Beiträge

„Welcome Goodbye“ – Tourismuspolitik und Stadtentwicklung in Berlin

Welcome Goodye— Mitteilung von Helle Panke e.V. über Veranstaltung in der Reihe Linke Metropolenpolitik —

„This is so Berlin!“ – mit diesem Spruch beschreiben viele Berlinbesuchende die Erlebnisse in dieser Stadt. Darin findet sich auch die Begründung für die Attraktivität der Hauptstadt: Authentizität und Selbstreferentialität stehen für Berlin, oder wie Hildegard Knef es auf den Punkt brachte: „Berlin bleibt doch Berlin!“ Die Rekorde der Besucherzahlen übersteigen sich jährlich von neuem, und für die nächsten Jahre verspricht der Regierende Bürgermeister, die 30 Millionenmarke zu „knacken“.

Jedoch gilt der nicht fertig werdende Hauptstadtflughafen inzwischen unter Tourismusexperten als zu klein, und es muss gefragt werden, wie die Tourismuspolitik in Berlin eigentlich gestaltet wird und wie stadtentwicklungspolitisch die Weichen gestellt werden.

In der Veranstaltung wird die Regisseurin Nana Rebhan ihren Film „Welcome Goodbye“ zeigen und mit Katrin Lompscher, Sprecherin für Stadtentwicklung, Bauen und Wohnen der Berliner Linksfraktion, über aktuelle Themen wie Wohnungsnot und Ferienwohnungen sowie über Perspektiven für eine soziale Stadtentwicklung in der wachsenden Metropole diskutieren.

Moderation: Katalin Gennburg (Stadtforscherin)


Montag, 22. Februar 2016

Helle Panke
Kopenhagener Str. 9
10437 Berlin

Kosten: 2,00 Euro

Rasen vor dem Reichstag, Juni 2015

Am Reichstag: Die Toten kommen, der Rasen geht

Der Rasen am Reichstag hat durch die Gräber-Demo gelitten. Er ist überhaupt fehl am Platze und sollte gepflastert werden – zumindest teilweise …

Rasen vor dem Reichstag, Juni 2015

Achtung: Frisch gesät! Der Reichstagsrasen ein paar Tage vor dem „Überfall“ durch das Zentrum für politische Schönheit am 21. Juni 2015 (Foto: André Franke)

Gras sollte drüberwachsen. Doch die Demonstranten vom „Zentrum für politische Schönheit“ trampelten den frisch gesäten Rasen auf dem Platz der Republik bei ihrem Protest gegen die Europäische Flüchtlingspolitik am Sonntag gleich wieder platt. Schlimmer noch: Sie huben Erdreich aus und errichteten Gräber mit Kreuzen und Grabsteinen. Jetzt ist die 50.000 Euro teure Rasensanierung für die Katz.

Und ich sage: Macht nichts. Warum steuern denn wir am Platz der Republik Entwicklungen entgegen, die stärker sind als der Zirkel der Stadtplanung? Die Trampelpfade und Trampelflächen vor dem Reichstag zeigen doch deutlich, welche Platz- und Wegestrukturen die existente Nutzung dem Ort hier aufdrückt. Anstatt immer wieder neuen Rasen zu säen und dafür monatelang im Sommer den Platz einzuzäunen und ihn Berlinern und Besuchern vorzuenthalten, sollten wir den Platz der Republik neugestalten und zwar so, dass dort, wo kein Gras mehr wächst, weil hochfrequentiert betreten, Pflastersteine zum Einsatz kommen. Das ergäbe übrigens lebhafte Strukturen, wie das Foto oben erahnen lässt. Die Stadt weiß selbst, was sie am Besten braucht.

Nebenbei gesagt, war ich froh, als ich die Massen am Sonntag auf der Wiese sah! Vier Wochen ohne den Platz der Republik – das hält man als Stadtführer kaum aus. Ob der Bauzaun jetzt eingerissen wurde oder in ein paar Tagen sowieso abgebaut werden sollte, macht da keinen großen Unterschied. Leider bleibt der Platz wegen der Aktion jetzt bis Ende Juli gesperrt. 10.000 Euro Schaden seien entstanden, ist heute zu lesen. Die Linke im Bundestag will die symbolischen Gräber sogar als Mahnung erhalten. Doch sie werden bereits beseitigt.

Die Morgenpost über die Gräber-Demo am 21.6.2015

Das Kreuz mit der Urbanität

Alle wollen sie, aber jeder versteht unter ihr etwas anderes. Auch im Salon von Lea Rosh letzten Montag bemühten die Gäste den Begriff von der Urbanität, als es erneut ums Rathausforum ging.

„Wir glauben, dass man Urbanität nur durch die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses herstellen kann“, sagte Gerhard Hoya von der Gesellschaft Historisches Berlin.

Doch Wolf-Dieter Heilmeyer von der Stiftung Zukunft Berlin verwies darauf, dass Urbanität auch soziologisch interpretiert werden kann. Leider wurde die Frage nicht weiter vertieft. Das Thema verdient sogar eine eigene Veranstaltung, finde ich: Was meint wer mit Urbanität?

Ein Buch, die Dissertation von Thomas Wüst, „Urbanität: ein Mythos und sein Potenzial“, auf das ich gestoßen bin, gibt schon mal einige Antworten, wenn auch nicht direkt zum Berliner Rathausforum.

Auch auf einen studentischen Projektbericht zum Thema Nutzungsmischung im Städtebau der TU Berlin bin ich in meinem Archiv gestoßen, bei dem wir im Jahre 1999 die Urbanitätsdebatte zusammenfassten. Hier ein Auszug:

+++

Eine der Zielsetzungen, die oft im Zusammenhang mit Nutzungsmischung diskutiert wird, ist die Erhaltung bzw. die Schaffung von Urbanität. Eine intakte funktionsgemischte Stadtstruktur wird häufig als Voraussetzung für Urbanität angesehen. Dieser Meinung ist z.B. Hunkenschroer, die als eine Vertreterin dieses Leitbildes der Stadtentwicklung bezeichnet werden kann.

”Die Mischung von Wohnen und Arbeiten kann in vielfältiger Weise auch in unserer Gesellschaft dazu beitragen, der Verödung von Stadtquartieren etwas entgegenzusetzen. Durch die Überlagerung mannigfacher Funktionen in dichten Strukturen entsteht Öffentlichkeit, da sich unterschiedliche Personen zu mehreren Tageszeiten im öffentlichen Raum (meist auf der Straße) aufhalten.” (Hunkenschroer, 1995: S.20)

Dabei ist für Hunkenschroer Dichte ein zentrales Merkmal von Urbanität. So sei eine Mindestdichte an Bewohnern in einem Quartier nicht nur die Voraussetzung für die Rentierlichkeit sozialer und technischer Infrastruktur sowie für Kommunikationsprozesse und Informationsflüsse.

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts:  (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts: „Lebendigkeit im öffentlichen Raum“. (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Den Dichtebegriff bezieht Hunkenschroer darüberhinaus auch auf das Maß an städtebaulicher Konzentration (vgl. ebd.).

”Die bauliche Dichte ist auch die Voraussetzung für die Lebendigkeit im öffentlichen Raum.” (ebd.: 101)

Der urbane Charakter eines Gebietes werde jedoch endgültig erst durch eine hohe Interaktionsdichte zwischen den Bewohnern erreicht. Das bedeutet, daß unterschiedliche Nutzungstypen, wie z.B. Wohnen und Versorgung, auf einen kleinen Raum konzentriert werden müssen, und auf diese Weise eine fußläufige Erreichbarkeit ermöglicht wird. Die Folge dieser schnellen Erreichbarkeit ist, daß die Nutzung der im Gebiet ansässigen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen intensiviert wird, und somit der urbane Charakter des Gebiets zunimmt.

Hoffmann-Axthelm beschäftigt sich insbesondere mit der inszenierten Urbanität, die er als von der eigentlichen Stadt gelöst sieht. Demnach sind urbane Lebensverhältnisse nicht mehr an die Stadt gebunden. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996). Vor dem Hintergrund der Suburbanisierung ist Urbanität für ihn der Stadtrest, …

”den diejenigen mitnehmen wollen, die sich aus dem Sozialvertrag Stadt (…) herausstehlen ins grüne (…) Umland” (Hoffmann-Axthelm 1996:55).

In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Typen von künstlicher Urbanität:

Der erste sei die gewöhnliche Innenstadt mit Einkaufszentren, die im geschützten Innenraum Stadt simulieren. Urbanität bedeutet hier Einkaufs- und Freizeitumgebung, verknüpft mit Kino, Restaurants, Cafés und Warenhaus. Die Mischung beschränkt sich hierbei auf das oben genannte Angebot an Konsumeinrichtungen, klammert jedoch eine Vielzahl an Funktionen, wie z.B. Handwerk, produzierendes Gewerbe und bestimmte Dienstleistungen, aus.

Im Vergleich zu diesem Urbanitätstyp ist der Zweite nur noch auf tourismusorientierte Funktionen beschränkt. Hoffmann-Axthelm beschreibt, daß sich das städtische Geschehen in den historischen Zentren fast ausschließlich auf die Erdgeschoßbereiche konzentriert.

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Die dritte Art von inszenierter Urbanität ist fast vollständig von der Nutzungsmischung losgelöst. Das heißt Lebendigkeit wird durch eine Festivalisierung der Städte erzeugt, wobei sie ausschließlich wegen bestimmter Ereignisse oder Attraktionen besucht werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Neubau von Unterhaltungskomplexen, wie z.B. am Potsdamer Platz in Berlin. (vgl. ebd.). Hier gruppieren sich die Investitionen um einen ”unterhaltungsindustriellen Kern”.

”Bei Debis (…) ging es schon sehr früh um ein Musicaltheater. Der Medienkonzern Sony baut im Innern seines Komplexes eine riesige multimediale Bühne, einen Raum, der zugleich Bildschirm und Film, Stadtraum und simulierte Stadt ist.” (ebd.: 60)

Die Typisierung Hoffmann-Axthelms macht deutlich, daß Nutzungsmischung nicht das einzige Instrumentarium ist, um den städtischen Raum zu beleben. Von besonderer Bedeutung für sein Urbanitätsverständnis ist eine ausgewogene soziale Mischung, die zwangsläufig ein erhöhtes Konfliktpotential in sich birgt. Wenn man diese Mischung aus unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Bevölkerungsschichten sowie mehreren Generationen näher betrachtet, wird deutlich, daß ein hohes Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern erforderlich ist. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996) Dies kann jedoch nicht vorausgesetzt werden (vgl. Gruen 1975, Schäfers 1997, Hunkenschroer 1995).

Die sich aus der Mischung ergebenden Konflikte sind dagegen ein Hauptpunkt der Kritik am Leitbild der durch Nutzungsmischung erzeugten Urbanität. So schreibt Jakhel, daß die soziale Integration innerhalb eines gemischten Viertels nicht überschätzt werden sollte (Jakhel, 1976: S.83). Er bezweifelt, daß räumliche Planung Lebendigkeit im Stadtgebiet hervorrufen und die Integration des Stadtbürgers in das Stadtgeschehen bzw. in das Marktgeschehen fördern kann. Auch die Tendenz zur sozialen Segregation kann seiner Meinung nach nicht allein durch die Gestaltung des Raumes aufgehoben werden.

Eine ähnliche Haltung vertrat bereits Anfang der 60er Jahren SalinEr bezweifelt, daß Raumplanung tatsächlich urbane Verhältnisse erzeugen könne. Salin definiert Urbanität als …

”kulturell – gesellschaftliche Lebensform, weltoffene Haltung der Bewohner zueinander und gegenüber Fremden, aber nicht (als) die Qualität einer besonderen städtebaulich – räumlichen Struktur.” (in: Sieverts, 1998)

Literaturliste:

  • Hoffmann-Axthelm, Dieter 1996: Anleitung zum Stadtumbau. Frankfurt/M. New York
  • Hunkenschroer, Birgit 1995: Mischung von Wohnen und Arbeit als Potential für eine stadtverträgliche Gewerbentwicklung. Diplomarbeit. Berlin
  • Jakhel, Rudolf 1976: Illusion und Realität der ‚urbanen‘ City: Ein Beitrag zur Kritik der urbanistischen Ideologie, Aachen
  • Sieverts, T. 1998: Zwischenstadt, Braunschweig u.a.

+++

Ich bin mal gespannt, wie weit man sich bei der anstehenden Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ mit diesem Thema befassen wird. Die Auftaktveranstaltung dazu findet am 18. April statt.

Zum Thema Rathausforum und Urbanität siehe auch: „Hingehen, sehen lernen“ – Ein Interview mit Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil e.V. auf Futurberlin.de

Au weia! Tourismus in Berlin wächst langsamer – Schrumpfen aber nicht in Sicht

Ist das der Anfang vom Ende des Berlin-Tourismus? Im vergangenen April kommen weiterhin mehr Touristen nach Berlin, aber die Zuwachszahlen fallen diesmal geringer aus, berichtet das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg. Gemessen am gleichen Zeitraum des Vorjahres verbuchen die Berliner Beherbergungsbetriebe jetzt (nur noch) 3,4 Prozent mehr Gäste und 2,4 Prozent mehr Übernachtungen. Das könnte aber auch daran liegen, dass Ostern dieses Jahr in den März gefallen war. Auch die Anzahl der für die Gäste zur Verfügung stehenden Betten steigt weiterhin: Es sind jetzt schon insgesamt 128.900 in 784 Hotels. In der Statistik berücksichtigt sind Beherbergungsstätten mit mindestens zehn Schlafplätzen. Sie sind mit durchschnittlich 58 Prozent ausgelastet; Hotels mittlerer Größe (250 bis 500 Betten) sind es sogar mit 62 Prozent. Interessant an der Statistik ist auch, dass in Bezug auf April 2012 auffällig weniger Spanier (-36,9 Prozent) kommen, dafür aber mehr Briten (+24,8 Prozent) und Deutsche (+4,1 Prozent).