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Benedikt gefangen im Bärenzwinger

Ich fahre meine Touren, auch wenn keiner kommt. Dazu muss ich mich gar nicht zwingen. Denn ich weiß, es gibt immer Überraschungen. Als ich am Mittwoch auf dem Stadtkern-Ride am Bärenzwinger vorbeikam, entschied ich mich spontan, in die neue Ausstellung zu gehen. Dort war ich allein. Niemand anderes war da. Der Campingstuhl mit dem gelb-weiß gestreiften Sitzpolster im Empfangsraum war leer. Nur eine Stimme sprach zu mir, die aus dem Raum hinter der Holztür kam. „Hallo?“ Der Wärter hatte sich im Klo eingeschlossen. Die Tür war zugefallen, und er konnte sie von innen nicht öffnen. Ein Vorfall, der offenbar zum ersten Mal in der Ausstellungsgeschichte des Bärenzwingerbaus aufgetreten war. Jetzt war es an mir, Benedikt, wie er hieß, zu befreien.

Über die Kunst, jemanden zu retten, der nicht in Notlage ist …

Als erstes ging ich zum Schrank. Der stand schon halboffen. Drin waren eine Säge, Kleiderbügel, Klopapier. Auch ein Eisenwinkel, den ich herausnahm, und ihn als „Dietrich“ benutzte. Weiß einer heutzutage noch, was ein „Dietrich“ ist? Die Baukammer von Opa war voll mit den Dingern. Ich hätte sie hier und jetzt sowas von gebrauchen können! Benedikt wäre schnell draußen gewesen. Doch er musste sich gedulden. Der Winkel war zu groß.

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Dann checkten wir das Fenster. Es war vergittert. Die Säge? – Nee. Ich griff lieber zum Kleiderbügel. Mit dem Hängehaken ging ich ins Schlossloch der Tür. Also im Grunde war da gar kein Schloss drin, was Teil des Problems war. Ich bog den Haken zum „Dietrich“ und drehte ihn im Türschloss. Aber der Bolzen ließ sich nicht zurückziehen. Stattdessen verklemmte sich der Haken. Ich kriegte ihn nicht mehr raus. Schließlich brach er.

Klotür mit Schrank

Klotür mit Schrank

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Benedikt und ich allein. Es war gegen halb sechs abends. Da kam eine Mutter mit zwei Kindern, die auch in die Ausstellung wollte. Aber schon war sie Mitglied der Rettungsaktion geworden … Sie sagte, es gäbe einen Mann mit Taschenmesser, zeigte in Richtung Spielplatz, wo sie herkam. Kurz darauf kam ein Vater mit Söhnchen. Er sollte entscheidend bei der Befreiung im Bärenzwinger mitwirken.

Inzwischen hatte Benedikt die Feuerwehr angerufen: „Ich bin eingeschlossen im Bärenzwinger“, hörte ich ihn durch die Tür sagen. Was der Feuerwehrmann am anderen Ende der Leitung in diesem Moment wohl gedacht haben muss? Aber er lehnte den Auftrag ab. Es läge keine Notsituation vor.

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sommer im September: 32 Grad Celsius

Sommer im Bärenzwinger: 32 Grad Celsius im September

So machten wir selber weiter. Der Taschenmesserpassant werkelte zehn Minuten an der Tür rum. Sein Kleiner schaute zu. Ich schaute zu. Saß im Liegestuhl, der eigentlich für den Wärter war. Es half nichts. Als letztes schraubte er noch die Türschloss-Verkleidung ab. Sein Taschenmesser hatte einen Schraubenzieher dran. Ich fand im Schrank noch eine dünne, stiftlange Schraube. Die steckte ich in das erweiterte Loch der Tür. Stach mit ihr nach oben und versuchte, damit den Bolzen zurückzuflippen. Es ging! Zwar nur ein paar Millimeter, aber es reichte, dass der Taschenmessermann mit seiner Punktekarte von REWE zwischen Bolzen und Türrahmen kam. Vorher funktionierte das nicht. Die Türe ging auf. Benedikt sprang heraus, und der Taschenmessermann, sein Sohn und ich sahen endlich, mit wem wir es zu tun hatten.

Benedikt, der Bär

Benedikt bot uns sofort ein Bier an: Berliner Pilsener mit dem roten Bären drauf. Dann führte er mich durch den alten Zwinger von Schnute und Maxi und durch die aktuelle Ausstellung. — Soviel zum Thema Überraschungen. Wobei, eine geht noch: Als ich einen Tag später noch mal in den Zwinger ging, um Fotos zu machen, stand diesmal ein anderer Wärter vor mir. Auf meine Frage, ob Benedikt da sei, erwiderte er etwas ratlos: „Benedikt? Der Bär?“

Was soll aus dem Bärenzwinger aber nach der zweijährigen Zwischennutzung als Ausstellungsort werden? Ich habe gelesen, dass vor Ort über die Zukunft des Zwingers diskutiert werden soll und schlage einen:

Skater-Garten für Kinder

vor.

Warum und wieso? Dazu mehr demnächst …


Mehr Infos zur Aussstellung von Reto Pulfer und Sarah Ancelle Schönfeld im Bärenzwinger unter www.baerenzwinger.berlin

Buchpräsentation: Architektur des Expressionismus in Berlin

Abspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung am Nordhafen in Mitte (aus "Fragments of Metropolis Berlin" abfotografiert)

Abspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung am Nordhafen in Mitte (aus „Fragments of Metropolis Berlin“ abfotografiert)

Der architektonische Expressionismus ist nicht unbedingt der Architekturstil, der sofort ins Auge sticht. Expressionistisch heißt ja nicht zwangsläufig aufsehenerregend oder spektakulär. Das Buch „Fragments of Metropolis Berlin“ hat mir  jetzt die entsprechende Brille aufgesetzt, sodass ich das Vergnügen hatte, bei einer ganz normalen Mauer-Tour insgesamt 4 Beispiele dieser Epoche „einsammeln“ zu dürfen, zu registrieren: Vom Trafo-Häuschen am Arnimplatz, über die katholische Kirche St. Augustinus in der Dänenstraße sowie das Aspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung in den Nordhafen, bis hin zum Fernmeldeamt in der Tucholskystraße in Mitte. Über 130 Gebäude sind im Buch fotografisch dokumentiert und im Stadtplan verortet. Es gehört auch die ehemalige AOK-Zentrale am Köllnischen Park dazu, die zum Projekt „Metropolpark“ gerade umgebaut wird. Genau dort, im Showroom in der Rungestraße 3-5, 10179 Berlin-Mitte, wird das Buch, für das Hans Kollhoff immerhin das Vorwort geschrieben hat, von Niels Lehmann und Christoph Rauhut heute Abend ab 19:00 Uhr präsentiert.