Detlev Kerkow präsentiert neue Waisenbrücke – am perspektivischem Standort

Schon in der Sommerakademie des Märkischen Museums im Juli hatte Detlev Kerkow, Architekturabsolvent der Beuth-Hochschule, seine Entwürfe für eine neue Waisenbrücke vorgestellt, die ihn und seinen Kollegen, Tom Walter, als Thema der Bachelor- und später der Masterarbeit jahrelang begleiteten. Entsprechend tiefsinnig, detailreich und anspruchsvoll sind die Ideen:

Eine Brücke reicht Kerkow nicht, es soll zwei geben – eine, die an die hölzerne Jochbrücke von Anfang des 18. Jahrhunderts erinnert und eine weitere für die dreibögige Steinbrücke aus der Kaiserzeit, die die erste ersetzt hatte.

Die Waisenbrücke im Historischen Hafen

Am Dienstag um 18 Uhr präsentiert Detlev Kerkow die Pläne im Museumskahn „Renate-Angelika“ im Historischen Hafen Berlin (Märkisches Ufer, U-Bhf. Märkisches Museum, U2). Und so sehen sie aus:

Blick aufs Märkische Museum am südlichen Spreeufer (Abb. Detlev Kerkow)

Blick aufs Märkische Museum am südlichen Spreeufer (Abb. Detlev Kerkow)

Detlev Kerkow plant keine Brücke, sondern einen vielseitigen Stadtraum. Die Waisenbrücke soll nicht nur Verkehr über die Spree führen. Sie soll auch die lokalen und touristischen Interaktionen verstärken, einen architektonisch-funktionalen Mehrwert haben. Dazu zählt, dass mit einer neuen Waisenbrücke auch der verwilderte, vom Wasser aus nicht erkennbare Platz vor dem Märkischen Museum wieder mit der Brücke ein Ganzes bildet.

Brückenaufgang vom Märkischen Museum aus gesehen. Auf der anderen Seite wartet die Stadtmauer (Abb. Detlev Kerkow)

Brückenaufgang vom Märkischen Museum aus gesehen. Auf der anderen Seite wartet die Stadtmauer (Abb. Detlev Kerkow)

Aufs Märkische Museum ausgerichet

Teil von Kerkows Brücken-Entwurf ist deshalb auch eine neue Platzgestaltung. Die Brückenköpfe sind ihm genauso wichtig wie die Brücke selbst. Bootsanleger, Räume für ein Café und (wegen der historischen Lage und dem Märkischen Museum als Institution für Vermittlung von Stadtwissen): ein Geschichtspfad sind ebenso mitgedacht im Konzept. Es lohnt sich, Detlev Kerkow zuzuhören.

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

„Und plötzlich begann der Bauwahnsinn“

Bausinn, Bauwahn, Bauwahnsinn? Ja, Bauen kann Sinn machen, und wahnsinnig machen vielleicht auch (siehe „Germania“). Oder muss man andersherum zuerst wahnsinnig sein, um zu bauen?

Senator Geisel lebe in einer Parallelwelt, die neue Liegenschaftspolitik sei eine Farce, und es gebe ein Kartell von Akteuren, die kleinteilige Nutzungsmischung auf Gebäudeebene verhindere. Das war gestern beim öffentlichen Stadtgespräch im Charlottenburger Stadtbüro von Katrin Lompscher zu hören – Sätze, die nicht von ihr kamen, sondern von den Gästen, dem Publikum.

Eventnotizen, quer durch den Gemüsegarten

Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf, das mit mehr als 900 Wohnungen bebaut werden soll, hieße jetzt „Friedenauer Höhe“, sagt jemand mit einem Lächeln auf den Lippen.

Es wurde kritisiert, dass das Land Berlin beim Projekt Elisabeth-Aue in Pankow weiterhin Grundstücke an Private verkauft (etwa 50 Prozent, wie ich hier neulich gelesen habe), anstatt sie zu behalten und ausschließlich in Erbbaupacht zu vergeben.

Es wurde erwähnt, dass ein Investor eine (billige) Bahnfläche am Westkreuz kaufen will, um sie zu bebauen und dass der Bezirk ihm das leicht mache.

Es wurde über die zwei Volksentscheide „Fahrrad“ und „Volksentscheide retten“ gesprochen, die beide für die Bundestagswahl 2017 zu spät kämen, weil sie von der Verwaltung torpediert würden (dazu ein Interview des Tagesspiegel mit Heinrich Strößenreuther vom Fahrradvolksentscheid). Es gäbe für die Verwaltung für die Bearbeitung keine Frist, was der „Retten“-Entscheid eben auch ändern wolle.

Berlin, die „Samsung-Stadt“

Katalin Gennburg, früher Stadtbüro-Mitarbeiterin von Katrin Lompscher, jetzt gewählte Abgeordnete aus Treptow, nannte in ihrer Agenda unter anderem, sie wolle großflächige Fassadenwerbung an Baustellen verhindern. Finde ich sehr symphatisch! Zwei Beispiele fallen mir sofort dazu ein: Beim Festival of Lights vorm mal wieder phänomenal-illuminierten Berliner Dom störte vor zwei Wochen nichts den Farbton des Abends mehr als das grelle Samsungschloss. Wenigstens für das Festival hätte die Stiftung Humboldtforum das Licht ausmachen können. Genauso bezeichnend für die Unsensibilität gegenüber seiner Umwelt ist der Standort „Samsungplatz“ … Na, wo ist der? Samsung-Großbildwerbung hängt auch an der Planfassade des Skandalgrundstücks Leipziger Platz 18/19, wo der „Samsunginvestor“ F100 aus Luxemburg für die erklärte Europäische, nutzungsgemischte Stadt Berlin keine „Samsungwohnungen“ bauen braucht, weil ein „S-Senator“ („S-“ wie Stadtentwicklung) ihm eine Ausnahme erteilt (die Presse berichtete umfangreich). Neben dem Berliner Bauwahnsinn existiert also auch ein Berliner Schauwahnsinn.

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Apropos Umwelt … Ein Bausenator könne nicht gleichzeitig auch Umweltsenator sein, sagte gestern auch jemand und kritisierte die Ämterhäufung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Das widerspräche sich und ermögliche Amtsmissbrauch.

Dumm gelaufen! Wo Stadtplanung in Berlin Wünsche offen lässt

Berlin könnte besser sein – in seinem Stadtbild, seiner Funktionalität und seiner Erlebnisqualität. Berlin hat ungenutzte und verbaute Potenziale. Oft steh ich da und denke „Oh wie schade!“ Und wahrscheinlich geht es anderen auch so. Bald gibt es eine Video-Serie zu dem Thema. Ein paar Beispiele zeigen, wie umfangreich der Stoff ist:

Drinnen lichtet es sich etwas. Aber filigran ist anders.

Drinnen lichtet es sich etwas. Aber filigran ist anders.

1. Mall of Berlin

Hier haben uns die Architektur-Renderings den blauen Himmel auf Erden versprochen. Transparent und filigran sollte das Glasgewölbedach, unter das man auf die Bundesratsfassade sieht, werden. Hat denn niemand an die Träger gedacht, die es halten? Sie verdecken die Glasfläche heute aus der Perspektive. Das Ergebnis ist: dunkel. Als hätte man dem Hof eine Tonne Pech aufgesetzt. Dumm gelaufen … Futurberlin.de

2. Europacity

Hier werden Berlin 3.000 Wohnungen versprochen, in hochzentraler Lage der Innenstadt. Wieviel davon werden im Sozialen Wohnungsbau gebaut, für 6,50 Euro pro Quadratmeter? – Ganze 42. Die Planungen an der Heidestraße waren schon zu weit fortgeschritten, als das Thema Wohnungsnot auf die Agenda der Politiker gerückt war. Dumm gelaufen …

3. Monarch-Tower

Hier bauen die Russen das erste 150-Meter-Hochhaus am Alexanderplatz. Der Architekturkritiker Bruno Flierl hat mit Perspektivstudien immer wieder darauf hingewiesen, dass ein Tower am Alexa-Standort diesen Preis kostet: die „visuelle Entsorgung“ des Fernsehturms aus Sicht der Karl-Marx-Allee (er steht genauer zwischen den Türmen des Frankfurter Tors). Dumm gelaufen …

4. Luisenblock-Ost

Hier wird das „Band des Bundes“ verlängert und zum Abschluss gebracht mit einer Ovalform, die auf den Schiffbauerdamm trifft. Der soll obendrein ans Spreeufer verlegt werden. Es enstehen auch neue Blöcke an einer abzweigenden Straße, also ein komplett neues Stadtquartier. Nur: Verdi, Besitzer eines abzureißendes Altbaus, verkauft sein Grundstück nicht. So muss der Bund umplanen. Dumm gelaufen …

5. Townhouses Friedrichswerder

Die große Alternative zum Eigenheimbau auf der grünen Wiese sollten die bunten Townhouses sein. Der „Urbanit“, Bekenner zur Großstadt, sollte das städtische Leben in die monumentale Mitte zurückbringen. Eingehandelt hat man sich aber Urba(N)ieten. Ein Townhouse-Eigner klagt gegen die Caféhausnutzung, weil er sich in seiner Gartenruhe im Innenhof gestört fühlt. Dumm gelaufen …

6. Mauerpark

Hier, wo die Mauer stand, sollte ein großer Park Ost- mit Westberlin wieder verbinden. Doch die Hälfte des geplanten Mauerparks wurde über die Zeit privatisiert. So musste Berlin neben der Parkplanung auch Bauinteressen verhandeln. So wird der große Mauerpark (er wird jetzt erweitert) am Ende nur die halbe Wahrheit sein. Im Norden ensteht ein Stadtquartier mit etwa 700 Wohnungen. Dumm gelaufen …

7. Schinkelplatz-Bebauung

Hier entstehen neue Stadthäuser rund um den Schinkelplatz. Zwanghaft hält man sich an die Vorkriegsstrukturen, statt eine Nachkriegsqualität zu gestalten: den Blick vom Berliner Schloss auf Schinkels Friedrichswerdersche Backsteinkirche. Es hätte gereicht, eine Gasse auszusparen. Macht man auch, aber an der falschen Stelle. Zu sehr klebt man am Planwerk Innenstadt. Dumm gelaufen …

8. Mauergedenkstätte

Hier kann man auf 1,4 Kilometern der Mauergeschichte nachgehen. An der Ruppiner Straße aber steht ein Gartenzaun. Dahinter, auf dem „Postenweg“: eine Tischtennisplatte, Dreiränder und Kinderspielzeuge. Zu attraktiv war der Verkauf der Mauergrundstücke nach 1990. Jetzt bekommt Berlin das „Grenzland“ nicht zurück, und alle müssen einen Umweg gehen. Dumm gelaufen …

Diese Liste ist zu erweitern … Wo trefft Ihr auf das unvollständige Berlin? 

Berliner Fehlinfos für alle und frei zugänglich im öffentlichen Raum

Peinlich, verwirrend und inkorrekt sind die Berliner Fehlinfos, die im öffentlichen Raum rumfliegen. Da werden Zahlen verdreht, Grenzen pauschalisiert und Planelemente durcheinander gewürfelt. Drei Beispiele, die hoffentlich die einzigen sind:

Berliner Fehlinfo Nr. 1, die peinliche

Als ich neulich bei den Stadtmodellen bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung war, ging ich in eine der Ausstellungen, die in den Räumen seitlich des Foyers stattfinden. Hier stand und steht immer noch: eine große Schautafel mit der Überschrift „Wussten Sie, Berlin hat …“ und dann folgen Infos zur Stadt, wie „… 440.000 Straßenbäume“ und eine Fehlinfo. Da las ich mit offen stehendem Mund, Berlin habe 3,2 Millionen Einwohner!! Dass man da nicht in der Jahreszahl verrutscht ist, sondern dass das ein Flüchtigkeitsfehler sein muss, zeigt die Zahl 175.000 – um diese Bevölkerungszahl ist Berlin in den letzten vier Jahren gewachsen, die ist aktuell. Aber wie konnte sich die 2.000 Mitarbeiter umfassende Planungsbehörde diesen Schnitzer erlauben? Stolz wie Bolle ist Berlin, dass es wächst und vor kurzem erstmals seit dem Krieg wieder mehr als 3,5 Millionen Menschen in der Stadt wohnen. Die Berlin-Statistik zählt mit Stand 30. Juni 2016 sogar 3,6 Millionen Einwohner.

Falsche Einwohnerzahl in Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: 3,2 Mio. statt 3,6 Mio. (Foto: André Franke)

Falsche Einwohnerzahl in Senatsverwaltung für Stadtentwicklung: 3,2 Mio. statt 3,6 Mio. (Foto: André Franke)

Es fehlen 400.000 Einwohner zu Wahrheit (Foto: André Franke)

Es fehlen 400.000 Einwohner zu Wahrheit (Foto: André Franke)

Berliner Fehlinfo Nr. 2, die verwirrende

Konfusion beim Betrachter stiftet eine Übersichtskarte, die am Bauzaun einer Ausgrabungsstätte auf der Fischerinsel in Mitte hängt. Ein Hochhaus entsteht hier an der Ecke Gertraudenstraße, im Moment graben Archäologen aber noch den Cöllner Fischmarkt aus. Gemessen an der Geschichtsträchtigkeit des Ortes, kann die Karte nur enttäuschen, da sie die Sorgfalt vermissen lässt, mit welcher der „alten Dame Cölln“ hier der Hof gemacht wird. Ich weiß nicht, wie gut oder schlecht das Grabungsteam „archaeofakt“ seine Arbeit macht, das kann ich nicht beurteilen. Aber wenn es oben am Bauzaun schon hakt … ?! Was geht dann da unten vor sich?

Am Zaun hängt eine Lagekarte, darin verzeichnet: Gertraudenstraße, Mühlendamm, Spree, ein DDR-Fischerinsel-Hochhaus und die Grenzen der Ausgrabungsstätte. Nur fällt das Verorten der Inhalte schwer, weil das Hochhaus auf der Straße steht, und das Grabungsfeld über der Kreuzung liegt. Seltsam schieben sich die Planebenen übereinander. Das ist doch falsch? Oder habe ich einen Knick in der Optik?

Die nächste Führung durch die Funde findet am 21. Oktober statt, 14 Uhr. Trag ich mir gleich mal in den Kalender ein. Wahrscheinlich auch wieder nur ein Flüchtigkeitsfehler. Tja, wie schlimm ist das denn nun eigentlich? Ist das wichtig oder kann das weg? – Die Fehlinfo geht hier auf das Konto der Wohungsbaugesellschaft Mitte (WBM), der Bauherrin. Schlimm ist es, weil es schwer genug ist, die alten Stadtstrukturen im heutigen Bestandsberlin zu erkennen und Orientierungshilfe not tut.

Bauzaun Fischerinsel: Den Cöllnischen Fischmark ausgraben (Foto: André Franke)

Bauzaun Fischerinsel: Den Cöllnischen Fischmark ausgraben (Foto: André Franke)

Hochhaus verrutscht und Grabungsfeld. Wäre das die Realität, würde kein Auto auf der Gertraudenstraße fahren (Foto: André Franke)

Hochhaus verrutscht und Grabungsfeld. Wäre das die Realität, würde kein Auto auf der Gertraudenstraße fahren (Foto: André Franke)

Berliner Fehlinfo Nr. 3, die inkorrekte

Am Holocaust-Denkmal steht ein Schotte und liest an einer Infotafel. Er erfährt die Geschichte des Standorts an der Ebertstraße, wo auch die Mauer war:

„Nach dem Ausbau des ‚Grenzsicherungssystems‘ zwischen Ost- und Westberlin war das Gelände bis Ende 1989 Teil des verminten ‚Todesstreifens‘.“

"Verminter" Grenzstreifen? Bitte lassen Sie diese Info am besten in Berlin (Foto: André Franke)

„Verminter“ Grenzstreifen? Bitte lassen Sie diese Info am besten in Berlin (Foto: André Franke)

War die Grenze in Berlin wirklich vermint? Behauptet wird das oft, zum Beispiel auch in dem 2015 erschienenen Film „Berlin East Side Gallery“, in dem man das eine Stadtführerin sagen hört. Doch es ist eine Fehlinfo. Historiker sagen Nein. In Berlin explodierten keine Minen, weil es unter den Augen des Westens, der Welt stattgefunden hätte, weil es zu eng war … Sie taten es aber an der innerdeutschen Grenze, die Kilometer breit war. Die Mauer war eine Sondergrenze. Diesen Unterschied nicht zu machen, verdient Berlin nicht. Berlin war speziell.

Die gläsernen Infotafeln am Holocaust-Denkmal wurden von der Stiftung Denkmal für die ermordeten Juden Europas und dem Regierenden Bürgermeister von Berlin, der Senatskanzlei für kulturelle Angelegenheiten aufgestellt, 2008.

Vermint oder nicht? - Wie wichtig ist es, historisch korrekt zu sein (Foto: André Franke)

Vermint oder nicht? – Wie wichtig ist es, historisch korrekt zu sein (Foto: André Franke)

Zum Trösten: Der Schotte liest den englischen Text der Tafel, und der kommt ohne die Vokabel „vermint“ aus. Von „death-strip“ ist die Rede, sonst nichts. Das ist korrekt. Und das gewährt, dass der Schotte keine falschen Geschichten auf die Insel bringt.

ICC Berlin: Das ist der Palast des Westens, ohne Asbest

Es braucht nicht viel, um sich ins ICC zu verlieben. Bei mir waren es zwölf Seiten in der werkorientierten Biografie von Ursulina Schüler-Witte, die das Internationale Congress Centrum mit ihrem Mann und Architektenkollegen Ralf Schüler gebaut hat. Zwölf von siebzig Seiten. Ursulina Schüler-Witte schreibt in dem Buch, das vor einiger Zeit im Lukas Verlag erschien, auch von den alltäglichen Umständen, unter denen das Architektenpaar arbeitete. Sie erzählt auch die ein oder andere Anekdote: So haben sie und er den Entwurf für den Messehallen-Wettbewerb nur zehn Minuten vor Fristende abgegeben, am 30. September 1965 um 23:50 Uhr.

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der "lange Lulatsch" legitimiert es (Foto: André Franke)

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der „lange Lulatsch“ legitimiert es (Foto: André Franke)

Was wäre passiert, wenn die „Ente“, auf deren Dach sie das Modell transportierten, in dieser Herbstnacht schlappgemacht hätte, nicht getankt gewesen wäre, oder aus anderen Gründen den Weg zu den Berliner Austellungen nicht gefunden hätte? – Die historische Folge wäre gewesen: Die DDR hätte den Palast der Republik nicht gebaut!

Kommunisten schlagen Kapital aus Entwürfen

Die Architekten gewannen als Außenseiter den Wettbewerb. Sie bauten später das Kongresszentrum an anderer Stelle als 1965 vorgesehen. Deshalb steht das ICC heute an der Autobahn und ist wegen der Längsform des Grundstücks 320 Meter lang (ursprünglich dachten sie an ein sechseckiges Kongressgebäude, das von dreizehn Messehallen umgeben war). Die DDR hatte bis dahin im „Schaufenster Ost“ dem geplanten Koloss nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Deshalb machte sie für die international ausgeschriebene Sichtlinienanalyse, die für den Riesensaal des ICC erarbeitet werden musste (5.000 Gäste wollen die Bühne sehen!), ein Angebot, das niemand ausschlagen wollte: 9.500 DM, schreibt Schüler-Witte. Ein belgisches Büro hätte es für 95.000 DM gemacht, die USA für 250.000 DM. Die DDR wollte den Auftrag unbedingt, um das Kongresszentrum zu kopieren.

Die ICC-Pläne verschwanden bereits einen Tag nachdem die Westberliner Architekten das Projekt im Ost-Berliner „Institut für die Technologie kultureller Einrichtungen“ vorgestellt und dort hinterlassen hatten. Das war 1971. Der Institutsleiter telefonierte panisch mit den Architekten, hatte offenbar keine Ahnung von dem Vorgang. (Er verließ die DDR 1977 mit Hilfe des Architektenpaars; bitte selber nachlesen, auf welche Weise!). 1973 begann der Bau des Palasts der Republik und 1976 fertig, also bevor 1979 das ICC Berlin eröffnete. Der Gehirnschmalz von Schüler und Schüler-Witte, der die enorme Nutzungsvielfalt und Raumflexibilität im ICC ersann, wurde also auch für die Volkskammer verbraten.

Der asbestfreie Palast

Als wir am Sonntagnachmittag am Ende der Vivantes-Tour auf das ICC trafen, war die erste Bemerkung eines Gastes: „asbest-verseucht“. Dass das für den Palast der Republik galt, wird jeder wissen. Das ICC … Ich überlegte und sagte nichts. Weil ich nicht wusste, ob das zutraf. Später las ich im Buch weiter, wo steht:

„dass das ICC von Spritzasbest durch einen glücklichen Zufall verschont geblieben ist, weil es inzwischen das asbestfreie Material Kafko zur feuerhemmenden Ummantelung von Stahlbauelementen gab (…).“

Na bitte, meiner kleinen Liebesgeschichte steht also auch DAS nicht im Wege. Was freue ich mich, dass ich nächsten Sonntag um 11 Uhr wieder am S-Bahnhof Messe-Nord stehe, zusammen mit Vivantes. Am Treffpunkt der Etappe 14, der vorletzten von „Vivantes erradeln“ mit Berlin on Bike, blicken wir auf das ICC. Geht gar nicht anders. Wenn man hier ist, muss man es ansehen. Wie es da liegt an der Autobahn … Wer könnte das Stahlschiff anheben? – Auch interessant, dass Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte das „Raumschiff- und Weltraumdesign“ nicht bewusst als Stil entwarfen. Es war mehr ein Ergebnis von „Form follows function“, berichtet die Architektin. Die Devise hätten sich viele für den Nachfolgebau des Palasts der Republik gewünscht.


Das Buch … im Lukas Verlag

Gropius erwartet Vivantes — Und ROZ-Tasse im Regal

Auf Recherche-Fahrt für „Vivantes erradeln“, einer Tourserie von Berlin on Bike, fuhr ich heute nach vielen Jahren den Rohrdamm entlang. Das ist der Ort, an dem ich studiert habe. Das Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU war dort eine Zeit. Jahre lang fuhren wir hier raus, nach Spandau, Nähe Nonnendammallee, wo die Stadt auseinanderreißt und die „Automeile“ beginnt und das Kraftwerk Reuter West mit seinem Riesen-Kühlturm jeden Impuls lähmt, weiter rauszugehen, zu fragen, was da noch kommt am Horizont.

Eine Tasse namens „ROZ“

Hier am Rohrdamm, hatten wir oben im Haus ein Café. Wir nannten es „ROZ“ (sprich: „Rotz!“), die Kurzform von „Rohrdamm-Zentrum“. Ich kann mich erinnern, wie wir hier den Film „Berlin Babylon“ sahen oder Vorträge vorbereiteten. Auf den Sofas. Es gab spezielle ROZ-Tassen hier, Kaffeetassen. Als das Institut hier auszog, nahm jeder welche mit nach Hause. Ich hab auch eine. Und ich nehme sie am Sonntag aus dem Küchenregal und mit auf Tour.

Kaffeetasse aus dem Rohrdamm-Zenter, genannt "ROZ", Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin (Tasse und Foto: André Franke)

Kaffeetasse aus dem Rohrdamm-Zenter, genannt „ROZ“, Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin (Tasse und Foto: André Franke)

Dann kommen wir auf der 13. Vivantes-Etappe hier vorbei, und ich: die Tasse parat. Der Beweis, dass ich studiert habe :-) Gibt es was tolleres als ein Diplom in der Tasche und den ganzen Tag Fahrrad fahren?

Ich staune nur, wie sich hier für mich der Kreis schließt. Der Rohrdamm war eine meiner ersten Adressen in Berlin. Jetzt schickt mich der Chef auf die Strecke und ich fahre nach 1997.

Event: Triennale der Moderne

An diesem Wochenende findet in Berlin die „Triennale der Moderne“ statt (vorher gab es ein Wochenende in Weimar und ein Wochenende in Dessau). Es gibt Filme, Spaziergänge und eine Busfahrt zu den Siedlungen der Berliner Moderne und zu Bauten von Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Die „Ring-Siedlung“ (Siemensstadt) ist mit im Programm, am Samstag auf einem geführten Spaziergang, am Sonntag auf der Bustour, die 9 Uhr morgens beginnt und bis 19 Uhr abends geht (alle sechs Siedlungen werden angefahren). Siehe Eventkalender …

Endlich Siemensstadt!

Wär ich ein Igel, könnt ich jetzt sagen: Ich war all hier. Ich bin heute genau durch diese Ringsiedlung geradelt! Die liegt nämlich am Sonntag auf unserer Strecke. Die Bauten von Gropius sehen aus, als wären sie neugebaut, neu, modern, von heute. Schneeweiß und sauber. Ich habe sie zum ersten Mal gesehen. Im Studium hab ich es immer nur bis zum Bäcker in der Nonnendammallee geschafft. Gropius lag zu weit im Norden. Man war sowieso schon weit genug draußen.

Wenn sich morgen ein Kollege findet, der mich von einer (anderen) Tour befreit, dann hoffe ich, an dem Spaziergang durch die Siemensstadt mitmachen zu können, der 13 Uhr beginnt. Das wäre dann auch eine Art Triennale, meine ganz persönliche Ringsiedlungstriennale. Drei Tage Ringsiedlung – und zurück.


Vivantes feiert 15. Geburtstag. Berlin on Bike führt die Mitarbeiter auf 15 Etappen zu den Einrichtungen des Unternehmens, immer sonntags …

Mehr zur Triennale der Moderne …

Mehr zu den Siedlungen der Berliner Moderne bei SenStadtUm …

Brecht-Gymnasiasten auf der Suche nach dem Plan von Berlin

Schade, dass mein Hirn so löchrig ist. Sonst wären mir die vier Zeilen Donnerstag-Morgen eingefallen, und es hätte keine bessere Einleitung für die Tour gegeben. Denn Schüler des Brecht-Gymnasiums aus Brandenburg an der Havel kamen, um sich über Projekte der aktuellen Stadtplanung Berlins zu informieren. Bei Nieselregen, drei Stunden lang. @Brandenburg: Schön, dass Ihr durchgehalten habt!

Ich hätte also aus der Dreigroschenoper von Bertolt Brecht zitieren sollen:

„Ja, mach nur einen Plan!
Werd nur ein großes Licht!
Und mach dann noch´nen zweiten Plan
Gehn tun sie beide nicht“

So, dann hätten wir die Ergebnisse des Pläneschmiedens abgleichen können mit: dem Rathausforum (wo es weit mehr als zwei Pläne, im Sinne von Entwürfen gibt), mit dem Schlossneubau (wo zwei Pläne sich widersprechen), mit den Townhouses auf dem Friedrichswerder (wo nicht Urbaniten, sondern Urbanieten eingezogen sind, zumindest eine), mit dem Band des Bundes am Schiffbauerdamm (wo der Plan von Kusus+Kusus Architekten nicht aufgeht, weil Verdi sein Grundstück nicht verkauft), mit der Europacity (wo das schönste Element, ein dritter Hafen, nicht gebaut wird, weil man ihn nicht über EU-Gelder finanzieren kann), und dem Mauerpark (wo die Bürgerinitiativen um die 15 oder 16 Pläne verhindert und einen, wie ich finde, akzeptablen Kompromiss erreicht haben). Plan und Stadtprodukt – das hätte unser allgemeiner Ansatz sein können.

Mode der Bürgerbeteiligungen

Es waren genau diese Projekte, die wir auch besuchten, nur leider ohne vorher die Brecht-Ballade zu rezitieren. Beim nächsten Mal vielleicht, Brandenburg.

Und wie gut war die Frage einer Schülerin: „Warum gibt es Bürgerbeteiligung am Rathausforum, aber nicht fürs Berliner Schloss?“

Ich antwortete, weil es in den Neunziger und Nuller-Jahren nicht Zeigeist gewesen sei, umfangreich Bevölkerung ins Boot zu holen (oder wenigstens mal kurz über die Reling gucken zu lassen), seit 2014 mit dem Volksentscheid zum Tempelhofer Feld aber sehr wohl. Ich sagte auch, dass es auch beim Schloss eine Beteiligung gegeben hätte, die formale Bürgerbeteiligung im Bebauungsplanverfahren. Doch ihre Frage meinte proaktive Bürgerbeteiligung, die die Stadt von sich aus durchführt, nicht weil sie nach dem Baugesetz es tun muss. (Was ist es doch schade, dass die Piraten nicht mehr im Abgeordnetenhaus vertreten sind! Ich fand den Wahlspruch von Wolfram Prieß toll: „Bürgerbeteiligung ist kein Teufelswerk“). Doch meine Antwort spitzte sich später auf den Satz zu: „Weil dort das Land Berlin baut, und hier der Bund.“

Stadtdebatten des Bundes?

Da fiel mir auf, dass es nirgends offensive Bürgerbeteiligungen gibt, wo der Bund baut. Nicht auf der Museumsinsel, nicht bei der U5, nicht beim Band des Bundes, nicht beim Schloss, nicht beim Einheitsdenkmal. Mag sein, dass dieser erste Blick darauf unvollständig ist. Aber ich finde kein Beispiel, wo es anders wäre.

Und ich frage mich, warum ist das so? Sind Kultur- und Politbauten kein Stoff für die Wünsche des Volkes?

Auf „Haifische mit Zähnen“ kamen wir übrigens nicht zu sprechen, aber die Zeile aus dem Mackie-Messer-Song könnte man auch mal zum Ausgangspunkt für eine Berlin-Tour machen.

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ein Stück Halle an der Saale unterm Schloss an der Spree

Was einem nicht alles zugetragen wird, wenn man den Menschen sein Ohr schenkt! Besonders als Stadtführer sollte man öfter die Klappe halten und empfangen, was Mitteilungswürdiges der Besucher Berlins mit in die Stadt bringt. Natürlich sitzen die Infos aus der Heimat sprungbereit hinter seiner Stirn. Sowie die Hauptstadt(-geschichte) halt macht, sprudeln sie heraus aus dem Gast.

Hallenser, die ich neulich zwei Tage lang betreute, erzählten mir, das Carillon im Tiergarten sei das zweitgrößte in Europa. Wusste ich gar nicht. Auch nicht, dass es das drittgrößte der Welt sei. Jetzt ratet mal, in welcher Stadt das größte Carillon Europas und das zweitgrößte Carillon der Welt steht! – In Halle.

Hallenser klettern für Christo 1995

Die Christo-Verhüllung des Reichstagsgebäudes im Sommer 1995 ist auch ein erzählenswerter Meilenstein am Platz der Republik und ein starkes Bild fürs Besucherauge dazu. Aber fortan wird in meinen Touren nicht länger der Künstlername Christo das Bemerkenswerte sein. Wohl aber der Name der Stadt, aus der die Industriekletterer kamen, die sein Kunstwerk in die Tat umsetzten: Halle.

Und dann wäre da noch ein Stück geformtes, fundamentiertes Erz, das heute kein Mensch mehr sieht, wohl nie mehr sehen wird. Welches aber mitschwingt, wenn zukünftig die U5 unter dem Schlossplatz durchrattert. Unter der Bodenwanne des Palasts der Republik fährt die U-Bahn bald durch. Sie ruht zwischen Tunnel und Berliner Schloss und ist ein Produkt der Eisenbiegeanlage des VEB Bau- und Montagekombinats „Chemie“ in: Halle an der Saale.

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ich wäre dafür, am Mehringplatz das Hallesche Tor wiederaufzubauen. Einfach als Ehrerbietung für das Mitwirken der Saalestadt an der Hauptstadt Berlin. Im Übrigen ist Halle vor allem Musikerstadt, die Geburtsstadt Händels. Finden wir wohl nicht einen Platz am „Musikerofen“ für ihn, im Tiergarten? Oder ein eigenes Denkmal.

Schloss in pink

„Hinter“ dem Schloss

Hinter dem Schloss, wo die Container stehen und Franco Stella öfter über die Straße geht, um nach seiner Baustelle zu sehen, wo auch die Busse, steif wie Bock, in die Breite Straße eindrehen und dabei den Radweg mit den todbringenden Doppelreifen der Hinterachse überrollen, und wo, im Gegensatz zur Nordseite, auch kein Weltkulturerbe anzutreffen ist (es würde sich wohl schnell aus dem Staub machen …), – hier ist nicht „hinten“!

Schloss in pink

Pink am Schlossplatz, 2015: In Berlin ein Zeichen für Temporäres, nicht Dauerhaftes. Dafür aber ein „Störer“, der die Aufmerksamkeit von Berlin-Besuchern auf sich zieht. Hier ist bald wieder „vorne“.

„Hier ist vorne“, erkläre ich am Sonntag auf einer Zukunft Berlin Tour, da bei Ulla, die aus Erftstadt bei Köln kommt, der erste Eindruck beim Stoppen vorm alten Staatsratsgebäude folgender war: „Ich war bisher immer nur vorne gewesen, auf der anderen Seite … Aahh, so sieht´s also hinter dem Schloss aus!“

Ich freue mich über solche Steilvorlagen sehr. Man kommt sofort auf das Wichtige zu sprechen, auf das Positive. Was ist das Positive am Schloss? Es bringt die Grundordnung auf der Spreeinsel zurück: einen Lustgarten im Norden, einen Schlossplatz im Süden. Wir können wieder zeigen, wo die Stechbahn war, wo Ritter sich mit Lanzen die Rüstungen durchbohrten, vom Pferd fielen.

Erkennbar wird dadurch auch eine weitere Geschichte: Berlin war nicht das Schloss. Nicht immer jedenfalls. Das Schloss kam erst in der zweiten Welle der Berliner Stadtentwicklung. Mehr als 200 Jahre kam Berlin-Cölln ohne es aus, und Kurfürst Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, positionierte seine Residenz am Rande der Stadt. Fortan musste Berlin mit dieser … „Unwucht“ leben. Oh, dieses Bild gefällt mir auch sehr. Und man könnte hinzufügen, dass die Unwucht später ein ganzes Land ins Schleudern brachte und ins Desaster katapultierte, wo die Menschen nicht wussten, wo oben und unten ist.