Beiträge

Das Kreuz mit der Urbanität

Alle wollen sie, aber jeder versteht unter ihr etwas anderes. Auch im Salon von Lea Rosh letzten Montag bemühten die Gäste den Begriff von der Urbanität, als es erneut ums Rathausforum ging.

„Wir glauben, dass man Urbanität nur durch die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses herstellen kann“, sagte Gerhard Hoya von der Gesellschaft Historisches Berlin.

Doch Wolf-Dieter Heilmeyer von der Stiftung Zukunft Berlin verwies darauf, dass Urbanität auch soziologisch interpretiert werden kann. Leider wurde die Frage nicht weiter vertieft. Das Thema verdient sogar eine eigene Veranstaltung, finde ich: Was meint wer mit Urbanität?

Ein Buch, die Dissertation von Thomas Wüst, „Urbanität: ein Mythos und sein Potenzial“, auf das ich gestoßen bin, gibt schon mal einige Antworten, wenn auch nicht direkt zum Berliner Rathausforum.

Auch auf einen studentischen Projektbericht zum Thema Nutzungsmischung im Städtebau der TU Berlin bin ich in meinem Archiv gestoßen, bei dem wir im Jahre 1999 die Urbanitätsdebatte zusammenfassten. Hier ein Auszug:

+++

Eine der Zielsetzungen, die oft im Zusammenhang mit Nutzungsmischung diskutiert wird, ist die Erhaltung bzw. die Schaffung von Urbanität. Eine intakte funktionsgemischte Stadtstruktur wird häufig als Voraussetzung für Urbanität angesehen. Dieser Meinung ist z.B. Hunkenschroer, die als eine Vertreterin dieses Leitbildes der Stadtentwicklung bezeichnet werden kann.

”Die Mischung von Wohnen und Arbeiten kann in vielfältiger Weise auch in unserer Gesellschaft dazu beitragen, der Verödung von Stadtquartieren etwas entgegenzusetzen. Durch die Überlagerung mannigfacher Funktionen in dichten Strukturen entsteht Öffentlichkeit, da sich unterschiedliche Personen zu mehreren Tageszeiten im öffentlichen Raum (meist auf der Straße) aufhalten.” (Hunkenschroer, 1995: S.20)

Dabei ist für Hunkenschroer Dichte ein zentrales Merkmal von Urbanität. So sei eine Mindestdichte an Bewohnern in einem Quartier nicht nur die Voraussetzung für die Rentierlichkeit sozialer und technischer Infrastruktur sowie für Kommunikationsprozesse und Informationsflüsse.

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts:  (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts: „Lebendigkeit im öffentlichen Raum“. (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Den Dichtebegriff bezieht Hunkenschroer darüberhinaus auch auf das Maß an städtebaulicher Konzentration (vgl. ebd.).

”Die bauliche Dichte ist auch die Voraussetzung für die Lebendigkeit im öffentlichen Raum.” (ebd.: 101)

Der urbane Charakter eines Gebietes werde jedoch endgültig erst durch eine hohe Interaktionsdichte zwischen den Bewohnern erreicht. Das bedeutet, daß unterschiedliche Nutzungstypen, wie z.B. Wohnen und Versorgung, auf einen kleinen Raum konzentriert werden müssen, und auf diese Weise eine fußläufige Erreichbarkeit ermöglicht wird. Die Folge dieser schnellen Erreichbarkeit ist, daß die Nutzung der im Gebiet ansässigen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen intensiviert wird, und somit der urbane Charakter des Gebiets zunimmt.

Hoffmann-Axthelm beschäftigt sich insbesondere mit der inszenierten Urbanität, die er als von der eigentlichen Stadt gelöst sieht. Demnach sind urbane Lebensverhältnisse nicht mehr an die Stadt gebunden. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996). Vor dem Hintergrund der Suburbanisierung ist Urbanität für ihn der Stadtrest, …

”den diejenigen mitnehmen wollen, die sich aus dem Sozialvertrag Stadt (…) herausstehlen ins grüne (…) Umland” (Hoffmann-Axthelm 1996:55).

In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Typen von künstlicher Urbanität:

Der erste sei die gewöhnliche Innenstadt mit Einkaufszentren, die im geschützten Innenraum Stadt simulieren. Urbanität bedeutet hier Einkaufs- und Freizeitumgebung, verknüpft mit Kino, Restaurants, Cafés und Warenhaus. Die Mischung beschränkt sich hierbei auf das oben genannte Angebot an Konsumeinrichtungen, klammert jedoch eine Vielzahl an Funktionen, wie z.B. Handwerk, produzierendes Gewerbe und bestimmte Dienstleistungen, aus.

Im Vergleich zu diesem Urbanitätstyp ist der Zweite nur noch auf tourismusorientierte Funktionen beschränkt. Hoffmann-Axthelm beschreibt, daß sich das städtische Geschehen in den historischen Zentren fast ausschließlich auf die Erdgeschoßbereiche konzentriert.

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Die dritte Art von inszenierter Urbanität ist fast vollständig von der Nutzungsmischung losgelöst. Das heißt Lebendigkeit wird durch eine Festivalisierung der Städte erzeugt, wobei sie ausschließlich wegen bestimmter Ereignisse oder Attraktionen besucht werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Neubau von Unterhaltungskomplexen, wie z.B. am Potsdamer Platz in Berlin. (vgl. ebd.). Hier gruppieren sich die Investitionen um einen ”unterhaltungsindustriellen Kern”.

”Bei Debis (…) ging es schon sehr früh um ein Musicaltheater. Der Medienkonzern Sony baut im Innern seines Komplexes eine riesige multimediale Bühne, einen Raum, der zugleich Bildschirm und Film, Stadtraum und simulierte Stadt ist.” (ebd.: 60)

Die Typisierung Hoffmann-Axthelms macht deutlich, daß Nutzungsmischung nicht das einzige Instrumentarium ist, um den städtischen Raum zu beleben. Von besonderer Bedeutung für sein Urbanitätsverständnis ist eine ausgewogene soziale Mischung, die zwangsläufig ein erhöhtes Konfliktpotential in sich birgt. Wenn man diese Mischung aus unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Bevölkerungsschichten sowie mehreren Generationen näher betrachtet, wird deutlich, daß ein hohes Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern erforderlich ist. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996) Dies kann jedoch nicht vorausgesetzt werden (vgl. Gruen 1975, Schäfers 1997, Hunkenschroer 1995).

Die sich aus der Mischung ergebenden Konflikte sind dagegen ein Hauptpunkt der Kritik am Leitbild der durch Nutzungsmischung erzeugten Urbanität. So schreibt Jakhel, daß die soziale Integration innerhalb eines gemischten Viertels nicht überschätzt werden sollte (Jakhel, 1976: S.83). Er bezweifelt, daß räumliche Planung Lebendigkeit im Stadtgebiet hervorrufen und die Integration des Stadtbürgers in das Stadtgeschehen bzw. in das Marktgeschehen fördern kann. Auch die Tendenz zur sozialen Segregation kann seiner Meinung nach nicht allein durch die Gestaltung des Raumes aufgehoben werden.

Eine ähnliche Haltung vertrat bereits Anfang der 60er Jahren SalinEr bezweifelt, daß Raumplanung tatsächlich urbane Verhältnisse erzeugen könne. Salin definiert Urbanität als …

”kulturell – gesellschaftliche Lebensform, weltoffene Haltung der Bewohner zueinander und gegenüber Fremden, aber nicht (als) die Qualität einer besonderen städtebaulich – räumlichen Struktur.” (in: Sieverts, 1998)

Literaturliste:

  • Hoffmann-Axthelm, Dieter 1996: Anleitung zum Stadtumbau. Frankfurt/M. New York
  • Hunkenschroer, Birgit 1995: Mischung von Wohnen und Arbeit als Potential für eine stadtverträgliche Gewerbentwicklung. Diplomarbeit. Berlin
  • Jakhel, Rudolf 1976: Illusion und Realität der ‚urbanen‘ City: Ein Beitrag zur Kritik der urbanistischen Ideologie, Aachen
  • Sieverts, T. 1998: Zwischenstadt, Braunschweig u.a.

+++

Ich bin mal gespannt, wie weit man sich bei der anstehenden Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ mit diesem Thema befassen wird. Die Auftaktveranstaltung dazu findet am 18. April statt.

Zum Thema Rathausforum und Urbanität siehe auch: „Hingehen, sehen lernen“ – Ein Interview mit Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil e.V. auf Futurberlin.de

Zu viele Feste auf Berlins Straßen und Plätze

Die Feierei im öffentlichen Raum der Berliner Innenstadtbezirke erreicht die Grenzen des Erträglichen und die Grenzen des Machbaren. Ein Artikel in der „Welt am Sonntag“ gibt einen guten Überblick darüber, wo und wie oft gefeiert wird, und wie die Behörden darauf reagieren: Mitte habe einen Kriterienkatalog, der am Brandenburger Tor und auf der Straße des 17. Juni nur Veranstaltungen „von herausragender Bedeutung“ erlauben soll. Events zu Werbezwecken seien nicht genehmigungsfähig. Friedrichshain-Kreuzberg suche nach einem zentralen Festplatz und habe eine Arbeitsgruppe für die Sondernutzung von öffentlichen Straßen und Grünflächen gegründet. Pro Jahr gäbe es hier etwa 150 Feste. Dazu führe der Bezirk seit 2009 eine Datenbank mit Beschwerden von Anwohnern. 1.635 sind seitdem dort gespeichert. Viele richteten sich gegen die im August stattfindende Biermeile in der Karl-Marx-Allee. In Pankow ist es vor allem der Mauerpark, der beim Bezirk eine restriktive Genehmigungspraxis ausgelöst hat. Durch die Karaoke-Show hätte der Park am Amphitheater dermaßen Schaden genommen, dass teilweise der Hang abgerutscht sei und sich die Steinblöcke gelöst hätten. Stadtrat Jens Holger Kirchner (Grüne) bekäme pro Jahr rund 200 Anfragen für Events. Die Bilanz des Parks für 2013 sieht so aus: 24 Karaoke-Shows, die Fête de la Musique, ein Peru-Familienfest und das Knaack-Sommerfest. Die meisten Veranstaltungswünsche bleiben hier unerfüllt. Auch Mittes Stadtrat Carsten Spallek (CDU) lehne die meisten Anfragen ab, heißt es. Er bekomme sie für die Straße des 17. Juni „nahezu täglich“. So habe er zum Deutsch-Amerikanischen Volksfest Nein gesagt, für das die Straße etwa zwei bis drei Wochen gesperrt werden müsste. Auch gegen die 150-Jahrfeier der SPD vor einigen Wochen hatte er sich gewehrt, allerdings erfolglos.

Der „Welt“-Artikel hier zu lesen in gekürzter Fassung bei der Berliner Morgenpost