinger wagte einen Kommentar auf das sonnige Berliner Wetter, als er seine Rede unter freiem Himmel begann. Er könne von „Kaiserwetter“ sprechen (und er tat es eben auch), scherzte er spontan. Später, als er sich an die Schlosskritiker richtete („Betrachtet uns nicht nur durch die Brille des Kolonialismus!“), fiel ein Lächeln leicht und das Ernstnehmen schwer. Und heutzutage? Hat auch Jochen Sandig neulich auf der Tacheles-Baustelle etwas Riskantes getan?

Der Pirat stürmt die Prominentenbühne und ist selber einer

Nach dem Bericht der Berliner Zeitung vom 19. Oktober („Akt der Piraterie“) sprang Sandig, ein Tacheles-Gründer, auf die Bühne und befüllte die Kartusche, die in den Grundstein kommt, mit Papier, das für den Tacheles-Untergrund so nicht vorgesehen war: Karten, die mit den 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung beschriftet waren; die UN hatte sie 2015 in ihrer Agenda 2030 beschlossen. Sandigs Botschaft: Die Tacheles-Ruine soll nicht vermarktet, sondern einer Stiftung übergeben werden, und die Generation Greta soll in das Haus einziehen; „Fridays for Future“ soll ein Zuhause kriegen. Fridays for Future an der Friedrichstraße (naja, fast an der Friedrichstraße), das ist schon ein reißerisches Setting. Für alle, die die Nachhaltigkeitsziele konkret nicht kennen (z.B. ich selbst), liste ich sie einmal auf:

  1. keine Armut
  2. kein Hunger
  3. Gesundheit und Wohlergehen
  4. hochwertige Bildung
  5. Geschlechtergleichheit
  6. sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
  7. bezahlbare und saubere Energie
  8. menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
  9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
  10. weniger Ungleichheiten
  11. nachhaltige Städte und Gemeinden
  12. nachhaltige/r Konsum und Produktion
  13. Maßnahmen zum Klimaschutz
  14. Leben unter Wasser
  15. Leben an Land
  16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

Mag die Mission Jochen Sandigs auf höherer, symbolischer Ebene liegen, so lassen sich doch ein paar Reizpunkte auch auf den neuen Tacheles-Bau direkt beziehen. Taz-LeserInnen entdecken sofort eine Missachtung von Punkt 5. Das Publikum, vor dessen Augen die Grundsteinlegung am 19. September 2019 stattfand, bestand einem Bericht zufolge nicht zu gleichen Teilen aus Damen und Herren. Nein, die taz sah eine „Männerriege“ aus „rund 300 Männern in blauen Anzügen (…) Die wenigen anwesenden Damen waren entweder fürs Büffet oder die Berichterstattung zuständig“. Dagegen verwirklicht das Tacheles Punkt 17 phänomenal: Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder macht den Bebauungsplan (im Jahre 2003), seine Gattin lädt zur Grundstein-Party (2019); auch hier hilft uns die taz (zitiert den Tagesspiegel), aber auch die Morgenpost erklärt ein paar Hintergründe (siehe unten). Der Pirat könnte also durchaus „im Klartext“ gehandelt haben. Aber was hat denn Sandig nun eigentlich riskiert?

Tacheles-Baustelle mit Kranhaken, ca. 2 Jahre vor der Grundsteinlegung

Wäre ich am 12. Juni 2012 zur Schlosskartusche marschiert und hätte ihr rebellisch eine taz reingedrückt (damals schrieb sie über den „großen Fassadenschwindel“), man hätte mich wohl in die Spree geworfen. Und am Tacheles schreiten „dutzende Sicherheitsmänner mit ´Mann im Ohr“ (wieder taz) nicht ein, wenn jemand auf die Festbühne springt, der auf der Festbühne gar nicht erwartet wurde? Ich glaube, dass der Festspielintendant und Berliner Kulturunternehmer von vornherein zum Programm gehörte. Man war ja unter sich. Und wenn das stimmt, hat Sandig nur eine Sache riskiert: mit seiner Stiftungsidee nicht gehört zu werden. Insofern hat er ja noch mal Glück gehabt, dass wenigstens die Berliner Zeitung darüber schrieb. Vielleicht war das aber nur eine Gefälligkeit im Gegenzug dafür, dass der Berliner Zeitung die Ehre zuteil wurde, mit dem Tacheles-Grundstein versenkt zu werden – vom Ex-Regierenden Klaus Wowereit. Auch das erfährt man von der taz.


LINKS

Berliner Zeitung v. 19. September 2019

Berliner Zeitung v. 19. Oktober 2019

Baugeschichte Siegessäule auf bundestag.de

Eventreport Grundsteinlegung Schloss auf Futurberlin.de v. 13. Juni 2012

Morgenpost v. 8. September 2016

Nachhaltigkeitsziele auf bundesregierung.de

Tagesspiegel v. 19. September 2019

taz v. 19. September 2019

taz v. 20. September 2019

Burn out für Bedarfsampel an Mauergedenkstätte

Die Bedarfsampel an der Mauergedenkstätte in Mitte meldet (wie sollte es anders sein?) Bedarf an, im Minutentakt. „Signal kommt“, leuchtet pausenlos an der Fußgängerampel, die die einzige für Besucher ist, die Bernauer Straße zu überqueren. Nicht an irgendeiner beliebigen, harmlosen, unurbanen Stelle, sondern da, wo sich das magische Dreieck der Gedenkstätte befindet: Dokumentationszentrum, Versöhnungskapelle, Todesstreifen. Nur sind die drei voneinander durch die Acker- und Bernauer Straße getrennt. Besonders die Bernauer als Hauptstraße mit dem Tramverkehr der M10 bedeutet für alle, die hier „rübermachen“ wollen, eine dynamische Barriere. Und das ist eine unglückliche, scheinbar schicksalhafte Reproduktion der hiesigen Stadtteiltektonik.

Mauergedenkstätte: crossoptimiert

Wir müssen die Mauer hier erneut einreißen, einen Nutzungskonflikt gestalten, uns an der Bernauer Straße neuer Berliner Stadtformate bedienen. Geben wir doch der Gedenkstätte mehr Raum und mehr Zeit! Besucher überqueren die Straßen von vier Standorten aus. Bisher gibt es nur eine einzige Furt (und die hängt am seidenen Faden der Bedarfsampel). Schaffen wir doch ein großräumiges, crossoptimales Querungsfeld, das sich über den gesamten Kreuzungsbereich erstreckt. Das gibt es in Berlin schon so ähnlich: an der Kreuzung Friedrichstraße /Ecke Kochstraße südlich vom Checkpoint Charlie. Dort erhalten sämtliche Fußgänger gleichzeitig grün. Sie dürfen auch diagonal kreuzen, was wirklich genial ist. – Was für ein tolles, aber in der Stadt weitestgehend unbemerktes Pilotprojekt in Kreuzberg, das doch seine Fortsetzung sucht! Oder etwa nicht?

Beringstraße für die Besucher der Mauergedenkstätte: Bedarfsampel ist definitiv zu wenig für eine Gedenkstätte von nationaler Bedeutung (Abb. André Franke)

Beringstraße für die Besucher der Mauergedenkstätte: Bedarfsampel ist definitiv zu wenig für eine Gedenkstätte von nationaler Bedeutung (Abb. André Franke)

Die Gedenkstätte Berliner Mauer ist eine Gedenkstätte von nationaler Bedeutung. Im Moment ist sie der Bernauer Straße als Hauptverkehrsstraße und Teil des Innenstadrings ganz klar untergeordnet. Aus Sicht der Verkehrsverwaltung soll wohl die zügige Verbindung der Straßenbahn und des Kfz-Verkehrs sichergestellt werden (mit Höchtsgeschwindigkeit: 50 km/h). Aber ist das wirklich notwendig? Und ist das wirklich nutzungsgerecht?

Prädestiniert für Entschleunigung

Ist es meiner Meinung nach nicht (bezogen auf die zweite Frage). Denn der Besucherverkehr in der Mauergedenkstätte ist langsam und gemächlicher Natur. Ist es nicht denkbar, auch in einer Hauptstraße eine Passage des Runterkommens einzubauen? Immerhin gibt es hier etwas zu sehen, auch für Leute, die mit Bussen (!) und Autos auf der Bernauer Straße fahren. Deshalb erscheint mir die Bernauer Straße prädestiniert für eine grundlegende Entschleunigung! Nach dem Passieren der Gedenkstätte (im Abschnitt zwischen Strelitzer und Gartenstraße) können die Autofahrer ja wieder hochschalten.

Gedenkstätten-Modus einrichten

Jedenfalls hat die Bedarfsampel Bernauer Straße ausgedient. Hier muss längst ein regulärer Übergang möglich werden, der den Gedenkstättenverkehr (950.000 Besucher im letzten Jahr) auf Augenhöhe mit dem Transitverkehr bringt. Und am besten mehr als das: Der Normalzustand des Ortes sollte die Fußquerung von Norden nach Süden (und umgekehrt) sein. Kommt die Straßenbahn werden die Ampeln für alle Besucher der Mauergedenkstätte auf Rot gestellt. Mit der Straßenbahn fahren dann auch die Autos – als Gefolge. Danach wird auf Gedenkstätten-Modus zurückgeschaltet, und es heißt wieder: „Crosszeit“. Wie wäre das?

Stadtentwicklung als Schulfach

Projektentwickler Dirk Moritz wünscht sich Stadtentwicklung als Schulfach …

Gebautes Siegerpodest - The Square3 der Moritz-Gruppe am Sportforum Hohenschönhausen (© Moritz-Gruppe GmbH)

Gebautes Siegerpodest – The Square3 der Moritz-Gruppe am Sportforum Hohenschönhausen (© Moritz-Gruppe GmbH)

Es ist immer das gleiche. In positivem Sinn: Die besten Sätze fallen zum Schluss. Wer Events bis zum Ende aussitzt (und das war am Mittwoch, als es bei den „Plattform Nachwuchs-Architekten“ in deren kleinem Laden in der Nazarethkirchstraße um „Klasse statt Masse“, also um die Flüchtlingsarchitektur ging, wörtlich zu verstehen). Einige Gäste standen. Die ganze Zeit. Zwei Stunden. Weil es keine Hocker mehr gab.

Am „Round Table“ saßen Andrea Hofmann von „Raumlabor“ (zum „Haus der Statistik“), Dirk Müller von der „AG Village“ (thf.openport.berlin) mit Ideen zum Andersdenken der Hangaren im Flughafengebäude Tempelhof, Philipp Hübert von den „Plattform-Architekten“ (zu den MUF-Bauten), Axel Rymarcewicz, der die MUF mit der Schrobsdorff Bau AG baut („viel Unschärfe drin bei Unterscheidung zwischen Container und Modularbauten“), Rainer Latour, Leiter des Stadtentwicklungsamts Charlottenburg-Wilmersdorf („Dieser verfluchte Immissionsschutz!“), Andreas Prüfer, Bezirksstadtrat Lichtenbergs, der wegen der unglücklichen MUF-Vokabel (sprich: „MUFF“) die Kommunikationsstrategie des Senats für schwach hält, die Stadtplanerin Hille Bekic („Es macht überhaupt keinen Sinn, ein schlechtes Haus zu bauen“), Achim Nelke (auch Stadtplaner), von dem bei mir leider nichs hängen blieb, und last but best: Dirk Moritz, Projektentwickler der Moritz-Gruppe und Stadtentwickler mit gesellschaftlichem Anspruch.

Rostes vor sich hin: das ehemalige Konferenzzentrum am Sportforum Hohenschönhausen im April 2015 (Foto: André Franke)

Rostes vor sich hin: das ehemalige Konferenzzentrum am Sportforum Hohenschönhausen im April 2015 (Foto: André Franke)

Er erzählte von seinen Erfahrungen mit dem preisgekrönten (Mipim u.a.) Hochhausprojekt „The Square³“, einem mixed-used Stadtquartier, das er am Sportforum Hohenschönhausen verwirklichen will. Einem Siegerpodest gleich (siehe Foto oben), bilden ein Gold-Tower (118 Meter, natürlich der höchste unter den Dreien), ein Silber-Tower und ein Bronze-Tower den neuen Eingang in das Sportgelände. Heute steht hier noch die Ruine des ehemaligen Konferenzgebäudes aus DDR-Zeiten (siehe Foto 2). Dirk Moritz berichtet, wie schwierig es sei, in dem Gebäudeensemble eine Schule unterzukriegen. Welche Auflagen es zu erfüllen gäbe. Was das koste. Was einem der Investor antworte. „Mach Office!“, sagt Moritz. Und so enstünden überall in der Stadt die gleichen Bürofassaden. – Am Ende jedenfalls der Satz. Er listet fünf Wünsche auf. Einer davon, ich glaube, es war der dritte oder vierte:

„… dass Stadtentwicklung zum obligatorischen Schulfach wird!“

Das fordern auch Stadtplaner

Dass diese Neuerung Not tut, hätte jeder Gast an diesem Abend sofort unterschrieben. Vielleicht wird daraus ja eine (schon wieder eine neue) Petition. Vielleicht ist die Stunde reif. Ich bin ganz schön verblüfft, als eine Stadtplanerin wenig später, unabhängig von dem Event, in einer Email schreibt, sie finde, „dass das allumfassende Thema Stadt- und Regionalplanung im Sinne einer Lebensraumentwicklung an die Schulen gehört.“ Spannender Zufall.

Ein Wort der Wahrheit

Als ich vor Weihnachten über das „Wort zuviel“ schrieb, über das „Noch“ in dem Rettig-Satz, beim Berliner Schloss (eben: noch) auf gutem Wege zu sein, ahnte ich nicht, dass die Wende am Bau so kurz bevorstand. Es war ein Wort der Wahrheit, nichts Geringeres, das wissen wir jetzt. Und es macht jetzt – nach dem erklärten Rückzug Rettigs – sogar Sinn. Nur so. Er wusste, dass er geht. Wir wussten es nicht.

Schlossbaumanager Manfred Rettig wirbt in Tagesspiegel-Anzeige für plankonformes Verhalten aller Baubeteiligten - kurz vor Weihnachten 2015 (Foto: André Franke)

Schlossbaumanager Manfred Rettig wirbt in Tagesspiegel-Anzeige für plankonformes Verhalten aller Baubeteiligten – kurz vor Weihnachten 2015 (Foto: André Franke)

Das kleine Wort entfaltet große Wirkung. Die Zeitungen finden in den Quartalsberichten und Sitzungsprotokollen der Schlossstiftung die Wahrheit über die „beste Baustelle Berlins“: Die Baustelle ist wie alle andern. 2019 gibt´s eine Teileröffnung, der Bau wird teurer. Der Risikopuffer gleicht die Mehrkosten momentan – noch – aus. Denn wie klein erscheint die Risikosumme von 29,9 Millionen Euro vor der Größe des Rufs des Kreateurs von der Insel.

Die dritte Wahrheit tritt hier hervor: Rettig geht, weil MacGregor kommt. Das hat nichts mit groß und klein zu tun. Nur mit der Unvereinbarkeit zweier Projekte. Wo das starre Schloss ist, kann kein dynamisches Humboldtforum sein. Wo Neil MacGregor Welten arrangiert, müssen Wände so flexibel sein wie die Ausstellungsgegenstände selbst. Die Exponate, sagt Rettig in der Morgenpost, seien aber bis auf den Zentimeter genau eingeplant. „Wir wissen genau, wo was hinkommt.“ Das heißt, das Humboldtforum wurde bis jetzt mit dem Geist des Schlosses geplant. Damit ist Schluss. Jetzt kommt der Weltgeist in ein Haus, wo die deutsche Industrienorm schon auf der Zielgeraden war, holt tief Luft, bläst die Backen auf und pustet mit Rückenwind von ganz oben den Laden kräftig durch. Da platzen im Schloss die frisch eingebauten Fenster auf, fallen Wände und am Ende sogar die Barockfassaden. Jetzt kommt die Nutzung, die sich den Körper baut.

Rettigs Ruhestand war eine weise Entscheidung. Und eine sympathische dazu, sagt er doch, er sei gesund und munter und er wolle vom Leben noch etwas haben. Offenbar gibt es Wichtigers als ein Schloss zu bauen. Sehe ich genau so: einen Flughafen bauen. Die Schloss-BER-Assoziation ist in letzter Zeit wahrhaftiger geworden.


Manfred Rettig wird bei Lea Rosh zu Gast sein, wenn es am 1. Februar in der Kommunalen Galerie, Hohenzollerndamm 176, um das Umfeld des Humboldtforums gehen wird – ab 20 Uhr (Eintritt 10 EUR)

Schlosskuppel mit Weihnachtsbaum

Ein Wort zuviel am Schloss

Schlosskuppel mit Weihnachtsbaum

Schloss mit Risiko: Schon wieder Richtfest oder was? Frohe Weihnachten für die beste Baustelle Berlins, wünsch ich! (Foto: André Franke)

Es ist keinesfalls so, dass ich das Schloss schlechtreden will oder mich freuen würde und heimtückisch darauf warten, wenn der Bau doch länger dauern sollte. Im Gegenteil, ich preise die Schlossbaustelle bei fast jeder Führung als “beste Baustelle Berlins”, bei der man voll im Kosten- und Zeitplan liege – noch. Genau dieses Wort – noch – lese ich im letzten Satz einer Anzeige im Tagesspiegel. Der Bauherr selbst, Manfred Rettig, Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, erläutert auf wenigen Zeilen, wie das Risikomanagement auf seiner Baustelle funktioniert. Oft seien im Hinblick auf den Umfang der Baumaßnahme und die Qualität der technischen Ausstattung die Anforderungen der Nutzer zu hoch, unvollständig oder unwirtschaftlich. Und so fährt er fort:

“Sind Entscheidungen zum Bau aber einmal gefallen und mit den technischen Einbauten durchgeplant, dann sind nachträgliche Änderungen das größte Risiko.”

Nachträgliche Änderungen – sofort denkt man an das BER-Terminal, das im Laufe der Planung (und sogar im Laufe des Baus) immer mehr Shopping-Mall wurde als Luftreisehaus. Rettig weiter: Von mehr als zehn verschiedenen Ingenieursfachrichtungen müssten diese Änderungen bei komplexen Baumaßnahmen bearbeitet werden – “mit unabsehbaren Folgen für Kosten und Termine”. Es folgt in der Anzeige ein Appell an die Disziplin von Politikern, Architekten, Nutzern und Bauherrn und: der Satz mit dem Wort zuviel (ich lasse es im Folgenden mal weg): “Beim Berliner Schloss – Humboldtforum sind wir hier (…) auf gutem Wege.”

Wie gesagt, es treibt mich nicht die potenzielle Schadenfreude. Mir ist vielmehr klar geworden, dass der Reiz dieses Positiv-Baus in dem Damokles-Schwert liegt, das über ihm schwebt – über den Bau und über Manfred Rettig selbst, der unstrittig als erfolgreicher Bauherr gilt, (…). Denn einen neuen Nutzerwunsch hat es mit dem Rückzug der ZLB schon gegeben. Berlin will stattdessen ein Stadtmuseum als Beitrag zum Humboldtforum einrichten. Wie Paul Spies als designierter Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin seinen Wunsch gedenkt auszugestalten, ist auf Inforadio nachzuhören (49:21 min.). Dort gehen Spies und Rettig schon mal auf Tuchfühlung.

Philharmonie

Winterempfang für einen Kritiker

Philharmonie

Großer Nachbar fürs geplante Museum der Moderne: die Philharmonie auf dem Kulturforum (Foto: André Franke)

Nikolaus Bernau ist immer eine Reise wert, auch wenn ihm selber die Reiseziele öfter mal zu entgleisen drohen. Da kann ich mich an eine Veranstaltung beim Werkbund Berlin erinnern, als es vor längerer Zeit um den privatisierten Wiederaufbau der Bauakademie ging. Auf den Hauptkritiker dieser Angelegenheit wartete man … eine Weile, aber keinesfalls umsonst. Am Mittwoch nun, verfehlte der Journalist der Berliner Zeitung den Winterempfang der Bundesstiftung Baukultur. Bernau war für einen Vortrag eingeladen, den er halten sollte. Nur fuhr er in die Schiffbauergasse in Potsdam, wo die Stiftung ihren Sitz hat, während man bei Fingerfood und Aperol-Spritz in der Skybar des Haus Berlin am Strausberger Platz, tolle Blicke auf die nächtliche Karl-Marx-Allee werfend, die Irrfahrt des Architekturkritikers vernahm. Stiftungschef Reiner Nagel informierte die Gäste. Bernau traf dennoch rechtzeitig ein. Mit dem Taxi, wie er sagt. Und hatte gleich eine super Einleitung parat. Von Potsdam bis hierher durchfahre man beinahe ausschließlich Stadt des zwanzigsten Jahrhunderts. Es folgte sein Vortrag über Berliner Architekturwettbewerbe für Museumsbauten von der Kaiserzeit bis heute. Und er gipfelte in einer Kritik am neuen geplanten Museum der Moderne, das an der Potsdamer Straße zwischen Neuer Nationalgalerie und Philharmonie auf dem Kulturforum gebaut werden soll. Der Standort sei falsch, Standortalternativen wären nicht debattiert worden, die Baukosten mit 200 Millionen Euro seien zu teuer, und überhaupt seien alle an der Planung und Entscheidung Beteiligten hinter Kulturstaatsministerin Monika Grütters hinterhermarschiert. An diesem Abend verfehlte Nikolaus Bernau trotz seines großzügigen Anfahrt im Grunde gar nichts, weder mein Zwerchfell, noch die Bauherrin des Museumsprojekts, Petra Wesseler, die Präsidentin des BBR (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung), die eben auch anwesend war und sich im Anschluss der Diskussion stellte. Es klang, als hätte Bernau sogar ins Schwarze getroffen. Wie mir zu Ohren kommt, haben sich manche Publikumsgäste etwas auf die Füße getreten gefühlt, was wohl nicht dazu führen wird, die Standortfrage für das Museum der Moderne zu überdenken oder gar anders zu beantworten, denn der Ideenwettbewerb für das Projekt läuft bereits.


Und das erzählt Nikolaus Bernau in einem Gespräch mit dem Blogger Daniel Fuhrhop (Verbietet das Bauen), u.a. auch zum Kulturforum (Podcast) …

Der Gedenkstein, der zur Ruhe kommt

Gedenkstein Günter Litfin am Humboldthafen: mehrmals versetzt, kommt er jetzt zur Ruhe an nahster Stelle zum Tatort (Foto: André Franke)

Gedenkstein Günter Litfin am Humboldthafen: mehrmals versetzt, kommt er jetzt zur Ruhe an nahster Stelle zum Tatort (Foto: André Franke)

Seit Donnerstag steht der Gedenkstein für Günter Litfin nicht länger an der Sandkrugbrücke gegenüber von Sarah Wiener, westlich des alten Grenzübergangs Invalidenstraße. Er ruht jetzt zum ersten Mal auf der Ostseite des Humboldthafens an der neuen Uferpromenade, deren erstes Stück parallel zum Alexanderufer verlaufend hinter dem „grünsten Bürogebäude Berlins“ fertiggebaut ist. Am sogenannten „HumboldthafenEins“ mit seiner weißen Rasterfassade, in welches PricewaterhouseCoopers eingezogen ist, säumen zwei Mauersegmente den öffentlichen und etwas abschüssigen Zugang zum Wasser. Doch bisher gab es außer dem keinen Grund hier herzukommen. Am Sonntag hab ich Gästen den Gedenkstein gezeigt. Er befindet sich jetzt „so nah wie möglich am Ort der Flucht Günter Litfins“, wie Axel Klausmeier von der Mauergedenkstätte bei der Eröffnung sagt. Ich dachte immer, Günter Litfin wäre kurz vor Erreichen des westlichen Hafenufers erschossen worden. Aber eine Stasi-Skizze in Jürgen Litfins Buch „Tod durch fremde Hand“ zeigt, dass er wegen des Sperrfeuers offenbar gar nicht weit vom Ostufer weggeschwommen war. Insofern kommen wir dem Tatort Litfin durch die Berliner Stadtplanung näher als jemals zuvor. Und wenn auch das HumboldthafenEins ziemlich steril rüberkommen mag, hat Berlin hier ein Stück historische Authentizität gewonnen. Auf der Mauertour wird der Gedenkstein für mich jedenfalls zum Standardstopp.

Hilfe, die Urbaniten sind da! Und einer entpuppt sich als Vorstädter

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Als ich vor drei Jahren einmal beim Projektentwickler der Townhouses vom Friedrichswerder anrief und man mir sagte, auf den 47 Schmalst-Parzellen lebten 500 Menschen, schmunzelte ich schon sehr. Dort wohnen doch keine zehn Leute in einem einzigen Haus! Dennoch sind die „Urbaniten“ da. Einen hab ich letztens kennengelernt, war Hausgast bei ihm, ja wirklich. Es gibt in der Oberwallstraße 20 ein Café, das seinen Gästen eine Terrasse mit Blick auf den Innenhof des Townhouse-Blocks bietet. Allerdings ist deren Nutzung baupolizeilich untersagt, worauf ein Schild ausdrücklich hinweist. Das Verbot kommt dadurch zustande, dass ein Townhouse-Bewohner, ein Urbanit, sich durch die Cafébesucher belästigt fühlt und dagegen klagt. Der Cafébetreiber nimmt aber alle seine Gäste in Schutz. Man kann getrost am Schild vorbei- und auf die Terrasse rausgehen. Dort traf ich dann meinen Gastgeber, ein Bewohner des Café-Townhouses, der mir die Geschichte erklärte. Bitte nicht verwechseln: Mein Gastgeber ist der Beklagte, er befürwortet das Café. Sitzt ja selber am Tisch neben mir. Die Klage kommt von der anderen Hofseite, von gegenüber, wo offenbar kein Urbanit, sondern eine Urbani(e)te eingezogen ist! Denn war es nicht die Idee, jene hier bauen und leben zu lassen, die die Dichte lieben und gemischte Strukturen, überhaupt: die Stadt? Als „Hoffnungsträger“ hatte man die Urbaniten in den 90er Jahren betrachtet. Jetzt sehen wir, dass mancher besser vor die Stadtgrenze gehörte, ins Suburbane, ins Umlandgrün, zu dem die Townhouse-Idee vom Friedrichswerder ja gerade das Gegenstück sein soll. So hoffe ich, dass die Klage scheitert, das Café bleibt und man beim nächsten Mal ehrlicher ist, wenn ich anrufe. Oder täuscht die Townhouse-Idylle nur?

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

 

Trampelpfad im Park am Gleisdreieck

Halsbrecherisch: Verspielte Landschaftsarchitektur provoziert Trampelpfade in Park am Gleisdreieck

Trampelpfad im Park am Gleisdreieck

Dieser Weg wird kein leichter sein. Dieser Trampelpfad im Park am Gleisdreieck ist fast schon eine Treppe. (Foto: André Franke, September 2015)

Darf das denn sein? Dass sich die Leute hier nicht die Füße brechen, grenzt an ein Wunder. Wurzeln ragen aus dem Boden, freigespült vom Regen. Unterirdische Plastikrohre streben gen Tageslicht wie Spargel, lassen das Ganze bizarr aussehen. Als wäre man hier auf der Baustelle! Doch es ist der preisgekrönte Park am Gleisdreieck, zumindest sind dessen Gestalter, die Landschaftsarchitekten von LOIDL mit einem Preis gekrönt worden, letzten Freitag: mit dem Landschaftsarchitekturpreis 2015. Zurecht? Muss man da fragen. Die Planer haben sich da nämlich eine Spielerei erlaubt. Einen Weg geschaffen, den niemand braucht. Er führt aus der verlängerten Lützowstraße in den Park, mündet aber in einen anderen Weg, hat also kein direktes Ziel. Dabei schreit das Wegeziel für die Parkquerer (gemeint ist übrigens der Westpark) ja zum Himmel: Die Menschen wollen zur U-Bahn. Sie wollen zum Bahnhof Gleisdreieck und latschen direkt über die Wiese! Der Großstädter hat keine Zeit für Spielchen. Bitte nachbessern! Am besten nach dem Vorbild Spreebogenpark. Dort nimmt das Grünflächenamt Mitte jetzt die Volksvorschläge (geäußert in Form von Trampelpfaden) auf und macht daraus einen befestigten (Park-)Weg. Herzlichen Glückwunsch an LOIDL, trotzdem! Denn was die Parkarchitekten dort mit Elementen wie der „Gleiswildnis“ und den grauen, großen Wackersteinen (ich denke dabei immer an den bösen Wolf, wenn ich vorbeifahre) erschaffen haben, ist vor der Historie, die der Ort hat, poetisch und macht mich glücklich (siehe auch: „Joseph Roth im Hochgras“, ein Beitrag, den ich für Berlin vis à vis geschrieben habe).

Schock-Bau auf Bötzow

Schnell gebaut, aber nicht schön gebaut. Die temporäre Innovation-Halle vor der Bötzow-Bauerei an der Prenzlauer Allee (Foto: André Franke)

Schnell gebaut, aber nicht schön gebaut. Die temporäre Innovation-Halle vor der Bötzow-Bauerei an der Prenzlauer Allee (Foto: André Franke)

Schon seit Wochen fahr ich die Prenzlauer nur noch mit Scheuklappen runter. Dass ich die grau-schwarze Blechhalle nicht immer aufs Neue anblicken muss. Sie ist ein Neubau auf dem Gelände der alten Bötzow-Brauerei. Chipperfield baut hier, dachte ich. Und die Pläne zeigen ganz andere Architektur. Helle Ziegelsteingebäude, die sogar die gleichen Rundfenster haben wie schon der Chipperfield-Neubau für die School of Transformation im Projekt Forum Museumsinsel an der Spree. Auf meine besorgte Anfrage hin, teilt mir Bötzow Berlin jetzt mit, dass es sich nur um eine Zwischenlösung handelt. Den kreativen Kräften im Open Innovation Space will man mit dem Bau einen möglichst kurzfristigen Start ermöglichen. Man versichert mir: Die baulich-ästhetischen Einschränkungen werden nur von vorübergehender Dauer sein. Na gut.

Begegnungszone Maaßenstraße

Könige der Begegnungszone – die Schöneberger Maaßenstraße muss man feiern

Begegnungszone Maaßenstraße

Begegnungszone Maaßenstraße: braun = zukünftiger Fußgängerbereich (Quelle: Flyer SenStadtUm)

Wenn in der Maaßenstraße in Schöneberg bald Berlins erste „Begegnungszone“ kommt, wird es bestimmt Pilger geben, die sich auf den Weg dorthin machen, um diesen extravaganten Straßenraum, Stadtraum einmal Meter für Meter abzuschreiten. Und mögen sie auch mit dem Fahrrad anreisen oder mit dem Auto – ich gebe Euch Brief und Siegel darauf, dass die Versuchung ihnen nahe wie selten liegen wird, das Vehikel am Nollendorf- oder am Winterfeldtplatz abzustellen, um ein paar gezielte Schritte zu machen. Denn der Fußgänger ist in der „B-Zone“ König. Er bekommt den meisten Platz, den größten Raum. Radfahrer teilen sich die verengte Straße mit den Autos, die maximal 20 km/h fahren dürfen. Eine reine Fußgängerzone wird die Maaßenstraße also nicht. Sondern ein Ort für alle. Die Bergmannstraße in Kreuzberg und den Checkpoint-Charlie erwartet nach Plänen der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung das gleiche Schicksal, welches selbstverständlich alles andere als zu beklagen ist!

Vom Boulevard zur Begegnungszone

In der Berliner Zeitung war dennoch vor kurzem im einen Interview zu lesen, an welchen weiteren Orten in Berlin das neue Raumformat Schule machen könnte und nach Ansicht von Stefan Lieb, Geschäftsführer des FUSS e.V. Deutschlands, Schule machen m ü s s t e: Er fordert Begegnungszonen auch vor den Hackeschen Höfen und im östlichen Teil der Oranienburger Straße, traut sich also „König Fußgänger“ sogar auf die Tram loszulassen; er fordert, Unter den Linden nach den U5-Bauarbeiten wieder zum wahren Boulevard zu machen, indem Begegnungszonen die Auto-Straßenquerungen überbrücken; drittens fordert er eine „mehrere hundert Meter“ lange Begegnungszone zwischen der Humboldt-Universität und dem Berliner Schloss, womit im Grunde der gesamte Boulevard vom Lustgarten bis zum Brandenburger Tor durchgängig flanierbar wäre. Echt königlich! Wer dann nicht spaziert, der ist doof.

Zehntausend Schritte am Tag solle man machen, sagt Stefan Lieb. Das sind sechs bis sieben Kilometer. Er plant mit dem FUSS e.V. (das steht nicht im Artikel) auch einen „GEH-SUNDHEITSPFAD“ durch Berlin. Dieser soll insbesondere an der Charité vorbeiführen, von wo aus Kranke aus dem Therapiezentrum auf den Weg in die Gesundung geschickt werden.

TIPP: Wem das Gelaufe zu physiologisch ist und zu wenig mental-philosophisch, der wird Freude haben an einer kürzlich ausgestrahlten, aber Dank des Internets für die nähere Ewigkeit gespeicherte Serie bei Deutschlandfunk über die „Spaziergangswissenschaft“ oder Promenadologie und ihres Begründers Lucius Burckhardt. Das macht Lust zu Laufen, auch außerhalb der Zone.

Begegnungszone Maaßenstraße

Begegnungszone Maaßenstraße: maximal 20 km/h für Autos und Radfahrer (Quelle: Flyer SenStadtUm)

Wer pilgert mit?

Ich werde mich ihr, der Zone Maaßenstraße, wenn der Zeitpunkt ihrer Eröffnung gekommen ist, als (wie oben prognostiziert) Pilger nähern! Das habe ich beim Schreiben dieses Beitrags beschlossen. Vom Alex, Weltzeituhr, werde ich zu Fuß zum Nolle gehen. Wer kommt mit? Die Ankündigung des Events erfolgt auf diesem Blog. Warmgelaufen und mit gesundem Appetit wird die Begegnungzone Maaßenstraße dann meine wohlverdiente Schlussmeile sein und mich runterbringen – von den Füßen aufs Sitzfleisch. Und dann wird gespeist im Eldorado zonierter Gastronomie (denn wie ja vielleicht bekannt ist, wird das hohe Kneipenaufkommen in der Maaßenstraße vom Bezirk mittlerweile reglementiert).


Hier die Reihe „Querfeldein Denken mit Lucius Burckhardt“ auf Deutschlandfunk

Und hier das Interview mit Stefan Lieb in der Berliner Zeitung

Reisebusse in Berlin

„Reisebusse raus!“ ist zu kurzsichtig

Als Fahrrad-Guide sind mir Reisebusse mindestens suspekt. Von Hass kann keine Rede sein. Mir geht es um die Stadt …

Reisebusse in Berlin

Schon besser: Ein Sightseeing-Bus überquert den Checkpoint Charlie wegen der Baustellenumleitung von Süden nach Norden ohne Abzubiegen (Foto: André Franke)

Der Berliner Kurier macht Stimmung gegen Reisebusse. Warum auch nicht? Sie blockieren Stadtbild und Sehenswürdigkeiten, verpesten die Luft, lärmen und sind ungelenke Riesen unter den Verkehrsteilnehmern und deswegen auch gefährlich. Gerade auch, weil die Fahrer ortsfremd sind. Schwerpunkte des Busgerangels sind schnell aufgezählt: Museumsinsel, Gendarmenmarkt, Holocaust-Mahnmal und Checkpoint-Charlie. Auch die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße.

? Warum sanieren wir den Kolonnadenhof vor der Alten Nationalgalerie, wenn ich ihn nicht mehr sehen kann, weil der Säulengang von den Bussen zuparkt ist?

?? Wie kontraproduktiv, ja zerstörerisch sind die Reihen rollender Motoren am Gendarmenmarkt, dessen Attraktvität von der Atmosphäre straßenmusikalischer Inszenierungen lebt?

??? Und wie paradox erscheint mir die Lage am Stelenfeld, wo eine lückenlose Wagenburg die Offenheit und Begehbarkeit der Eisenman-Skulptur zu nichte macht?

Beim Checkpoint Charlie sieht man allerdings, wie eine gezielte Verkehrsführung sofort positive Effekte haben kann: Wegen der Baustelle in der Zimmerstraße müssen alle Busse aus Richtung Potsdamer Platz kommend zur Zeit über die Kochstraße fahren. Das heißt, sie überqueren den Checkpoint Charlie geradlinig, ohne links in die Friedrichstraße abzubiegen und vorher aufgrund der Vorfahrtsregeln minutenlang warten zu müssen. Hier bin ich gespannt, was die geplante „Begegnungszone“ bringt.

Berlin braucht mehr als ein Konzept für Reisebusse

Im Kurier fordert Stefan Gelbhaar von den Grünen ein Reisebus-Konzept. Ich halte das für viel zu kurz gegriffen. Denn auch Lieferverkehr stört in sensiblen Bereichen des Hauptstadt-Tourismus, und auch Pkw-Stellplätze blockieren Zugänge zu öffentlichen Räumen. Man denke mal an die East-Side-Gallery, wo die parkenden Autos den Betrachtern der Bilder den Standort für die beste Perspektive versauen.

Wir brauchen ein modifiziertes Verkehrskonzept. Und es muss eben auf die Schnittstellen zum Berlin-Tourismus abgestimmt werden.


weitere Futurberlin-Artikel zu: Checkpoint-Charlie und East-Side-Gallerie

Neptunbrunnen auf dem Schlossplatz statt auf dem Rathausforum

Rathausforum: Brunnen adé

Warum die Rückkehr des Neptunbrunnens vom Rathausforum auf den Schlossplatz Sinn macht …

Neptunbrunnen auf dem Schlossplatz statt auf dem Rathausforum

Der zukünftige Schlossplatz mit Blick von der Rathausbrücke: mit Visualisierung des zurückgeholten Neptunbrunnens / Schlossbrunnens (Quelle: Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum)

Jetzt, wo die Berliner Luft wieder erträglich ist, will ich bei lauen 25 Grad Celsius mitteilen, was die Hitze mich lehrte: dass es doch vielleicht ein guter Zug wäre, der Wegzug, Rückzug des Neptunbrunnens vom Rathausforum hin zum Schlossplatz, von woher er nach dem Krieg kam. Denn als ich bei 39 Grad Celsius vor Ort war, und die Wasserkaskaden am Fernsehturm sprudelten, und die Leute in sie hineinstiegen, durch die Becken wateten, verstand ich das doppelte Nass nicht. Zumal die Wasserkaskaden echt groß sind. Halb Berlin passt da rein. Warum also brauchen wir zwei Brunnenanlagen an einem Ort? Rein funktional betrachtet, macht das keinen Sinn. Und wenn ich mich entscheiden müsste zwischen beiden, dann blieben auf jeden Fall die Wasserkaskaden. Sie sind doch der größere Wurf für das Rathausforum als Freiraum.

Akustische Attraktivitätsefffekte

Realität Frühling 2015: Baustelle, Busverkehr, Stop and Go (Foto: André Franke)

Realität Frühling 2015: Baustelle, Busverkehr, Stop and Go (Foto: André Franke)

Wenn das Rathausforum also ein Mal Wasser zu viel hat, warum kann es es dann nicht brüderlich abgeben an einen Ort, der alles nimmt, was er kriegen kann. Der Schlossplatz vor den Schlossportalen I und II kriegt nach den aktuellen Freiraumplänen keine Bäume, keine Grünflächen. Nur Parkplätze. Und ratternde, blökernde, weil an der Ampel stehende Reise- und Sightseeing-Busse (in der Visualisierung oben übrigens nicht zu sehen, weder eine Ampel, noch Busse). Allein akustisch brächte ein Brunnen hier direkte Attraktivitätseffekte. Wer zukünftig aus der Passage des Schlosses kommt, träfe auf dem Schlossplatz auf das Geräusch sprudelnden Wassers, statt auf den Lärm röhrender Motoren. Manfred Rettig hatte auf der Stadtkern-Veranstaltung im April auch auf den visuellen Effekt hingewiesen. Der rückgekehrte Neptunbrunnen bildete das Pendant zum Brunnen auf dem Lustgarten am andern Ende der Schlosspassage. Ganz nach der Idee von Schlossarchitekt Franco Stella. Brunnen, Passage, Brunnen – das ist eine plausible Sequenz, finde ich. Noch dazu eine, die die Breite Straße stärkt, in dem sie sie verlängert bis in den Lustgarten hinein.

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Aus rein funktionaler Sicht kann Neptun also von mir aus zurück. Hinsichtlich des Stadtbildes, das er zusammen mit der Marienkirche und dem Roten Rathaus produziert, bin ich allerdings anderer Meinung. Warum bauen wir eigentlich nicht einfach einen zweiten Schlossbrunnen? Ein zweites Liebknecht-Portal bauen wir ja auch.

Grotest Maru auf dem Rathausforum, Juni 2015

Der Fischer, der aus dem Brunnen kam

Theatergruppe Grotest Maru zieht übers Rathausforum, hebt Gullideckel und geht baden …

Grotest Maru auf dem Rathausforum, Juni 2015

„Fischer“ steigt aus dem Neptunbrunnen, Juni 2015 (Foto: André Franke)

Grotest Maru auf dem Rathausforum, Juni 2015

„Eckensteher“ Nante auf´m Liegestuhl vor Marienkirche, Juni 2015 (Foto: André Franke)

Ich würde sagen, er hat sich von allen am meisten ins Zeug gelegt. „Der Fischer“ unter den Berliner Typen, die am Sonnabend Nachmittag übers Rathauforum zogen, hub gleich zu Beginn erstmal einen gusseisernen Gullideckel aus dem Boden. Dann stieg er hinein und war fortan nur hüftaufwärts zu sehen, mit den Armen rudernd, stumm um Hilfe schreiend. Wenn das kein Bild war für die flächendeckend unter dem Pflaster liegenden Altstadtreste des Berliner Marienviertels! Leider hab ich es nicht fotografiert. Der Fischer, wieder herausgestiegen, stieg sogleich wieder woanders rein, nämlich in den Neptunbrunnen. Mit einem Fischernetz durchschritt er das Becken, am Ende war er klitsche-nass. Schön, dass der Brunnen an diesem 26. Juni 2015 noch da war. Auf den Weg zum Schlossplatz hätte sich der Kerl bestimmt nicht gemacht. Dann hätte er sich zu weit von seinem Kollektiv entfernt. Das klingt schon wieder mächtig sozialistisch oder? Sorry. Die Schauspieler traten ja als Gruppe auf.

Grotest Maru auf dem Rathausforum, Juni 2015

Obstverkäuferin aus Rennaissance vor Marienkirche, Juni 2015 (Foto: André Franke)

Fragebogen statt Promille

Eckensteher Nante war ganz cool drauf. Weil es mit Ecken im Freiraum schwierig ist, hat er sich auf einen Liegestuhl gefläzt. Tolles Bild. Hinter ihm die blühenden Rosen. Hinter ihnen die Kirche. Seine Schnapspulle hatte er auf dem Foto schon beiseite gepackt. Die Schauspieler waren nicht zum Spaß hier. Sie hatten einen Auftrag, fragten uns Passanten, warum wir hier seien. Partizipatives Theater – eine getarnte Umfrage also?

Jetzt, wo ich mir auf dem Sofa sitzend das Bild mit der Marktfrau, der Obstverkäuferin ansehe, etwas Durst habe, frag ich mich, warum ich sie nicht um einen Apfel bat. Auch sie wollte wissen, was mich hier her brachte. „Na Ihr“, hab ich gesagt. Warum hat umgekehrt sie mir keinen Apfel angeboten? Warum hab ich keinen aus ihrem Korb geklaut? Warum hab ich den Fischer nicht aus dem Gulli gezogen? Warum haben wir den Bauarbeiter nicht auf die existenten Baustellen geschoben? Warum hab ich mir vom Schuster nicht die Schuhe putzen lassen? – Das müssen wir unbedingt noch mal machen!

Grotest Maru auf dem Rathausforum, Juni 2015

Theatergruppe Grotest Maru: Naja, auch sie können die Kraft des achsialen Stadtraums nicht verleugnen, postieren sich linear zwischen Neptunbrunnen und Fernsehturm, Juni 2015 (Foto: André Franke)

Einen Theaterplatz!

Könnte man Grotest Maru, die Theatergruppe, nicht dauerhaft auf dem Rathausforum installieren? Bis Oktober vielleicht? Muss ja auch nicht täglich sein. Jeden Sonnabend Nachmittag. Eine Stunde statt drei würde ja auch reichen. Partizipieren will gelernt sein.

Heute am Sonnabend, ab 15:00 Uhr: Bewegungsspiele am Marx-Engels-Denkmal

Wieder „Kaiserwetter“ am Schloss?

Das Schloss feiert Richtfest. Das Humboldtforum auch. Mögen beide Sonne tanken im „Kaiserwetter“ …

Am Freitag wird es sonnig und heiß. Ob dann jemand aus der geladenen Richtfestgesellschaft auf der Schlossbaustelle wieder von „Kaiserwetter“ sprechen wird? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hatte vor zwei Jahren bei der Grundsteinlegung keine Scheu, dieses Wort auszusprechen. Ich habe es selbst gehört, ich war dabei. Diesmal wird es mir nicht vergönnt sein. Weil ich nicht in Besitz eines Presseausweises bin, hat das große Haus keinen Platz für kleine Schreiber wie mich. Der Bau, den ich vor kurzem in einem Blogpost willkommen hieß, lässt mich vor der Türe stehen. Wenigstens nicht bei Regen. Oder begünstigt mich das Schicksal etwa mit der Perspektive von außen? Vom Schinkelplatz? Thyssen-Krupp-Platz? Den Kranz auf der Kuppel baumeln sehen, das geht doch am besten mit etwas Abstand, denke ich. So sag ich in weiser Voraussicht schon mal Danke, liebe Stiftung.

Schlosskuppel mit Dixieklo im Mai 2015: Menschlichkeit auf der Baustelle (Foto: Frank aus Hermsdorf, aufgenommen während der Zukunft-Berlin-Tour)

Schloss schlägt Humboldtforum

Doch das „Kaiserwetter“ macht mich immer noch ein bisschen kirre. Das Wort, sollte es jemand in Reden bemühen, klängen heute anders als 2013. Damals standen wir in der Baugrube, unter Straßenniveau. Jetzt redet man von der Kuppel herab. Der Bau selber spricht, der Rohbau wohlgemerkt, schreit: Schloss, Kaiser, Deutsches Reich! Das ist ein Dreiklang, der in keinem Forum weggeredet werden kann. Wilhelm von Boddien sagt in einem Interview, das Humboldtforum würde bei den Menschen nicht hängenbleiben. Sie würden zukünftig ins „Schloss“ gehen, weil sie den Begriff „Humboldtforum“ noch nicht verstanden hätten.

Werbung fürs Schloss. Kaiserwetter auch im Thälmannpark möglich

Werbung fürs Schlossrichtfest im Thälmannpark. Links: Gast auf der „Osten ungeschminkt“-Tour mit Berlin on Bike am 10. Juni 2015 (Foto: André Franke)

So ist es. Das habe ich selbst bei jenen beobachtet, die genau wissen, was das Humboldtforum sein soll. Im Februar dieses Jahres bemühte sich Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup bei einer Veranstaltung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wirklich darum, nicht vom „Schloss“ zu sprechen. Es fiel ihm gar nicht so leicht. Aber das immer erklärungsbedürftige „Humboldtforum“ wollte sich einfach nicht auf seine Zunge legen. Am Ende seiner Ausführungen, befördert durch Emotion beim Reden, vergaß er den Vorsatz, und es kam wieder das einsilbige, schnelle Schloss heraus. Ist ja auch gar nicht schlimm, ich mach´s ja genauso. Boddien hat längst gewonnen.

Die letzten Sonnenstrahlen im Schloss 1918

Aber mit dem Kaiserwetter sollte man vorsichtiger sein am Freitag. Mögen die Gäste es bloß nicht herbeirufen! Einmal aufgegangen, bleibt die wilhelminische Sonne, jegliche Menschlichkeit verachtend, fest am Himmel stehen. Und geht als letzte unter. Wie im November 1918. Über die letzten „Sonnenstrahlen“ im Berliner Schloss (als Lebensmittelvorräte des Kaisers) schreibt Heinz Knobloch unter Berufung auf den Zeitzeugen Wilhelm Carlé etwas, bei dem sich des Lesers Magen umdreht, so er denn gefüllt ist:

„Bereitwillig führt man mich in die großen Lagerräume. Ich war darauf gefasst, ein Lager vorzufinden, aber das dort gesehene übertrifft doch alle meine Erwartungen. In großen, weiß getäfelten Kammern stand hier alles, aber auch wirklich alles, was man sich an Lebensmittelvorräten überhaupt denken kann. Nein, ich muss mich verbessern, man kann es sich nicht ausdenken, dass nach vierjährigem Krieg noch solche ungeheuren Mengen von Lebensmitteln aufgespeichert sind. Da finden wir Fleisch und Geflügel auf Eis, Saucentunken in großen Kisten, blütenweißes Mehl in Säcken bis an die hohe Decke aufgestapelt, tausende von Eiern, Riesenbassins mit Schmalz, Kaffee, Tee, Schokoladen, Gelees und Konserven jeder Art aufgeschichtet in unendlich scheinenden Reihen. Hunderte von blauen Zuckertüten, Hülsenfrüchte, Dörrobst, Zwieback usw. Man ist sprachlos und denkt unwillkürlich an den alten Witz, dass die Mengen so groß sind, dass ein Mann allein sich davon unmöglich einen Begriff machen kann. Der Wert der Vorräte beläuft sich auf mehrere hunderttausend Mark. Wenn diese Lebensmittelvorräte augenblicklich nicht besser zu gebrauchen wären, so möchte  man vorschlagen, sie unberührt dem deutschen Volke im Nationalmuseum als ein ewiges Zeichen zu erhalten, damit Kinder und Kindeskinder noch sehen mögen, wie in Deutschland, während Millionen hungerten, ‚Gottbegnadete‘ durchhielten.“ (aus: Berlins alte Mitte, Jaron-Verlag, 1996, Berlin)


Futurberlin-Eventreport zur Grundsteinlegung des Schlosses am 13. Juni 2013 

Boddien-Interview mit Deutschlandradio Kultur

Kürzliche, jetzt fragwürdige Futurberlin-Anfreundung mit dem Schlossbau

Stadtdebatte: Neue Mitte ohne Hiebe?

Die Stadtdebatte Rathausforum ist ein Experiment, bei dem verhindert wird, dass die Fetzen fliegen. Dies gerade zuzulassen, wäre allerdings auch eins …

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Ganz ohne Bilder und Geschichte heranzugehen, das klang am Anfang spannend. Drei Wochen nach der Auftaktveranstaltung der Stadtdebatte „Alte Mitte, neue Liebe?“ glaube ich nicht mehr daran, dass dieser Weg der Partizipation erfolgreich sein wird. Aus Zeitgründen. Bis zum 18. Mai läuft noch der Online-Dialog. Dann folgen Kolloquien, Theater und Bürgerwerkstatt. Erst Ende Juni können wir uns in einer Ausstellung über die Hintergründe und (Planungs-)Geschichte des Ortes informieren. Es sollte anders herum sein!

Stadtdebatte: Neptun ist Kirche - zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Neptun ist Kirche – zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Statt die Debatte von der neutralen Mitte aus in Richtung der Extreme zu entwickeln, fände ich es toll, wenn wir bei den Extremen anfangen dürften und uns diskursiv auf die Mitte zu bewegten. Es gibt zuviel zu vermittelndes Wissen und zuviel Varianten, mit denen die Kontroverse zwischen Freiraum- oder Bebauungplanung ausdifferenziert und ausbalanciert werden könnte. Ein Beispiel am Stadtbild-Paar Marienkirche-Neptunbrunnen: Ich stehe auf die freistehende Marienkirche und ich will, dass der Neptun bleibt, wo er ist. Aber ich würde den Neptun an den Schlossplatz ziehen lassen, wenn mir die „Freunde der Dichte“ den freien Blick auf die Südseite der Marienkirche gewähren und dort auf Bebauung verzichten. Andersherum stimmte ich (als „Freund der Weite“) einer umfassenderen Umbauung der Kirche zu, wenn Neptun dableiben könnte und zumindest der Blick auf das „siamesische Stadtbild“ gewahrt bliebe (siehe Foto).

Stadtdebatte „Unterhaus“

Das passende Format für eine Stadtdebatte, die von außen nach innen geführt wird, hätte ich auch schon gefunden: Wir setzen uns in einen großen Saal, die „Freunde der Dichte“ (übrigens eine sehr schöne Bezeichnung der Kontrahenten von einem Kollegen von mir) auf der rechten Seite, die „Freunde der Weite“ auf der linken. Alle, die unwissend, unentschieden oder in herausragender Weise zu Kompromissen bereit sind, nehmen Platz an der Kopfseite der Sitzordnung. Und dann gibt es eine Stadtdebatte, die sich gewaschen hat – ausgehend von 100-prozentiger Information. Beide Seiten präsentieren zu Beginn ihre Idealpläne. Dann fliegen die Argumente. Alles wird dokumentiert. Die Prozedur wird wiederholt. Wieder und wieder. Bis zum Herbst. Oder Dezember. Dann sitzen viele an neuen Plätzen. Und vielleicht sogar an einem Tisch.

Affront gegen die Stadtdebatte? Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß des Bürgerforums Berlin mit der Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ am Neptunbrunnen mindestens äußerst hilfreich. Frank aus Reinickendorf schaute ziemlich perplex drein, als ich ihm auf der Zukunft-Berlin-Tour letzten Sonnabend sagen musste, dass es eine informierende Ausstellung mit Bildern und Plänen zur Geschichte des Rathausforums im Rahmen der offiziellen Stadtdebatte Rathausforum nicht gibt. Die vielzitierte „Ergebnisoffenheit“ hat also ihre Tücken.

Und so geht´s weiter… (Die Termine sind auch im Futurberlin-Eventkalender zu finden):

  • bis 18. Mai: Online-Dialog auf stadtdebatte.berlin.de
  • 15. Juni: Erstes Fachkolloquium
  • 22. Juni: Zweites Fachkolloquium
  • 26. Juni: Partizipatives Theater
  • 27. Juni: Bürgerwerkstatt
  • anschl. bis 10. September: Ausstellung
  • Sommer: Erkundungstouren
  • 5. September: Halbzeitforum
  • anschl. bis Dezember: Zweite Dialogphase (mit ähnlichen Formaten)

Mehr zum Rathausforum: Text „Der Turm kippt zur Spree – städtebauliche Qualitäten im Schatten des Fernsehturms“ (2009)

Garden Living: bissig am Domkirchhof

Garden Living: Übersichtskarte zwischen Chausseestraße (links), Tankstelle (oben) und Friedhof (rechts). Grüner Dschungel, ohne Raubtiere (Quelle: Garden Living, Peakside Capital)

Garden Living: Übersichtskarte zwischen Chausseestraße (links), Tankstelle (oben) und Friedhof (rechts). Grüner Dschungel, ohne Raubtiere (Quelle: Garden Living, Peakside Capital)

Nahe bei den Toten wohnt bald Garden Living. Ist ja nicht schlimm, auch Brecht schaute aus dem Fenster und sah Gräber …

Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit dem Fahrrad über die Brache fuhr und von rechts ein kniehoher Kampfhund angerannt kam, um mich zu beißen. Wenigstens zu verjagen. Ich hatte mich von der Chausseestraße hier her gewagt, angezogen von einem Rest Berliner Mauer und jetzt blieb mir nichts anderes übrig als immer weiter geradeaus zu fahren. Ich hoffte, an der Friedhofsmauer würde ein Weg raus zur Liesenstraße führen. Nur als ich da ankam, war da keiner, und so zog ich einen weiten Bogen auf der Brache und kehrte in die Gegenrichtung zurück. Der Hund biss nicht. Aber im Abstand von etwa einem Meter eskortierte er mich zur Chausseestraße zurück. Sein Frauchen rief ihn die ganze Zeit über vergeblich. Die Brache war sein Revier. Zwei Jahre muss das ungefähr her sein.

Altes Kuppelkreuz von Berliner Dom auf Domkirchhof Liesenstraße (Foto: André Franke)

Altes Kuppelkreuz von Berliner Dom auf Domkirchhof Liesenstraße (Foto: André Franke)

Jetzt wurde hier Richtfest gefeiert. Das Projekt Garden Living entsteht hier, nach Entwürfen des Architekten Eike Becker. 16 Stadthäuser mit 161 Miet- und 200 Eigentumswohnungen werden zwischen der Total-Tankstelle und dem Domkirchhof gebaut, ein Areal von insgesamt 12.000 Quadratmetern. Spannend daran: der verzweigte, begrünte Blockinnenbereich, der chaotisch bis zufällig wirkt, sich öffnend zur Friedhofsmauer, über die hinweg manche der zukünftigen Garden-Bewohner auf das alte Kuppelkreuz des Berliner Doms herabsehen werden können, das dort auf dem Rasen steht. Ende des Jahres wird der erste Bauabschnitt fertig. Und 2016 die ganze Wohnanlage.

 

 

 

The Garden Living im Video hier

Schlossverkauf: Große Erzähler braucht das Land

"Extrablatt" des Fördervereins Berliner Schloss e.V. - Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

„Extrablatt“ des Fördervereins Berliner Schloss e.V. – Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

Wilhelm von Boddien ist ein bestechender Rhetoriker. Alle gesammelte Erfahrung gipfelt in Anekdoten. Dabei besitzt er die Gelassenheit eines Mannes, der es geschafft hat. Immerhin hat er nicht nur den Bundestag vom Schlossbau überzeugt, sondern ist auch Vater und Großvater von 5 Kindern und 13 Enkelkindern, wie er letzten Montag bei dem Vortrag zu den Schlossfassaden sagte. Seine Erzählkunst verbindet sich aber automatisch mit dem Marketingexperten, der er gleichermaßen ist. Das „Extrablatt“, das er als Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss herausgibt, koste ihn pro Heft 30 Cent, sagt er. Mit Versandkosten etwa 2,50 Euro. Aber jedes einzelne bringe immerhin bis zu 17.000 Euro in die Spendenkasse. Deshalb sei ihm das Heft sehr wichtig. Und am wichtigsten die letzte Seite, die mit dem Ausfüllformular: „Bitte ankreuzen und abschicken!“. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern fast schon beneidenswert. Seine Leidenschaft hat einen klaren Zweck (die Spende). So ist auch das Humboldtforum für ihn ein Mittel zum Zweck (die Schlossgeschichte). Mit den Geschichten, die das Humboldtforum zu erzählen vermag, so beschreibt es Boddien metaphorisch, müsse der Geist der unkultivierten, ungebildeten Jugendlichen unseres Landes geöffnet werden, wie man die Schnäbel von Gänsen öffnet, bevor man sie stopft. Dann käme es darauf an, in die freudige, erwartungsvolle Offenheit (das sind meine eigenen Worte) das nachzuschieben, was ab 2019 dann die Kunstsprache der rekonstruierten Fassadenwelt kommuniziert. Das ist hohe Erzählkunst, die bei der Seidenstraße beginnen mag und in Berlin am Schlosse endiget. Tja, und genau das hat Wilhelm von Boddien am Montag vorgemacht.

Rathausforum? – Jetzt auch in der Kita

Rathausforum 1987: offen, grün, rechts mit Marx-Engels-Forum, Spree und Palast der Republik ("Erst mal kucken in Berlin": Kinderbuchverlag Berlin, 1987)

Rathausforum 1987: offen, grün, rechts mit Marx-Engels-Forum, Spree und Palast der Republik („Erst mal kucken in Berlin“: Kinderbuchverlag Berlin, 1987)

Nicht, dass ich danach gestöbert hätte. Das Buch stand einfach da, neben der Holztreppe in der Garderobe der Kita meiner Tochter. Ein Kinderbuch, dessen Inhalt mittlerweile ein wenig überkommen ist. „Erst mal kucken in Berlin“, heißt es. Und schlage ich es in der Mitte auf, entfaltet sich die Mitte Berlins, die Mitte der Hauptstadt der DDR, vom Fernsehturm bis zur Spree. 1987 vom Kinderbuchverlag gedruckt, zeigt es genau das Terrain des „Rathausforums“, über das wir heute diskutieren wollen: auf der Auftaktveranstaltung zur Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ Und das ist das Programm:

Programm Auftaktveranstaltung Stadtdebatte am 18. April 2015 im bcc (Bildnachweis: Icons/ Zeichnungen © Anna-Lena Schiller)

Programm Auftaktveranstaltung Stadtdebatte am 18. April 2015 im bcc (Bildnachweis: Icons/ Zeichnungen © Anna-Lena Schiller)

Ab 13:00 Uhr geht´s los im „bcc Berlin Congress Center“, Alexanderstraße 11, 10178 Berlin (S+U-Bhf Alexanderplatz)

website der Stadtdebatte mit Online-Beteiligung, Newsletter und Anmeldung

Willkommen, großes Haus!

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: "Unser König" - Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: „Unser König“ – Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Neulich stand ich vorm Schloss und fotografierte. Da sprach eine Frau mich an: „Und was halten Sie vom Schloss?“ Ein Gespräch begann, und die Sonne schien, und schwupps-die-wupps kam die munter erzählende Charlottenburgerin auf König Friedrich. Den „Großen“. Nicht vom Humboldtforum redete sie, nicht vom Palast, nicht von den Barockfassaden. „Unser König“ schwebte ihr im Geist, der im Schloss geboren wurde. Und vom gleichnamigen Buch fing sie an zu schwärmen, das zum 300. Geburtstag Friedrichs als Biografie von Jens Bisky herauskam. Das war vor drei Jahren. Damals konnte ich mich für keine der vielen Veröffentlichungen entscheiden. Jetzt empfahl sie mir eine bestimmte davon persönlich, soufflierend, herzlich werbend. Und es dauerte. Was hatte Bisky mit dieser Frau gemacht? Für derartige Winke mit dem Zaunpfahl bin ich empfänglich. Ich habe das Buch noch am gleichen Tag gekauft und lese auf Seite 248, wie die Königin während des Krieges aus dem Schlosse flieht, weil die österreichischen Husaren Berlin erobern. Eine Woche lang wohnt sie unköniglich in der Festung Spandau:

„Vier Verbrecher, Eisen an den Füßen und eine kleine Lampe in der Hand, führen Ihre Majestät und die Prinzessinnen in die Wohnung, die aus fünf Räumen besteht, in denen die Fenster zerbrochen sind, keine Tür schließt, keine Stuhl zu erblicken ist.“ (aus dem Tagebuch des Kammerherrn von Lehndorff in „Unser König“, siehe unten)

Wie dem auch sei, wenn das die Kraft des neuen Schlosses ist, dass es die „großen“ Themen in uns weckt, dann ist es mir heute schon ein Stück weit willkommener als es das gestern war.

Buch: Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit – ein Lesebuch, Jens Bisky, Rowohlt, 2012