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ICC Berlin: Das ist der Palast des Westens, ohne Asbest

Es braucht nicht viel, um sich ins ICC zu verlieben. Bei mir waren es zwölf Seiten in der werkorientierten Biografie von Ursulina Schüler-Witte, die das Internationale Congress Centrum mit ihrem Mann und Architektenkollegen Ralf Schüler gebaut hat. Zwölf von siebzig Seiten. Ursulina Schüler-Witte schreibt in dem Buch, das vor einiger Zeit im Lukas Verlag erschien, auch von den alltäglichen Umständen, unter denen das Architektenpaar arbeitete. Sie erzählt auch die ein oder andere Anekdote: So haben sie und er den Entwurf für den Messehallen-Wettbewerb nur zehn Minuten vor Fristende abgegeben, am 30. September 1965 um 23:50 Uhr.

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der "lange Lulatsch" legitimiert es (Foto: André Franke)

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der „lange Lulatsch“ legitimiert es (Foto: André Franke)

Was wäre passiert, wenn die „Ente“, auf deren Dach sie das Modell transportierten, in dieser Herbstnacht schlappgemacht hätte, nicht getankt gewesen wäre, oder aus anderen Gründen den Weg zu den Berliner Austellungen nicht gefunden hätte? – Die historische Folge wäre gewesen: Die DDR hätte den Palast der Republik nicht gebaut!

Kommunisten schlagen Kapital aus Entwürfen

Die Architekten gewannen als Außenseiter den Wettbewerb. Sie bauten später das Kongresszentrum an anderer Stelle als 1965 vorgesehen. Deshalb steht das ICC heute an der Autobahn und ist wegen der Längsform des Grundstücks 320 Meter lang (ursprünglich dachten sie an ein sechseckiges Kongressgebäude, das von dreizehn Messehallen umgeben war). Die DDR hatte bis dahin im „Schaufenster Ost“ dem geplanten Koloss nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Deshalb machte sie für die international ausgeschriebene Sichtlinienanalyse, die für den Riesensaal des ICC erarbeitet werden musste (5.000 Gäste wollen die Bühne sehen!), ein Angebot, das niemand ausschlagen wollte: 9.500 DM, schreibt Schüler-Witte. Ein belgisches Büro hätte es für 95.000 DM gemacht, die USA für 250.000 DM. Die DDR wollte den Auftrag unbedingt, um das Kongresszentrum zu kopieren.

Die ICC-Pläne verschwanden bereits einen Tag nachdem die Westberliner Architekten das Projekt im Ost-Berliner „Institut für die Technologie kultureller Einrichtungen“ vorgestellt und dort hinterlassen hatten. Das war 1971. Der Institutsleiter telefonierte panisch mit den Architekten, hatte offenbar keine Ahnung von dem Vorgang. (Er verließ die DDR 1977 mit Hilfe des Architektenpaars; bitte selber nachlesen, auf welche Weise!). 1973 begann der Bau des Palasts der Republik und 1976 fertig, also bevor 1979 das ICC Berlin eröffnete. Der Gehirnschmalz von Schüler und Schüler-Witte, der die enorme Nutzungsvielfalt und Raumflexibilität im ICC ersann, wurde also auch für die Volkskammer verbraten.

Der asbestfreie Palast

Als wir am Sonntagnachmittag am Ende der Vivantes-Tour auf das ICC trafen, war die erste Bemerkung eines Gastes: „asbest-verseucht“. Dass das für den Palast der Republik galt, wird jeder wissen. Das ICC … Ich überlegte und sagte nichts. Weil ich nicht wusste, ob das zutraf. Später las ich im Buch weiter, wo steht:

„dass das ICC von Spritzasbest durch einen glücklichen Zufall verschont geblieben ist, weil es inzwischen das asbestfreie Material Kafko zur feuerhemmenden Ummantelung von Stahlbauelementen gab (…).“

Na bitte, meiner kleinen Liebesgeschichte steht also auch DAS nicht im Wege. Was freue ich mich, dass ich nächsten Sonntag um 11 Uhr wieder am S-Bahnhof Messe-Nord stehe, zusammen mit Vivantes. Am Treffpunkt der Etappe 14, der vorletzten von „Vivantes erradeln“ mit Berlin on Bike, blicken wir auf das ICC. Geht gar nicht anders. Wenn man hier ist, muss man es ansehen. Wie es da liegt an der Autobahn … Wer könnte das Stahlschiff anheben? – Auch interessant, dass Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte das „Raumschiff- und Weltraumdesign“ nicht bewusst als Stil entwarfen. Es war mehr ein Ergebnis von „Form follows function“, berichtet die Architektin. Die Devise hätten sich viele für den Nachfolgebau des Palasts der Republik gewünscht.


Das Buch … im Lukas Verlag

Gropius erwartet Vivantes — Und ROZ-Tasse im Regal

Auf Recherche-Fahrt für „Vivantes erradeln“, einer Tourserie von Berlin on Bike, fuhr ich heute nach vielen Jahren den Rohrdamm entlang. Das ist der Ort, an dem ich studiert habe. Das Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU war dort eine Zeit. Jahre lang fuhren wir hier raus, nach Spandau, Nähe Nonnendammallee, wo die Stadt auseinanderreißt und die „Automeile“ beginnt und das Kraftwerk Reuter West mit seinem Riesen-Kühlturm jeden Impuls lähmt, weiter rauszugehen, zu fragen, was da noch kommt am Horizont.

Eine Tasse namens „ROZ“

Hier am Rohrdamm, hatten wir oben im Haus ein Café. Wir nannten es „ROZ“ (sprich: „Rotz!“), die Kurzform von „Rohrdamm-Zentrum“. Ich kann mich erinnern, wie wir hier den Film „Berlin Babylon“ sahen oder Vorträge vorbereiteten. Auf den Sofas. Es gab spezielle ROZ-Tassen hier, Kaffeetassen. Als das Institut hier auszog, nahm jeder welche mit nach Hause. Ich hab auch eine. Und ich nehme sie am Sonntag aus dem Küchenregal und mit auf Tour.

Kaffeetasse aus dem Rohrdamm-Zenter, genannt "ROZ", Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin (Tasse und Foto: André Franke)

Kaffeetasse aus dem Rohrdamm-Zenter, genannt „ROZ“, Institut für Stadt- und Regionalplanung der TU Berlin (Tasse und Foto: André Franke)

Dann kommen wir auf der 13. Vivantes-Etappe hier vorbei, und ich: die Tasse parat. Der Beweis, dass ich studiert habe :-) Gibt es was tolleres als ein Diplom in der Tasche und den ganzen Tag Fahrrad fahren?

Ich staune nur, wie sich hier für mich der Kreis schließt. Der Rohrdamm war eine meiner ersten Adressen in Berlin. Jetzt schickt mich der Chef auf die Strecke und ich fahre nach 1997.

Event: Triennale der Moderne

An diesem Wochenende findet in Berlin die „Triennale der Moderne“ statt (vorher gab es ein Wochenende in Weimar und ein Wochenende in Dessau). Es gibt Filme, Spaziergänge und eine Busfahrt zu den Siedlungen der Berliner Moderne und zu Bauten von Bauhaus-Gründer Walter Gropius. Die „Ring-Siedlung“ (Siemensstadt) ist mit im Programm, am Samstag auf einem geführten Spaziergang, am Sonntag auf der Bustour, die 9 Uhr morgens beginnt und bis 19 Uhr abends geht (alle sechs Siedlungen werden angefahren). Siehe Eventkalender …

Endlich Siemensstadt!

Wär ich ein Igel, könnt ich jetzt sagen: Ich war all hier. Ich bin heute genau durch diese Ringsiedlung geradelt! Die liegt nämlich am Sonntag auf unserer Strecke. Die Bauten von Gropius sehen aus, als wären sie neugebaut, neu, modern, von heute. Schneeweiß und sauber. Ich habe sie zum ersten Mal gesehen. Im Studium hab ich es immer nur bis zum Bäcker in der Nonnendammallee geschafft. Gropius lag zu weit im Norden. Man war sowieso schon weit genug draußen.

Wenn sich morgen ein Kollege findet, der mich von einer (anderen) Tour befreit, dann hoffe ich, an dem Spaziergang durch die Siemensstadt mitmachen zu können, der 13 Uhr beginnt. Das wäre dann auch eine Art Triennale, meine ganz persönliche Ringsiedlungstriennale. Drei Tage Ringsiedlung – und zurück.


Vivantes feiert 15. Geburtstag. Berlin on Bike führt die Mitarbeiter auf 15 Etappen zu den Einrichtungen des Unternehmens, immer sonntags …

Mehr zur Triennale der Moderne …

Mehr zu den Siedlungen der Berliner Moderne bei SenStadtUm …