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Bürgerforum bringt „Argumente für die Mitte“

Mit Highspeed durch Alt-Cölln. "Psst, Sie gehen über einen Friedhof!" (Foto: André Franke)

Mit Highspeed durch Alt-Cölln. „Psst, Sie gehen über einen Friedhof!“ (Foto: André Franke)

Die „Planungsgruppe Stadtkern“ im Bürgerforum Berlin e.V. hat eine Sammlung „Argumente für die Mitte“ herausgebracht. Sie will damit die Debatte ums Rathausforum versachlichen und alle Teilnehmer des Partizipationsprojekts „Alte Mitte – Neue Liebe?“ auf die Diskussionsveranstaltungen im Sommer vorbereiten. Dabei geht es der Initiative aber nicht nur um das Rathausforum, sondern um das gesamte Gelände der Berliner Altstadt. Die Argumente richten sich auf diverse Themen, wie zum Beispiel „Geschichtsvergessenheit“, „DDR-Bauerbe“ oder (und aus diesem Abschnitt sei hier zitiert) „Hauptproblem Autoverkehr“:

„Nicht nur die isolierte Betrachtung zerreißt die Stadt. Der große Freiraum ist momentan auch räumlich isoliert von den übrigen Teilen des Stadtkerns und nicht zuletzt dadurch eine städtebauliche Ödnis. Aber auch das Klosterviertel und der Bereich um die Rosenstraße sind durch große Verkehrsstraßen zu Inseln im Verkehrsmeer, Alt-Kölln zum Transitraum geworden. Sowohl die Verbindungen innerhalb des Stadtkerns als auch die Vernetzung mit den angrenzenden Vierteln wird durch die Dominanz überdimensionierter Verkehrsstraßen verhindert.

Die den Stadtkern zerteilenden Verkehrsachsen, allen voran die autobahnartige Gertraudenstraße – Mühlendamm – Grunerstraße, aber auch die Spandauer Straße und die Karl-Liebknecht-Straße – werden bislang nicht in Frage gestellt. Und dies, obwohl seit 20 Jahren das Zielverhältnis von öffentlichem zu Individualverkehr für die gesamte Innenstadt mit 80 zu 20 angegeben wird, die S-Bahn und BVG Fahrgastzuwächse in Millionenhöhe haben und der Motorisierungsgrad in Berlin weniger als 50 Prozent beträgt.

Dass eine Stadt europa- und weltweiter Bedeutung wie Berlin noch kein schlüssiges Konzept für die Verkehrsentwicklung in seiner Innenstadt erarbeitet hat, kommt einem Skandal nahe. Während alle europäischen Hauptstädte (London, Paris, Madrid etc.) sich darum bemühen, ihre Innenstädte im umweltschonenden wie bürgernahen Sinn zu revitalisieren und Konzepte erarbeiten, wie der übermäßige Individualverkehr der PKW (MIV) kanalisiert und begrenzt werden kann, verzichtet Berlin darauf. Keine andere Metropole leistet sich eine derart vom Auto dominierte und stadtzerstörende Verkehrsplanung in ihrem historischen Kern.“

Genau mit diesem Thema geht heute Abend übrigens die Fortbildungsreihe zur „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ weiter. Verkehrsplaner Bodo Fuhrmann beleuchtet die aktuelle und geplante Verkehrssituation auf dem Gebiet von Alt-Berlin und Alt-Cölln. Es folgen drei weitere Termine in der Reihe im Juni (genauere Infos hier).


Ort: Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), Breite Straße 36, Berlin-Saal im 2. OG 

Zeit: 18:30 Uhr

Alle „Argumente für die Mitte“ des Bürgerforums Berlin e.V. hier in diesem Dokument

Stadtdebatte: Neue Mitte ohne Hiebe?

Die Stadtdebatte Rathausforum ist ein Experiment, bei dem verhindert wird, dass die Fetzen fliegen. Dies gerade zuzulassen, wäre allerdings auch eins …

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Ganz ohne Bilder und Geschichte heranzugehen, das klang am Anfang spannend. Drei Wochen nach der Auftaktveranstaltung der Stadtdebatte „Alte Mitte, neue Liebe?“ glaube ich nicht mehr daran, dass dieser Weg der Partizipation erfolgreich sein wird. Aus Zeitgründen. Bis zum 18. Mai läuft noch der Online-Dialog. Dann folgen Kolloquien, Theater und Bürgerwerkstatt. Erst Ende Juni können wir uns in einer Ausstellung über die Hintergründe und (Planungs-)Geschichte des Ortes informieren. Es sollte anders herum sein!

Stadtdebatte: Neptun ist Kirche - zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Neptun ist Kirche – zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Statt die Debatte von der neutralen Mitte aus in Richtung der Extreme zu entwickeln, fände ich es toll, wenn wir bei den Extremen anfangen dürften und uns diskursiv auf die Mitte zu bewegten. Es gibt zuviel zu vermittelndes Wissen und zuviel Varianten, mit denen die Kontroverse zwischen Freiraum- oder Bebauungplanung ausdifferenziert und ausbalanciert werden könnte. Ein Beispiel am Stadtbild-Paar Marienkirche-Neptunbrunnen: Ich stehe auf die freistehende Marienkirche und ich will, dass der Neptun bleibt, wo er ist. Aber ich würde den Neptun an den Schlossplatz ziehen lassen, wenn mir die „Freunde der Dichte“ den freien Blick auf die Südseite der Marienkirche gewähren und dort auf Bebauung verzichten. Andersherum stimmte ich (als „Freund der Weite“) einer umfassenderen Umbauung der Kirche zu, wenn Neptun dableiben könnte und zumindest der Blick auf das „siamesische Stadtbild“ gewahrt bliebe (siehe Foto).

Stadtdebatte „Unterhaus“

Das passende Format für eine Stadtdebatte, die von außen nach innen geführt wird, hätte ich auch schon gefunden: Wir setzen uns in einen großen Saal, die „Freunde der Dichte“ (übrigens eine sehr schöne Bezeichnung der Kontrahenten von einem Kollegen von mir) auf der rechten Seite, die „Freunde der Weite“ auf der linken. Alle, die unwissend, unentschieden oder in herausragender Weise zu Kompromissen bereit sind, nehmen Platz an der Kopfseite der Sitzordnung. Und dann gibt es eine Stadtdebatte, die sich gewaschen hat – ausgehend von 100-prozentiger Information. Beide Seiten präsentieren zu Beginn ihre Idealpläne. Dann fliegen die Argumente. Alles wird dokumentiert. Die Prozedur wird wiederholt. Wieder und wieder. Bis zum Herbst. Oder Dezember. Dann sitzen viele an neuen Plätzen. Und vielleicht sogar an einem Tisch.

Affront gegen die Stadtdebatte? Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß des Bürgerforums Berlin mit der Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ am Neptunbrunnen mindestens äußerst hilfreich. Frank aus Reinickendorf schaute ziemlich perplex drein, als ich ihm auf der Zukunft-Berlin-Tour letzten Sonnabend sagen musste, dass es eine informierende Ausstellung mit Bildern und Plänen zur Geschichte des Rathausforums im Rahmen der offiziellen Stadtdebatte Rathausforum nicht gibt. Die vielzitierte „Ergebnisoffenheit“ hat also ihre Tücken.

Und so geht´s weiter… (Die Termine sind auch im Futurberlin-Eventkalender zu finden):

  • bis 18. Mai: Online-Dialog auf stadtdebatte.berlin.de
  • 15. Juni: Erstes Fachkolloquium
  • 22. Juni: Zweites Fachkolloquium
  • 26. Juni: Partizipatives Theater
  • 27. Juni: Bürgerwerkstatt
  • anschl. bis 10. September: Ausstellung
  • Sommer: Erkundungstouren
  • 5. September: Halbzeitforum
  • anschl. bis Dezember: Zweite Dialogphase (mit ähnlichen Formaten)

Mehr zum Rathausforum: Text „Der Turm kippt zur Spree – städtebauliche Qualitäten im Schatten des Fernsehturms“ (2009)

Open-Air-Ausstellung „Mitte!“ am Neptunbrunnen

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte« Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte«
Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Zeitgleich mit der heute stattfindenden Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung am Rathausforum startet das Bürgerforum Berlin e.V. unter dem Titel „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ eine Open-Air-Ausstellung am Neptunbrunnen. Sie soll als Säulenausstellung bis 31. August Tag und Nacht zu besichtigen sein. Das Bürgerforum informiert dabei über die wichtigsten Fakten und Bilder zur Geschichte der Berliner Mitte. Der Verlust der Bauten durch die moderne Stadtentwicklung ist in dessen Flyer beziffert:

„Von den um 1865 vorhandenen zirka 1.500 Bauten des Stadtkerns sind nur noch 85 erhalten: Aus dem Mittelalter stammen nur vier Kirchen, kein einziges Bürgerhaus – ein solcher Verlust ist auch im europäischen Maßstab einzigartig.“

Mehr über die Ausstellung, das Bürgerforum und dessen Ziele – hier im Flyer