Alle Blogposts …

Eine Mitte der Bürgerschaft (14/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Das Spielfeld

Wie aber ist die Leere vor dem Rathaus zu gestalten? Was ist das Spielfeld? Welche Aufgaben soll dieser bedeutende zentrale Raum in der Stadt künftig erfüllen? Kann hier im mittelalterlichen Maßstab die Altstadt wiederauferstehen? Schon das Rote Rathaus wuchs über die mittelalterliche Stadt hinaus. Und erst recht haben der Fernsehturm und die bis zu zwölf Geschosse aufragenden Gebäudescheiben entlang der Karl-Liebknechtstraße und der Rathausstraße das gesamte Areal in einen neuen rechteckigen Raum großstädtischer Dimension verwandelt. Dieser Großraum wird künftig dominiert vom Fernsehturm im Osten als Symbol modernen technischen Fortschrittsglaubens und dem wiedererrichteten Barockschloss im Westen als Ausdruck historisch-weltlicher Hochkultur. In diesem Spannungsfeld stehen sich in einem großen Freiraum Marienkirche und Rathaus gegenüber, St. Marien als Bürgerkirche des Mittelalters, das Rote Rathaus als Wahrzeichen des Großstadtbürgertums der Neuzeit. Diese baulich unverrückbaren Spielfiguren sind die Eckpfeiler jeder Neugestaltung. Zwischen ihnen liegt ein weiträumiger Spielplatz mit Denkmälern und Brunnen – beweglichen Riesenspielzeugen. Eine Neugestaltung muss in der historischen Rückschau die ganze, auch die jüngere Geschichte im Blick haben und eine weiterreichende in die Zukunft gerichtete städtebauliche wie politische Perspektive entwickeln.

Morgen: Teil 15 „Selbstverwaltung und Bürgernähe“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (13/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Planwerk Innenstadt

Der frühere Senatsbaudirektor Hans Stimmann hat das Verdienst, die Debatte um die Zukunft der Leere vor dem Rathaus eröffnet zu haben:

Die Teilung der Stadt mit der Inanspruchnahme des historischen Zentrums für eine Ost-Berliner Identität – den Palast eingeschlossen – hielt auch (…) nach dem Fall der Mauer an. Im Grundsatz gilt diese auf Kontinuität der 40jährigen Trennung angelegte Abwehr der Bezugnahme auf die gemeinsame Geschichte Berlins bis heute. Im Zentrum unserer Stadt geht es aber nach dem Ende der DDR und nach dem Abriss des Palastes nicht mehr um Ost- oder Westbefindlichkeiten, sondern um das schwierige Verhältnis der Stadt mit Rathaus, mittelalterlichen Klöstern, Kirchen, Schulen, Straßen und Plätzen zum künftigen Humboldt-Forum im Schloss.“

Für die südliche Altstadt hat das Planwerk Innenstadt in „kritischer Rekonstruktion“ den städtebaulichen Rahmen für die Rückkehr zum historischen Stadtgrundriss und einen zeitgemäßen Weiterbau abgesteckt. Die Stadtplanung der DDR hatte ohne Verkehrsnot mit dem Ausbau der Grunerstraße zur innerstädtischen Schnellstraße die südliche Altstadt zerschnitten und abgetrennt. Jetzt sollen durch Anlehnung des Straßenzuges an ihren historischen Verlauf die Verbindung zu Rathaus und Nikolaiviertel wiederhergestellt, der mittelalterliche Große Jüdenhof, das Gymnasium zum Grauen Kloster und der Molkenmarkt in Umrissen wieder erkennbar werden und mit Stadthaus und Parochialkirche zu einem in Maßstab und Gestalt stimmigen Stadtviertel zusammenwachsen.

Morgen: Teil 14 „Das Spielfeld“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (12/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Zukunft von gestern

Heute graben Archäologen nach Schlossfundamenten und vor dem Rathaus nach untergründigen Resten der Berliner Altstadt. Sie wecken die Neugier eingesessener und zugewanderter Berliner nach der Entstehungsgeschichte ihrer Stadt.  Ein Erinnern „ab urbe condita“ kann zu einer neuen gesamtstädtischen Identität Berlins und der bunten Vielfalt seiner Bürger beitragen, der Rückblick auf die Geschichte der gemeinsamen Stadt helfen, die Mauer in den Köpfen zu überwinden, Vergangenheit und Zukunft als eine Dimension der Gegenwart zu begreifen.

Mit wachsendem Abstand sollten auch die 40 Jahre DDR wieder in richtige Relation zur 800jährigen Geschichte Berlins gesetzt werden. Das jüngste Experiment am lebendigen Körper der Gesellschaft war eine Lehre und bleibt unvergessener Teil der Biografie Berlins. Es bleibt unübersehbar auch in seinen baulichen Zeugnissen. Der Fernsehturm, heute ein populäres Wahrzeichen und Orientierungszeichen aller Berliner, bietet Ausguck und Überblick über ganz Berlin und seine gebaute Geschichte. Forum – Hotel, Haus des Lehrers und  Kongresszentrum am Alexanderplatz, Kino und Cafe Moskau, Stalin-Allee, historische Rekonstruktionen wie Nikolaiviertel,  Konzerthaus am Gendarmenmarkt  und Staatsoper – sie werden auch künftig, und nicht nur die Reste der Mauer, im Zentrum Berlins an Geschichte und Baugeschichte der DDR erinnern. Das Staatsratsgebäude gehört mit seinem Schlossportal als geschütztes Baudenkmal längst zum festen Mobiliar der historischen Mitte.

Die Staatsachse der DDR aber zielt seit dem Verschwinden des Palastes der Republik ins Leere. Zwischen Spree und Fernsehturm bietet sich das Bild von Resten einer anderen, untergegangenen Zivilisation, einer Zukunft von gestern.

Morgen: Teil 13 „Planwerk Innenstadt“

NKZ? – „Die Frage ist mir zu groß“

Junge Architekten machen sich Gedanken, ob das NKZ in Kreuzberg “failed architecture” ist. Zum Glück laden sie zur Präsentation der Ergebnisse den Hausarchitekten Johann Uhl ein – und nicht Hans Stimmann.

— Bericht — Im DAZ sitzt man hart. Das Deutsche Architektur Zentrum in der Köpenicker Straße lässt seine Besucher nicht gern müde werden. Die Hocker aus Holz haben keine Lehne, aber verrücken kann man sie dafür, wohin man will. Hart sind sie, ganz anders als die jungen Architekten, die heute Abend die Ergebnisse ihres Workshops präsentieren. Sie könnten hart ins Gericht gehen mit dem NKZ; am Neuen Kreuzberger Zentrum könnte man kein Haar lassen, wenn man wollte. Aber sie tun es nicht. Was sie vortragen, klingt eher nach einer Erfolgsgeschichte.

Es ist der Abschluss von “Failed Architecture”, einer Workshop-Reihe, die quer durch Europa tourt und jetzt in Berlin Station gemacht hat. Fünf Tage lang haben 25 internationale Studenten und Architekten sich mit dem Neuen Kreuzberger Zentrum am Kottbusser Tor beschäftigt. Michiel van Iersel, der “Failed Architecture” 2010 in den Niederlanden gründete, führt durch den Freitagabend und spricht gleich zu Beginn das Brisante an: Sie wüssten nicht, ob sie hinter den Titel ein Fragezeichen oder ein Ausrufungszeichen setzen sollten.

Stimmann: NKZ sprengen!

Das NKZ als verfehlte Architektur abzustempeln, würden viele tun, ohne mit der Wimper zu zucken; so Ex-Senatsbaudirektor Hans Stimmann, der 1998 im Tagesspiegel sagte, man müsse den Mut haben, Gebäude wie das NKZ oder auch den “Sozialpalast” in Schöneberg zu sprengen. Im Publikum sitzt aber auch der Architekt des Hauses, Johannes Uhl, der Forderungen dieser Art heute Abend freundlicherweise nicht zu hören kriegt.

Er blickt auf eine breite, weiße Wand, an der hunderte bunt beschrifteter Bilder, Zettel und Karten hängen. Ein Teilnehmer des Workshops erläutert von links nach rechts gehend, wie sich das NKZ von 1970 bis heute entwickelt hat – als Baukörper auf Layer eins des Zeitstrahls. Nach ihm wiederholt eine Teilnehmerin das mit dem Fokus auf der Community, ihre Notizen hängen eine Ebene drunter, auf Layer zwei. Auf Layer drei hängt die ökonomische Entwicklung; Layer vier spiegelt die Wahrnehmung des NKZ in der Öffentlichkeit; Layer fünf, in Kniehöhe, die Ebene der Politik. Einen chaotisch wirkenden, detailreichen Blätterwald haben die Architekten hier an die Wand gepflanzt, der Lust auf das NKZ macht, der aber auch überwältigen kann. Johannes Uhl, auf die Frage, ob er etwas auf die Ergebnisse der Arbeit erwidern könne, sagt offen und ehrlich: “Die Frage ist mir zu groß.”

Behutsame Stadterneuerung auf Kosten des NKZ

Später erzählt er, dass ihm eine ganze Menge Gedanken durch den Kopf gingen. Vor allem der, dass sein Hochhaus nicht fertiggebaut worden sei. Dass es sogar absichtlich in dem unfertigen Zustand belassen worden sei, um mit dem Erhalt der benachbarten Mietskasernen unter dem Slogan der “Behutsamen Stadterneuerung” in Kreuzberg Politik zu machen. Architektur verfehlt – also doch?

Achmed sieht das anders. Er kennt das Gebäude von innen, denn er wohnt in ihm. Der Student ist zufrieden, kann die Miete zahlen und kritisiert die Medien, weil sie über das NKZ und den “Kotti” einseitig berichten würden, zum Beispiel über die Drogenszene. Achmed nutzt die Chance und steht während er spricht. Dann setzt er sich auf den harten Hocker zurück, und die Diskussion geht weiter.

Jemand anders steht auf, kann nicht mehr sitzen? Und macht klar, dass der “Kotti” kein Ghetto ist. Es ist Peter Ackermann, Vorsitzender des Verwaltungsrats des NKZ. Gegen Ende der Veranstaltung will er unbedingt wissen: “Ist das NKZ failed architecture?” Im Gegensatz zu Michiel van Iersel hat er hinter den Titel ein eindeutiges Fragezeichen gesetzt. Und er fragt das ganze Publikum, mehrmals, dreht sich im Kreis. Nein, geben die meisten per Handzeichen zu erkennen. – Also doch nicht verfehlt. Aber gelungen? Das müsste man mal Hans Stimmann fragen.

Eine Mitte der Bürgerschaft (11/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Absolutismus und „real existierender Sozialismus“

Dem Jahrhundert zentralistischer Machtentfaltung des barocken Absolutismus nach Bauernkriegen, Religionskriegen und Dreißigjährigem Krieg verdankt Europa eine Blütezeit seiner Entwicklung und die Grundlagen des modernen Staatswesens. Der Absolutismus stabilisierte zwar die feudale Macht, durch das Zurückdrängen streitender Gewalten des Adels, der Stände, der Kirche und freier Städte schuf er jedoch Territorial- und Nationalstaaten mit effizienter Verwaltung und gesetzlicher Rechtsprechung, förderte Medizin und Wissenschaft, organisierte und kontrollierte die Wirtschaft und ersetzte die Söldnerheere durch diszipliniertes Militär mit stehendem Heer. Die Zentralisierung der Macht in Hofstaaten ging einher mit einer bis heute fortwirkenden europäischen Hochkultur in Städtebau, Architektur, Gartenkunst, bildender Kunst, Musik, Oper, Theater, Dichtkunst und Kochkunst. Auf den Errungenschaften jener Zeit konnte, nachdem in der französischen Revolution mit den Köpfen auch die Perücken und Zöpfe gefallen waren, die moderne bürgerliche Gesellschaft aufbauen.

Reaktionär  war im Gegenteil – nach zwei Jahrhunderten bürgerlich-demokratischer und freier, sozialer marktwirtschaftlicher Entwicklung – die Re-Feudalisierung der Gesellschaft durch den Totalitarismus des letzten Jahrhunderts. Die Dialektik der Geschichte kennt auch die Rückwärtsspirale.

So waren die Partei- und Staatsfunktionäre der DDR Vasallen und ihr Staat ein Lehen des Kreml-Imperiums. Im Inneren verwandelte die Verstaatlichung und Kollektivierung von Produktionsmitteln und Grund und Boden die Bürger in Leibeigene des Staates, in Staatseigene. Bürger wurden erneut zu Untertanen. Die Bürgerrechte, historisch aus dem mittelalterlichen Stadtrecht hervorgegangen und über Jahrhunderte erkämpft, werden ihnen genommen – Versammlungs- und Vereinigungsfreiheit, Meinungs- und Pressefreiheit, Freizügigkeit, freie Berufswahl, Widerstandsrecht, freies, gleiches und geheimes Wahlrecht.

Der staatseigene Untertan hat feudale Gefolgschaft zu leisten, sich dem Führer- und Personenkult der Partei- und Staatshierarchie zu unterwerfen. Unbotsame Untertanen müssen mit Verbannung durch Ausbürgerung rechnen. Nicht einmal den Verkauf von Landeskindern scheuen die Landesherren, für Devisen verkaufen sie die wachsende Zahl ihrer politischen Gefangenen.

Morgen: Teil 12 „Zukunft von gestern“

 

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (10/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Streit ums Schloss

Heute, zwei Jahrzehnte nach friedlicher Revolution und Wiedervereinigung ist die Hochhausscheibe des DDR-Außenministeriums verschwunden und bereits vergessen. Sie wurde in den Neunzigern abgetragen. An ihrer Stelle künden Kulissen vom Wiederaufbau der Bauakademie. Im Lustgarten – er macht seinem Namen wieder Ehre – tummelt sich heiter Volk aus aller Welt. Der Palast und seine Republik sind nicht mehr. Langen Streit gab es um Abriss oder Erhalt der Asbest-Ruine. Hätte man den Palast einfach abschrauben können und als „Erichs Lampenladen“ ins Einkaufszentrum am Alexanderplatz versetzt, stünde er noch – am passenden Ort.

Günter de Bruyn sieht eine Ursache des Streits um den Wiederaufbau der historischen Mitte in dem

in Berlin besonders ausgeprägten Mangel an Ehrfurcht vor dem historisch Überkommenen, wie heutzutage auch der hartnäckige, glücklicherweise aber erfolglose Widerstand gegen die aus städtebaulichen und historischen Gründen notwendige Wiedererrichtung des Schlosses zeigt. Vielleicht ist das auf den immer hohen Anteil von Neuberlinern, besonders auch unter den Regierenden, zurückzuführen, mehr aber wohl auf einen allgemeinen Mangel an historischem Empfinden, der, da alle Kultur auf Geschichte gründet, auch ein Zeichen von Kulturlosigkeit ist.“

Das Hohenzollern-Schloss wurde 1950 als angeblich reaktionäres Symbol des preußischen Absolutismus zerstört. Die Diskussion um den Wiederaufbau des Berliner Schlosses wird weiterhin bestimmt von einer ideologischen oder antiautoritären Geschichtsbetrachtung seiner Gegner, von einer seltsamen Geringschätzung eines architektonischen Meisterwerks des barocken Absolutismus und einer seltsamen Zuneigung für die banale Palast-Architektur einer spießbürgerlich-proletarischen Diktatur.

Morgen: Teil 11 „Absolutismus und real-existierender Sozialismus“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (9/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

„Sozialistische Siegessäule“ und Palast

In den 1960er und 70er Jahren wird diese gewaltsam in die historische Stadt geschlagene Schneise zur monumentalen Ost-West-Achse ausgebaut, zur neuen repräsentativen Staatsachse der DDR. Sie reicht vom Alexanderplatz im Osten, wo der Fernsehturm als Siegessäule sozialistischen Fortschritts errichtet wird, bis zur Hochhausscheibe des DDR-Außenministeriums im Westen. Zum neuen Mittelpunkt wird – verquer zur historischen Stadtkomposition – der „Palast der Republik“. Eine „sozialistische Mehrzweckhalle am falschen Ort im falschen Winkel“  hat Wolf Jobst Siedler ihn genannt. An die Stelle des echten Barockschlosses tritt ein falscher Palast. Geschichte wiederholt sich als Farce.

Die kalte Pracht des Palastes der Republik ist der Stolz der neuen herrschenden Klasse – braun verglast, verhängt wie die Staatskarosse eines Parteifunktionärs, in der Fassadenmitte das Staatswappen der DDR wie am Revers der Reichsbank das Parteiabzeichen der SED. Wappen, Abzeichen und Orden – heute auf Trödelmärkten angeboten – sie liebt und sammelt der neue Funktionärsadel. Die „Volkskammer“ im Inneren des falschen Palastes ist ein einstimmiges Parlament – es hat nicht zu parlieren, nichts zu sagen. Als  „Volkshaus“ bietet der Palast ein „Kessel Buntes“, harmloses Amüsement unter den Augen von Partei und Staat.

Morgen: Teil 10 „Streit ums Schloss“

 

EVENT: Pläne fürs NKZ

Heute um 17 Uhr werden die Ergebnisse des workshops zur Zukunft des Neuen Kreuzberger Zentrums (NKZ) präsentiert. Siehe Eventkalender.

Eine Mitte der Bürgerschaft (8/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

„Demokratischer Zentralismus“ 

Berlin wird geteilt. Was von der historischen Mitte und der Altstadt Berlins übrig ist, liegt im sowjetisch besetzten Ostteil der Stadt. In der sowjetischen Besatzungszone  gilt zunächst  mit der „Demokratischen Gemeindeordnung“ von 1946 ein demokratisches Selbstverwaltungsrecht. Die anfangs in der SBZ und der 1949 gegründeten DDR verbreiteten Hoffnungen auf einen demokratischen und sozialen Neubeginn werden bald enttäuscht. Schon in den frühen 1950er Jahren werden Städte und Gemeinden dem Prinzip der Parteidoktrin des  „demokratischen Zentralismus“ unterworfen und zur unteren Verwaltungsebene des zentralistischen Einheitsstaats DDR degradiert und durchgängiger Kontrolle der Einheitspartei SED unterworfen. An die Stelle der Demokratie tritt die „Volksdemokratie“, die „Deutsche Demokratische Republik“ mit dem Scheinparlament der „Volkskammer“, bewacht durch „Volksarmee“ und „Volkspolizei“. Aus Ost-Berlin wird „Berlin, Hauptstadt der DDR“.

Um ihre von der Sowjetunion geliehene Macht den Anschein historischer Legitimität zu geben und ihre Deutungshoheit über Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu demonstrieren, besetzt die DDR die historische Mitte der Stadt. Andreas Schlüters Barockschloss wird gesprengt und Karl Friedrich Schinkels Bauakademie beseitigt. 500 Jahre Stadtgeschichte und nationale Baugeschichte werden zunichte gemacht und geleugnet.

In Stefan Heyms Schlüsselroman „Die Architekten“ schwärmt der Staatsarchitekt vom neuen Stadtzentrum Berlins, von der

„Vista auf die große Plaza für Aufmärsche und Demonstrationen als sichtbarem Beweis für die Macht des Volkes, und auf den zentralen Hochhausturm, in dem die Büros von Partei- und Bezirksleitung sich befinden werden.“

Tatsächlich soll ein alles überragendes stalinistisches  Hochhaus als Dominante Berlin beherrschen. Am Ende aber bleiben von den hochfliegenden Plänen nur eine Tribüne und ein gigantischer Aufmarschplatz für 275 000 Menschen. Der Aufmarsch- und Paradeplatz umfasst den im „Dritten Reich“ zu gleichen Zwecken gepflasterten Lustgarten und reicht vom Alten Museum im Norden bis zum Staatsratsgebäude im Süden. Das Staatsratsgebäude dient der äußeren Repräsentation des künstlichen Staatsgebildes, die reale Macht aber, das Zentralkomitee der Einheitspartei SED, verschanzt sich nebenan in der steinernen  Reichsbank. Zur Sicherheit wird die Umgebung von verbliebener Bebauung geräumt.

Nach dem Hohenzollern-Schloss verschwindet ein Jahrzehnt später auch das Gegenüber jenseits der Spree, die Reste der historischen Altstadt mit ihren Handwerker- und Bürgerhäusern, und ihrem Gewirr von Straßen, Plätzen und Gassen. An die Stelle historischer Nachbarschaft von Bürgerstadt, Kirche und Schloss tritt, vom neuen Marx-Engels-Platz bis zum Alexanderplatz, gähnende Leere.

Morgen: Teil 9 „Sozialistische Siegessäule und Palast“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (7/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Gleichschaltung und „Volksgemeinschaft“

Hatte in der Folge der sozialen und demokratischen Revolution von 1918 die Weimarer Republik  auch die bürgerschaftliche Selbstverwaltung der Städte und Gemeinden gestärkt und durch die Weimarer Reichsverfassung garantiert, wird 1935 mit der Gleichschaltung im nationalsozialistischen Einheitsstaat, dem „Führerprinzip“ und dem  „Einklang der Gemeindeverwaltung mit der Partei“ auch die kommunale Selbstverwaltung abgeschafft. Die Macht des Bürgermeisters leitet sich vom „Führer“ ab. An die Stelle eines durch Recht und Gesetz und die Teilung der Gewalten kontrollierten Ausgleichs gesellschaftlicher Interessen treten Willkür, Zwang, Gewalt, Raub und Mord. Die bunte, vielfältige, widersprüchliche, individualistische und pluralistische Massengesellschaft wird gleichgeschaltet zur „Volksgemeinschaft“. Das „Volk“ wird, je weniger das Volk zu sagen hat, in Wort-Kompositionen inflationär: Volksgerichtshof, Volkssturm, Volksempfänger, Volkswagen –  der Propagandaminister leitet ein Ministerium für Volksaufklärung. Architektur und Städtebau werden zu Kulissen pseudodemokratischer Choreografie zur Inszenierung jubelnder Massen unter Fahnenmeeren. In der Reichshauptstadt gipfelt dies in den Plänen zur Errichtung der „Welthauptstadt Germania“, für deren megalomane Nord-Süd-Achse bereits Tausende Berliner Wohnungen dem Abriss geopfert werden, bevor der Weltkrieg sein Vernichtungswerk beginnt und schließlich Berlin in Schutt und Asche legt.

Morgen: Teil 8 „Demokratischer Zentralismus“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (6/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Demokratie ohne Autorität

Das Ende des Ersten Weltkriegs und des Kaiserreichs verschärft mit der plötzlichen Umwälzung aller Verhältnisse und der Nachkriegsnot die gesellschaftlichen Spannungen und Gegensätze. Die Demokratie, im 19. Jahrhundert zunächst durch ein freiheitlich gesinntes Bürgertum geprägt, ist durch eine sich ausbreitende Arbeiter- und Volksbewegung zur modernen Massendemokratie herangewachsen mit Pressefreiheit, freien, gleichen und geheimen Wahlen, Gemeindevertretungen und Parlamenten, Parteien und Gewerkschaften, Streiks, öffentlichen Versammlungen, Aufzügen und Kundgebungen. Jetzt wird nicht nur dem vierten Stand, den Arbeitern, sondern seit 1918 auch dem „fünften Stand“, den Frauen, durch das Frauenwahlrecht Mitwirkung und Mitbestimmung eröffnet. Dem Volk und seiner neuen Freiheit aber stehen fremd bis feindselig beharrende und überforderte Kräfte gegenüber und mit ihnen die durch Obrigkeitsdenken geprägten staatlichen Machtorgane – Verwaltung, Justiz, Polizei und Militär. Die Demokratie ist ohne Autorität. Die Auseinandersetzung um die Lösung gesellschaftlicher Konflikte verlagert sich aus gewählten Volksvertretungen auf die Straße. Radikale sozial- und nationalrevolutionäre Kräfte nutzen die Versammlungs- und Vereinigungs-freiheit, um die ungefestigte parlamentarische Demokratie durch uniformierte Aufmärsche und Straßenkämpfe zu erschüttern. Sie schüren Rassen- und Klassenhass und versprechen mit der Vernichtung innerer und äußerer Feinde nationales Heil und soziale Harmonie. Die junge Demokratie ist ihr erklärter Feind und das Opfer kommender Gewaltherrschaft.

Morgen: Teil 7 „Gleichschaltung und Volksgemeinschaft“

 

EVENTS zu IBA und U55

Heute Abend gibt es eine Veranstaltung zum Thema IBA 2020 in Tempelhof und eine andere zum Bau der U55 Unter den Linden. Siehe Eventkalender.

Eine Mitte der Bürgerschaft (5/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Berlin wird Weltstadt – das Stadthaus

Mit dem historischen Jahr 1871 erlebt die Reichshauptstadt einen weiteren, noch gewaltigeren Entwicklungsschub. Die Gründerzeit verwandelt die Großstadt in eine Weltstadt. Schließlich vereint Groß-Berlin in seinen neuen Grenzen fast 4 Millionen Menschen.

Mit dem raschen Wandel der Arbeitsteilung und der Trennung der Funktionen in der modernen Industrie- und Dienstleistungsgesellschaft entwickeln sich neue gesellschaftliche Schichten und Klassen und mit ihnen Arbeiterviertel, bürgerliche Wohn- und Villenviertel, Mischgebiete, Industrie- und Gewerbegebiete, Erholungs- und Sport-, Versorgungs- und Verkehrsanlagen.

Die Stadtmitte teilt sich in vielfältige Stadtzentren, in Mittelpunkte politischer und kultureller Repräsentation und Administration ebenso wie in Einkaufs- und  Dienstleistungszentren, Versorgungs- und Bildungszentren, Unterhaltungs- und Vergnügungszentren sowie Stadtteilzentren aller Art.

Schon um 1900 reicht das Rote Rathaus nicht mehr zur Verwaltung dieser dramatisch wachsenden Stadt, so dass von 1902 bis 1911 am benachbarten Molkenmarkt ein „Zweites Rathaus“ errichtet wird – noch größer der Bau und noch höher der Turm: das monumentale „Stadthaus“ mit fünf Innenhöfen und einem „Bärensaal“ für öffentliche Feiern der Bürgerschaft.

Morgen: Teil 6 „Demokratie ohne Autorität“

 

Sieben Thesen von „Think Berlin“: Bitte keine IBA auf Krücken

— Nachricht — Stadtplaner der Gruppe “Think Berlin plus”, zu der auch der Architekturprofessor Harald Bodenschatz von der TU Berlin gehört, fordern den Abschied von der Internationalen Bauausstellung IBA 2020, wenn von der Senatsverwaltung kein überzeugendes Konzept entwickelt würde. In einem Thesenpapier kritisieren sie, die IBA hätte keine ausreichende thematische Botschaft, kein räumliches Gliederungskonzept und die Debatte wäre nicht transparent und nicht ergebnisoffen. Vor allem die Beschränkung auf das Berliner Problemthema Wohnen werde dem Instrument einer Bauaustellung nicht gerecht. Als “Welthauptstadt der Bauausstellungen’ stünde Berlin in einer Tradition und müsse neue Maßstäbe setzen. Am Mittwoch soll die IBA 2020 im Ausschuss für Stadtentwicklung diskutiert werden.

Hier die Thesen von „Think Berlin plus“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (4/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Berlin wird Großstadt – das Rote Rathaus

Unter dem Einfluss der Aufklärung und der französischen Revolution regen sich die Anfänge modernen bürgerlichen Lebens, entwickelt sich aus dem Hofstaat und seinem Umfeld, aus Beamten und Offizieren, Gelehrten und Pädagogen, Wissenschaftlern und Medizinern, Theologen und Philosophen, Musikern und Literaten ein der Welt aufgeschlossenes Bildungsbürgertum. Es wohnt und lebt vorwiegend in den westlichen Stadterweiterungen, in Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt, aber auch in der Altstadt. Mit den Befreiungskriegen, ersten Volksbewegungen und den preußischen Reformen wachsen Selbstbewusstsein und unternehmerischer Spielraum des Bürgertums. Mit der Abschaffung der Leibeigenschaft, mit  Freizügigkeit  und Landflucht bilden sich Arbeits- und Warenmarkt und unternehmerisches Eigentum. Städten und Gemeinden werden unter staatlichem Dach Selbstverwaltung eingeräumt und stadtbürgerliche Freiheiten zurückgegeben. Aus Handwerksbetrieben und Manufakturen entwickeln sich Industriebetriebe und große Unternehmen. Gesellschaft und Wirtschaft wird Dampf gemacht. Bereits 1822 beobachtet der Berliner Student Heinrich Heine, wie mit Dampfmaschinen die Schlossbrücke  errichtet wird. Für das Neue Museum der Museumsinsel liefert Ernst Borsig Dampframmen und Dampfaufzüge. Seine Dampflokomotiven und ein wachsendes Schienennetz reißen die Zollschranken nieder und bereiten von Berlin aus den Weg zur wirtschaftlichen und politischen Einheit Deutschlands. Im Jahre 1848 macht eine Telegrafenleitung von Berlin zur Frankfurter Nationalversammlung ein frisch gegründetes Unternehmen berühmt – Siemens und Halske, das wie auch Emil Rathenaus AEG die spätere Reichshauptstadt zur Elektropolis machen wird.

Sinnbild der Historie von der Altstadt des Mittelalters zur Großstadt der Neuzeit ist das Rote Rathaus, in den Jahren 1860-67 am Ort der Gerichtslaube aus dem 13. Jahrhundert errichtet. (Die Gerichtslaube ziert heute als historisches Denkmal den Park von Babelsberg.) Das neue Rathaus der Großstadt Berlin ist ein mächtiger Bau und mit dem Rathausturm, höher als die Kuppel des Stadtschlosses, weithin sichtbarer Ausdruck eines neu erwachten großstädtischen Bürgersinns.

Der Rathauskubus – drei Mitteltrakte teilen die Vierflügelanlage in drei Höfe – erinnert mit seinen hohen Rundbogenfenstern und dem über dem Eingangsportal emporwachsenden Turm an Renaissance-Palazzi und Rathäuser stolzer italienischer Stadtstaaten. Der rote Backstein gibt dem Rathaus Namen und Tradition. Romantischer Historismus erzählt von märkischer Baukultur und die „Steinerne Chronik“ eines Terrakottareliefs von der Geschichte Berlins und Brandenburgs vom 12. Jahrhundert bis zum Jahr 1871.

Morgen: Teil 5 „Berlin wird Weltstadt – Das Stadthaus“

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (3/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Altstadt im Schattendasein

Der Niedergang der Hanse, dieses frühbürgerlichen Vorläufers der modernen europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, ist mit der Herausbildung von Territorial- und Nationalstaaten vorgezeichnet. Es sind die kurfürstlichen Hohenzollern, denen es gelingt, die Mark Brandenburg zu erweitern und gegen den Widerstand des Landadels und unwilliger Städte als Territorialstaat zu festigen. Berlin und Cölln wehren sich gegen den Bau eines burgartigen Schlosses auf der Spreeinsel und fluten im  „Berliner Unwillen“ die Baugrube. Vergeblich. Kurfürst Friedrich II. „Eisenzahn“  bändigt die Städtebünde, beendet die Fehden und Räubereien des Landadels und stärkt seine fürstliche Autorität durch Bau der Schlossfestung und Gründung des Berliner Domes.

Wie kein anderes Land wird die Mark Brandenburg im Dreißigjährigen Krieg durch kaiserliche und schwedische Söldnerheere verwüstet und entleert. Berlin verliert die Hälfte seiner Einwohner. Dem Großen Kurfürsten aber gelingt es, in einem halben Jahrhundert reformfreudiger Herrschaft das Land für Zuwanderer und Flüchtlinge zu öffnen und zu stärken. Berlin erholt sich. Unter dem „preußischen Sonnenkönig“  Friedrich I. werden das Stadtschloss, der deutsche und französische Dom am Gendarmenmarkt und das Zeughaus errichtet und 1709 Berlin, Cölln, Friedrichswerder, Dorotheenstadt und Friedrichstadt zur barocken „Haupt- und Residenzstadt Berlin“ des Königreichs Preußen vereinigt. Friedrich der Große macht Preußen zur europäischen Macht. Unter den Linden entstehen Oper, St. Hedwigs – Kathedrale und Bibliothek. Im Glanz und Gloria der königlichen Residenzen in Berlin und Potsdam aber und mit der Entwicklung der Stadt nach Westen fällt das alte Berlin östlich der Spree in ein Schattendasein.

Morgen: Teil 4 „Berlin wird Großstadt – das Rote Rathaus“

 

EVENT Mieterbewegung

Heute um 14 Uhr gibt es eine Diskussionrunde zum Thema Mieterbewegung, auf der auch Stadtsoziologe Andrej Holm (Gentrification-Blog) mitreden wird. Siehe Eventkalender.

Die galaktische Mitte

Für die Architektin Petra Kahlfeldt muss ein Stadtkern die Kraft haben, den Rest der Stadt zusammenzuhalten. Das klingt physikalisch. Dass ein Freiraum wie das Rathausforum in Mitte das könnte, glaubt sie nicht. Und da wird es galaktisch, denn sie möchte aus einem schwarzen Loch eine Sonne machen, den Ort downgraden. Dort müsse gebaut werden, sagt sie auf einer CDU-Veranstaltung am Dienstag, und zwar für alle Berliner. Sie möchte Bauten mit Bauten zusammenhalten, die Bezirke Berlins mit einer Mitte-Architektur anführen, die sich gewaschen hat. Das kann man Herausforderung nennen. Aber funktioniert das?

Nicht in der Milchstraße. Milliarden Sonnen werden hier nicht durch eine Riesensonne zusammengehalten, sondern durch etwas, das anders ist als alles andere: dunkel und negativ. Das schwarze Loch im Zentrum der Galaxis hält den Laden zusammen, weil es die strahlenden Massen aufwiegt, ohne selbst Licht auszustrahlen. Kann Architektur sowas leisten?

Nein, kann sie nicht. Das städtebauliche Negativ, das wir an dieser Stelle brauchen, mit positiver Wirkung auf das Umfeld, das ja immer mehr verdichtet wird, ist ein Freiraum. Das neue Schloss, die Kronprinzengärten, die Stadthäuser am Schinkelplatz, die Türme vom Alex, die Blöcke am Molkenmarkt, der Litfassplatz am Hackeschen Markt, das Redevco-Haus an der Rathausstraße – das ist die neue Masse, die die Mitte der Mitte, das Rathausforum, zusammenhalten muss. Astronomisch funktioniert das nur über einen Kontrast. Kann für Berlin verkehrt sein, was in der Milchstraße geht?

Akzeptieren wir das grüne Loch! Wer hier baut, dessen Architekturen wird es verschlingen. Der Hunger dieser Mitte ist unerbittlich, wie die Historie zeigt, und die Sättigungszeiten sind kurz. Schon sperrt sie wieder das Maul auf. Und die Berliner werfen ihr das nächstbeste Stücken Brot in den Rachen. Mahlzeit.

[flattr btn=’compact‘ cat=’images‘ tag=’Rathausforum‘, ‚galaktisch‘ /]

 

Eine Mitte der Bürgerschaft (2/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Schöne Aussicht?

Welchen Blick aber, welche „schöne Aussicht“ wird Franco Stellas „Bellevue“ eröffnen, der neue Ostflügel von Schloss und Humboldtforum, auf das historische Berlin östlich der Spree, dort wo einst die Bürgerstadt Berlin entstand? Dazu ein Zitat Günter de Bruyns aus „Unter den Linden“:

 „Was die Kaiserzeit von dem rechts der Spree gelegenen alten Berlin übriggelassen hatte, wurde im Zweiten Weltkrieg zertrümmert und in den Nachkriegsjahrzehnten in eine vom Fernsehturm überragte innerstädtische Leere verwandelt, in der die Betonatrappe des Nikolaiviertels nur schlecht ans Verlorene erinnert und die erhaltene Marienkirche wie ein Fremdkörper wirkt.“

Es ist ein unwirkliches Bild, das sich da bietet, ein sonderbarer Raum. Im Vordergrund eine Kultstätte: ein großes grünes Quadrat um einen steinernen Kreis, in der Mitte ein Standbild umgeben von Stelen und Bildwerken. Im Hintergrund ein futuristisch-außerirdisch anmutendes Panorama: eine sich in Dreiecksmustern und Wasserkaskaden steigernde Achse, hinauf zu einem mit  spitzen Stacheln weit ausgreifenden Sockel, darauf, gekrönt von einer drehenden Kugel, ein hoch in den Himmel ragender Betonturm.

Zwei große Backsteinbauten – Marienkirche und Rotes Rathaus – wollen nicht in dieses Bild passen. In schräger Randlage, ihrer historischen Umgebung entkleidet und bedroht von den Stacheln des Turmsockels,  reckt  St. Marien tapfer ihren kupfernen Turmhelm. Gegenüber, brandenburgisch rot der Backstein und aufrecht der Turm, behauptet sich, ohne Rathausplatz, in die Flucht hoher Plattenbauten gedrängt, das Berliner Rathaus.

Beide Bauten, Kirche und Rathaus, erinnern an die bürgerliche Geschichte Berlins, an die kleinstädtische des Mittelalters, an die großstädtische der Neuzeit.  Die Marienkirche, einst am „Neuen Markt“ gelegen, und die wenig frühere Nikolaikirche, einst am älteren Molkenmarkt, zeugen von der aufstrebenden Kaufmanns- und Handwerkerstadt des Mittelalters. Die Marienverehrung in einer damals neuzeitlichen Hallenkirche, einer bürgerlichen Sammlungs- und Versammlungsstätte, zeugt vom Wandel des Frauen-, Menschen- und Gottesbildes. Berlin schloss sich mit seiner Zwillingsstadt Cölln der norddeutschen Hanse an, dem Schutzbündnis freier gleichberechtigter Handelsstädte. Überall in den Hansestädten werden St. Nikolaus, dem Schutzpatron der Kaufleute und Seefahrer, und der Gottesmutter Maria als „Stella Maris“, rettender Stern auf hoher See, Stadtkirchen errichtet – in Backsteingotik, dem Kleid der Hanse. Berlin ist noch eine kleine Stadt in damaliger Zeit und St. Marien eine kleine Kirche verglichen mit der Mutterkirche der Backsteingotik, der gewaltigen Bürger- und Marktkirche St. Marien in Lübeck, dem Zentrum der Hanse, kleiner auch als der Backstein-Dom der Hansestadt Brandenburg an der Havel, der Ursprungskirche märkischer Gotteshäuser.

Morgen: Teil 3 „Altstadt im Schattendasein“

 

EVENT: Global discourses

Heute ab 9 Uhr findet im Center for Metropolitan Studies eine zweitätige Konferenz zum Thema Global Discourses in local contexts statt. Anmeldung nicht erforderlich. Siehe Eventkalender.

Eine Mitte der Bürgerschaft (1/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Staatsbürgerliche, weltbürgerliche und bürgerschaftliche Mitte

Berlins staatsbürgerliche Mitte liegt vor dem Tor der historischen Stadt, dem Brandenburger Tor. Sie ist die neue nationale Mitte der Bundeshauptstadt, geprägt durch den Reichstag, die neuen Bauten des Bundestages und das Kanzleramt im Spreebogen. Die neue Reichstagskuppel ist wie das historische Brandenburger Tor zum Nationalsymbol geworden wie auch das Holocaust-Mahnmal, das an den Abgrund der deutschen Geschichte erinnert. Die Besucherschlange vor dem Reichstag und die nationale Feier-, Fan- und Partymeile vor dem Brandenburger Tor beweisen die Freude der Bürger der Republik über das Ende von Krieg, Teilung und Diktatur und den Stolz auf ihre in Freiheit wiedervereinigte alte und neue Hauptstadt.

Durch das Brandenburger Tor gelangt man Unter den Linden vorbei am Gendarmenmarkt über das Forum Fridericianum auf die Schloss- und Museumsinsel, dem historischen Mittelpunkt Berlins als kurfürstliche, königliche und kaiserliche Residenzstadt. Das in seinen Umrissen wieder erstehende Barockschloss wird Erinnerungen wecken an brandenburgische, preußische und deutsche Geschichte und mit den Zeugnissen der Weltkulturen im Humboldtforum, mit benachbarten Museen, Bibliotheken und Opern, mit Dom und Kathedrale zu einem Kulturzentrum mit weltweiter Ausstrahlung werden, ein Ort nicht nur nationaler, sondern auch internationaler Identität. Hier wird Berlin zur Weltbürgerstadt.

Morgen: Teil 2 „Schöne Aussicht?“