Pioniere haben es schwer, aber keine Gentrifizierung in Neukölln?

— Bericht —

Den Ort für die Vorstellung der neuen Nordneuköllner Sozialraumstudie hätte man mit dem Rütli-Campus besser kaum wählen können. Zwischen Indoor-Kletterwänden und Schul-Polizeischutz bot die Schulmensa gestern das perfekte Ambiente für eine Diskussion um steigende Mieten, Gentrifizierung und Kiezstrukturen. Darauf lief die Veranstaltung am Ende hinaus, nachdem Sigmar Gude vom Büro Topos Stadtplanung die Ergebnisse der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen Studie präsentiert hatte.

Deutliche soziokulturelle Veränderungstendenzen wären laut Studie nur im Gebiet Reuterplatz zu erkennen, sagt Gude. Hier hätten es selbst „Pioniere“ schwer, ins Gebiet zu kommen, denn der Anteil der „Gentrifier“ an der Bevölkerung erhöht sich nach 2007 von vormals 24 auf 33 Prozent. Gleichzeitig gehen die Anteile der „Normalbevölkerung“ von 44 auf 26 Prozent und der „Alten“ von 12 auf 2 Prozent stark zurück. Die Entwicklungen hier seien vergleichbar mit dem Graefekiez in Kreuzberg, nicht aber mit dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, sagt Gude. Im Gebiet Schillerpromenade habe die Gentrifizierung dagegen noch nicht begonnen. Die Anziehungskraft des Kiezes sei aber gewachsen. Der Anteil der „Pioniere“ steigt hier von 24 auf 45 Prozent, der der „Gentrifier“ bleibt mit 16 Prozent gering und hat sich zu vor 2007 kaum verändert. Die übrigen Gebiete im Neukölln innerhalb des S-Bahn-Rings seien mit der Schillerpromenade vergleichbar. In diese drei Gebiete hat die Studie das Untersuchungsgebiet aufgeteilt.

Die Studie untersucht auch die Wohnverhältnisse, Fluktuationen, Einkommensstrukturen und Mieten. Demnach hätten 85 Prozent aller Wohnungen Vollstandard. Die höchste Fluktuation, also kürzeste Wohndauer weist das Gebiet Schillerpromenade auf; hier befinden sich viele Kleinwohnungen. Für das Gebiet Reuterplatz gilt das Gegenteil, hier wäre der Wohnflächenverbrauch entsprechend höher. Zuzügler hätten ein höheres Einkommen als der Neuköllner Durchschnitt, lägen aber deutlich unter dem Berliner Durchschnittseinkommen. „Arme Haushalte werden durch etwas weniger arme ersetzt“, so sagt es Gude. Im gesamten Untersuchungsraum gibt es laut Studie nur 5 Prozent Eigentumswohnungen. Die Mieten liegen laut Studie bei Neuvermietungen in den letzten Jahren deutlich über dem Mietspiegel. Die Mietdifferenz bei Zuzüglern vor und nach 2009 ist mit plus 24 Prozent im Gebiet Schillerpromenade am größten. Doch die höchsten Mieten werden am Reuterplatz gezahlt.

Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) nimmt die Studie ernüchtert zur Kenntnis. „Es ist eine gute Sache, dass Panik in Sachen Gentrifizierung nicht angesagt ist“, sagt er. Gleichzeitig findet er es schade, dass von Neukölln keine Sogwirkung auf Gesamtberlin ausgehe. Buschkowsky selbst warf die Frage auf, wie die Studie denn mit der migrantischen Vielfalt im Bezirk umgegangen sei. Die Antwort von Sigmar Gude fiel dürftig aus; er verwies nur auf den statistischen Migrationsanteil von ca. 50 Prozent in der Neuköllner Bevölkerung.

Staatssekretär für Bauen und Wohnen Ephraim Gothe (SPD) sieht mit Neukölln kein neues Wohlstandsquartier entstehen: „Nein, davon sind wir wohl noch weit entfernt.“ Er verwies bei den steigenden Mieten auf den abnehmenden Wohnungsleerstand in Neukölln und betonte für ganz Berlin, es müsse über Wohnungsneubau geredet werden. „Das ist das einzige Mittel, das Druck vom Kessel nimmt“, sagt er.

Dass das in Neukölln gar nicht so einfach ist, darauf machte Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) aufmerksam. 2010 wäre Neukölln mit 13 neugebauten Wohnungen pro 1.000 Einwohner der Bezirk mit der geringsten Neubauaktivität gewesen. Die Neubaupotenziale lägen laut Gothe vor allem in anderen Gebieten Berlins; so führte er in der Diskussion das Tempelhofer Feld als Beispiel an. Das Publikum antwortete mit einem Raunen.

Die Studie „Sozialstrukturentwicklung in Neukölln“ ist online abrufbar unter: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/studie-sozialstruktur

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