Nathaniel, der Weise

Nathaniel, so heißt der Investor, der den Checkpoint Charlie bebaut. Wir könnten uns keinen besseren wünschen, denn der Mann ist sich seiner historischen Aufgabe bewusst. Er zeigt sich willens, mit Berlin zusammenzuarbeiten, ja er macht den Berlinern sogar Geschenke: eine Freifläche ist im Gespräch, die eine Art Stadtplatz bedeuten würde (aber privat ist) und die das erhalten würde, wovon die Massen vor Ort schon heute profitieren: Raum, sich zu bewegen.

Viel Platz drumherum und dahinter: Das Haus der Stiftungen steht frei auf dem Grundstück (Foto: André Franke)

Zwanzig Jahre lang war von so was nicht die Rede gewesen. Die verbliebenen freien Grundstücke sollten mit der Berlin-typischen Blockrandbebauung „gefüllt“ werden. Kein Platz, keine Auffälligkeiten, nichts Besonderes. Die Baulücke sollte nach der „Einfügungsklausel“ des Paragrafen §34 des Baugesetzbuches geschlossen werden und das Leitbild von der Europäischen Stadt konsequent weiterverfolgt werden.

Applaus für die aufgebrochene Europäische Stadt!

Jetzt kehrt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sich davon ab! Ein Fachkolloquium erwägt, die in der Friedrichstadt bereits wieder aufgebaute Rasterstruktur der Blöcke an der Stelle des Checkpoint Charlie „aufzubrechen“ und mit städtebaulichen Mitteln an die Zeit der Berliner Mauer zu erinnern. Zwar soll ein Großteil der bis heute verbliebenen Freiräume bebaut werden, aber neben der geplanten 1.000 Quadratmeter großen Freifläche direkt an der Friedrich- /Ecke Zimmerstraße könnte auch eine Freifläche östlich der Friedrichstraße entstehen. Sie würde die Raumwirkung vergrößern, und ein Hochhaus würde sie flankieren, das bei der Präsentation der aktuellen Planung am Montag auf einer Abbildung zu sehen war. — Applaus! Ich war (fast) der Einzige, der klatschte. Genau das wünschte ich mir für die Zukunft des Checkpoint Charlie in einem Blogartikel, den ich vor zwei Jahren schrieb (siehe hier) … Ein Platz, einen Tower, eine Begegnungszone, bessere Busrouten.

Es läuft die Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Ergebnisse beeinflussen den Bebauungsplan, den die Verwaltung jetzt aufstellt und der (jetzt noch) formbar ist, wie Manfred Kühne klar macht. Er arbeitet in der Abteilung städtebauliche Projekte (bei SenStadt) und zwar schon Jahrzehnte lang. Am Montagabend steht er im Rampenlicht des Asisi-Panoramas (wo die Veranstaltung stattfindet) und sagt, weil es ihn blendet, dass nicht er (und ein Mitarbeiter aus der Kulturverwaltung) die Stars seien, sondern das Projekt. Eine weise Attitüde!

Areal am Checkpoint Charlie beiderseits der Friedrichstraße (Bild: URBAN CATALYST GmbH)

Kühne und Nathaniel machen dieses Projekt. Sie bauen den Checkpoint Charlie von morgen, auf der Grundlage UNSERER Wünsche. Kühne betont: „Empfehlen Sie uns …!“ Damit ruft er im Namen seiner Verwaltung die Anwohner, Gewerbetreibenden, die Touristenführer auf, ihre Erfahrungen in die Neugestaltung einzubringen. Deutlicher kann man das nicht tun.

Ein gnädiger Investor, eine offensive Verwaltung (die auf Nathaniel in den letzten Jahren zuging), aber wo ist der Haken? Nathaniel, der Kluge, kann jederzeit die Reißleine ziehen. Wie der Investor auf Nachfrage aus dem Publikum erklärt, hat seine Firma, die Trockland Management GmbH, die Grundschuld der Grundstücke gekauft. Die Grundstücke selbst verbleiben aber beim Land Berlin. Sollte die Annäherung zwischen Investor, Verwaltung und der Öffentlichkeit platzen, dann kann Nathaniel von heute auf morgen den Joker ziehen. Das heißt, die Grundstücke gehen an ihn, er kann die Flächen ohne Bebauungsplan nach §34 bebauuen (ohne die Interessen Berlins zu berücksichtigen) und wir bekommen die für den Checkpoint Charlie so wichtige Freifläche nicht.

Ein Gönner am Checkpoint Charlie, ein Nutznießer an der Spree

Nathaniel ist ein symphatischer Investor. Er tritt von selbst auf die Bühne im Asisi-Panorama und antwortet auf die Fragen des Publikums. Aber eine ist dabei, die mit dem Checkpoint Charlie nichts zu tun hat, eine Frage, die Berlin als Ganzes tangiert: Die Trockland baut eben auch woanders an der Mauer. Sie baut an der East Side Gallery. Dort wird mit dem Projekt Pier 61/63 bekanntlich ein langer Hotelriegel in den Sand gesetzt, der in direkte Konkurrenz zur East Side Gallery tritt. Bei den Künstlern der East Side Gallery hat Nathaniel, der Weise, keinen guten Stand. Sie misstrauen ihm. Wieder wurden Gemälde der Gallery für eine Baustellen-Zufahrt herausgerissen und aus dem zusammenhängenden Mauerverlauf entfernt – wie damals 2013 beim Bau von Living Levels, gleich nebenan. Der kluge und weise Nathaniel wird hier zum Pragmatiker, Opportunisten. Er antwortet einem empörten Künstler sachlich und kurz. Die Trockland habe das Projekt mit einem Bauvorbescheid übernommen.

Damit ist Nathaniel aus dem Schneider. Das Karussel dreht sich weiter, und Manfred Kühne muss ran. Er schiebt die Schuld (hart ausgedrückt) auf … einen vormaligen Senatsbaudirektor „unseres Hauses“, der seinerzeit die Bebauung des Spreeufers konsequent vorangetrieben habe. Was wird mir doch im Laufe der Zeit der Verwaltungsmensch Kühne verständlich. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich sehe einen Handwerker, der aufrichtig, mit den beschränkten Mitteln der Stadtplanung, im Angesicht der Gesetze (das darf man bei der Betrachtung von Amtsarbeit nicht aus den Augen verlieren!) am Schicksal der Stadt Berlin feilt. Und von oben überfällt ihn das politische Wetter.

Das „Pier 61/63“ ist der „böse“ Bau an der East Side Gallery. Der Living Levels Tower geht bei mir tatsächlich als „guter“ durch. (Muss ich erklären, aber nicht hier…)

Beim Pier 61/63 wäscht sich Nathaniel die Hände im Becken von Politik und Verwaltung, und wir müssen die Schuldigen an der Misere von Mediaspree bei den Politikern von gestern suchen. Das ist relativ reizlos und eine Schwäche der Demokratie. Es können keine Köpfe mehr rollen, wenn die Köpfe schon auf dem Sofakissen ruhen.

Adressat für Veränderung, fürs Bessermachen, fürs Ruder-Rumreißen bleibt immer die Politik von heute (nicht die Verwaltung, der die zweifelhaft-glorreiche Aufgabe obliegt, die Ergebnisse politischer Gesten zu kommunizieren, und diese Aufgabe, diesen Spagat zwischen Gestern und Heute, hat Manfred Kühne mittlerweile eben zur Perfektion gebracht). Deshalb rufe ich den Vorschlag von Annette Ahme hier ab: für das Pier-Projekt an der East Side Gallery der Trockland ein Ersatzgrundstück anzubieten. Möge sich ein weiser Politiker dafür finden.

Bald Berlins dritte Begegnungszone? Hoffentlich! (Foto: André Franke)

Ginge es nach mir, Herr Nathaniel, dann nähmen Sie bitte das amtlich garantierte Bauvolumen vom Spreeufer und packten es auf den Checkpoint Charlie oben drauf!!! – Mit der einzigen Anmerkung, ja Bedingung, es in die Vertikale zu bringen, damit uns die Freifläche bleibt. Wenn in Berlin nämlich ein Hochhaus von 150 Meter Höhe (und mehr) gebaut würde, dann sollte es nicht der Hardenbergplatz, nicht das Estrel in Neukölln, nicht einmal der Alexanderplatz sein, der als Standort dafür diskutiert wird. Der Checkpoint Charlie erzählt die stärkste Geschichte Berlins. Genau hier brauchen wir die ambitionierteste Architekturmarke der früheren Frontstadt.


NÄCHSTE VERANSTALTUNGEN

  • Mo, 4. Juni, 18 Uhr: Themenabend: Städtebau, Verkehr, Freiraum, Ort: FORUM Factory, Besselstraße 13-14
  • Mi, 4. Juli, 18 Uhr: Diskusion der Ergebnisse, Ort: tba (siehe auch unter: berlin.de)
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