Der Mann und der Turm

Hinter der Kapelle gehen wir rechts, dann links. Fast am Ende des Weges, wo der Friedhof auf die Mietshäuser der Pflugstraße trifft, liegt rechts eine Reihe von Urnengräbern. Auf einem davon sitzt ein runder Findling, der Grabstein von Jürgen Litfin. Zwei Fußsohlen sind auf der grauen Oberfläche in Violett gemalt. Zwei Jahreszahlen grenzen sein Leben ein: 1940, 2018. Wann genau war er eigentlich gestorben? Eine Meldung der Berliner Woche verrät, dass es der 19. Oktober war. Ich wechsle die Blumen, bringe frisches Wasser. Auf der Bank sitzen die Gäste und reichen sich Jürgens Buch durch die Hände „Tod durch fremde Hand“. Ich hatte es für sie aus dem Rucksack geholt. Jürgen Litfin beschreibt darin, wie er aus dem Grenzturm am Spandauer Schifffahrtskanal eine Gedenkstätte machte. Ein Gast, der Jürgen kannte, weil er oft zum Bundeswehrkrankenhaus in die Scharnhorststraße ging, ist überrascht, dass der Mann vom Turm jetzt tot ist. Er hat es nicht erfahren. Dabei ist fast ein Jahr vergangen.

Der Besuch des Friedhofs war eine Station auf einem Spaziergang, den ich am Sonnabend für die Stadtteilkoordination Brunnenstraße Süd führte. Die Tour musste ohne den Turm auskommen, denn er lag zu weit von der Strecke entfernt, Jürgens Grab dagegen nicht.

Der Grabstein Jürgen Litfins auf dem Domfriedhof an der Liesenstraße am 10. August 2019 (Foto: André Franke)

Und das war unser Weg: Durch den (1) Park am Nordbahnhof, zu den (2) Liesenbrücken, über die (3) Dom-Friedhöfe, von hinten an (4) „The Garden Living“ vorbei (hier hatte mich vor Jahren beinahe ein Hund ins Bein gebissen: lies hier), durch das (5) „Kaninchenfeld“ an der Chausseestraße, über die Wöhlert- und Pflugstraße in die (6) „Feuerlandhöfe“, auf die Chausseestraße raus zum (7) BND, (8) Libeskinds „Sapphire“ im Rücken, vorbei am (9) besetzten Haus in der Habersaathstraße, vorbei am (10) Ballhaus mit dem „Alt-Berlin“, rein in die Zinnowitzer Straße, vorbei am Holzhaus der neuen (11) Schauspielschule „Ernst Busch“, vorbei am (12) „Kleinen Stettiner“, dem backsteinernen Vorortbahnhof und rüber auf den Platz am alten (13) Stettiner Bahnhof an der Invalidenstraße.

Das Kuppelkreuz des Berliner Doms steht hier. Rechts: The Garden Living (Foto: André Franke)

Action im Tunnel

Als wir an die schrottreifen Liesenbrücken kamen, war die Treppe runter zur Gartenstraße gesperrt. Ein laminiertes A4-Blatt ohne irgendwelche Zeichen von Behördenautorität hing schief an einem hüfthohen, festgeketteten Gitter. Aber einen Schreibfehler wies das Schild auf: „Dieser Eingang ist wegen einer Unfallgefahr vorübergehend gesperrt!“ Wer hat sich den Scherz erlaubt? Wir waren nicht die einzigen, die den Weg zurück bis zur Rampe gehen mussten. Wie oft im Leben, entpuppte sich das Ärgernis aber als Bereicherung: Am Ausgang des Parks befindet sich der Eingang zum Fußgängertunnel, der früher unter dem Bahnhofsgelände hindurchführte. Ein Metalltor versperrte den Leuten den Weg hinein. Hier tummelten sich ein paar Jugendliche. „Wir waren drin“, sagten sie. Glaubten wir nicht. Da zeigten sie uns, wie sie sich zwischen Tor und Backsteinportal durchzwängten. Und auf einmal war am Tunnel richtig viel los. Mal sehen wielange das Bezirksamt braucht, um „eine“ Unfallgefahr auch hier erfolgreich zu unterbinden. Eine schöne Überraschung war das jedenfalls! Ohne die gesperrte Treppe hätten wir den Tunnel nicht gesehen, und die Tunnelgeschichten der Kids nicht gehört.

Falschparker fürchtet die Findlinge nicht: „Ich bin dann mal weg…“

Das war der News Ride #27/19 am Sonnabend, den 6. Juli 2019, mit dem Dragoner-Areal, der Begegnungszone Bergmannstraße, dem Karstadt am Hermannplatz und den Hausbooten auf dem Rummelsburger See (Strecke: 9 Kilometer)

Götterbäume bei den Dragonern

Wir starteten am Willy-Brandt-Haus um 12 Uhr. Den ersten Stopp machten wir im nur fünf Minuten entfernt liegenden Dragoner-Areal. Das knapp fünf Hektar große, gewerblich geprägte Gelände (mit Autowerkstätten u.a.) gehört jetzt dem Land Berlin. Das hatte der Bundesrat im Juni endgültig bestätigt. Der seit 2015 währende Grundstücksstreit ist damit beendet. Auch wurde gerade die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, die u.a. das Bezirksamt Kreuzberg und die Vor-Ort-Initiativen getroffen haben, um das Sanierungsgebiet zu bebauen und weiterzuentwickeln. Schautafeln mit Infos zu den Bürgerwerkstätten, die im April und Mai stattgefunden haben, hängen an zwei Stellen aus: so z.B. am Haupteingang in der Obentrautstraße, in einem Gebäudeteil des LPG-Biomarktes. Wir sind alle Wege, die es zwischen den Baracken gibt, abgefahren, was man ja selten macht, und was auch ein bisschen tricky ist, angesichts der chaotischen Erschließung. Die schöne Gasse am Mamorwerk mit den spontan gewachsenen Götterbäumen hat mich am meisten beeindruckt.

Über den Mehringdamm ging es weiter zur Bergmannstraße. Hier war die Begegnungszone Thema, und wir radelten die von den orange-gelben Parkletts gesäumte Straße komplett bis zur Marheineke-Markthalle ab. Neben den grün-gepunkteten Kreuzungsflächen sind das Neueste in der Zone die fetten Findlinge, die der ehemalige Förster und Leiter des Kreuzberger Straßenbauamts Felix Weisbrich auf die Kreuzung zur Zossener Straße legen ließ, um Falschparker daran zu hindern, die Baustelle zu blockieren. Was für eine Schnaps-Idee! Ich finde sie genial. Selbst die Kreuzberger reagieren mit Goethe: Auch aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen“, schreiben sie mit Kreide auf die Fahrbahn. Auf diesem „Begegnungsplatz“ (das soll er laut Bezirksamt wohl mal werden) standen wir eine ganze Weile, bestimmt zwanzig Minuten. Und es wurde umso gemütlicher, je mehr Zeit verging. Wir beobachteten auch live einen Falschparker, der sein Auto, quer geparkt, einfach stehen ließ. Allerdings kam er nach zehn Minuten wieder und entpuppte sich als Musiker, trug zwei Gitarrenkoffer unterm Arm. Auch Falschparker können also gute Menschen sein. Findlinge am Fuße des Teltow… Ich hätte schon eine Idee für einen Findlingsstandort am Fuße des Barnim, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Falschparker in der Bergmannstraße: „Ich bin dann mal weg…“

„Nasser Fisch“ grüßt Chipperfield

Zum nächsten Halt am Hermannplatz radelten wir über den neuen geschützten Radweg in der Hasenheide (ein spannender Nebeneffekt, denn die rot-weißen Poller sind mehr als gewöhnungsbedürftig, sie reizen zum Schreien). Aus der Karl-Marx-Allee Karl-Marx-Straße (dass mir dieser Fehler mal passiert, hätte ich nicht gedacht) blickten wir später auf das Karstadtgebäude, das ja abgerissen und durch die originale Kaufhausfassade der 20er Jahre ersetzt werden soll. Chipperfield will neue Leuchttürme bauen. Diese Nachricht hatte mich vor ein paar Wochen aus den Socken gehauen, da ich grade „Nasser Fisch“ von Volker Kutscher gelesen hatte. In der ersten Szene des Romans jagen die Kommissare den „Pornokaiser“ die Hermannstraße runter. Er flüchtet über den Bauzaun in die Baustelle am Hermannplatz, wo gerade der alte, originale Karstadt-Bau hochgezogen wurde, 1929, mit den legendären, 55 Meter hohen Leuchttürmen. Ob ein Abriss nötig ist, fragten wir uns, als wir länger auf das Gebäude sahen. Es gibt ja schon zwei Türme über dem Dach! Und es gibt auch schon eine Dachterrasse, auch wenn sie im Moment nur unter „Konsumzwang“ begehbar ist. Ein Umbau tut´s vielleicht auch.

Die letzte Etappe führte uns durch Neuköllns neue Fahrradstraße, die Weserstraße. Über die Wildenbruchstraße und die Elsenbrücke erreichten wir die Stralauer Halbinsel und schließlich den Rummelsburger See. Erste Bemerkung eines Gastes: „Das werden ja immer mehr Boote hier.“ Und genau darum ging es. Waren 2016 noch 24 ankernde Boote auf dem See zu zählen, stieg die Zahl 2018 auf 101, berichtete der Tagesspiegel in einem lesenwerten, 19 Absätze umfassenden Artikel. Die Autorin beschreibt darin einen Fotografen, der von seiner Friedrichshainer Wohnung vom Ufer „der“ Rummelsburger See zu seinem Atelierboot pendelt. Wie geil, Berlin liegt jetzt am Meer! Sein Boot, dessen Bau vom Auswärtigen Amt und von visit-Berlin gefördert wurde, konnten wir nicht zweifelsfrei ausfindig machen, aber das „Lummerland“ mit der Sauna haben wir vom Ufer aus erkannt. Die Senatsverwaltung für Umwelt will beim Bund ein Ankerverbot für die Boote herbeiführen, bisher hat sie damit keinen Erfolg gehabt. Bewohner der „Wasserstadt“ in Stralau und Rummelsburg hatten wegen Lärm geklagt, und der schadstoffbelastete Seegrund soll bald saniert werden. Deshalb sollen die Boote weg. Krass überrascht hat uns der lange Bürobau, der gerade an der Ringbahn gebaut wird, das B:HUB (das Abendblatt berichtete im März 2018).

Route des News Ride vom 6. Juli 2019: Vom Will-Brandt-Haus zum Rummelsburger See (9 km)

Nächster News Ride folgt…

Moabit: Die Insel umrunden!

Als ich vor ein paar Wochen bei der Jahrespressekonferenz des Zentrums für Kunst und Urbanistik in Moabit war, führte man uns durch das Gebäude und durch einen langen Flur im Obergeschoss, von dem die Studios der Künstler abgingen, die zeitweise dort als sogenannte „Residents“ leben. Dort sah ich im Flur eine selbst gemalte Karte von Moabit hängen, überschrieben mit „Die Insel“. In dem Moment wurde mir zum ersten Mal klar, dass dieser Berliner Stadtteil von ALLEN Seiten von Wasser umgeben ist. Auf welchen anderen trifft das noch zu? Ich glaube, keinen. (Doch, die Mierendorff-Insel, gleich nebenan in Charlottenburg. Aber vergessen wir die mal gerade.)

INSEL TO GO

Von einer Sekunde auf die andere gewann Moabit für mich eine Art neue Farbe. Sagen wir, blau. Denn mit der Spree im Süden, dem Charlottenburger Verbindungskanal im Westen, dem Westhafenkanal im Norden und dem Spandauer Schifffahrtskanal im Osten könnte man Moabit auf seinen Gewässergrenzen potenziell umschwimmen. Leider verboten. Ein Stadtteil, der sich über das Wasser definiert, müsste aber eines unbedingt haben: offene Ufer. Kann man Moabit an den Ufern umrunden? Die Frage wird mein Leitmotiv für eine Tour, die ich am Sonntag für A. und O. aus München mache.

Blick vom Nordhafen nach Süden in den Spandauer Schifffahrtskanal (Foto: André Franke)

Da wir im östlichen Bereich der Perleberger Straße starten, ginge es erstmal in Richtung Nordhafen und Spandauer Schifffahrtskanal. Hier begegnet und das Dilemma, dass die Europacity ja noch nicht fertig ist und mit ihr der Uferweg entlang der Westseite des Kanals nicht (der kommt aber!). Das heißt, wir müssten „die Insel“ schon zu Beginn verlassen, über die Kieler Brücke (von der das Foto aufgenommen ist, siehe oben) aufs „Festland“ (Alt-Bezirk Mitte) rüber und den Mauerweg runter bis zum Humboldthafen fahren. Kann man natürlich machen, aber O. und A. kennen die Strecke wohl schon. Deshalb wäre es spannender, von der Perleberger in die Lehrter Straße einzubiegen und mal zu gucken, wie das dort neugebaute, gleichnamige Stadtquartier aus direkter Nähe aussieht. Man sieht es ja sonst nur von der anderen Seite, von der Gedenkstätte Günter Litfin und dem Invalidenfriedhof aus.

Die Lehrter Straße hat aber seit letzter Woche auch den (1) neuen, nachgemalten „Weltbaum“, das Wandbild, dessen Original von Ben Wagin am S-Bahnhof Tiergarten bald durch einen Neubau aus dem Stadtbild gedrückt wird. Das (2) Zellengefängnis mit seinem Geschichtspark am Ende der Lehrter ist auch ein schönes, besinnliches Etappenziel, bevor wir an der Moltkebrücke zur „Hauptstadtspree“ gelangen.

Moabit heißt auch Hauptstadt

Entlang der Spree gäbe es natürlich viel zu zeigen, oft zu stoppen, aber da muss eine Auswahl erfolgen. Die Sachen, die mich hier reizen, sind: das (3) Moabiter Werder mit historischer Pulvermühle, Bundesschlange und vom tiergarten-inspirierten Eibenbüschen, die (4) Gedenkpromenade am verglasten „Spreebogen“-Bürokomplex, den Pizzakönig Ernst Freiberger erschuf, das auf der dem anderen Ufer liegende (5) Hansaviertel und die (6) Erlöserkirche in ihrer märkischen Backsteingotik und dem ihr eigenes Kirchenschiff überragenden, benachbarten Gemeindehaus.

Jenseits der Gotzkowskybrücke ist der Uferweg unterbrochen. Jetzt könnten wir a) über die Brücke auf das Südufer wechseln (wieder „die Insel“ verlassend), müssten dann aber großräumig das Spreekreuz umfahren, was bedeuten würde, Moabit für – aus meiner Sicht – zu lange Zeit zu verlassen; oder wir könnten b) auf der Nordseite der Spree bleiben und ein paar Hundert Meter über die Kaiserin-Augusta-Allee radeln, dann zurück zum Ufer kommen, ein kurzes Stück weiter am Wasser entlangfahren, um dann aber einen ABSTECHER NACH NORDEN (und damit ins „Inselinnere“) in die Reuchlinstraße zu machen (mit dem Ziel, die (7) Turbinenhalle in der Huttenstraße zu besuchen). Damit weichen wir zwar von der konsequenten Inselumrundung ab. Aber den Gebäudekomplex mit den alten Spreespeichern müsste man sowieso umfahren. Warum also nicht einen Block mehr Strecke machen, um Peter Behrens zu huldigen? Architektur verpflichtet.

Die Ausnahme bestätigt die Regel. Über die Wiebestraße gelangen wir nach Süden zum Wasser zurück, in den Fitnesspark an der Spree. Von hier aus werfen wir einen weiten Blick auf die andere Spreeseite, wo Kleihues+Kleihues Architekten sich in die (8) alte Müllverladestation eingemietet haben. Wir fahren die „Moabiter Landzunge“ aus (eigene Namensschöpfung) und folgen von hier an dem Charlottenburger Verbindungskanal nach Norden, wo nach ein paar hundert Metern eine (9) urst lange Rampe erscheint. Sie steigt aus dem Kanal heraus und führt aufwärts zur Huttenstraße oder eben umgekehrt, der Verkehr rollt die Rampe hinab. Die Gasturbinen aus dem nahe gelegenen Siemenswerk werden hier auf die Wasserstraße verladen, nachdem sie nur eine sehr kurze Strecke auf der Straße transportiert werden müssen. Auch wegen dieser Rampe macht der Besuch bei Behrens Sinn.

Wasser heißt „Happy City!“

Es geht weiter nach Norden. Der (10) Berliner Großmarkt kommt. Das Riesen-Areal tangiert sowohl den Verbindungskanal, als auch den Westhafenkanal. Ein interner Gehweg führt am äußeren Rand des Geländes entlang. Der News Ride #16/18 hat bewiesen, dass man ihn radeln kann. Man muss nur wissen, wo man ins Gelände „einsteigt“. Das heißt, wir radeln und blicken weiterhin aufs Wasser! An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung von Annette Ahme einflechten, der Vorsitzenden des Vereins Berliner Historische Mitte. Im März verwies sie in einer Mitteilung auf das Potenzial der Wasserlagen in Berlin. Es gäbe Studien, sagt sie, die bewiesen, dass allein der Blick auf das Wasser für den Menschen heilsam sei, und die Gewässer böten allgemeine, automatische Orientierung, ganz nebenbei. Sie schreibt:

Wenn alle Ufer für Fußgänger und Fahrradfahrer tauglich ausgebaut wären, bräuchte man fast keine zusätzlichen überörtlichen Verbindungen. Und nutzt dabei den Sondervorteil, dass der Wegenutzer vom Gewässer eigenständig geführt wird, also wenig weitere Orientierungs-Hilfsmittel braucht. Der Lohn ist eine auf breiter Front wachsende Gesundheit der Bewohner – das könnte man jetzt in Geld umrechnen, wenn man Volkswirtschaftler wäre.

Oben, auf der Brücke, kommen wir mit einem mächtigen Blick auf den (11) Westhafen an der Beusselstraße raus und überqueren die Brücke über den Westhafenkanal. Dann geht´s nach rechts über die Seestraße, plus Brücke (es gibt einen Radweg parallel) zum: Nordufer, das ja auch einer der „20 Hauptwege durch Berlin“ ist, nämlich der 3er. Radeltechnisch ist das ein Sahnehäubchen. Die Alternative (auf der „Insel“ bleibend) wäre hier der Ritt durch das Hafengelände, wenn man´s mal intensiver wissen will. Wir BEgnügen uns und VERgnügen uns mit der großräumigen, bewegten Ansicht von außen (Container, Wasser, Speichergebäude) bis uns das Nordufer an die Fennbrücke bringt, wo wir drüber fahren, wieder rein „auf die Insel“.

Die Insel, Asha Bee Abraham in Zusammenarbeit mit Ana Tiquia (ZK/U)

Über die Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße nehmen wir noch den (12) Gedenkort Güterbahnhof Moabit mit und, wenn Zeit bleibt, das (13) Zentrum für Kunst und Urbanistik in der Siemensstraße. Beides liegt auf dem Weg ins Café „Arema“, unserer geplanten Destination.


Links

Eine Brache, wo sich Hund und Hund gute Nacht sagen

Ich will mal anfangen, über die News Rides zu berichten. Heute über den 9. Mai, einem warmen, sonnigen (es fühlte sich an wie ein) Sommerabend …

Zu Sechst, wenn man F. mitzählt, der vier Beine hat (und wer würde es wagen, ihn zu übersehen!), starteten wir von der holprigen „Frühlingswiese“ des Dong Xuan Centers, wo ein Unbekannter vor unseren Augen in die Büsche pinkelte, nach Osten in die Herzbergstraße zum Kunstquartier von Axel und Barbara Haubrok. Es tat gut, Lichtenberg jenseits von Stasi-Knast, Stasi-Museum, Sportforum und Dong Xuan Center zu sehen. Ich wollte schon immer mal wissen, wo genau die ehemalige Fahrbereitschaft des DDR-Ministerrats liegt, von der man seit ein paar Jahren hört – eben weil da jetzt Kunst gemacht wird. Sie befindet sich gleich um die Ecke.

Mit freundlichen Grüßen, Bezirksamt

Wir drehten eine Runde über das Gelände, konnten in die offenstehende 100 Meter lange, von Arno Brandlhuber entworfene Halle reinschauen, wo sogar jemand rumsaß und die ein Bilderrahmenbauer zu über die Hälfte der Fläche nutzt, wie es heißt. Den Haubroks hatte vor kurzem Stadträtin Birgit Monteiro (SPD) untersagt, weitere Ausstellungen durchzuführen. Im Moment läuft noch „Paper Works“, aber ab 7. Juli soll nach den Worten von Axel Haubrok „Schluss sein“. Monteiro will das in der Herzbergstraße ansässige Gewerbe schützen, 800 Unternehmen mit bis zu 10.000 Arbeitsplätzen. Die B.Z. hatte berichtet. Auch die Künstler des alten Tacheles gründeten vor ein paar Wochen in der Nachbarschaft einen neuen Kunststandort, die „Kulturbotschaft“. Das hat möglicherweise zu der harten Haltung des Bezirks beigetragen. Erst als wir das Gelände verließen, bemerkten wir das Riesenplakat am Eingang. Es war das Behördenverbot in Form der originalen Email an Haubrok. Hängt dort, kann jeder lesen.

Baurechtliche Untersagung von Kunst im Gewerbegebiet per Email (Foto: Andrea Künstle)

Dann ging´s über Herzbergstraße, Vulkanstraße (hier für ein paar Meter von M. begleitet, der uns auf dem Nachhauseweg von Küstrin nach Pankow durch Zufall traf), Ruschestraße und Schulze-Boysen-Straße (…) westlich an der Viktoriastadt vorbei, ziemlich straight nach Alt-Stralau. Die Kynaststraße bleibt Radfahrern ein Rätsel. Man ist gezwungen, auf der Straße (ohne Radweg) zu fahren. Tut man es nicht und benutzt den Gehweg, fährt man bald gegen eine Straßenlaterne, weil der Gehweg immer schmaler wird, auf dem sie steht. Umgekehrt entwächst der Fahrbahn, hat man die Brücke im Scheitel überquert, unverhofft ein Radweg, über den man sich wundert: Warum tauchst Du erst jetzt auf?

Teppichfabrik à la Baukademie

Von der Alten Teppichfabrik in Alt-Stralau war letzte Woche zu lesen, dass es mehrere Bauanfragen gab. Nach der Besetzung im Sommer 2017 steht sie leer (und unter Denkmalschutz). Völlig offen, ob Wohnungen oder Gewerbe einzieht. Jedenfalls hat sie einen neuen Eigentümer, „s.Oliver“, die Bekleidungsfirma. Die B.Z. berichtete darüber (man muss es wegen der spärlichen Infos wohl eher „erwähnen“ nennen). Das Backsteingebäude, das auf der Stralauer Halbinsel die Industrialisierung einleitete, erinnert voll an die Bauakademie, die in der nächsten Woche wohl mit in den News Ride kommt.

Über die Elsenbrücke ging´s weiter durch den Treptower Park. In Höhe des Sowjetischen Ehrenmals war ganz schön was los: Uns fiel ein, dass ja „Tag der Befreiung“ war, und in sich die „Nachtwölfe“ in Berlin angekündigt hatten. Am Karpfenteich vorbei, folgten wir von da an dem Heidekampgraben, durch zahlreiche Kleingartenkolonien in Treptow, kamen an dem Denkmal für die Trepower Mauertoten vorbei, kamen in den Regen. Tja.

Herzbergstraße in der Abendsonne (Foto: Andrea Künstle)

Als es wieder aufgehört hatte, überquerten wir den Britzer Verbindungskanal und folgten ihm (immer noch auf dem Mauerweg unterwegs) bis zum Denkmal für Chris Gueffroy. Auf Treptower Seite erstrecken sich hier vier Kleingartenkolonien, die ich zum Anlass nahm, über die Vision von Arne Piepgras zu berichten, der die Gärten alle nach Brandenburg auslagern möchte, um die Flächen mit Wohnungen zu bebauuen. Die Schrebergärten Berlins haben seinen Angaben zufolge ein Potenzial von 3.000 Hektar. Das ist 15 mal der Tiergarten. 400.000 Wohnungen fänden darauf Platz, so Piepgras, der als Investor in Berlin auch am Dragoner-Areal tätig war und jetzt vor Gericht gegen die Übertragung des Grundstücks an Berlin streitet. Der Tagesspiegel hatte den offenen Brief als Anzeige gedruckt und u.a. infolge dessen eine interaktive Karte mit Berlins Kleingärten erstellt, in der man sogar Infos darüber erhält, wieviele Dauerbewohner in der jeweiligen Anlage leben (sehr zu empfehlen, sich da mal durchzuklicken).

Es folgen noch ein paar Kilometer entlang des Teltowkanals. Langsam wurde es dunkler. In Johannesthal wechselten wir auf die andere Seite der Autobahn und gelangten in den Eisenhutweg, eine Straße, die die Wissenschaftsstadt Adlershof westlich begrenzt und an der lauter Einfamilienhäuser stehen, manche mit Säulenportalen oder anderem Schnickschnack, angesichts der vorstädtischen Lage so affig, dass man drüber lachen muss. Ein Hochspannungsmast markiert das Ende der Stromleitung. Die Siedlungsmasse rechts reißt ab, und wir radeln entlang einer Brache. Einer großen Brache. Nach einer Weile biegen wir rechts rein und fahren einfach drauf. Hinter uns der Eisenhutweg, vorne die Autobahn. Dazwischen Gras und Büsche. Und Hunde. Die bellen, weil wir ihr Revier betreten. Und die bellen wohl auch wegen F., der seit drei Kilometern im Lenkerkorb sitzt und nicht mehr selbst rennt.

Im Airport-Korridor

In Adlershof gibt es also noch Brachen. Die hier soll mit 600 Wohnungen bebaut werden, von den Architekten, die auch im Mauerpark bauen. Nach Fertigstellung sollen die Wohnungen – voraussichtlich – an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft übergeben werden, um sozialverträgliche Mieten zu gewährleisten. Die B.Z. berichtete, wenn auch nur kurz. Allerdings fand ich bei der Recherche noch ein weiteres Bauprojekt, das gleich daneben entsteht: die „BRAIN BOX BERLIN“. Klingt krass. Sieht auch spektakulär aus, ein Bürokomplex mit flexiblen Raumstrukturen und Marktplatz im Gebäude, langgezogen über die Riesenbrache, von der hier draußen kein Ende zu sehen ist. Wir befanden uns trotzdem nicht „draußen“. Der News Ride endete im „in Entstehung befindlichen“ Airportkorridor. Betonung auf: in Entstehung befindlich … (wie man auf der website der Wissenschaftsstadt Adlershof liest). Und weil wir dabei auf den aktuellen BER-Eröffnungstermin zu sprechen kamen, hier noch mal der Stand der Dinge: Herbst 2020, wie die Berliner Zeitung im März schrieb.

 

Nachlese – Das war der #NewsRide vom 4. Oktober 2017

Der Tunnel 71

Ein Blick durchs Schaufenster des um 19:15 Uhr schon geschlossenen Ladens… Man kann sich die Baupläne für den 30 Meter langen, neu zu grabenden Tunnel, mit dem der ehemalige Fluchttunnel 71 „angegraben“ wird, im Laden des Vereins Berliner Unterwelten in der Brunnenstraße 141/143 ansehen. Einblick in den echten Fluchttunnel soll es erst nächsten Sommer 2018 geben. Das Tunnelprojekt kostet 200.000 Euro und bereichert die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. tagesspiegel.de

Route durch Mitte: 7 Kilometer

Route durch Mitte: 7 Kilometer

Die Alliiertenorgel

An der Kapelle der Versöhnung ist im Dunkeln natürlich niemand. Aber die Holzlamellen, die eine nahe stehende Laterne belichtet, machen im Vorbeifahren eine schöne Erscheinung. Die nächsten Konzerte mit der letzte Woche neu eröffneten Schuke-Orgel, die mit vier landestypischen Klangfarben der Siegermächte aus dem Kalten Krieg ausgestattet ist, sind am 14. (17 Uhr, Romantische Musik) und 28. Oktober (15 Uhr, Luther-Lieder). Gespielt wird das Instrument von Annette Diening. weddingweiser.de

Die Europacity

Der Weg dorthin ist fast interessanter als die Europacity selbst. Im Libeskind-Bau Sapphire brennt im 1. OG hinter Gardinen Licht. Wohnt da schon jemand drin? Die Chausseestraße ist auf der einen Hälfte Baustelle, aber über den Bürgersteig am BND-Bau lässt sich locker langfahren. Ins Glasfoyer blickend ist eine graue Wand erkennbar, hinter der die Mitarbeiter nach Eintreten durch die Tür verschwinden werden. Das sieht äußerst merkwürdig aus. An der Nordseite sitzt ein normaler Pförtner im großzügigen Empfangsbereich, hier gibt es die Schutzwände komischerweise nicht.

Jenseits des Kanals liegt die Heidestraße, rechts und links von ihr liegen Brachflächen, Bauflächen. Vom konzipierten Boulevard ist nichts zu spüren. Klar, die Straße ist fertig. Mittig wächst eine Hecke. Aber was passiert eigentlich mit der Tankstelle? Auf den Flächen westlich der Heidestraße kommen also die vier Blöcke des Quartiers Heidestraße. Der Spaß besteht darin, sich das vorzustellen. Auch als Nicht-Architekten. Das kann gewissermaßen schwerfallen. Leichter fällts den Profis. Frau Lüscher: „In unseren Köpfen ist die Europacity vollendet“ (morgenpost.de). Aber wie es hier aussieht! Ein schäbiger Zweckbau, in dem die Deutsche Bahn sitzt, allein auf weiter Flur … Container. Ein neuer Wohnblock links, ein paar schöne Altbauten rechts. Die haben sogar kleine Vorgärten. In dem einen wohnen Leute. — Hier wohnen Leute!

Doch je weiter man von Norden Richtung Hauptbahnhof gelangt, desto mehr kommt einem die Zukunft entgegen. Die 50Hertz-Zentrale leuchtet. Aus dem Total Tower kommen Leute raus, wieder Leute. Feierabend. Total interessante Lamellenfassade neben dem Tower… Aber alles Gebaute hier kommt mächtig kalt rüber.

Die Staatsoper

Im Licht des Maxim-Gorki-Theaters spielen ein paar Leute Boule. Kurzer Stopp bei Heine, der Spruch ist zu schön: „Wir ergreifen keine Idee, die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena, wo wir wie gezwungene Gladiatoren für sie kämpfen.“ Genau, lauter Gladiatoren und keiner kann so richtig zurück.

Vor der Oper Unter den Linden liegt der rote Teppich noch. MDCCXLIII steht weit oben. Ich habe Schwierigkeiten mit dem XL und es dauert eine Weile bis ich drauf komme, dass es die gleiche Logik ist wie bei IV. Hab ich selten so gesehen. Ziehe 10 von 50 ab, und das Ganze macht Sinn: 1743. Hinter der Oper rum zur Barenboim-Said-Akademie, wo massenhaft Fahrräder vor der Tür stehen. Hinter dem Fenster lassen sich die Schauspieler und Sänger schminken. Kann man alles mitansehen. Vorm Haupteingang in der Französischen Straße rauchen Mitarbeiter. Im Foyer: Kostümierte, die sich in einer Schlange langsam Richtung Auftritt schieben. Oh Gott, die müssen durch den Tunnel, der rüber ins Opernhaus führt – noch so ein Tunnel. morgenpost.de

Dann kamen noch das Freiheits- und Einheitsdenkmal, für dessen Standortverlagerung sich jetzt auch Eva Högl (SPD) stark macht (focus.de), und auf der anderen Seite des neuen Schlosses die Spreeterrassen, deren Bau noch im Oktober beginnen soll (morgenpost.de)

Benedikt gefangen im Bärenzwinger

Ich fahre meine Touren, auch wenn keiner kommt. Dazu muss ich mich gar nicht zwingen. Denn ich weiß, es gibt immer Überraschungen. Als ich am Mittwoch auf dem Stadtkern-Ride am Bärenzwinger vorbeikam, entschied ich mich spontan, in die neue Ausstellung zu gehen. Dort war ich allein. Niemand anderes war da. Der Campingstuhl mit dem gelb-weiß gestreiften Sitzpolster im Empfangsraum war leer. Nur eine Stimme sprach zu mir, die aus dem Raum hinter der Holztür kam. „Hallo?“ Der Wärter hatte sich im Klo eingeschlossen. Die Tür war zugefallen, und er konnte sie von innen nicht öffnen. Ein Vorfall, der offenbar zum ersten Mal in der Ausstellungsgeschichte des Bärenzwingerbaus aufgetreten war. Jetzt war es an mir, Benedikt, wie er hieß, zu befreien.

Über die Kunst, jemanden zu retten, der nicht in Notlage ist …

Als erstes ging ich zum Schrank. Der stand schon halboffen. Drin waren eine Säge, Kleiderbügel, Klopapier. Auch ein Eisenwinkel, den ich herausnahm, und ihn als „Dietrich“ benutzte. Weiß einer heutzutage noch, was ein „Dietrich“ ist? Die Baukammer von Opa war voll mit den Dingern. Ich hätte sie hier und jetzt sowas von gebrauchen können! Benedikt wäre schnell draußen gewesen. Doch er musste sich gedulden. Der Winkel war zu groß.

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Dann checkten wir das Fenster. Es war vergittert. Die Säge? – Nee. Ich griff lieber zum Kleiderbügel. Mit dem Hängehaken ging ich ins Schlossloch der Tür. Also im Grunde war da gar kein Schloss drin, was Teil des Problems war. Ich bog den Haken zum „Dietrich“ und drehte ihn im Türschloss. Aber der Bolzen ließ sich nicht zurückziehen. Stattdessen verklemmte sich der Haken. Ich kriegte ihn nicht mehr raus. Schließlich brach er.

Klotür mit Schrank

Klotür mit Schrank

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Benedikt und ich allein. Es war gegen halb sechs abends. Da kam eine Mutter mit zwei Kindern, die auch in die Ausstellung wollte. Aber schon war sie Mitglied der Rettungsaktion geworden … Sie sagte, es gäbe einen Mann mit Taschenmesser, zeigte in Richtung Spielplatz, wo sie herkam. Kurz darauf kam ein Vater mit Söhnchen. Er sollte entscheidend bei der Befreiung im Bärenzwinger mitwirken.

Inzwischen hatte Benedikt die Feuerwehr angerufen: „Ich bin eingeschlossen im Bärenzwinger“, hörte ich ihn durch die Tür sagen. Was der Feuerwehrmann am anderen Ende der Leitung in diesem Moment wohl gedacht haben muss? Aber er lehnte den Auftrag ab. Es läge keine Notsituation vor.

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sommer im September: 32 Grad Celsius

Sommer im Bärenzwinger: 32 Grad Celsius im September

So machten wir selber weiter. Der Taschenmesserpassant werkelte zehn Minuten an der Tür rum. Sein Kleiner schaute zu. Ich schaute zu. Saß im Liegestuhl, der eigentlich für den Wärter war. Es half nichts. Als letztes schraubte er noch die Türschloss-Verkleidung ab. Sein Taschenmesser hatte einen Schraubenzieher dran. Ich fand im Schrank noch eine dünne, stiftlange Schraube. Die steckte ich in das erweiterte Loch der Tür. Stach mit ihr nach oben und versuchte, damit den Bolzen zurückzuflippen. Es ging! Zwar nur ein paar Millimeter, aber es reichte, dass der Taschenmessermann mit seiner Punktekarte von REWE zwischen Bolzen und Türrahmen kam. Vorher funktionierte das nicht. Die Türe ging auf. Benedikt sprang heraus, und der Taschenmessermann, sein Sohn und ich sahen endlich, mit wem wir es zu tun hatten.

Benedikt, der Bär

Benedikt bot uns sofort ein Bier an: Berliner Pilsener mit dem roten Bären drauf. Dann führte er mich durch den alten Zwinger von Schnute und Maxi und durch die aktuelle Ausstellung. — Soviel zum Thema Überraschungen. Wobei, eine geht noch: Als ich einen Tag später noch mal in den Zwinger ging, um Fotos zu machen, stand diesmal ein anderer Wärter vor mir. Auf meine Frage, ob Benedikt da sei, erwiderte er etwas ratlos: „Benedikt? Der Bär?“

Was soll aus dem Bärenzwinger aber nach der zweijährigen Zwischennutzung als Ausstellungsort werden? Ich habe gelesen, dass vor Ort über die Zukunft des Zwingers diskutiert werden soll und schlage einen:

Skater-Garten für Kinder

vor.

Warum und wieso? Dazu mehr demnächst …


Mehr Infos zur Aussstellung von Reto Pulfer und Sarah Ancelle Schönfeld im Bärenzwinger unter www.baerenzwinger.berlin

Annemieke sucht die Freiräume Berlins und landet im „Open Space“ des Tempelhofer Feldes

Mitten im Winter fahr ich selten aufs Feld. Aber Annemieke Bosschaart hat mir dafür einen Grund gegeben. Die Journalistik-Studentin aus den Niederlanden suchte nach den Freiräumen Berlins und nach Erklärungen, warum es sie gibt. In ihrer Radio-Reportage „Open Spaces in Berlin“ macht sie eine Tour mit mir, die auf dem offensten, freiesten, negativsten, wildesten, unberechenbarsten und unstädtischsten Flecken Berlins endete. Sie hätte vielleicht hier, auf dem Tempelhofer Feld, beginnen sollen …

Wir trafen uns aber am Alexanderplatz. Ich wollte Annemieke zuerst das riesige Rathausforum zeigen. Kein Freiraum liegt zentraler und keiner ist trügerischer in dem Sinne, dass Berlins Historie drunterliegt. Auf dem Weg zu den Stadtmodellen am Köllnischen Park kamen wir am Schloss vorbei. Ich hatte es nicht als Tourinhalt geplant, doch es drängte sich uns ganz von selber auf, und Annemieke fand Interesse an dessen Geschichte, obwohl der Schlossplatz ja kein klassischer Freiraum (mehr) ist. Jede Baustelle steht für einen vergangenen Freiraum.

Eine Freiraum-Tour startet am Rathausforum, das die Presse wegen seiner Ausmaße gerne mal mit Pjöngjang vergleicht

Das ließ sich gut erkennen als wir wenig später vor dem Stadtmodell standen, das im Maßstab 1:500 zeigt, was wo in Berlins City Ost seit 1990 gebaut und geplant wurde. Aber hier, im Foyer der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sprachen wir besonders über die Ursachen, warum Berlin heute immer noch so frei, grün und bunt ist. Und dieser Fokus war auch für mich selbst bereichernd. Denn bis auf die Konversion ehemaliger Bahnflächen lässt sich die Existenz der Freiräume letztlich auf die Kriegszerstörungen und die spezielle Teilungsgeschichte der Stadt zurückführen.

Vielfältige Ursachen

Die Europacity, das RAW-Gelände, die Güterbahnhöfe Wilmersdorf und Greifwalder Straße, der Park am Gleisdreieck oder das „Pankower Tor“ sind allesamt Areale der Bahn gewesen. Die Prinzessinnengärten (hiermal stellvertretend für zahlreiche Berliner Kreativ-Oasen) haben sich auf einer kriegsproduzierten Baulücke am Moritzplatz entwickelt. Der Mauerpark, der teilweise auch eine Bahngeschichte hat, und die Wagenburg Lohmühle in Treptow sind auf dem 1990 frei gewordenen Grenzgelände der Mauer entstanden. Und Tempelhofer Feld wie Noch-Flughafen Tegel, Projekte der Extraklasse in der Berliner Stadtentwicklung, sind ein Segen der Sektorenstadt Berlin aus dem Kalten Krieg (und ihrem Ende selbstverständlich).

Pony-Reiten durch den Mauerpark. Nur im Freiraum möglich (Foto: André Franke)

Pony-Reiten durch den Mauerpark. Nur im Freiraum möglich (Foto: André Franke)

Gerade Tegel und Tempelhof als erlöste, zu erlösende Flughafenstandorte sprangen uns ins Auge als Annemieke und ich vor den Berlin-Karten standen. Das sind die „Open Spaces“ Berlins vom größten Kaliber. In diesem Moment schwant es Annemieke, dass ihr Wunschprojekt „RAW“, zu dem ich sie entlang der Spree führen wollte, an ihrem eigentlichen Thema vorbeizuschlittern drohte. So fragte sie mich unterwegs, ob wir raus aufs Feld fahren könnten. Und das taten wir, bogen zum S-Bahnhof Jannowitzbrücke ab, anstatt die Holzmarktstraße zur East Side Gallery rauszulaufen, und nahmen am Ostkreuz die Ringbahn.

Fenster zum Feld gibt es viele. Die S-Bahn bugsiert jeden Tag tausende auf der Ringbahn am größten Freiraum Berlins vorbei. Einsteigen lohnt sich

Treptower Park … Sonnenallee … Neukölln … Hermannstraße … und dann kam auf dem Weg zum S-Bahnhof Tempelhof endlich das „Fenster zum Feld“. Annemieke sah einen Freiraum wie sie ihn in einer Stadt noch niemals gesehen hatte. Diese halbe Minute Feld ist das dynamischste Stadtbild Berlins. Man fährt in hoher Geschwindigkeit (alternativ mit dem Auto auf der A100), doch nur langsam ändert sich, was man sieht. Fast statisch bleibt das Bild. Das macht einem die Größe dieses Ortes klar. Dann stiegen wir aus, überquerten den Tempelhofer Damm, gingen aufs Feld.

Freiraum der Extraklasse: das Tempelhofer Feld. Blick vom Neuköllner Schillerkiez nach Westen (Foto: André Franke)

Freiraum der Extraklasse: das Tempelhofer Feld. Blick vom Neuköllner Schillerkiez nach Westen (Foto: André Franke)

Schritt für Schritt wurde es leiser. Wir ließen den Straßenlärm hinter uns. Es war Montag, früher Nachmittag und kalt. Kaum Menschen. Alles ruhig. Alles offen. Wir liefen bis wir den Taxi-Way erreichten, und ich bestand darauf, weiter bis zur nördlichen Rollbahn zu gehen. Noch weiter weg von der Straße, noch weiter ins Zentrum rein. Von hier aus sahen wir bis zum Fernsehturm. Da hatte unsere Tour begonnen. Auf merkwürdige Weise hatten wir zwei Berliner Freiräume miteinander verbunden, der eine zentral, der andere peripher (zur Innenstadt). Allein der Blick zurück verband beide Orte.

Dann trennten sich unsere Wege. Ich lief zurück zur Ringbahn, fuhr in die Gegenrichtung, nochmal durchs Feldfenster gucken. Annemieke Bosschaart ging über die zwei Kilometer lange Rollbahn nach Neukölln. Ihre Suche nach dem Berliner Freiraum war zu Ende. Jetzt suchte sie wieder die Stadt.


Radio-Reportage „Open Spaces Berlin“ auf soundcloud.com

Artikel von Annemieke Bosschaart auf Campus-Blog (in Niederländisch)

Stadtkern im Uhrzeigersinn

Eine Nachlese zum Stadtkern-Walk vom 25. Januar …

Zu sechst waren wir am Mittwoch beim Stadtkern-Walk, dem ersten eigentlich, wenn man den letzten nicht zählt, was ja auch irrig wäre, weil er im Dezember mangels Anmeldungen ausfiel (acht Gäste warteten damals trotzdem spontan auf den Tourstart, nur der Guide kam nicht, weil er in der Kita war. Drum sag ich: Anmelden Leute, bitte regt Euch, auch wenn´s spontan ist). Danke an die Fünfe, die es diesmal tatsächlich taten!

Viadukt im Längsschnitt

Drei Stunden waren wir unterwegs, liefen ziemlich zügig, wenn ich das rekapituliere. Warmen Aufenthalt, vielmehr Durchgang, bot uns der Bahnhof Alexanderplatz. Das war ganz schön (nicht nur, weil es warm war), nachdem wir vorher nur entlang des Viadukts, auf dem die Bahn fährt, gegangen waren, entweder außen entlang oder innen. Auf einmal hatten wir hier die Möglichkeit, (was ich so auch nicht geplant hatte) nicht nur den Viadukt durch einen seiner Bögen zu queren, sondern sogar längs zu durchwandern.

Volle Kanne das Gegenteil wartete auf uns, als wir wieder rauskamen. Ein einziger Weg bleibt, um die Grunerstraße, hier: den Alexandertunnel zu überqueren. Wir mischen uns in den Menschenstrom, der sich in das Alexa ergießt. Hätten wir gleich drin bleiben können und folgen, in das Ding hinein und hinten wieder raus – wäre noch ein warmer Indoor-Streifzug geworden. Aber so kalt war´s nun auch wieder nicht am Mittwoch Abend. Und: der Bogen zwischen Viadukt und Alexa ist sehr anziehend, man sieht ihn ja schon, wenn man noch drüben auf der anderen Seite des Tunnels steht und sich nur fragt, wie man da rüber soll. Auch die Soundkulisse läuft auf dem Abschnitt mit: Riesenlärm beim Rübermachen zum Alexa, aber je weiter man die südliche Dircksenstraße abläuft, desto leiser wird´s. Bis hin zur Totenstille am Parochialkirchhof.

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Parochialkirche kurz vor Spiel

Da stehen wir an der Ecke Littenstraße und warten auf das 18-Uhr-Glockenspiel. Doch der neue Kupferturm der Parochialkirche tut uns den Gefallen nicht. Wir quatschen uns die Zwischenzeit rum, denn es sah so aus, als stünde die Turmuhr auf 17:58 Uhr. Doch es war dunkel, und wir hatten es falsch gesehen. Erst zehn vor Um war´s. Zu lange Warten für den Stadtkern-Walk. Immerhin waren wir noch nicht mal Dreiviertel der Strecke rum.

Was an der Parochialkirche zu früh war, war am Märkischen Museum zu spät. Hier schließen die Stadtmodelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber um 18 Uhr. Sechs Minuten später war es, als wir ankamen. Diesen Indoor-Stopp hatte ich allerdings auf dem Plan. Schade, denn Martina, die schon lange im Stadtkern wohnt, kannte diese Ausstellung der Stadtmodelle noch nicht.

Und was sagt uns das? – Den nächsten Stadtkern-Walk andersherum laufen!

Friedrichstraße? Nee, nee

Ich springe zurück. Zur Strecke zwischen Hackescher Markt und Alexanderplatz. Dort liefen wir die äußere, durchaus belebte und mit Geschäften und Kneipen besetzte Viaduktstraße (auch Dircksenstraße) ab, dann bogen wir durch eine Unterführung in die Rochstraße auf die innere Seite ein. – Sowas von tote Hose. Dunkel und still. Hier im Hinterland der Wohnscheiben der Liebknechtstraße, wo es auch eine Schule gibt, ist der Stadtraum am Bahnviadukt gewerblich genutzt, stehen Lieferwagen vor Lagerräumen zwischen Büschen rum. Ein Zaun trennt das Gelände von der Rochstraße ab, aber die Türe steht offen. Da stehen wir, gucken das an, als eine Touristin kommt, sie mag italienisch gewesen sein, die fragte mich, ob es hier zur Friedrichstraße geht (und zeigte in Richtung Gewerbebüsche!). Sie hatte Glück, ich bewahrte sie vor der Sackgasse. Wer hier reingeht (und das geht), steht nach 150 Metern erneut vor einem Zaun und muss umkehren.

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das Verbrechen am Kupfergraben

Noch vorher, als wir an der Museumsinsel waren, mogelte sich das Magnus-Haus in die Tour. Wie in den Notizen zum Stadtkern-Walk beschrieben, geht es ja nicht unbedingt um die Bauskandale und Bauprojekte am Wegesrand, sondern um Defizite und Potenziale der Stadträume am Stadtkern. Da aber alle Gäste an diesem barocken Stadtpalais und seinem Garten interessiert waren, bogen wir spontan (vor Merkels Haustür) in die Bauhofstraße ab. Gegenüber vom Collegium Hungaricum warfen wir einen Blick über den Gartenzaun des denkmalgeschützen Areals, auf dem Siemens seine Hauptstadtrepräsentanz bauen will. Beim Anblick des Gartens fragten wir uns alle gemeinsam, wo genau das Gebäude hier eigentlich stehen soll? Überall Garten, Bäume, Grün. Wer sich traut, an diesem verträumten Ort auch nur einen Baukran aufzustellen, dem müssen die Sinne einen makabren Streich spielen (bitte nach Hause fahren und mal kräftig ausschlafen!)

Barocker Stadtgarten - es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Barocker Stadtgarten – es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Ich belasse diese Nachlese mit dieser Handlungsempfehlung – und stelle nur noch fest: Die komplette Umrundung haben wir nicht geschafft, weil die Zeit fehlte. Kurz vor sieben Uhr, pünktlich zum Lichtbilderabend in der Stadtbibliothek, war der Stadtkern-Walk zu Ende. Die schöne Wallstraße (ein Potenzial), wäre es wert gewesen abzulaufen. Dann beim nächsten Mal wahrscheinlich, wenn es heißt: gegen den Uhrzeigersinn.

Nachlese zum #NewsRide 02/17

Am Mittwoch Schneegestöber, am Freitag Schneeregen – keine idealen Bedingungen für eine Radtour. Aber ich mache die Verwirklichung meiner Ideen nicht vom Wetter abhängig. Für alle, die mehr über die NewsRide-Orte von letzter Woche wissen wollen, ohne selbst mitgeradelt zu sein, habe ich diese „Nachlese“ geschrieben. Sie könnte in Zukunft standardmäßig in der Woche nach dem NewsRide kommen, besonders, wenn sich auf der Tour Fragen ergeben. Die Antworten „liefere“ ich dann zum Nachlesen nach.

Kröten am Pankower Tor

Was ist hier los? – Auf dem Areal zwischen Berliner Allee im Westen und Prenzlauer Promenade im Osten ist eine Grundschule mit 400 Schülern, ein Einkaufszentrum, etwa 1.000 Wohnungen, einen Stadtpark, einen Höffner-Fachmarkt und eine Gemeinschafts- und Sekundarschule geplant. Außerdem befindet sich östlich die Ruine des Rundlokschuppens, der unter Denkmalschutz steht. Eine neue Nutzung für diesen zu finden, erweist sich als schwierig, weil die Wiederherstellung des Gebäudes teuer ist. Die Zukunftswerkstatt Heinersdorf hat die Idee, aus dem Schuppen die Mensa der geplanten Schule zu machen.

Ein grauer Riese - das Gelände "Pankower Tor“ (Pankow-Karte der Kindergärten NordOst)

Ein grauer Riese – das Gelände „Pankower Tor“ (Pankow-Karte der Kindergärten NordOst)

Was gibt´s Neues? – Im Januar baggert man auf dem Gelände Krötenteiche aus. Die letzten Berliner Kreuzkröten müssen umgesiedelt werden, bevor der Stadtteil gebaut wird.

Links und Infos:

  • Pankows Bürgermeister und vorübergehender Stadtrat für Stadtentwicklung Sören Benn (Linke) im Interview mit der Berliner Woche, 02.01.2017
  • Die Krieger Grundstück GmbH (KGG) dokumentiert ihr Projekt (allerdings nicht akualisiert) auf pankower-tor.de
  • Der Tagesspiegel zum Rundlokschuppen und einer möglichen Integration der Ruine in die geplante Schule (als Mensa), 19.12.2016

Ideen für den Bürgerpark

Was ist hier los? – Eine Bürgerpark-Initiative hat sich gegründet (August 2016) mit dem Ziel, ein einheitliches Gestaltungs- und Denkmalschutzkonzept für den Park zu erarbeiten, da es ein solches im Moment nicht gibt. Sie kritisiert das Senatsprojekt „Panke 2015“, mit dem die Panke renaturiert werden soll (Projekt ruht derzeit) und ist nicht einverstanden mit den damit verbundenen „verheerenden Eingriffen“ in den Bürgerpark. Außerdem gefällt ihr die Idee eines Tierschutzvereines nicht, im Bürgerpark einen „Vogelgnadenhof“ und ein Altenheim für Tiere anzusiedeln; das Bezirksamt setzt sich aber für es sein. Die Initiative fordert auch eine bessere Parkpflege. Es geht es bei der aktuellen Diskussion um die Neugestaltung auch um die Zukunft der alten Meierei, die Einrichtung einer Skater-Anlage und ein gastronomisches Gesamtkonzept im Park.

Märchenstunde im Bürgerpark. Mimachen ist angesagt - bis 31. Januar (Foto: André Franke)

Märchenstunde im Bürgerpark. Mimachen ist angesagt – bis 31. Januar (Foto: André Franke)

Was gibt´s Neues? – Die Initiative hat einen alle Bürger gerichteten Ideenwettbewerb zur Umgestaltung des Bürgerparks ausgelobt. Er läuft noch bis zum 31. Januar. Insbesondere können Kinder mitmachen.

Links und Infos:


Holm und die Humboldt-Uni

Was ist hier los? – Hier forschte und lehrte der umstrittene Berliner Staatssekretär Andrej Holm ab 2005. Er war am Institut für Sozialwissenschaften, im Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie tätig und beschäftigte sich mit Gentrifizierung, partizipativer Stadtentwicklung und Wohnungs- und Mietenpolitik. Holm betrieb nebenbei den Gentrification-Blog, auf dem er gegen die Spekulation mit Immobilien anschrieb.

Was gibt´s Neues? – Letzten Donnerstag, am 12. Januar, endete die Frist, die die Universität dem umstrittenen Staatssekretär Andrej Holm gesetzt hatte, eine Stellungnahme zu sein falsch gesetztes „Stasi-Kreuz“ abzugeben. Der Uni-Briefkasten soll bis zum Nachmittag leer geblieben sein, wie Tagesspiegel-Autor Björn Seeling am Freitag im „Checkpoint“-Newsletter schrieb.

Links und Infos:

  • Rechtsanwalt Johannes Eisenberg schreibt in der taz, dass die Humboldt-Uni sich aus Sicht des Arbeitsrechts für Holm entscheiden müsse. Er vergleicht den Fall Holm mit den Geschichten eines Gefängniswärters und eines NPD-Aktivisten, die, beide im öffentlichen Dienst tätig, Falschangaben gegenüber ihren Arbeitgebern machten. Das Bundesarbeitsgericht urteilte gegen die Arbeitgeber. Holm durfte sogar Lügen, so Eisenberg. Und die Uni hätte 2005 gar nicht nach seiner hauptamtlichen Tätigkeit bei der Stasi fragen dürfen., 09.01.2017

Tempohomes Alte Jakobstraße

Was ist hier los? – Auf der Brachfläche ist ein Tempohome geplant, ein Containerdorf für Geflüchtete. Die bis zu 500 Personen, die hier untergebracht werden, leben im Moment noch in Berliner Turnhallen. Die Tempohomes, von denen in Berlin etwa 30 entstehen, sollen die Turnhallen als Notunterkünfte ablösen. Die Container werden nicht übereinander gestapelt. Im Gegensatz zum Studentendorf Plänterwald, das auch aus Containern besteht, gibt es nur ein Erdgeschoss für alle Gebäude. Den Standort, wie auch die anderen Standorte der Tempohomes und MUFs, hat die Senatsverwaltung für Finanzen ausgewählt. Sie hat mit einer Expertenkommission über 1.500 Grundstücke in Berlin auf ihre Eignung hin untersucht. Ursprünglich war der 16.000 Quadratmeter große Standort an der Alten Jakobstraße für eine MUF geplant („Modulare Unterkunft für Flüchtlinge“). Das Tempohome soll laut Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) Ende März 2017 fertiggestellt sein.

3 Container in einem Tempohome mit Küche und Bad bilden eine Wohnung für 4-8 Personen

Eine Wohnung in einem Tempohome mit Küche und Bad (Quelle: LAF, Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten)

Eine Wohnung (gelb) in einem „Gebäude“. Äußere Erschließung (Quelle: LAF)

Eine Wohnung (gelb) in einem „Gebäude“. Äußere Erschließung (Quelle: LAF)

Was gibt´s Neues? – Die Alte Jakobstraße ist eines von elf Tempohomes, für die gerade Betreiber gesucht werden. Es läuft eine Ausschreibung, zu deren Stand die SPD-Abgeordnete Clara West Ende letzten Jahres beim Senat angefragt hatte.

Links und Infos:

  • Übersichtskarte zu Tempohomes und MUFs in Berlin auf rbb-online, 07.01.2017
  • FAQ zu Tempohomes auf berlin.de (vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten)
  • Schriftliche Anfrage von Clara West, 17. November 2016

ICC Berlin: Das ist der Palast des Westens, ohne Asbest

Es braucht nicht viel, um sich ins ICC zu verlieben. Bei mir waren es zwölf Seiten in der werkorientierten Biografie von Ursulina Schüler-Witte, die das Internationale Congress Centrum mit ihrem Mann und Architektenkollegen Ralf Schüler gebaut hat. Zwölf von siebzig Seiten. Ursulina Schüler-Witte schreibt in dem Buch, das vor einiger Zeit im Lukas Verlag erschien, auch von den alltäglichen Umständen, unter denen das Architektenpaar arbeitete. Sie erzählt auch die ein oder andere Anekdote: So haben sie und er den Entwurf für den Messehallen-Wettbewerb nur zehn Minuten vor Fristende abgegeben, am 30. September 1965 um 23:50 Uhr.

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der "lange Lulatsch" legitimiert es (Foto: André Franke)

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der „lange Lulatsch“ legitimiert es (Foto: André Franke)

Was wäre passiert, wenn die „Ente“, auf deren Dach sie das Modell transportierten, in dieser Herbstnacht schlappgemacht hätte, nicht getankt gewesen wäre, oder aus anderen Gründen den Weg zu den Berliner Austellungen nicht gefunden hätte? – Die historische Folge wäre gewesen: Die DDR hätte den Palast der Republik nicht gebaut!

Kommunisten schlagen Kapital aus Entwürfen

Die Architekten gewannen als Außenseiter den Wettbewerb. Sie bauten später das Kongresszentrum an anderer Stelle als 1965 vorgesehen. Deshalb steht das ICC heute an der Autobahn und ist wegen der Längsform des Grundstücks 320 Meter lang (ursprünglich dachten sie an ein sechseckiges Kongressgebäude, das von dreizehn Messehallen umgeben war). Die DDR hatte bis dahin im „Schaufenster Ost“ dem geplanten Koloss nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Deshalb machte sie für die international ausgeschriebene Sichtlinienanalyse, die für den Riesensaal des ICC erarbeitet werden musste (5.000 Gäste wollen die Bühne sehen!), ein Angebot, das niemand ausschlagen wollte: 9.500 DM, schreibt Schüler-Witte. Ein belgisches Büro hätte es für 95.000 DM gemacht, die USA für 250.000 DM. Die DDR wollte den Auftrag unbedingt, um das Kongresszentrum zu kopieren.

Die ICC-Pläne verschwanden bereits einen Tag nachdem die Westberliner Architekten das Projekt im Ost-Berliner „Institut für die Technologie kultureller Einrichtungen“ vorgestellt und dort hinterlassen hatten. Das war 1971. Der Institutsleiter telefonierte panisch mit den Architekten, hatte offenbar keine Ahnung von dem Vorgang. (Er verließ die DDR 1977 mit Hilfe des Architektenpaars; bitte selber nachlesen, auf welche Weise!). 1973 begann der Bau des Palasts der Republik und 1976 fertig, also bevor 1979 das ICC Berlin eröffnete. Der Gehirnschmalz von Schüler und Schüler-Witte, der die enorme Nutzungsvielfalt und Raumflexibilität im ICC ersann, wurde also auch für die Volkskammer verbraten.

Der asbestfreie Palast

Als wir am Sonntagnachmittag am Ende der Vivantes-Tour auf das ICC trafen, war die erste Bemerkung eines Gastes: „asbest-verseucht“. Dass das für den Palast der Republik galt, wird jeder wissen. Das ICC … Ich überlegte und sagte nichts. Weil ich nicht wusste, ob das zutraf. Später las ich im Buch weiter, wo steht:

„dass das ICC von Spritzasbest durch einen glücklichen Zufall verschont geblieben ist, weil es inzwischen das asbestfreie Material Kafko zur feuerhemmenden Ummantelung von Stahlbauelementen gab (…).“

Na bitte, meiner kleinen Liebesgeschichte steht also auch DAS nicht im Wege. Was freue ich mich, dass ich nächsten Sonntag um 11 Uhr wieder am S-Bahnhof Messe-Nord stehe, zusammen mit Vivantes. Am Treffpunkt der Etappe 14, der vorletzten von „Vivantes erradeln“ mit Berlin on Bike, blicken wir auf das ICC. Geht gar nicht anders. Wenn man hier ist, muss man es ansehen. Wie es da liegt an der Autobahn … Wer könnte das Stahlschiff anheben? – Auch interessant, dass Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte das „Raumschiff- und Weltraumdesign“ nicht bewusst als Stil entwarfen. Es war mehr ein Ergebnis von „Form follows function“, berichtet die Architektin. Die Devise hätten sich viele für den Nachfolgebau des Palasts der Republik gewünscht.


Das Buch … im Lukas Verlag

Schloss in pink

„Hinter“ dem Schloss

Hinter dem Schloss, wo die Container stehen und Franco Stella öfter über die Straße geht, um nach seiner Baustelle zu sehen, wo auch die Busse, steif wie Bock, in die Breite Straße eindrehen und dabei den Radweg mit den todbringenden Doppelreifen der Hinterachse überrollen, und wo, im Gegensatz zur Nordseite, auch kein Weltkulturerbe anzutreffen ist (es würde sich wohl schnell aus dem Staub machen …), – hier ist nicht „hinten“!

Schloss in pink

Pink am Schlossplatz, 2015: In Berlin ein Zeichen für Temporäres, nicht Dauerhaftes. Dafür aber ein „Störer“, der die Aufmerksamkeit von Berlin-Besuchern auf sich zieht. Hier ist bald wieder „vorne“.

„Hier ist vorne“, erkläre ich am Sonntag auf einer Zukunft Berlin Tour, da bei Ulla, die aus Erftstadt bei Köln kommt, der erste Eindruck beim Stoppen vorm alten Staatsratsgebäude folgender war: „Ich war bisher immer nur vorne gewesen, auf der anderen Seite … Aahh, so sieht´s also hinter dem Schloss aus!“

Ich freue mich über solche Steilvorlagen sehr. Man kommt sofort auf das Wichtige zu sprechen, auf das Positive. Was ist das Positive am Schloss? Es bringt die Grundordnung auf der Spreeinsel zurück: einen Lustgarten im Norden, einen Schlossplatz im Süden. Wir können wieder zeigen, wo die Stechbahn war, wo Ritter sich mit Lanzen die Rüstungen durchbohrten, vom Pferd fielen.

Erkennbar wird dadurch auch eine weitere Geschichte: Berlin war nicht das Schloss. Nicht immer jedenfalls. Das Schloss kam erst in der zweiten Welle der Berliner Stadtentwicklung. Mehr als 200 Jahre kam Berlin-Cölln ohne es aus, und Kurfürst Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, positionierte seine Residenz am Rande der Stadt. Fortan musste Berlin mit dieser … „Unwucht“ leben. Oh, dieses Bild gefällt mir auch sehr. Und man könnte hinzufügen, dass die Unwucht später ein ganzes Land ins Schleudern brachte und ins Desaster katapultierte, wo die Menschen nicht wussten, wo oben und unten ist.

Meininger, was Du auf dem Kerbholz hast!

Das viel bemängelte, geschasste, gehasste und aus den Betonmischern ausgeschiedene Hotel Meininger am Washingtonplatz unserer Stadt hat Nachbarn gekriegt, die Gott sei Dank einige Aufmerksamkeit von ihm nehmen. Dennoch ergab sich heute morgen, Gästen, die ich zu einem Welcome Walk vom Aman Grand Central abholte (Invalidenstraße), bei einem „Rundumschlag“ im Spreebogenpark die neu entstandenen Hotels, inklusive eben auch des Hotels Meininger, zu zeigen, wobei ich dann nicht drumherum kam, das Hotel M. besonders schlecht zu machen. So blieb es uns in Erinnerung, den Gästen und mir, und kam, wie das manchmal so ist, gegen Ende der Tour mir noch mal hoch (das ist fast schon die Phase des Ausscheidens) als wir vor den Stadtmodellen Am Köllnischen Park standen. Ich stellte fest, das Hotel Aman, obwohl schon fertiggebaut, sei gar nicht im Detail ausgefertigt (so sollte es mit realisierten Baukörpern sein, die im Modell auftauchen; nur die noch nicht gebauten erscheinen als grober Holzklotz). Das kann man an einigen Modellgebäuden sehen, dass das nicht so richtig hinhaut, und das Stadtmodell nicht auf der Höhe der (rasenden) Zeit ist. Nur bei einem Gebäude, das ebenfalls nur grob modelliert ist, macht alles Sinn: Mein Blick und Zeigestock fiel auf das Hotel Meininger auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs. Zwar ist es fertiggebaut – aber irgendwie ja auch nicht, wenn man den Qualitätsmangel bemisst! Und außerdem, so in etwa hab ich´s gesagt, verdiene das Haus das hübsche Geschnitze nicht. Was will man dem Meininger auch ins Kerbholz ritzen? Es gibt keine Form, keine Deko, was den Kotzkubus irgendwie nicht als bloßen Schuhkarton dastehen lässt. Kratzputz wäre ein kleiner Schritt für den Maurer, aber ein großer Schritt für´s Hotel M.

Nur eine Ecke ist vom Hotel Meininger zu sehen. Ist auch besser so.

Waisenbrücke mit Verstärkung aus Amerika – Golden Gate Bridge erreicht die Spree

Den Ort der alten und vielleicht neuen Waisenbrücke in Berlin haben dank meiner „Sieben Brücken“-Tour Menschen gesehen, die normalerweise, weil in San Francisco lebend, die Golden Gate Bridge überqueren. Greta und John waren gerade erst in Berlin gelandet und ließen sich letzten Samstag trotz Jet-Lag und angekündigter deutscher Toursprache zusammen mit sechs weiteren Gästen auf die erste öffentliche Futurberlin-Radtour ein. Herzlichen Dank! Als wir nach vier Stunden am Waisenbrückenbalkon endeten, fühlte sich die Ankunft wegen der bunten Ballonbögen, die auf beiden Spreeufern diesseits und jenseits des Flusses aufgestellt waren, wirklich wie eine Zieleinfahrt an (es gab den Abschluss der Sommerakademie samt Museums- und Hafenfest). Fehlte tatsächlich nur noch die Brücke! Wenn sie einmal wiederaufgebaut werden sollte, werde ich diese Tour hundertprozentig wiederholen. Und vielleicht fliegen beide Amerikaner zu diesem Anlass noch einmal ein. Dann werden sie zu Hause am Pazifik nicht zuletzt sagen können: „Wir sind über die Berliner Waisenbrücke gefahren … – Was, Du kennst die Waisenbrücke nicht?“ Das erforderte natürlich eine herausragende Architektur. Mehr zu deren Wiederaufbauprojekt später, in einem anderen Blogpost. Nach dem Foto mit den Ufertrommlern der Sommerakademie, dem „Sieben-Brücken“-Tourziel-Event, folgen hier ein paar Infos zu den sechs Brücken, die wir im Vorfeld der siebten (der Waisenbrücke) auf der Tour angesteuert haben:

Trommler-Gruppen beim Museumsfest im Juli 2016, um die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits zu zelebrieren (Foto: André Franke)

Trommler-Gruppen beim Museumsfest im Juli 2016, um die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits zu zelebrieren. Im Hintergrund: die Trommler auf dem anderen Ufer (Foto: André Franke)

Radbahn-Brücke

Hier über den Landwehrkanal führt bereits die Brücke der U-Bahnlinie U1. Doch passierbar ist diese nur für Bahnfahrende. Ein spanndendes Projekt verbindet sich mit dem Vorhandenen: die Radbahn-Berlin. Auf einer Strecke von insgesamt acht Kilometern möchte eine Initiative einen überdachten Radweg entwickeln, der vom Bahnhof Zoo bis zur Spree verläuft. Radler benutzen den U-Bahn-Viadukt also als Überdachung und Schattenspender. 80 Prozent der Strecke, sagt die Initiative, seien im Grunde heute schon verfügbar und beradelbar. Nur an 20 Prozent des Weges müsse gearbeitet werden. (radbahn.berlin)

Eine Herausforderung, rot markiert im Streckenplan, ist die Überquerung des Landwehrkanals. Die Radbahn kommt von Westen aus dem Park am Gleisdreieck und muss hinübergebracht werden auf das andere Ufer. Was liegt näher, als die vorhandene Brücke als Aufhänger zu benutzen und die Radbrücke einfach drunterzuklemmen? Genau das plant die Initiative.

Ob es wirklich soweit kommt, ist noch unsicher. Im Moment läuft gerade eine Machbarkeitsstudie, die zwei Jahre dauert. Auch wird abzuwarten sein, wie sich der Volksentscheid Fahrrad weiterentwickelt, er unterstützt das Radbahn-Projekt. Es scheint aber, dass der Senat dem Radbahnprojekt zuvorkommen möchte (Morgenpost). Er plant reguläre Radwege entlang der Uferstraßen. Die heutigen Kfz-Parkplätze sollen dafür unter das Viadukt wandern. Damit wäre sowohl der Viaduktweg funktional blockiert, als auch die Notwendigkeit für eine Radstrecke entlang des Kanals genommen, die heute komplett, auf weiter Strecke fehlt.

Neue Landwehrkanalbrücke

Der Senat plant eine Fußgängerbrücke über den Landwehrkanal. Sie soll in Verlängerung der Flottwellstraße entstehen und auf der anderen Seite in die Gabriele-Tergit-Promenade hinüberführen. Zu dieser Brücke fand offenbar ein Wettbewerb im Jahre 2006 statt. Architekt Max Dudler und Landschaftsarchitekt N. Koehler (Potsdam) haben ihn gewonnen (competitionline.com). Die Fußgängerbrücke ist barrierefrei und auch für Radfahrer benutzbar. Mit ihr würde man von den 280 Meter Umweg über die heutige Köthener Brücke (einzige Möglichkeit bislang) ca. 50 Meter einsparen. Sie soll 2,5 Millionen Euro kosten und ist eine Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme der Potsdamer Platz-Bebauung.

Aufmerksam geworden auf diese Planung bin ich über den Gleisdreieckblog. Im Zusammenhang mit dem Radschnellweg auf der Berlin-Potsdamer-Stammbahn kritisiert der Blog diese Brückenpläne und schlägt stattdessen eine ampelfreie Überquerung nach dem Kopenhagener Vorbild der sogenannten „Cycleslangen“ vor. Der Park am Gleisdreieck würde mit dem Tilla-Durieux-Park direkt verbunden werden. Die Brücke würde im Park am Gleisdreieck auf Höhe der Lützowstraße über eine lange Rampe langsam ansteigen und in einem Schwung über den Kanal führen, also anders als die Senatsbrücke, die ja im rechten Winkel den kürzesten Weg über das Wasser nimmt.

Vor dem Hintergrund betrachtet der Blog auch den Durieux-Platz und seine Umgestaltung inklusive guter Radwege zum Potsdamer Platz. Die Schräge solle weg, was offenbar auch schon Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) einfordert hat.

Yorckbrücken

Ingesamt 30 Yorckbrücken gibt es heute noch. Sie sind alle denkmalgeschützt. Eine einzige verbindet den Ostpark des Gleisdreickparks mit dem Flaschenhalspark im Süden und garantiert den überregionalen Radwanderweg Berlin-Leipzig. Doch diese Brücke, es handelt sich um die Yorckbrücke Nr. 10, ist nur ein Provisorium. Sie wurde auf öffentlichen Druck von Anwohnern, des Bezirks Tempelhof-Schöneberg und der Medien im April 2014 kurzfristig vom Senat und der Bahn reaktiviert. Absturzgitter und Asphalt waren das einzige, was nötig dafür war.

Warten auf Sanierung und Reaktivierung: rostende Yorckbrücke auf Brachfläche Nähe Hellweg-Baumarkt (Foto: André Franke)

Warten auf Sanierung und Reaktivierung: rostende Yorckbrücke auf Brachfläche Nähe Hellweg-Baumarkt (Foto: André Franke)

Grund für die Aufregung war die kurz zuvor stattgefundene Eröffnung des neuen Flaschenhalsparks. Die Berliner strömten vom Ostpark in den Flaschenhalspark und umgekehrt, doch an der Yorckstraße trafen sie auf eine gefährliche Blockade: die stark befahrene Straße. Fußgänger wie Radfahrer kletterten über die Absperrungen, um sich den 200 Meter langen Umweg zu ersparen. Eine Ampel gab es nicht. Weil Ostern vor der Tür stand, befürchtete Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) „schlechte Stimmung“ (Tagesspiegel). Und Senat und Deutsche Bahn erreichten das Menschenmögliche.

Ursprünglich wollte der Senat diese Yorckbrücke zusammen mit den anderen sanieren. Fünf wurden anfang 2016 ausgehängt und kommen nach Sanierung wieder zurück. Auch sie werden die beiden Parks miteinander verbinden. Danach steht die Sanierung auch für Brücke Nr. 10 an. Insgesamt werden sechs Yorckbrücken reaktiviert. Sechs weitere werden bereits heute von der Bahn genutzt, darunter die Brücke Nr. 17, vom Technikmuseum durch die Museumsbahn. Kritiker befürchten, dass für die verbleibenden 18 Yorckbrücken eine in ferner Zukunft liegende Sanierung zu spät kommen könnte. So fordert der Gleisdreieckblog, der ausführlich über die Sanierung der Brücken berichtet, ein Denkmalschutzkonzept (Gleisdreieckblog).

Alfred-Lion-Steg

Der Alfred-Lion-Steg ist die erste ordentliche Brücke auf unserer Tour. Sie überspannt mit ihren 93 Metern die Bahngleise der Anhalter und Dresdner Bahn und verbindet damit die Schöneberger Rote Insel im Westen (Cherusker Park, Gasometer, Euref-Campus) mit der Fliegersiedlung Neu-Tempelhof im Osten, letztlich also auch mit dem Tempelhofer Feld. Es handelt sich um eine Fußgänger- und Radwegbrücke, als Stahlrohrfachwerk kontruiert. Sie wirkt leicht in ihrer Ästhetik und bildet sich besonders vor dem Hintergrund der kaiserlichen Kasernengebäude in der Papestraße kontrastreich ab.

Schlüsselprojekt im Ost-West-Grünzug: Alfred-Lion-Steg (Foto: André Franke)

Schlüsselprojekt im Ost-West-Grünzug: Alfred-Lion-Steg (Foto: André Franke)

Der Steg ist Teil des neuen Ost-West-Grünzugs, der Hertha-Block-Promenade und damit neben der „Schöneberger Schleife“ ein weiteres Element des Stadtumbaus West (stadtentwicklung.berlin.de). Mit diesem Förderprogramm soll der neue Bahnhof Südkreuz mit Wegeverbindungen und Grünanlagen in sein Umfeld integriert werden. Seit November 2012 funktioniert nun das Schlüsselprojekt der Ost-West-Anbindung: der Alfred-Lion-Steg.

Benannt ist die Brücke nach Alfred Löw, der in Schöneberg in der Gotenstraße 7 geboren wurde und hier aufwuchs. Er flüchtete vor den Nazis nach New York und gründete zusammen mit Francis Wolff (der Löwe und der Wolf sozusagen …) das berühmte Jazz-Label „Blue Note Records“. Nach seiner Emigration änderte Löw seinen Nachnamen in Lion. Die Namensgebung der Brücke war aber umstritten. Hertha Block wäre eine Alternative gewesen. Die Bibliothekarin wurde von den Nazis inhaftiert, überlebte und baute nach dem Krieg in Berlin Stadtteilbibliotheken auf. (Tagesspiegel)

Kiehlsteg

Von den legendären „über 1.000 Brücken“, mit denen sich Berlin gegenüber Venedig gerne rühmt und profiliert, sind offenbar auch manche unnütz. So ließ der Senat den Kieler Steg abreißen, der direkt neben der Lohmühlenbrücke über den Neuköllner Schifffahrtskanal führte. Er war ein Relikt aus Mauerzeiten, eine Behelfsbrücke für die Neuköllner, die die Lohmühlenbrücke, weil sie gesperrt war, nicht benutzen konnten, beziehungsweise machte ihre Benutzung keine Sinn, denn sie führte auf die Mauer zu. Doch im Frühjahr 2014 wehrten sich die Anwohner des Weichselplatzes gegen den Abriss. Sie zogen sogar vor Gericht, um eine einstweilige Verfügung zu beantragen, was nichts half. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestand auf den Abriss, der mit 42.000 Euro bedeutend geringer ausfiel als die notwendige Instandsetzung mit 260.000 Euro (Tagesspiegel).

Die Anwohner gründeten eine Initiative, wollten den Kiehlsteg sogar auf die Denkmalliste bringen, was so einfach nicht geht. Sie ärgerte, dass die Verwaltung den Abriss der Brücke nicht mit ihnen kommunizierte. In der Sanierungszeitung „Karlson“ (Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee) sei der Steg offenbar eingezeichnet geblieben (stadtentwicklung.berlin.de) und damit der vermutbare Erhalt fehlkommuniziert worden, sagen Anwohner (neuköllner.net). Sie hätten zu Gunsten des Stegs auch gerne auf die offenbar geplante Aussichtsplattform verzichtet, die bei der Sanierung des angrenzenden Weichselplatzes entstehen soll. Der Sanierungsträger BSG dokumentiert auf einer website allerdings, dass bei mehreren Bürgerinfoveranstaltungen auf den Abriss des Kiehlstegs hingewiesen worden sei (demokratische-stadtentwicklung.org).

Die Anwohner argumentierten auch mit der historischen Bedeutung der Brücke, schmückten sie in den Tagen vor dem Abriss mit Bildern aus Mauerzeiten. Und sie hatte im Grunde sogar eine ästhetische Bedeutung, auch wenn sie selbst simpel konstruiert war. Der Kiehlsteg war eine praktische, alltagstaugliche Kiezbrücke. Doch er machte den Blick auf die schönere Lohmühlenbrücke erst so richtig möglich. Von hier aus konnten sich die Stegnutzer das auf ihr abgebildete Stadtwappen Neuköllns ansehen – von Angesicht zu Angesicht beider Brücken.

Brommybrücke

Schon vor zehn Jahren berichtete die „Welt“ von einem Entwurf des Architekten Gerhard Spangenbergs, der die Brommybrücke aus Glas bauen wollte und mit zwei Ebenen: eine für den Verkehr und darüber eine Etage für Gewerbe. Was für eine exotische Idee. – Bis heute ist nichts draus geworden (Welt, 2006). Eine Weite von etwa 1,3 Kilometern erstreckt sich zwischen den gebliebenen Spreebrücken, der Schillingbrücke und der Oberbaumbrücke. Das ist nicht nur unattraktiv fürs Stadtbild und unfunktional für die Spreebezirke Friedrichshain und Kreuzberg, sondern natürlich auch unhistorisch, denn es gab sie ja einmal: die alte Brommybrücke, von der heute nur noch eine Pfeilerruine übrig ist und ein Widerlager, auf dem seit 2007 der Kreuzberger Spreebalkon steht.

Pläne für einen Wiederaufbau der Brommybrücke gibt es daher schon seit der Wiedervereinigung. Anfangs vom Senat als Straßenbrücke geplant, ist die Nutzung einer zukünftigen Brücke durch den Bürgerentscheid zu Mediaspree von 2008 verändert worden: nur noch für Fußgänger und Radfahrer soll die Spreeüberquerung eingerichtet werden, also als Steg. (Tagesspiegel)

Blick vom Kreuzberger Spreebalkon: Restpfeiler der Brommybrücke und Wohnsolitär "Living Levels" im alten Todesstreifen (Foto: André Franke)

Blick vom Kreuzberger Spreebalkon: Restpfeiler der Brommybrücke und Wohnsolitär „Living Levels“ im alten Todesstreifen (Foto: André Franke)

Eine Fußgänger- und Radweg-Überquerung (eventuell auch für Busse) favorisierte auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Jahr zuvor. 2007 war eine Verkehrsstudie durchgeführt worden (stadtentwicklung.berlin.de). Nicht nur ein neue Brommybrücke war im Gespräch, sondern auch eine neue Spreebrücke aus der Kreuzberger Manteuffelstraße heraus. Im Vergleich mit den anderen Brücken unserer bisherigen Tour fällt am Beispiel der Brommybrücke als Überquerung der breiten Oberspree die besondere stadtbildprägende Bedeutung eines möglichen Brückenneubaus auf. Hier ginge es nicht nur um die Funktion. Hier geht es vor allem um Perspektive und Bild. Und um Bewegung: Die Fahrgastschiffe mit den aufblickenden Touristenköpfen unten, und die Berliner – womöglich etwas herabblickend – die Brücke querend oben. Eine neue Brommybrücke sollte deshalb auch überdurchschnittlich transparent sein, finde ich.

Der Entwurf von André Hieronimus von der Beuth-Hochschule in Berlin ist das. Auf zwei gegenläufigen Bahnen überqueren Fußgänger und Radfahrer die Brücke getrennt. Wobei hier eigentlich die Idee war, einen Weg für Langsame und einen Weg für Schnelle zur Verfügung zu stellen. Der Entwurf gewann den zweiten Preis beim Förderpreis des Deutschen Stahlbaus 2012 (bauforumstahl.de).

Waisenbrücke

Zu dieser Brücke mehr in einem der nächsten Blogposts …

BER: Als Geisterfahrer in Berlins Geisterstadt

Der BER bietet Radtouren am neuen Terminal an. Doch die Anreise ist mehr als ein Abenteuer – nämlich rechtswidrig +++

Wie ich im Newsletter schon berichtete, war ich am Samstag zu Besuch in einer Geisterstadt. Ich war mit dem Rad am BER. Und das war brenzlich. Denn zum neuen Terminalgebäude drüben am Info-Tower führten ausschließlich Kraftfahrstraßen. Radfahren war verboten. Ich fuhr aber trotzdem. Da Wochenende war, gab es so gut wie keine Linienbusse. Ich war allein auf weiter Flur, allein. Das klingt erstmal unspektakulär. Aber die Gefahr, wie sich herausstellte, war weniger, von Autos und Bussen überfahren zu werden, als von der Hochsommerhitze auf dem nicht enden wollenden Asphalt gegrillt zu werden. Auf dem Rückweg vom Terminal verfuhr ich mich, landete auf der falschen Seite der Eisenbahn. Die Brücke musste noch gebaut werden, die an der Stelle, die mich zum Umkehren zwang, die Fußgänger und Radfahrer in Richtung Schönefeld bringen wird. Kilometer umsonst gefahren in der Gewerbegegend, die jetzt „Gatelands“ heißt. Früher war hier das Dorf Kienberg. Ein Haus steht noch.

BER Flughafen

Erschließung des neuen BER-Terminals. Als Radfahrer hat man schlechte Karten, weil keinen Überblick. Dieses Straßenkreuz war allerdings noch eines von der leichteren Sorte. (Foto: André Franke)

Später in diesem Dschungel aus Straßen und Brücken wurde mir auf einmal mulmig, weil ich merkte, ich fuhr auf der Gegenfahrbahn („Gegenstraße“ müsste es wohl eher heißen). Mangels Verkehr war das schwer zu überprüfen. Der Geisterfahrer fuhr erstmal weiter. Dann wurde es offensichtlich und ich stieg rüber, auf die parallel laufende, niegel-nagel-neue, heute nur mir verpflichtete, etwa einen Meter höher liegende Straße nach Schönefeld.

Mittagssonne und nichts zu trinken dabei? – Ich finde noch eine andere Sache brenzlich: Immer sonntags bietet die Flughafengesellschaft geführte Radtouren über das BER-Gelände an. Allerdings müssen die Teilnehmer mit ihren eigenen Rädern kommen. Treffpunkt am Info-Tower. Das heißt, der Veranstalter erwartet von seinen Gästen, dass sie Straßenverkehrsregeln brechen und sich in Lebensgefahr begeben. Aber okay, ist ja sonntags, wenn die Busse spärlich sind.

Schweizer „Velo-Sack“ an der Oranienburger gefunden

Der Austausch über Stadtentwicklung kann so fruchtbar sein. Vor allem wenn er länderübergreifend stattfindet. Hier das Gelernte von einer exklusiven Zukunft-Berlin-Tour vom Montag.

Schweizerische Straßenbaukommissare waren am Montag unterwegs mit mir auf einer Zukunft-Berlin-Tour. Da sie sich auch speziell fürs Thema Fahrradstadt interessierten, begannen wir die Tour über die Choriner und Linienstraße. Beides sind bekanntlich ausgewiesene “Fahrradstraßen”. Etappenziel: das Fahrradfahrerlinksabbiegervorhaltefenster am Ende der Linienstraße, wo auch die Oranienburger auf die Friedrichstraße trifft. Ich wiederholte die Behördenvokabel mehrmals. Die Schweizer kannten die Einrichtung, aber nicht den Begriff. “Bei uns heißt das”, sagte einer ganz trocken, “Velo-Sack”. – Wie geil war das denn! Kurz darauf fragte einer, ob es nicht auch bei uns in Deutschland irgendeine Abkürzung dafür gebe. Ich kenne keine, aber werde mich dafür einsetzen, dass sich “Velo-Sack” durchsetzt. Versprochen, meine lieben Kommissare.

"Velo-Sack"

 

Shopping, Skydiving und Surfen unter einem Dach

Das VOLT Berlin ist die Fortsetzung des Alexa-Einkaufszentrums mit anderen Mitteln. – Ein Tourbericht zur gestrigen Zukunft-Berlin-Tour mit Berlin on Bike und der Antwort, was zwischen Alexa und Jannowitzbrücke gebaut wird.

VOLT Berlin, J. Mayer H.Kommt Zeit, kommt Rat. Und manchmal schneller als man denkt. Bei der Zukunft-Berlin-Tour am Sonnabend tauchte die Frage auf, was eigentlich auf dem Gelände hinterm Alexa geplant sei. Wir radelten daran vorbei und sahen die Bier-Bikes darauf parken. Als wir beim dritten Stopp dann zu den Stadtmodellen bei der Senatsverwaltung kamen, stießen wir auf eine aktuelle Ausstellung, die die Ergebnisse eines Architektenwettbewerbs zeigt. Zwischen Alexanderstraße und Stadtbahn, da wo jeden Dezember Berlins größter Weihnachtsmarkt, der “Wintertraum” aufschlägt, entsteht das sogenannte “Volt Berlin Future Urban Home”, ein Einkaufs- und Erlebniszentrum mit Skydiving und Surfen drin. Die Kernschmelze von Alexa-Konsum und Marktspektakel lasse ich mir ein anderes Mal auf der Zunge zergehen. Sie verdient auf jeden Fall Beachtung und ist zumindest konsequent. Die Architektur erinnert an das “Alea 101”, dass in der Nähe gerade gegenüber dem Cubix-Kino gebaut wird. Sie stammt vom Architekten Jürgen Mayer H. und ist neben den Alternativ-Entwürfen der Ausstellung noch bis zum 23. Mai im Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Am Köllnischen Park 3 in Mitte zu sehen.

Wie die Bramstedter Landfrauen mich in die Bethlehemkirche brachten

— Kurzgeschichte — Wenn Gäste Wünsche äußern, sollte man auf der Hut sein. Sie können einen in die Bredouille bringen, das ganze Schiff zum Kentern bringen, sagt man zu allen Ja und Amen. Manchmal aber blasen sie damit genau das frische Lüftchen an, das die kleine Reise so richtig rund macht und den Seemann glücklich.

Als meine lieben Landfrauen aus Bramstedt kurz vor dem Ende der Tour vehement nach einer Kirche verlangten, die sie auch von innen zu sehen wünschten, war ich drauf und dran, mit ihnen zur Hedwigskathedrale zurückzuradeln. Sowas ist unschön. Doppelt hält da nicht besser, sondern macht schlapp. Ganz verwehren konnte ich ihnen den Wunsch aber nicht. Also, was tun? In einer dreiviertel Stunde, abends halb Sieben, wollten wir am Hotel in der Anhalter Straße sein. Jetzt standen wir nach Kaffee und Kuchen auf dem Gendarmenmarkt. Alle Kirchen lagen nach drei Stunden Radtour schon hinter uns, und hinzu kam, dass der Reisebusfahrer der Landfrauen, Lutz L., der an diesem Samstag seit 5 Uhr früh mit insgesamt und ausschließlich 48 Damen unterwegs gewesen war, uns drei Guides telefonisch in die Lindenstraße vors Jüdische Museum bestellte. Ein zufriedener Mann. Es lagen noch zu viele Handtaschen auf den Sitzen im Bus. Die Landfrauen würden sie brauchen, in der Stadt. Und Landfrau ist ein Beruf.

Sie hätten die Kirche nicht gefordert, wären sie auf dem Weg in die Französische Friedrichstadtkirche nicht auf verschlossene Türen gestoßen. Ausgerechnet heute, da hatten sie einfach Pech gehabt. Zuvor waren sie schon in den Deutschen Dom gegangen und hatten drinnen einen Altar erwartet. Den Hinweis auf die Ausstellung hatte ich mir heute geschenkt. Ausgerechnet heute. Die Rede ist von zwei der Landfrauen, die sich in der Kaffeepause ein bisschen die Füße vertraten. Die Beiden waren es dann auch gewesen, die den seltenen Wunsch äußerten, als ich die Räder aufschloss. Soviel Gottessuche muss belohnt werden, dachte ich. Und dann kam das leise Lüftchen, die anfliegende Idee: auf einen “halben” Kirchgang in die Mauerstraße.

Wer hier Kirchen sucht, sucht womöglich vergeblich, liegt aber gar nicht so falsch. Wir standen mit den Rädern zwischen den Bänken der Dreifaltigkeitskirche, aber meine Landfrauen zeigten auf das Museum für Kommunikation, als ich sie fragte, wo hier die Kirche sei. Die Überraschung war gelungen. Für den Kirchenraum, der sich aus dem rot-schwarz gepflasterten Grundriss erhebt, bräuchte man schon Phantasie, sagte ich. Und so ist es ja auch. Wer kennt den Ort schon? Allerdings, wer hatte ihn schon alles betreten? Vor 181 Jahren stand hier der kleine Otto, der Deutschlands größter Kanzler werden sollte und wurde konfirmiert. Das beflügelt die Phantasie, auch die Phantasie Bramstedter Landfrauen. “Kirche von unten”, mal ganz anders.

So, dann käme jetzt noch der Handtaschenpflichtstopp und das wärs, dachte ich. Zur Lindenstraße, na klar, einfach die Mauerstraße runterbrettern, Checkpoint Charlie ignorieren, links halten und da. Das war der Moment, als aus dem Lüftchen ein Wind wurde: Wir kämen zwangsläufig auch am Bethlehemkirchplatz vorbei. Gleiches Phänomen, nur ohne Reichskanzler. Nicht halten? Nicht ansprechen? – Das ist die Falle, in die man als Guide ja öfters mal tappt. An diesem Tag hatte ich keine Wahl. Nur, ich wusste es nicht.

Und dann glotzte der Seemann auf das Land, das er nicht erwartet hatte. Das Haus, in dem die Böhmen beteten, es stand wieder da! Wir sahen ein Gerippe aus Stahl, aber für die Landfrauen muss es normaler gewesen sein als für mich selbst. Hier baute ein Künstler die Bethlehemkirche wieder auf. Kein gepflasterter Grundriss mehr nötig, keine Phantasien. Ich hatte die Landfrauen in ihre Kirche geführt und war baff. Das war zwar nicht das Hotel, und die Handtaschen mussten wir auch noch holen. Aber angekommen, nach vier Stunden Fahrradtour, waren wir hier.


Der Künstler, der die Bethlehemkirche als Lichtinstallation wieder aufgebaut hat, heißt Juan Garaizabal und kommt aus Spanien. Die Installation ist vom 27. Juni bis 19. August auf dem Bethlehemkirchplatz, Mauerstraße/Ecke Krausenstraße, zu sehen. Das Museum für Kommunikation präsentiert eine Begleitausstellung.