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Der Ruf des Rathausforums

"Grenzsteine" des Rathausforums: die Marienkirche (links), die Rathauspassagen (hinten). Vermittelndes Grün, das es heute schon nicht mehr gibt. (Foto: André Franke, Sommer 2014)

„Grenzsteine“ des Rathausforums: die Marienkirche (links), die Rathauspassagen (hinten). Vermittelndes Grün, das es heute schon nicht mehr gibt. (Foto: André Franke, Sommer 2014)

Ist das nicht ein passables Stadtbild? Marienkirche, Rathauspassagen, Grün. In beiden Gebäuden finde ich den gleichen Farbton. Die Feldsteine der Kirche erreichen aus dieser Sicht die Größe der Fenster der entfernten Passagen. Die Bäume vermitteln zwischen altem und jungem Gebäudestein. Ich finde diese Momentaufnahme schön! Aber es ist eben ein Bild, das einen Rahmen hat. Geht man ein paar Schritte weiter oder zoomt sich raus, sieht es schon wieder ganz anders aus, und überwältigt von den riesigen Dimensionen verliert man den Blick fürs Detail. Oder man verliert ihn, weil es auf dem Rathausforum mittlerweile drunter und drüber geht. Die Kirche verschwand hinterm Bauzaun, die Bäume gleich komplett. Und die Rathauspassagen sind seit Jonny K. für viele ein Angst-Raum. Das wurde auch am Sonnabend bei der Auftaktveranstaltung der Bürgerbeteiligung gesagt. Spätestens bei diesem Thema wird einem klar, dass es bei der Gestaltung des Rathausforums nicht nur um Ästhetik geht, sondern auch um einen Ruf.

Mehr zum Rathausforum: Text „Der Turm kippt zur Spree – städtebauliche Qualitäten im Schatten des Fernsehturms“ (2009)

Stadtkern-Schmankerl: Luther-Denkmal und Neptunbrunnen – Nur nach Hause woll´n wa nich?

Rückseite Neptunbrunnen vor Rotem Rathaus und Rathauspassagen, 2013 (Foto: André Franke)

Rückseite Neptunbrunnen vor Rotem Rathaus und Rathauspassagen, 2013 (Foto: André Franke)

Beide Denkmäler sind besonders. Das Luther-Denkmal und der Neptunbrunnen stammen aus der Kaiserzeit und sind nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt worden: Luther an die Nordseite der Marienkirche, Neptun vor das Rote Rathaus. Dass Luther den Standort wieder wechseln wird, nämlich auf die andere Seite der Marienkirche, wo früher der Neue Markt war, ist, glaube ich, schon beschlossene Sache. Beim Neptunbrunnen ist noch unklar, ob er auf den Schlossplatz zurückkehren wird. Das ist eine umstrittene Sache. In der Volkschule Mitte hält u.a. Manfred Rettig von der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum heute Abend einen Vortrag dazu. Ab 18:30 Uhr in der Linienstraße 161. Freier Eintritt.

Das Kreuz mit der Urbanität

Alle wollen sie, aber jeder versteht unter ihr etwas anderes. Auch im Salon von Lea Rosh letzten Montag bemühten die Gäste den Begriff von der Urbanität, als es erneut ums Rathausforum ging.

„Wir glauben, dass man Urbanität nur durch die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses herstellen kann“, sagte Gerhard Hoya von der Gesellschaft Historisches Berlin.

Doch Wolf-Dieter Heilmeyer von der Stiftung Zukunft Berlin verwies darauf, dass Urbanität auch soziologisch interpretiert werden kann. Leider wurde die Frage nicht weiter vertieft. Das Thema verdient sogar eine eigene Veranstaltung, finde ich: Was meint wer mit Urbanität?

Ein Buch, die Dissertation von Thomas Wüst, „Urbanität: ein Mythos und sein Potenzial“, auf das ich gestoßen bin, gibt schon mal einige Antworten, wenn auch nicht direkt zum Berliner Rathausforum.

Auch auf einen studentischen Projektbericht zum Thema Nutzungsmischung im Städtebau der TU Berlin bin ich in meinem Archiv gestoßen, bei dem wir im Jahre 1999 die Urbanitätsdebatte zusammenfassten. Hier ein Auszug:

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Eine der Zielsetzungen, die oft im Zusammenhang mit Nutzungsmischung diskutiert wird, ist die Erhaltung bzw. die Schaffung von Urbanität. Eine intakte funktionsgemischte Stadtstruktur wird häufig als Voraussetzung für Urbanität angesehen. Dieser Meinung ist z.B. Hunkenschroer, die als eine Vertreterin dieses Leitbildes der Stadtentwicklung bezeichnet werden kann.

”Die Mischung von Wohnen und Arbeiten kann in vielfältiger Weise auch in unserer Gesellschaft dazu beitragen, der Verödung von Stadtquartieren etwas entgegenzusetzen. Durch die Überlagerung mannigfacher Funktionen in dichten Strukturen entsteht Öffentlichkeit, da sich unterschiedliche Personen zu mehreren Tageszeiten im öffentlichen Raum (meist auf der Straße) aufhalten.” (Hunkenschroer, 1995: S.20)

Dabei ist für Hunkenschroer Dichte ein zentrales Merkmal von Urbanität. So sei eine Mindestdichte an Bewohnern in einem Quartier nicht nur die Voraussetzung für die Rentierlichkeit sozialer und technischer Infrastruktur sowie für Kommunikationsprozesse und Informationsflüsse.

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts:  (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts: „Lebendigkeit im öffentlichen Raum“. (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Den Dichtebegriff bezieht Hunkenschroer darüberhinaus auch auf das Maß an städtebaulicher Konzentration (vgl. ebd.).

”Die bauliche Dichte ist auch die Voraussetzung für die Lebendigkeit im öffentlichen Raum.” (ebd.: 101)

Der urbane Charakter eines Gebietes werde jedoch endgültig erst durch eine hohe Interaktionsdichte zwischen den Bewohnern erreicht. Das bedeutet, daß unterschiedliche Nutzungstypen, wie z.B. Wohnen und Versorgung, auf einen kleinen Raum konzentriert werden müssen, und auf diese Weise eine fußläufige Erreichbarkeit ermöglicht wird. Die Folge dieser schnellen Erreichbarkeit ist, daß die Nutzung der im Gebiet ansässigen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen intensiviert wird, und somit der urbane Charakter des Gebiets zunimmt.

Hoffmann-Axthelm beschäftigt sich insbesondere mit der inszenierten Urbanität, die er als von der eigentlichen Stadt gelöst sieht. Demnach sind urbane Lebensverhältnisse nicht mehr an die Stadt gebunden. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996). Vor dem Hintergrund der Suburbanisierung ist Urbanität für ihn der Stadtrest, …

”den diejenigen mitnehmen wollen, die sich aus dem Sozialvertrag Stadt (…) herausstehlen ins grüne (…) Umland” (Hoffmann-Axthelm 1996:55).

In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Typen von künstlicher Urbanität:

Der erste sei die gewöhnliche Innenstadt mit Einkaufszentren, die im geschützten Innenraum Stadt simulieren. Urbanität bedeutet hier Einkaufs- und Freizeitumgebung, verknüpft mit Kino, Restaurants, Cafés und Warenhaus. Die Mischung beschränkt sich hierbei auf das oben genannte Angebot an Konsumeinrichtungen, klammert jedoch eine Vielzahl an Funktionen, wie z.B. Handwerk, produzierendes Gewerbe und bestimmte Dienstleistungen, aus.

Im Vergleich zu diesem Urbanitätstyp ist der Zweite nur noch auf tourismusorientierte Funktionen beschränkt. Hoffmann-Axthelm beschreibt, daß sich das städtische Geschehen in den historischen Zentren fast ausschließlich auf die Erdgeschoßbereiche konzentriert.

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Die dritte Art von inszenierter Urbanität ist fast vollständig von der Nutzungsmischung losgelöst. Das heißt Lebendigkeit wird durch eine Festivalisierung der Städte erzeugt, wobei sie ausschließlich wegen bestimmter Ereignisse oder Attraktionen besucht werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Neubau von Unterhaltungskomplexen, wie z.B. am Potsdamer Platz in Berlin. (vgl. ebd.). Hier gruppieren sich die Investitionen um einen ”unterhaltungsindustriellen Kern”.

”Bei Debis (…) ging es schon sehr früh um ein Musicaltheater. Der Medienkonzern Sony baut im Innern seines Komplexes eine riesige multimediale Bühne, einen Raum, der zugleich Bildschirm und Film, Stadtraum und simulierte Stadt ist.” (ebd.: 60)

Die Typisierung Hoffmann-Axthelms macht deutlich, daß Nutzungsmischung nicht das einzige Instrumentarium ist, um den städtischen Raum zu beleben. Von besonderer Bedeutung für sein Urbanitätsverständnis ist eine ausgewogene soziale Mischung, die zwangsläufig ein erhöhtes Konfliktpotential in sich birgt. Wenn man diese Mischung aus unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Bevölkerungsschichten sowie mehreren Generationen näher betrachtet, wird deutlich, daß ein hohes Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern erforderlich ist. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996) Dies kann jedoch nicht vorausgesetzt werden (vgl. Gruen 1975, Schäfers 1997, Hunkenschroer 1995).

Die sich aus der Mischung ergebenden Konflikte sind dagegen ein Hauptpunkt der Kritik am Leitbild der durch Nutzungsmischung erzeugten Urbanität. So schreibt Jakhel, daß die soziale Integration innerhalb eines gemischten Viertels nicht überschätzt werden sollte (Jakhel, 1976: S.83). Er bezweifelt, daß räumliche Planung Lebendigkeit im Stadtgebiet hervorrufen und die Integration des Stadtbürgers in das Stadtgeschehen bzw. in das Marktgeschehen fördern kann. Auch die Tendenz zur sozialen Segregation kann seiner Meinung nach nicht allein durch die Gestaltung des Raumes aufgehoben werden.

Eine ähnliche Haltung vertrat bereits Anfang der 60er Jahren SalinEr bezweifelt, daß Raumplanung tatsächlich urbane Verhältnisse erzeugen könne. Salin definiert Urbanität als …

”kulturell – gesellschaftliche Lebensform, weltoffene Haltung der Bewohner zueinander und gegenüber Fremden, aber nicht (als) die Qualität einer besonderen städtebaulich – räumlichen Struktur.” (in: Sieverts, 1998)

Literaturliste:

  • Hoffmann-Axthelm, Dieter 1996: Anleitung zum Stadtumbau. Frankfurt/M. New York
  • Hunkenschroer, Birgit 1995: Mischung von Wohnen und Arbeit als Potential für eine stadtverträgliche Gewerbentwicklung. Diplomarbeit. Berlin
  • Jakhel, Rudolf 1976: Illusion und Realität der ‚urbanen‘ City: Ein Beitrag zur Kritik der urbanistischen Ideologie, Aachen
  • Sieverts, T. 1998: Zwischenstadt, Braunschweig u.a.

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Ich bin mal gespannt, wie weit man sich bei der anstehenden Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ mit diesem Thema befassen wird. Die Auftaktveranstaltung dazu findet am 18. April statt.

Zum Thema Rathausforum und Urbanität siehe auch: „Hingehen, sehen lernen“ – Ein Interview mit Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil e.V. auf Futurberlin.de

Der Stadtrat, der aus der Hüfte schießt

Wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek weniger Bürgerbeteiligung wagt und mit seinem kuriosen Stil bisher ganz gut fährt

Bis vor kurzem stammte die aktuellste Meldung auf der Internetseite von Carsten Spallek (CDU) vom 24. August 2012. Die CDU-Fraktion des Bezirks Mitte berichtet dort über die tags zuvor abgebrochene Bezirksverordnetenversammlung (BVV) des Bezirks Mitte im Rathaus an der Karl-Marx-Allee. Von einem “traurigen Tag für die BVV” ist die Rede und von “150 selbsternannten Mauerparkschützern”, die den Saal besetzten und es unmöglich machten, “einen ordnungsgemäßen Beratungsverlauf sicherzustellen”. Besorgt äußert sich der CDU-Fraktionsvorsitzende Torsten Reschke in der Meldung über die Gruppen, “die jegliche demokratische Spielregeln bewusst missachteten”. Sie hatten mal eben ein demokratisch legitimiertes Staatsorgan lahmgelegt. Aber sie reagierten damit auch auf einen verwegenen “Streich” von Baustadtrat Carsten Spallek. Und ein Blick über den Mauerpark hinaus zeigt, dass der Stadtrat auch im Monbijoupark und an der Marienkirche wenig Gespür für adäquate Bürgerbeteiligung besitzt.

Auf einen Streich im Mauerpark

Was war also los im Mauerpark? Vor Mittes Chaos-BVV am 23. August hatte es eine andere, friedvolle gegeben, eine BVV, die man vielleicht als Sternstunde der informellen Bürgerwerkstatt in den Auseinandersetzungen um die Mauerparkpläne bezeichnen könnte. Die BVV hatte im April 2012 beschlossen, die Erweiterung des Mauerparks und die mit ihr zusammenhängende nördliche Bebauung an Bedingungen zu knüpfen. Bedingungen, die die Bürgerwerkstatt stellte: das “Grüne Band” entwickeln, Kaltluftschneise und Kinderbauernhof sichern. Eine Wohnbebauung wäre denkbar, heißt es in dem Beschluss. Sie solle ökologisch, nachhaltig und städtebaulich vertretbar sein. Und: “Bei der Umsetzung der Verfahren und weiteren Planungen ist die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger, wie bisher in der Bürgerwerkstatt Mauerpark geschehen, zu gewährleisten.”

Mit dem Beschluss gelang es der informellen, 2009 von der Politik eingesetzten Bürgerwerkstatt, ihren Willen in den politischen Raum zu hieven. Dabei sollte sie ursprünglich nur gestalterischen Einfluss auf die Grünfläche nehmen. Ihr Wille war jetzt demokratisch legitimiert. Aber sollte ihr Wille auch geschehen?

Die Juni-BVV vor der Sommerpause brachte ihn schon mal ins Wanken. Ein Antrag zielte auf einen mit dem Investor zu seinen Gunsten geänderten städtebaulichen Vertrag, der am 13. Juni in einem Ausschuss vorgestellt, und einen Tag später in der BVV beschlossen werden sollte, dringend. Stadtrat Spallek wollte ihn noch im Sommer unterschreiben.

Als die Bürgerwerkstatt davon erfuhr, äußerte sie in einer Mitteilung:

“Sollte die im Dringlichkeitsantrag gewünschte Maximalbebauung in der BVV eine Mehrheit finden, ist die bisher praktizierte und politisch gewollte überbezirkliche Bürgerbeteiligung (Bürgerwerkstatt) sinnlos geworden, da ihre Postitionen und Ergebnisse auf den Kopf gestellt werden. Damit wird die bisher erfolgreiche Zusammenarbeit mit dem Bürger aufgekündigt.”

Sie wurde es erstmal nicht, denn der Antrag wurde auf den 23. August vertagt, jenen “traurigen Tag für die BVV”. Ende Juni, als Politik und Presse schon die Ferien planten, setzte dann Carsten Spallek noch einen Bezirksamtsbeschluss (BA-Beschluss) “über die nächsten Schritte für den Mauerpark” aufs Gleis. Schwarz auf weiß finden sich darin die investorenfreundlichen Inhalte des städtebaulichen Vertrages, die schon im Dringlichkeitsantrag standen, aber noch nicht durch das Bezirksparlament beschlossen waren. Welche demokratische Spielregel missachtet Spallek in diesem Fall? Das Bürgerinitiativen-Netzwerk BIN Berlin nannte das einen “Staatsstreich”, und Alexander Puell, Vereinsvorsitzender der Freunde des Mauerparks, die sich in der Bürgerwerkstatt engagieren, spricht von einem “Faustschlag ins Gesicht der Bürgerwerkstatt”.

Denn der städtebauliche Vertrag legte für die Bebauung nördlich des Gleimtunnels den Entwurf des Architekturbüros Lorenzen zugrunde, den ersten Preisträgerentwurf aus dem städtebaulichen Wettbewerb, den der Investor 2010 durchführte und den die Bürgerwerkstatt schon im Februar 2011 abgelehnt hatte. Hier zeigen sich die Grenzen ihrer damaligen Einflussmöglichkeiten, und desto höher ist die Bedeutung des späteren BVV-Beschlusses vom 19. April 2012 einzuschätzen, des Bürgerwerkstatt-Kompromisses, der von SPD, CDU und Grünen gemeinsam gefunden und getragen wurde. Aber wie sicher ist ein BVV-Beschluss?

Als dann am 23. August die BVV sich selbst vertagte, ohne über den Mauerpark-Vertrag zu beschließen, hatte sich mehr gebildet als die 150-köpfige Protestlergruppe, die die Politiker störte.

“Wir haben uns bereits in der Sommerpause eingehend zu diesem BA-Beschluss beraten und auch die Fraktionen in Pankow hinzugezogen”,

… sagt Franziska Briest (Grüne). Heraus kam ein bezirksübergreifendes Bündnis, dem sich sogar der CDU-Ortsverband Schönhauser Allee anschloss, Parteigenossen Spalleks. Es forderte unter anderem, an der Gestaltung des städtebaulichen Vertrags auch das Bezirksamt und die BVV Pankow mitzubeteiligen. Außerdem solle der städtebauliche Vertrag “erst im Ergebnis eines Bebauungsplanverfahrens” abgeschlossen werden. Aber wieder lag wegen Vertagung die Entscheidung in der Luft, und es blieb spannend, wenn auch nur für drei Wochen.

Dann tagte die BVV unter besonderen Bedingungen nicht im Rathaus Mitte, sondern unter Polizeischutz und obligatorischer Platzreservierung in einer Schulaula. Ergebnis: Der Antrag wurde endlich beschlossen. Aber Carsten Spallek hatte Glück gehabt. Fünf Bezirksverordnete aus den Reihen der Gegner des Antrags fehlten. Wären sie gekommen, hätte die Abstimmung mit 24:24 anders ausfallen können.

“Auch ich hätte selbstverständlich einem Antrag, der einen BVV-Beschluss aushebelt und Bürgerbeteiligung ad absurdum führt, nicht zugestimmt”,

… versichert Franziska Briest, die krank war. Mit diesen Worten bringt sie auf den Punkt, was passiert war. Nur 19 stimmten am 13. September gegen den Mauerparkvertrag. Der Wille Spalleks war geschehen, ein Beschluss rückgängig gemacht, und alles hatte wieder seine parlamentarische Ordnung.

Der tiefenentspannte Stadtrat

Die Saison für die Märchenhütte im Monbijoupark hatte am 7. November 2012 noch nicht begonnen, aber die Schauspieler probten schon. Am späten Nachmittag lief “Hase und Igel”. Im Anschluss kam Carsten Spallek. Als der Stadtrat, kurz nach 18 Uhr und fasziniert von der tollen Akustik, in der Märchenhütte die Bühne betrat, sah es zunächst so aus, als wolle er Gericht halten, anstatt eine Bürgerversammlung zu leiten. Da saß in der einen Ecke Stefan Erfurt, der für das C/O Berlin bis zum 31. Dezember eine “Arche Noah” suchte und glaubte, sie in den Atelierhäusern des Parks gefunden zu haben. Und drüben saß der Geschäftsführer des Hexenkessel Hoftheaters Christian Schulz, der in der Hütte quasi Hausherr war.

Spallek ließ die scheinbaren Kontrahenten zu Wort kommen. Es sah so aus, als müsse hier zwischen zwei Kulturtreibenden vermittelt werden. Der eine rückt dem andern auf die Pelle, und dieser lässt es sich mehr oder weniger gefallen. Wo war das Problem?

Erst als Frank Bertermann (Grüne), Mittes Vorsitzender des Ausschusses für Stadtentwicklung, aus dem Publikum heraus auf das aufmerksam machte, was die Aufgabe des Stadtrats gewesen wäre, kam Schwung in die Bude. Man müsse den Leuten offen sagen, dass es für den Monbijoupark einen rechtskräftigen Bebauungsplan (B-Plan) gäbe, der eine Grünfläche vorschreibe und eine kulturelle Nutzung überhaupt nicht zulasse. Dieser B-Plan war aber nirgendwo im Raum zu sehen. Spallek hatte ihn den Bürgern einfach vorenthalten.

Und wie realistisch war der C/O-Rettungsakt überhaupt? Damit die Fotogalerie in die Atelierhäuser hätte ziehen können, hätten sie umgebaut und erweitert werden müssen. Dafür hätte Stefan Erfurt eine Baugenehmigung gebraucht. Um sie zu bekommen, hätte der B-Plan geändert werden und eine zweistufige Bürgerbeteiligung durchgeführt werden müssen. Das alles in weniger als acht Wochen? “Das war kurz vor ultimo, hätte man sich sparen können”, meint Frank Bertermann heute. Das war wohl auch Carsten Spallek klar, denn der Stadtrat gab sich locker: “Ich bin ganz tiefenentspannt.”

Schauspieler klopfen auf einmal an die Tür. Wann wir fertig wären, fragen sie. Die Diskussion hatte gerade erst begonnen, da musste sie aus Zeitgründen schon wieder abgewürgt werden. Um 19 Uhr kamen die “Bremer Stadtmusikanten”. Der Stadtrat und seine Bürger mussten wieder gehen. Das war lachhaft, aber man saß ja im Theater.

Die Bürgerversammlung in der Märchenhütte war eine Veranstaltung reinster Desinformation. Das begann schon mit der Einladung: Es gab keine, sondern nur eine Presseerklärung. Bertermann erzählt, es wäre den Kiezinitiativen zu verdanken, dass überhaupt Leute kamen. Er und die Grünenfraktion in Mitte haben im Dezember an Spallek eine BVV-Anfrage gerichtet. Sie trug den Titel “Tiefentspannte Märchenstunde im Schwarzbau”.

Ja, die Märchenhütte ist selbst ein mutiger Streich, seit Jahren geduldet, aber offiziell nicht genehmigt. Deshalb stellte sich mit den Standortwünschen der C/O Galerie für den Bezirk Mitte prinzipiell die Frage, ob man den Monbijoupark mit den Atelierhäusern, der illegalen Märchenhütte und dem “fliegenden Bau” des Hexenkessel Hoftheaters zu einem Kulturstandort ausbaut oder als Park vollendet, wie es im B-Plan steht.

Diese perspektivische Frage, die Carsten Spallek in der Märchenhütte sorgfältig ausklammerte, stand nicht erst seit November 2012 auf der Tagesordnung, sagt Bertermann. Schon zu Ephraim Gothes Zeiten wollte man mit den Bürgern diese Frage diskutieren. Der Amtsvorgänger von Carsten Spallek, der heute Staatssekretär in der Senatsverwaltung ist, hatte dem neuen Stadtrat ein Erbe hinterlassen. Spallek schob das Bürgertreffen ein ganzen Jahr vor sich her bis es für einen realistischen Umzug des C/O Berlin einfach zu spät war. Die Galerie zieht im Frühling ins Amerika-Haus am Bahnhof Zoo.

Unter anderem wegen dieser aufgeschobenen Bürgerbeteiligung, auch wegen seines Vorgehens im Mauerpark, sah sich der Stadtrat 2012 sogar mit einem Missbilligungsantrag von der Grünenfraktion konfrontiert. Aber zum zweiten Mal in der Geschichte bleibt der Stadtrat ein Spallek im Glück, denn der Antrag wurde mehrheitlich abgelehnt. Wer so breite Unterstützung erhält, hält sich sicher an die Spielregeln. Nur mit der Wahrheit kann man dann offenbar etwas ungenauer sein. So gab die Abteilung des Stadtrats in einem Bericht an die BVV die Dauer jener “Märchenstunde” mit 18 bis 20 Uhr an. Aber Wahrheitstreue ist nur eine Tugend.

Know-how für das Herz der Stadt

Wo durch die Türe eines Gotteshauses, noch dazu eines mittelalterlichen Schmuckstücks wie der Marienkirche in Mitte, Urin fließt, ist Tatkraft gefragt und entschlossenes Handeln. Erst recht, wenn die Stadt gerade ihr 775-jähriges Jubiläum feiert und die Gemeinde schon in fünf Jahren 500 Jahre Reformation. Den Klagen der Kirchengemeinde St.Petri-St.Marien über die zunehmende Verwahrlosung des Umfelds der Marienkirche durch ungebetenes Nacht- und Partyvolk kam das Bezirksamt Mitte direkt mit der Beauftragung der Landschaftsarchitekten des in Mitte bewährten Büros Levin Monsigny nach. Architekt Rob Grotewal stellte die Entwürfe für die geplante Umgestaltung im September 2012 in der Kirche vor. Das war der Beginn und sogleich das Ende kritisch-konstruktiver Auseinandersetzung des Bauamts mit der interessierten Öffentlichkeit.

Carsten Spallek saß an jenem Nachmittag in der Kirchenbank wie alle andern. Übermorgen würde die BVV über den Mauerparkvertrag abstimmen. Ob er daran dachte, war ihm nicht anzusehen. Der Park lag drei Kilometer von der Kirche entfernt; das Ende des Jahres nur etwa zehn Wochen. Bis dahin mussten für die Umgestaltung des Kirchenumfelds die Fördermittel beantragt werden und die Planung abgestimmt sein. Vielleicht hatte der Stadtrat an diese Tunnelperspektive gedacht, als die Kritik der historischen Vereine ihm nach der Präsentation der Entwürfe die ein oder andere ehrlich gemeinte Antwort entlockte. Er halte eine Gesamtplanung für nicht realistisch und sehe die Möglichkeit dafür erst ab etwa 2020, auf keinen Fall in dieser Wahlperiode, sagte er.

Was die Bürger mit Gesamtplanung da forderten, weist darauf hin, dass die Kirche “heiß” ist. Denn sie ist Anrainer und Teil des Riesenfreiraums, den man neuberlinerisch “Rathausforum” nennt, der Fläche zwischen Fernsehturm und Spree, über die sich Politiker und Architekten die Mäuler zerreißen, weil sie schon bald unter den Hammer kommen soll. Aber darüber entscheiden Landespolitiker. Es sieht aus, als solle der Stadtrat die Kirche im Hof lassen.

Dass darunter Berlins vergessene Altstadt liegt, deren Reste unterirdisch die ganze Kirche umgeben, macht es nicht leichter und sollte ein Argument dafür sein, einen kühlen Kopf zu bewahren, sich Zeit zu nehmen. Aber die Wortwahl Rob Grotewals, des Architekten, bekundet schon die emotionale Grundhaltung im bevorstehenden Planungsakt. Schnell muss es gehen, und natürlich ringt die Kirche mit dem Rathausforum: Grotewal will erreichen, “dass die Kirche wieder Luft zum Atmen hat.“ Sie liegt 1,50 Meter unter dem Platzniveau, eingepfercht in den gepflasterten Boden und umwachsen von Büschen, in denen Passanten bevorzugt den Abort sehen. Der Plan: mehr Licht. Bäume fällen, Büsche beseitigen und neue Straßenlampen aufstellen; auch ein öffentliches Klo.

Aber zum Plan gehörte im September auch, die Kirche durch ein großflächiges Rechteck aus langen Steinbänken einzurahmen und das Erdreich, das die Kirche bedrückt, bis zu diesen Bänken abzugraben. Vor allem an diesem willkürlichen Rechteck, das dem einstigen Marienkirchhof nicht entspricht, rieben sich die Historiker und Altstadtfans, fragen den Stadtrat in der Kirche: “Warum nicht in historischer Authentizität?”

Am Ausgang der Marienkirche steht ein Ideenkasten. Carsten Spallek nimmt die Wünsche der Bürger mit aufs Amt. Ähnliches passiert mit dem Konzept von Rob Grotewal; noch hängt es in der Nähe des Altars. Viele fotografieren, denn es ist das erste und letzte Mal, dass die Eingeladenen dazu die Möglichkeit haben. Wissen tun sie das nicht.

Zwei Monate später entscheidet sich der Ausschuss für Grünflächen für ein Konzept, in dem Cortenstahlbänder, wie man sie von der Mauergedenkstätte kennt, den alten Marienkirchhof im Boden abbilden sollen. Es ist die Antwort auf die angemahnte Authentizität. Das unauthentische Rechteck aber bleibt. Vor diesem 21. November hatte das besorgte Bürgerforum Historische Mitte, in dem sich mehrere Vereine zusammengeschlossen haben, in einem Brief den Stadtrat gefragt, wann die überarbeitete Planung vorgestellt werden solle. Man dachte an eine Bürgerveranstaltung Nummer zwei. “Jetzt, hier in der Ausschusssitzung”, antwortete Carsten Spallek, der eine Debatte mit der Öffentlichkeit über den außergewöhnlichen Ort nicht für notwendig hält und auch deren Expertise nicht.

Dabei gäbe es Diskussionsbedarf. Das Bürgerforum schreibt in einem Positionspapier nach der Sitzung des Ausschusses: “Die Interpretation der Bürgerveranstaltung in der Marienkirche, es seien mehr ‘Brüche’ und ‘mehr Kollision’ gewünscht, die sich dann gestalterisch nach wie vor in einem geschichtslosen rechteckigen Marienkirchenumfeld und noch mehr Cortenstahlbändern ausdrückt, empfinden wir als oberflächlich.” Es müsse “einen Modus der Bürgerbeteiligung an der Fortschreibung der Planung geben”, so das Bürgerforum, und Planungsstände und Planänderungen sollten veröffentlicht werden. Tatsächlich war es ein Modus des Versteckspielens. Wer im September seine Kamera vergessen und im November den Ausschuss verpasst hatte, sah das Konzept erst am 13. Dezember wieder – und dann als eingeladener Journalist. Denn Carsten Spallek stellte die Pläne jetzt nur noch in einem Pressegespräch vor.

Frisch aus dem Urlaub zurückgekehrt, man darf vermuten “tiefenentspannt”, erteilte er dem Bürgerforum bei der Pressekonferenz eine weitere Absage. Anliegen des Bürgerforums war außer der historischen Authentizität immer auch die Frage gewesen, in welchem Umfang und an welchen Stellen Ausgrabungen geplant seien. Waren im November noch Grabungen im Südwesten der Kirche vorgesehen, sagte Spallek lapidar im Dezember: “Das machen wir erstmal nicht”. Im Frühling sollen die Bauarbeiten beginnen.

Vorher fordert das Bürgerforum Historische Mitte eine Beteiligungsveranstaltung. In einer Pressemitteilung vom Dezember bedauern die Mitglieder “die mangelnde Öffentlichkeitsarbeit, die falschen Darstellungen und die Zurückweisung von Sachkenntnis sehr”. Welches Zeichen setzt der Stadtrat, der hier aus der Hüfte zu schießen scheint, für den Umgang mit der historischen Altstadt von Berlin, wenn er den Historikern im Jubiläumsjahr der Stadt die Diskussion verweigert?

In Mitte nichts Neues?

An der Marienkirche war es nicht Glück und auch nicht Tiefenentspannung, die Carsten Spallek an sein Ziel führten. Der Stadtrat von Mitte hat hier einfach ortsrelevante Interessen am Wegesrand stehen lassen. Was hatte er zu verlieren, wäre er offensiv mit ihnen umgegangen – Zeit?

Die fehlte ihm schon in der Märchenhütte, wo seine Bürgerveranstaltung vom 7. November wegen der geschilderten unrealistischen Perspektive für den Umzug des C/O Berlin glatt als Schauspielerei durchgeht. Hier hat Spallek Glaubwürdigkeit eingebüßt. Wie ernst kann man ihn bei künftigen Beteiligungsbekundungen nehmen, sollte es sie je geben?

Das sollte sich vor allem die Bürgerwerkstatt im Mauerpark fragen, die weitermacht im Ringen um die Gestaltung des neuen Mauerparks und heute so tut, als hätte es Spalleks Streich vom Sommer letzten Jahres gar nicht gegeben. Als sie sich Ende Januar 2013 in der Ernst-Reuter-Schule im Weddinger Brunnenviertel neu konstituierte, war Stadtrat Carsten Spallek nicht unter den Anwesenden. Es hatten sich “Störer” angekündigt, die dieses Mal aber nicht gekommen waren.