Sein Name klingt nicht gerade berlinerisch, und doch hat James Simon der Stadt Schätze gebracht. Die Nofretete zum Beispiel, auf der Museumsinsel. Ohne Simon läge sie vielleicht heute noch in Ägypten, unentdeckt, denn der Mann gab sein Geld für die Grabungen.
Warum erzähle ich das? – Weil ich es bis Mittwoch einfach nicht wusste und weil ich mich ernsthaft frage, ob die Wissenslücke „James Simon“ für einen Stadtführer vertretbar ist. (Das kann ja mal jemand kommentieren …)
Es war jedenfalls nicht der mir unbekannte Name, der mich am Dienstag Abend um Sechs auf den Ku’damm trieb, um eine Veranstaltung zu besuchen, bei der es um die neue James Simon Gallerie ging. Wahrscheinlich war es eher das Kutscherhaus, das mich beim Lesen der Einladung neugierig machte und der Architekturpreis e.V., von dem ich noch nichts gehört hatte. Was für ein Verein ist das jetzt wieder?, dachte ich. Und was genau ist mit der Gallerie, der man diesen ausländischen Namen gibt? (Das war noch Dienstag.)
Immer rein in die gute Stube
Das Kutscherhaus liegt am Kurfürstendamm, im zweiten Hinterhof eines Eckhauses. Ich kann nicht sagen, ob das ganze Gebäude so heißt oder nur der Teil, in dem die Veranstaltung war. Dort, im Erdgeschoss, es wirkt wie eine alte Remise, sitzt der Architekturverein, in einem weißen, langen Raum, der interessanterweise an seinem Ende zusammenläuft und immer enger wird, dreieckig. Alles wirkt ziemlich ästhetisch, hier geht es um Architektur.
“Für Ihre Visitenkarten”, liest man an einer großen Schüssel. Sie steht auf einem brusthohen Tisch am Eingang, und es passen noch sehr viele Kärtchen rein. Zum Beispiel die von Futurberlin … Drin. Eine Frau fragt die ankommenden Leute, ob sie sich schon eingetragen hätten. Dort in die Listen. Auch die Listen liegen auf dem Tisch. Ich drehe wieder um und erkenne: Ich habe mich nicht angemeldet. – “Kein Problem”, höre ich die Frau zu einem anderen sagen, der auch nicht angemeldet ist. Man schreibt sich eben unten in die Liste ein. Listen über Listen liegen hier herum. Und am Eingang, der nicht viel Platz gibt, ist es voll. Warum schreiben wir uns nicht nachher ein?
Den großen Mann da vorne, den kenne ich. Er begrüßt die Gäste. “Guten Abend, Herr Mausbach”, sage ich. Und er fragt mich, wie die “kleine Serie” ankommt, die auf Futurberlin läuft. “Gut”, sage ich. Die 22 Artikel, die Florian Mausbach über das Rathausforum schrieb, haben 154 Besuche erhalten, aber das konnte ich ihm nicht sagen, da ich es am Dienstag noch nicht wusste, genauso wenig, wer James Simon war.
Wer zur Hölle ist David Chipperfield?
Der lange Raum ist voll, alle sitzen schon auf Stühlen, gefüllte Gläser in der Hand. Schon vor den Vorträgen?, frage ich mich. Normalerweise kommt die Erfrischung nachher, genau wie die Listen. Aber hier … Ich setze mich ans Ende des Raumes, und schon zu Beginn der Veranstaltung erfahre ich das spannendste: David Chipperfield war in Berlin einmal unbekannt. Florian Mausbach, der als Vorsitzender des Vereins den Abend eröffnet, erzählt, wie in den Neunzigern Hans Stimmann zu ihm sagte: “Der David Chipperfield, das soll ja ein guter Architekt sein.” – Wie sich die Zeiten geändert haben. Der große Architekt, der das Weltkulturerbe der Museumsinsel saniert, ist heute Abend nicht anwesend. Der Meister schickt seinen Gesellen.
Ans Rednerpult geht ein hagerer Mann mit buschig zusammengebundenem Haar. Wegen seines eleganten, feinen Bartes erinnert er mich an d’Artagnan von den drei Musketieren. Alexander Schwarz von David Chipperfield Architects hält eine Powerpoint-Präsentation, und der Degen, mit dem er ficht, ist die James Simon Gallerie.
Und dann sagt er etwas, was es wert war, hierher gekommen zu sein. (Immerhin hatte ich mir ein neues Umweltticket gekauft.) Schwarz sprach von “fünf Freunden, die an einem Tisch sitzen, aber sich den Rücken zukehren”. Und meinte damit die fünf Museen auf der Museumsinsel. Was für ein Bild! Aber wer hatte das gesagt? Ich habe den Satzanfang nicht mitgekriegt. Waren es seine eigenen Worte? Ich hatte sie jedenfalls vorher noch nie gehört. Ist auch diese Wissenslücke vertretbar? In aller Munde ist die Metapher jedenfalls nicht.
Nord-Süd- und Ost-West-Barrieren
Das Problem auf der Museumsinsel, so Schwarz, wäre die Nord-Süd-Trennung. Das Bodemuseum sei auf die nördliche Spitze orientiert, das Alte Museum nach Süden zum Schloss. Wenn in der Zukunft die James Simon Gallerie entsteht, wird sie in der Mitte der Insel sitzen. Das neue Besucherzentrum bildet den Ausgangspunkt für die archäologische Promenade, die unterirdisch, auf Ebene -1, zu allen Museen führen soll, jedem einzelnen. Von der Gallerie aus kann man bald direkt ins Pergamonmuseum gehen, das einen Südeingang bekommt. Und ein sechs Meter hoher Kolonnadengang verbindet die Gallerie mit dem frisch sanierten Kolonnadenhof der Alten Nationalgalerie. Mit diesem Plan wollen Schwarz und Chipperfield die Freunde endlich zusammenbringen.
Aber dann kommt der Landschaftsarchitekt Nicolai Levin. Er hat vor Jahren mit seinem Büro Levin/Monsigny den Freiraumwettbewerb für die Museumsinsel gewonnen und den Kolonnadenhof neugestaltet. Er bescheinigt der Insel auch zwei Seiten: Aber er spricht von der steinernen, hin zur Dorotheenstadt und von der landschaftlichen, hin zur Spree und zur Grünfläche hin. Und welche Grünfläche könnte hier wohl gemeint sein? – Es ist der James Simon Park, der zwischen Spree und Hackeschem Markt liegt, ein Parkname, der mich vor ein, zwei Jahren mal aufhorchen ließ (James Simon?), aber mich aus irgendeinem Grund nicht dazu brachte, ihn zu googeln. Vielleicht war es deswegen, weil er so amerikanisch klang. (Ist Unwissenheit eigentlich strafbar?) Levin will Elemente des Kolonnadenhofes auch auf den Platz an der James Simon Gallerie hinüber transportieren. Ein “Wassertisch” soll dort zum Beispiel hin, eine Art linearer Brunnen. Und Levin erklärt, warum dem Bodemuseum nichts anderes übrig blieb, als dem Freund Pergamon den Rücken zu kehren: Die Stadtbahn kam und zerschnitt die Insel, wenngleich das Pergamonmuseum erst nach ihm gebaut wurde.
Ein guter Architekt
Nach den Vorträgen wurmt mich immer noch das Zitat von den fünf Freunden. Ich frage Alexander Schwarz nach dem Urheber der Metapher. Für einen Moment lang, klingt er wie ein Österreicher. Aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Jedenfalls verzieht ihm die Frage seine Gesichtszüge. Halb spaßig, halb warnend gibt er den “Meister” höchstpersönlich als Urheber an. (Und er sagte “Meister”!) Das hätte ich mir denken können, aber ich tat es nicht. Ich wollte sicher gehen, und jetzt weiß ich es, dass eine Bildersprache wie die von den fünf aparten Freunden nur von einem Künstler kommen kann. Danke, so habe ich die Museumsinsel noch nicht gesehen. Ich glaube, der David Chipperfield, das muss ein guter Architekt sein.
Er hat für den Umbau des Neuen Museums vom Architekturverein einen Sonderpreis bekommen. Das war vor drei Jahren, lese ich in einer Broschüre, die auf dem Tisch am Ausgang liegt. Bei den Visitenkarten und der Spendenbox. Stand die vorhin schon hier? Auf einem anderen Tisch, von dem ich mich längst bedient habe, stehen reihenweise Flensburger. Auch Weißbrot, Käse, Schinken. Wer noch kein Abendbrot gehabt haben sollte, wird im Kutscherhaus satt. Ich spende, und dann gehe ich.
Erst am nächsten Tag frage ich mich, wer eigentlich James Simon war. Und plötzlich fällt mir auch der Park wieder ein, google es, und finde, die fünf Freunde könnten ruhig mal auf den Mann anstoßen.