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Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ein Stück Halle an der Saale unterm Schloss an der Spree

Was einem nicht alles zugetragen wird, wenn man den Menschen sein Ohr schenkt! Besonders als Stadtführer sollte man öfter die Klappe halten und empfangen, was Mitteilungswürdiges der Besucher Berlins mit in die Stadt bringt. Natürlich sitzen die Infos aus der Heimat sprungbereit hinter seiner Stirn. Sowie die Hauptstadt(-geschichte) halt macht, sprudeln sie heraus aus dem Gast.

Hallenser, die ich neulich zwei Tage lang betreute, erzählten mir, das Carillon im Tiergarten sei das zweitgrößte in Europa. Wusste ich gar nicht. Auch nicht, dass es das drittgrößte der Welt sei. Jetzt ratet mal, in welcher Stadt das größte Carillon Europas und das zweitgrößte Carillon der Welt steht! – In Halle.

Hallenser klettern für Christo 1995

Die Christo-Verhüllung des Reichstagsgebäudes im Sommer 1995 ist auch ein erzählenswerter Meilenstein am Platz der Republik und ein starkes Bild fürs Besucherauge dazu. Aber fortan wird in meinen Touren nicht länger der Künstlername Christo das Bemerkenswerte sein. Wohl aber der Name der Stadt, aus der die Industriekletterer kamen, die sein Kunstwerk in die Tat umsetzten: Halle.

Und dann wäre da noch ein Stück geformtes, fundamentiertes Erz, das heute kein Mensch mehr sieht, wohl nie mehr sehen wird. Welches aber mitschwingt, wenn zukünftig die U5 unter dem Schlossplatz durchrattert. Unter der Bodenwanne des Palasts der Republik fährt die U-Bahn bald durch. Sie ruht zwischen Tunnel und Berliner Schloss und ist ein Produkt der Eisenbiegeanlage des VEB Bau- und Montagekombinats „Chemie“ in: Halle an der Saale.

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ich wäre dafür, am Mehringplatz das Hallesche Tor wiederaufzubauen. Einfach als Ehrerbietung für das Mitwirken der Saalestadt an der Hauptstadt Berlin. Im Übrigen ist Halle vor allem Musikerstadt, die Geburtsstadt Händels. Finden wir wohl nicht einen Platz am „Musikerofen“ für ihn, im Tiergarten? Oder ein eigenes Denkmal.

BIZ bitte nicht vor den Reichstag stellen – Variante Nr. 6: Krolloper-Steg statt Teuer-Tunnel

Wenn mich nicht alles täuscht, stammen die fünf Varianten, wo am Platz der Republik potenziell ein Neubau für das geplante Besucher- und Informationszentrum des Bundestags (BIZ) hingebaut werden könnte, von der Berliner Zeitung selbst, die am Wochenende über das (inklusive Tunnel) 150 Millionen Euro teure Bauprojekt berichtete. Wenn dem tatsächlich so ist, dann bitte: Malstunde beenden, Rotstifte beiseite legen, auf den Platz der Republik gehen und die Augen öffnen: Vor die Westfassade des Reichstagsgebäudes gehört gar nichts! Dessen ist sich wohl auch der Bundestag bewusst. Sein Ältestenrat hat sich für den BIZ-Neubau für den Standort südlich der Scheidemann-Straße entschieden – abseits des Platzes. (Nicht schlecht, aber ich plädiere wie gesagt für eine Erhaltungssatzung für den Schokopudding im dort heute bereits existierenden Berlin-Pavillon, was einen Abriss desselben und eine Erschwerung der Rückkehr des Puddings an diesen Ort verhindern helfen soll.) Ich wage daher eine Variante Nr. 6: Malt ein rotes BIZ-Rechteck westlich der Heinrich-von-Gagern-Straße auf die Grünfläche, wo einst die Krolloper stand! Das wäre städtebaulich doch rund oder? Zu lang die Tunnelstrecke dann? Und zu teuer? – Macht einen oberirdischen Steg draus und verzichtet auf den Teuer-Tunnel! Drei Meter hoch dieser Steg, von transparenten (von mir aus Panzer-) Glaswänden gesäumt, der direkt ins Portal des Reichstagsgebäudes führt.

Ohne Brecht zu bemühen: Plädiere für Erhaltungssatzung für den Pudding im Berlin-Pavillon am Platz der Republik

Besucherbuden blockieren Bundestag. Weg damit, mit den Besucherbaracken.

Besucherbuden blockieren Bundestag. Weg damit, mit den Besucherbaracken.

Der Pavillon schmeckt und ist aus manchen Perspektiven kaum zu sehen. Mehr noch, er passt sich bescheiden in die Atmosphäre ein.

Der Pavillon schmeckt und ist aus manchen Perspektiven kaum zu sehen. Mehr noch, er passt sich bescheiden in die Atmosphäre ein.

Fährt man fast dran vorbei, außer man war beim Zahnarzt, musste das Mittagessen aufschieben und hat Hunger. Nochmal: atmosphärisch stört die Bude nicht. - Stehenlassen bitte.

Fährt man fast dran vorbei, außer man war beim Zahnarzt, musste das Mittagessen aufschieben und hat Hunger. Nochmal: atmosphärisch stört die Bude nicht. – Stehenlassen bitte.

Überraschung: Stadtmodell in 3D auf der Grundlage des Planwerks Innenstadt aus dem Jahre 2005. Macht sich mindestens gut als Orientierungshilfe. Holzmarkt muss ge-updated werden!

Überraschung: Stadtmodell in 3D auf der Grundlage des Planwerks Innenstadt aus dem Jahre 2005. Macht sich mindestens gut als Orientierungshilfe. Holzmarkt muss ge-updated werden!

"Stäv" lässt grüßen: Aber ein Altkanzler-Filet ist es nicht. Auch nicht ganz so teuer, sondern "nur" 6,90 Euro.

„Stäv“ lässt grüßen: Aber ein Altkanzler-Filet ist es nicht. Auch nicht ganz so teuer, sondern „nur“ 6,90 Euro.

Na bitte. Das Besucher- und Informationszentrum des Bundestages soll nicht länger unterirdisch geplant, sondern als ganz normales Haus im Tageslicht gebaut werden. Kein “Grab des Volkes” mehr, immerhin. Aber weichen soll ein Haus, wie die Berliner Zeitung schreibt, das am Platz der Republik schon steht, schon länger: der Berlin-Pavillon. Dabei handelt es sich um eine Fressbude, gar nicht mal um eine schlechte. Schöne, dicke Currywürste, wahlweise mit Pommes oder Bratkartoffeln gibt es da; auf dem Teller sieht’s aus wie im “Stäv” am Schiffbauerdamm, wenn man ein Altkanzler-Filet bestellt. Schmeckt auch fast so gut wie dort, nur das Kraut fehlt und die Nationalflagge. Aber die kann sich die Gastro bei dem Schwarz-Rot-Gold-Aufgebot nebenan wirklich sparen. Will sagen: ich mag den Pavillon! Trotz der sechs Euro neunzig, die ich für die Wurst mit Pommes gestern bezahlt habe und vor denen ich nicht zurückschreckte, weil ich mein Mittagessen um zwei Stunden verschieben musste, weil ich zuvor beim Zahnarzt war. (Mal herhören: Der Schoko-Pudding ist der absolute Hammer! Sehr flüssig, fast trinkbar. Tipp: Esslöffel benutzen! Kosten: zwei Euro zwanzig.) Also, ich mag die Bude. Sie ist sogar informativ und besonders bei Regen tourtechnisch ansteuerbar für Berliner Stadtführer, wegen seines großflächigen 3D-Stadtmodells an der Wand. Aber ich mag das Ding auch, weil es architektonisch so unscheinbar ist, grau, gut getarnt. Ich fürchte, von dem zukünftigen Besucherhaus wird man das nicht erwarten dürfen, es wird bestimmt in Sichtbeton, wie beim “Band des Bundes”, hell aus den Büschen des Tiergartens blitzen. Und wir werden denken: noch Baustelle oder schon fertig gebaut? Aber das ist nur eine Vermutung. Naja, der Pavillon ist jedenfalls mehr als ein Zelt, mehr als eine Humboldt-Box. Ich werde Abschied nehmen. Pudding essen. Mit großem Löffel. Tag für Tag. Ab morgen. Oder kommt die Moral etwa doch zuerst?

Das Grab des Volkes

Not macht erfinderisch, sagt man. Es war die Gefahr des Terrors, die den Besucherempfang im Reichstag wie einen Hund hinaus auf die Straße setzte. Jetzt erfinden die Hausherren das Tier neu und wollen einen stattlichen Löwen aus dem begossenen Pudel machen. Die Gäste des Reichstags sollen sich über die deutsche Demokratie aufklären, Filme gucken, ihre Kinder ruhigstellen. Und mehr: an Seminaren teilnehmen und dem Bundespräsidenten begegnen – alles unter Tage bitte. Aber haben wir Erfindungen nötig, die keine sind?

Der wohl überzeugendste „Ort der Aufklärung“, wie ihn Bundestagsvizepräsident Wolfgang Thierse vom geplanten unterirdischen Besucherzentrum nach einem Artikel von „Spiegel Online“ wünscht, ist heute schon der Deutsche Dom am Gendarmenmarkt. Hier kann man sich in einer Dauerausstellung des Bundestags (Hat er etwa vergessen, dass es sie gibt?) auf fünf Etagen kostenfrei und multimedial über die deutsche Volksherrschaft informieren bis der Parlamentsarzt kommt, wenn er denn hinfindet. Filme gucken inklusive. Was den geplanten Kinderraum angeht: Eine funktionierende Kita in himmelblau gibt es gleich um die Ecke vom Reichstag in der Otto-von-Bismarck-Allee 2. Seminarräume? – In die Politik- und Gesellschaftslehre kann man bei der Bundeszentrale für politische Bildung gehen, gleich um die Ecke vom Deutschen Dom am Checkpoint-Charlie. Und einen Repräsentationsbereich für den Bundespräsidenten, der ein Schloss (ein Schloss!) hat, auch noch mit da unten reinzuquetschen, bezeugt die heraufziehende Humboldtforums-Denke: Alles muss rein, komprimiert wie in der zip-Datei. Auch wenn es woanders längst herumschwirrt. „Woanders“ muss zu uns.

Auch das Finanzformat scheint mit 500 Millionen Euro Baukosten fast deckungsgleich mit dem Berliner Schloss. Zwei Jahre nach Eintreffen der Not sind es vorm Reichstag – Gott sei dank – die Kosten, die explodieren, und keine Bomben. Aber das muss man sich doch mal auf der Zunge zergehen lassen: Da wird vor der Türe des Reichstags ein ganzes Barockschloss versenkt! Das klingt irgendwie nicht gesund. Hier ist ein Schneeball ins Rollen gekommen und hat so dermaßen an Masse gewonnen, dass sich mir der Verdacht auftut, der Bundestag wolle seine Besucher mit dem unterirdisch-außerirdischen Besucherzentrum nicht empfangen, sondern betäuben, sie unter allen Umständen davon abhalten, die eigentliche Sehenswürdigkeit zu betreten. Kuppel ejal, ick kenn‘ dir schon vom Fülm. Neulich erzählte mir eine Frau, die in die Gedenkstätte Hohenschönhausen gehen wollte, sie hätte sich nicht mehr hineingetraut, nachdem sie sich zu Beginn den Einführungsfilm angesehen hatte. Der unpersönliche Film hat sie um die persönliche Begegnung mit einem Ex-Stasi-Häftling gebracht. Wie denken Bürger über Politik, wenn sie ihre Abgeordneten nur durch die Kamera kennen, den Plenarsaal nie unter ihren eigenen Füßen hatten?

Das Besucherzentrum als Betäubungszentrum wird auf diese Art nicht nur das viel befürchtete Milliarden-Grab. Es wird auch das Grab des Volkes, dem man bei seinem Aufstieg zur Kuppel beschäftigungstherapeutische Steine in den Weg legt. Wer hier vergisst, dass er in den Reichstag wollte, ist an der Firewall gescheitert. So gesehen, ist es eben doch eine Erfindung. Eine raffinierte sogar. Wer nicht stolpert, hat die Kuppel verdient.