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Über das Wagnis, in Berlin einen Grundstein zu legen

Grundsteinlegungen in Berlin waren immer riskant. Als der König nach dem Sieg über die Dänen das Denkmal in Auftrag gab, das wir heute als Siegessäule kennen, wusste er noch nicht, dass er auch gegen die Österreicher gewinnen würde und gegen die Franzosen. So buddelten die Berliner den Grundstein der Siegessäule gleich zweimal wieder aus, ehe das Denkmal 1873 endlich eingeweiht werden konnte: dann von einem König, der auch Kaiser war. Springen wir ins Jahr 2012, zum 12. Juni an den Schlossplatz: Damals wurde dort der Grundstein fürs Humboldtforum gelegt, und Hermann Parzinger wagte einen Kommentar auf das sonnige Berliner Wetter, als er seine Rede unter freiem Himmel begann. Er könne von „Kaiserwetter“ sprechen (und er tat es eben auch), scherzte er spontan. Später, als er sich an die Schlosskritiker richtete („Betrachtet uns nicht nur durch die Brille des Kolonialismus!“), fiel ein Lächeln leicht und das Ernstnehmen schwer. Und heutzutage? Hat auch Jochen Sandig neulich auf der Tacheles-Baustelle etwas Riskantes getan?

Der Pirat stürmt die Prominentenbühne und ist selber einer

Nach dem Bericht der Berliner Zeitung vom 19. Oktober („Akt der Piraterie“) sprang Sandig, ein Tacheles-Gründer, auf die Bühne und befüllte die Kartusche, die in den Grundstein kommt, mit Papier, das für den Tacheles-Untergrund so nicht vorgesehen war: Karten, die mit den 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung beschriftet waren; die UN hatte sie 2015 in ihrer Agenda 2030 beschlossen. Sandigs Botschaft: Die Tacheles-Ruine soll nicht vermarktet, sondern einer Stiftung übergeben werden, und die Generation Greta soll in das Haus einziehen; „Fridays for Future“ soll ein Zuhause kriegen. Fridays for Future an der Friedrichstraße (naja, fast an der Friedrichstraße), das ist schon ein reißerisches Setting. Für alle, die die Nachhaltigkeitsziele konkret nicht kennen (z.B. ich selbst), liste ich sie einmal auf:

  1. keine Armut
  2. kein Hunger
  3. Gesundheit und Wohlergehen
  4. hochwertige Bildung
  5. Geschlechtergleichheit
  6. sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
  7. bezahlbare und saubere Energie
  8. menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
  9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
  10. weniger Ungleichheiten
  11. nachhaltige Städte und Gemeinden
  12. nachhaltige/r Konsum und Produktion
  13. Maßnahmen zum Klimaschutz
  14. Leben unter Wasser
  15. Leben an Land
  16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

Mag die Mission Jochen Sandigs auf höherer, symbolischer Ebene liegen, so lassen sich doch ein paar Reizpunkte auch auf den neuen Tacheles-Bau direkt beziehen. Taz-LeserInnen entdecken sofort eine Missachtung von Punkt 5. Das Publikum, vor dessen Augen die Grundsteinlegung am 19. September 2019 stattfand, bestand einem Bericht zufolge nicht zu gleichen Teilen aus Damen und Herren. Nein, die taz sah eine „Männerriege“ aus „rund 300 Männern in blauen Anzügen (…) Die wenigen anwesenden Damen waren entweder fürs Büffet oder die Berichterstattung zuständig“. Dagegen verwirklicht das Tacheles Punkt 17 phänomenal: Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder macht den Bebauungsplan (im Jahre 2003), seine Gattin lädt zur Grundstein-Party (2019); auch hier hilft uns die taz (zitiert den Tagesspiegel), aber auch die Morgenpost erklärt ein paar Hintergründe (siehe unten). Der Pirat könnte also durchaus „im Klartext“ gehandelt haben. Aber was hat denn Sandig nun eigentlich riskiert?

Tacheles-Baustelle mit Kranhaken, ca. 2 Jahre vor der Grundsteinlegung

Wäre ich am 12. Juni 2012 zur Schlosskartusche marschiert und hätte ihr rebellisch eine taz reingedrückt (damals schrieb sie über den „großen Fassadenschwindel“), man hätte mich wohl in die Spree geworfen. Und am Tacheles schreiten „dutzende Sicherheitsmänner mit ´Mann im Ohr“ (wieder taz) nicht ein, wenn jemand auf die Festbühne springt, der auf der Festbühne gar nicht erwartet wurde? Ich glaube, dass der Festspielintendant und Berliner Kulturunternehmer von vornherein zum Programm gehörte. Man war ja unter sich. Und wenn das stimmt, hat Sandig nur eine Sache riskiert: mit seiner Stiftungsidee nicht gehört zu werden. Insofern hat er ja noch mal Glück gehabt, dass wenigstens die Berliner Zeitung darüber schrieb. Vielleicht war das aber nur eine Gefälligkeit im Gegenzug dafür, dass der Berliner Zeitung die Ehre zuteil wurde, mit dem Tacheles-Grundstein versenkt zu werden – vom Ex-Regierenden Klaus Wowereit. Auch das erfährt man von der taz.


LINKS

Berliner Zeitung v. 19. September 2019

Berliner Zeitung v. 19. Oktober 2019

Baugeschichte Siegessäule auf bundestag.de

Eventreport Grundsteinlegung Schloss auf Futurberlin.de v. 13. Juni 2012

Morgenpost v. 8. September 2016

Nachhaltigkeitsziele auf bundesregierung.de

Tagesspiegel v. 19. September 2019

taz v. 19. September 2019

taz v. 20. September 2019

Wieder „Kaiserwetter“ am Schloss?

Das Schloss feiert Richtfest. Das Humboldtforum auch. Mögen beide Sonne tanken im „Kaiserwetter“ …

Am Freitag wird es sonnig und heiß. Ob dann jemand aus der geladenen Richtfestgesellschaft auf der Schlossbaustelle wieder von „Kaiserwetter“ sprechen wird? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hatte vor zwei Jahren bei der Grundsteinlegung keine Scheu, dieses Wort auszusprechen. Ich habe es selbst gehört, ich war dabei. Diesmal wird es mir nicht vergönnt sein. Weil ich nicht in Besitz eines Presseausweises bin, hat das große Haus keinen Platz für kleine Schreiber wie mich. Der Bau, den ich vor kurzem in einem Blogpost willkommen hieß, lässt mich vor der Türe stehen. Wenigstens nicht bei Regen. Oder begünstigt mich das Schicksal etwa mit der Perspektive von außen? Vom Schinkelplatz? Thyssen-Krupp-Platz? Den Kranz auf der Kuppel baumeln sehen, das geht doch am besten mit etwas Abstand, denke ich. So sag ich in weiser Voraussicht schon mal Danke, liebe Stiftung.

Schlosskuppel mit Dixieklo im Mai 2015: Menschlichkeit auf der Baustelle (Foto: Frank aus Hermsdorf, aufgenommen während der Zukunft-Berlin-Tour)

Schloss schlägt Humboldtforum

Doch das „Kaiserwetter“ macht mich immer noch ein bisschen kirre. Das Wort, sollte es jemand in Reden bemühen, klängen heute anders als 2013. Damals standen wir in der Baugrube, unter Straßenniveau. Jetzt redet man von der Kuppel herab. Der Bau selber spricht, der Rohbau wohlgemerkt, schreit: Schloss, Kaiser, Deutsches Reich! Das ist ein Dreiklang, der in keinem Forum weggeredet werden kann. Wilhelm von Boddien sagt in einem Interview, das Humboldtforum würde bei den Menschen nicht hängenbleiben. Sie würden zukünftig ins „Schloss“ gehen, weil sie den Begriff „Humboldtforum“ noch nicht verstanden hätten.

Werbung fürs Schloss. Kaiserwetter auch im Thälmannpark möglich

Werbung fürs Schlossrichtfest im Thälmannpark. Links: Gast auf der „Osten ungeschminkt“-Tour mit Berlin on Bike am 10. Juni 2015 (Foto: André Franke)

So ist es. Das habe ich selbst bei jenen beobachtet, die genau wissen, was das Humboldtforum sein soll. Im Februar dieses Jahres bemühte sich Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup bei einer Veranstaltung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wirklich darum, nicht vom „Schloss“ zu sprechen. Es fiel ihm gar nicht so leicht. Aber das immer erklärungsbedürftige „Humboldtforum“ wollte sich einfach nicht auf seine Zunge legen. Am Ende seiner Ausführungen, befördert durch Emotion beim Reden, vergaß er den Vorsatz, und es kam wieder das einsilbige, schnelle Schloss heraus. Ist ja auch gar nicht schlimm, ich mach´s ja genauso. Boddien hat längst gewonnen.

Die letzten Sonnenstrahlen im Schloss 1918

Aber mit dem Kaiserwetter sollte man vorsichtiger sein am Freitag. Mögen die Gäste es bloß nicht herbeirufen! Einmal aufgegangen, bleibt die wilhelminische Sonne, jegliche Menschlichkeit verachtend, fest am Himmel stehen. Und geht als letzte unter. Wie im November 1918. Über die letzten „Sonnenstrahlen“ im Berliner Schloss (als Lebensmittelvorräte des Kaisers) schreibt Heinz Knobloch unter Berufung auf den Zeitzeugen Wilhelm Carlé etwas, bei dem sich des Lesers Magen umdreht, so er denn gefüllt ist:

„Bereitwillig führt man mich in die großen Lagerräume. Ich war darauf gefasst, ein Lager vorzufinden, aber das dort gesehene übertrifft doch alle meine Erwartungen. In großen, weiß getäfelten Kammern stand hier alles, aber auch wirklich alles, was man sich an Lebensmittelvorräten überhaupt denken kann. Nein, ich muss mich verbessern, man kann es sich nicht ausdenken, dass nach vierjährigem Krieg noch solche ungeheuren Mengen von Lebensmitteln aufgespeichert sind. Da finden wir Fleisch und Geflügel auf Eis, Saucentunken in großen Kisten, blütenweißes Mehl in Säcken bis an die hohe Decke aufgestapelt, tausende von Eiern, Riesenbassins mit Schmalz, Kaffee, Tee, Schokoladen, Gelees und Konserven jeder Art aufgeschichtet in unendlich scheinenden Reihen. Hunderte von blauen Zuckertüten, Hülsenfrüchte, Dörrobst, Zwieback usw. Man ist sprachlos und denkt unwillkürlich an den alten Witz, dass die Mengen so groß sind, dass ein Mann allein sich davon unmöglich einen Begriff machen kann. Der Wert der Vorräte beläuft sich auf mehrere hunderttausend Mark. Wenn diese Lebensmittelvorräte augenblicklich nicht besser zu gebrauchen wären, so möchte  man vorschlagen, sie unberührt dem deutschen Volke im Nationalmuseum als ein ewiges Zeichen zu erhalten, damit Kinder und Kindeskinder noch sehen mögen, wie in Deutschland, während Millionen hungerten, ‚Gottbegnadete‘ durchhielten.“ (aus: Berlins alte Mitte, Jaron-Verlag, 1996, Berlin)


Futurberlin-Eventreport zur Grundsteinlegung des Schlosses am 13. Juni 2013 

Boddien-Interview mit Deutschlandradio Kultur

Kürzliche, jetzt fragwürdige Futurberlin-Anfreundung mit dem Schlossbau