... und als Abenteuerspielplatz (Foto: Peter Born)

Brunnen und Denkmal

Vor der Weiterführung der Stadtdebatte zur Berliner Mitte: Wohin mit Neptun, Marx und Engels? Ein Plädoyer

Nachdem die öffentliche Debatte um den Stadtraum zwischen Fernsehturm und Spree über viele Jahre kontrovers und etwas chaotisch geführt worden war, konnten 2015 mit dem Beteiligungsverfahren „Alte Mitte – neue Liebe?“ die Rahmenbedingungen für die weitere Gestaltung geklärt werden. Im Juni 2016 fanden die erarbeiteten Bürgerleitlinien die fraktionsübergreifende Zustimmung des Abgeordnetenhauses.

Dann wurde es zunächst etwas ruhiger um das Areal, aber alsbald soll der Beteiligungsprozess weitergehen, auch vor dem Hintergrund der für Herbst 2019 in Aussicht gestellten Eröffnung des Humboldt-Forums. Wie soll es dann auf der anderen Seite der Spree aussehen? Zwei Gestaltungselemente werden ein besonderes Interesse auf sich ziehen: der Neptunbrunnen und das Marx-Engels-Denkmal. Was sollte wo stehen und warum?

Brunnen und Denkmal weisen erstaunliche historische Parallelen auf. Beide beinhalteten durchaus eine politische Herrschaftssymbolik, wobei die jeweils Herrschenden damit jedoch wenig anzufangen wussten und ihnen die Gestaltungselemente fast lästig zu sein schienen. Neptun musste schon während der Errichtung des Brunnens 1891 kurzfristig die Blickrichtung wechseln, während das Marx-Engels-Denkmal eigentlich am anderen Spreearm stehen sollte und erst durch einen von Kulturminister Hoffmann 1986 ausgehandelten Ad-hoc-Deal auf das dann gleichnamige Forum gelangte.

Soziale Funktion des Neptunbrunnens

Dass die vier den Brunnen rahmenden weiblichen Skulpturen mit Elbe, Oder, Rhein und Weichsel vier Flüsse des wilhelminischen Reiches darstellten, korrespondierte mit ihrer Platzierung vor der Kaiserresidenz. Der Bedeutungszusammenhang ist jedoch nicht mehr gegeben. Das Humboldt-Forum ist trotz der Fassadengestaltung ein gänzlich anderes Bauwerk mit einer anderen sozialen Funktion. Eine Rückversetzung des Brunnens zur Südseite des Humboldt-Forums erschiene vor diesem Hintergrund willkürlich, zumal der Brunnen am neuen Standort zwischen Rathaus und Marienkirche als Treffpunkt eine eigene soziale Funktion gefunden hat. Seine aus heutiger Sicht problematische geographisch-politische Symbolik ist hier gleichsam entschärft.

Der Brunnen als familienfreundliche Fotokulisse ... (Foto: Peter Born)

Der Brunnen als familienfreundliche Fotokulisse … (Foto: Peter Born)

... und als Abenteuerspielplatz (Foto: Peter Born)

… und als Abenteuerspielplatz (Foto: Peter Born)

Selbst an einem der kälteren Wintertage wird man sich beim Gang über das Areal der magnetenhaften Anziehungskraft des Brunnens bewusst. Die auch jetzt zahlreichen Berlin-Besucher verweilen für einen Moment, suchen die beste Perspektive, um sich selbst mit Brunnen und wahlweise Rotem Rathaus, Marienkirche oder Fernsehturmumbauung abzulichten. Der neobarocke Formenreichtum des Brunnens bietet eine familienfreundliche Fotokulisse und wird teils gar als eine Art Abenteuerspielplatz genutzt. Man erfährt auch sehr gut die Wirkung, die der Brunnen erst durch seine offene Zugänglichkeit von allen Seiten gewinnt. Am ursprünglichen Standort wäre er dagegen zwischen Schlossfassade und Straßenverkehr eingezwängt.

Neue Kunst für den Schlossplatz

Zweifellos kann die zur Breiten Straße hin gelegene Südseite des Humboldt-Forums ein zusätzliches Gestaltungselement gut vertragen. Eine einfache Replik der früheren Gestaltung aus Kaisers Zeiten ergäbe jedoch wenig Sinn. Warum aber nicht einen Wettbewerb für bildende Künstler ausloben, um dort – ob Wasserspiel, ob Skulptur – einen neuen, zeitgenössischen Blickfang zu schaffen, der den neuen stadträumlichen Zusammenhang berücksichtigt und die Idee des Humboldt-Forums thematisch aufgreift?

Das Marx-Engels-Denkmal wiederum ist trotz der mehrfachen Planungsrevision und des Verzichts auf das monumentale Regierungshochhaus natürlich Bestandteil einer DDR-Staatsmitte gewesen, in unmittelbarer Nachbarschaft von Staatsrat und Plenarsaal der Volkskammer. Es repräsentierte in seiner Konfiguration eine hegelianische Geschichtsphilosophie, deren Symbolik heute ebenso ins Leere läuft wie die geographische Symbolik des Neptunbrunnens an seinem ersten Standort. So wie das Humboldt-Forum keine Kaiserresidenz mehr ist, so ist auch der ganze Stadtraum keine DDR-Staatsmitte mehr. Das Areal zwischen Fernsehturm und Spree ist vielmehr ein städtischer Grün- und Freiraum, auf dem eine Vielzahl von Nutzungsansprüchen liegt – von einem Ort für Freizeit und Erholung bis hin zu einem vielschichtigen historischen Erinnerungsort.

Neugestaltung des Marx-Engels-Forums

Übertrieben monumental war an dem Denkmal selbst nur dessen äußerst raumgreifende Aufstellung auf einer versiegelten Fläche von 60 Metern Durchmesser. Diese sehr dominante Position und der Platzanspruch lassen sich kaum mit der erwünschten neuen Nutzungsvielfalt auf dem Forum verbinden. Angesichts der großen versiegelten Flächen vom Alexanderplatz bis zur Spandauer Straße und des gleichermaßen steinern geplanten Schlossumfeldes liegt es nahe, zum Ausgleich das gesamte Marx-Engels-Forum als echten Grünraum so gut wie ohne Bodenversiegelung zu gestalten.

In der räumlichen Anordnung so fast ideal und mit maßvollem Flächenanspruch (Foto: Peter Born)

Spreeseitiger Attraktor. In der räumlichen Anordnung so fast ideal und mit maßvollem Flächenanspruch (Foto: Peter Born)

An etwas verschobenem Standort und in anderer, weniger raumgreifender Aufstellung sollte sich das Denkmal aber vortrefflich in eine Neugestaltung des Freiraums auf dem Marx-Engels-Forum einfügen lassen. Es lässt sich immerhin neu interpretieren als Ausdruck einer bei Hegel beginnenden preußisch-deutschen Denktradition, die durch den ins Londoner Exil getriebenen Marx politische Weltgeltung erlangte und so in Form einer DDR-Staatsphilosophie an ihren Ausgangsort zurückkehrte. Das Denkmal mithin nicht mehr als Ausdruck einer zielgerichteten, sondern einer immer offenen Geschichte und Geschichtsdeutung.

In der Datenbank des Landesdenkmalamtes ist die Denkmalgruppe gesondert aufgeführt, mit dem einleitenden Kommentar, sie habe anders als Fernsehturm und angrenzender Freiraum vor allem historische Bedeutung. Das heißt, der alten räumlichen Konfiguration des Denkmals wird keine konstitutive Bedeutung für den städtebaulichen Zusammenhang zuerkannt. Der historischen Bedeutung sollte sich jedoch gut auch durch eine räumliche Neuinterpretation Rechnung tragen lassen.

Standort mit Charme und Konzept

Der jetzige Standort zur Spree und zur Karl-Liebknecht-Straße hin hat durchaus einen großen Charme. Das Denkmal ist hier ein Aufmerksamkeits-Attraktor, es wirkt wie ein Eingang zum Freiraum von Unter den Linden her. Es ist von der Spreepromenade her ebenso wahrnehmbar wie von den auf der Spree fahrenden Touristenschiffen. Und es könnte hier gut Bestandteil eines in der Stadtdebatte vielfach gewünschten Denkmalgartens oder „Philosophenhains“ sein, für den die Nordseite des Marx-Engels-Forums mit ihrer erhaltenen hochwertigen Baumvegetation vielleicht der passende Ort wäre.

Eingangssituation Liebknechtbrücke (Foto: Peter Born)

Eingangssituation Liebknechtbrücke (Foto: Peter Born)

Alternativ wäre ein zum Nikolaiviertel hin gerichteter Standort denkbar, da hier der gemeinsame zeitliche Kontext der 80-er Jahre vorhanden ist. – In jedem Falle sollte der künftige Denkmalstandort von einem Gesamtkonzept für die Gestaltung des Marx-Engels-Forums abhängig gemacht werden, nicht aber umgekehrt.

Was nicht hilft

Eine kurzfristige einfache Rückversetzung des Denkmals im Zuge des BVG-Baustellenrückbaus ist nicht sinnvoll, schon allein deshalb nicht, weil bei späterer sehr wahrscheinlicher nochmaliger Translozierung im Ergebnis des Bürgerdialogs die Statuen dann innerhalb einiger Jahre dreimal versetzt worden wären. Wozu sollte das gut sein?

Ebenso wenig hilfreich ist es, wenn ohne Berücksichtigung der Stadtdebatte über eine Denkmalversetzung an Orte außerhalb des Marx-Engels-Forums spekuliert wird. Im Raum zwischen Fernsehturm und Spree soll auf möglichst vielseitige Weise an Geschichte erinnert werden. Weshalb dann ausgerechnet Marx und Engels ganz woanders hin verbannen?

Fazit

Denken wir den Stadtraum mit Blick in die Zukunft. Wir können Respekt haben vor der Kaiserzeit und vor der DDR-Vergangenheit, aber wir müssen deren Symboliken, denen die früheren Bedeutungszusammenhänge abhanden gekommen sind, nicht im Stadtbild musealisieren.

Lassen wir den Brunnen an seinem gleichsam perfekten jetzigen Standort, und lassen wir uns für die Südseite des Humboldt-Forums etwas Neues einfallen. Lassen wir das Marx-Engels-Denkmal erst einmal am derzeitigen, gut angenommenen spreeseitigen Standort und überlegen derweil, wie das gleichnamige Forum insgesamt nach Ende der U-Bahn-Baustelle eine neue Aufenthaltsqualität gewinnen kann.

Und nehmen wir Abstand von jeglicher ZLB-Standortplanung auf dem Marx-Engels-Forum. Angesichts der massiven geplanten Verdichtung im Umfeld sollte der Raum zwischen Fernsehturm und Spree, zwischen Karl-Liebknecht-Straße und Rathausstraße vollständig als möglichst grüner Freiraum erhalten und weiterentwickelt werden.

ICC Berlin: Das ist der Palast des Westens, ohne Asbest

Es braucht nicht viel, um sich ins ICC zu verlieben. Bei mir waren es zwölf Seiten in der werkorientierten Biografie von Ursulina Schüler-Witte, die das Internationale Congress Centrum mit ihrem Mann und Architektenkollegen Ralf Schüler gebaut hat. Zwölf von siebzig Seiten. Ursulina Schüler-Witte schreibt in dem Buch, das vor einiger Zeit im Lukas Verlag erschien, auch von den alltäglichen Umständen, unter denen das Architektenpaar arbeitete. Sie erzählt auch die ein oder andere Anekdote: So haben sie und er den Entwurf für den Messehallen-Wettbewerb nur zehn Minuten vor Fristende abgegeben, am 30. September 1965 um 23:50 Uhr.

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der "lange Lulatsch" legitimiert es (Foto: André Franke)

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der „lange Lulatsch“ legitimiert es (Foto: André Franke)

Was wäre passiert, wenn die „Ente“, auf deren Dach sie das Modell transportierten, in dieser Herbstnacht schlappgemacht hätte, nicht getankt gewesen wäre, oder aus anderen Gründen den Weg zu den Berliner Austellungen nicht gefunden hätte? – Die historische Folge wäre gewesen: Die DDR hätte den Palast der Republik nicht gebaut!

Kommunisten schlagen Kapital aus Entwürfen

Die Architekten gewannen als Außenseiter den Wettbewerb. Sie bauten später das Kongresszentrum an anderer Stelle als 1965 vorgesehen. Deshalb steht das ICC heute an der Autobahn und ist wegen der Längsform des Grundstücks 320 Meter lang (ursprünglich dachten sie an ein sechseckiges Kongressgebäude, das von dreizehn Messehallen umgeben war). Die DDR hatte bis dahin im „Schaufenster Ost“ dem geplanten Koloss nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Deshalb machte sie für die international ausgeschriebene Sichtlinienanalyse, die für den Riesensaal des ICC erarbeitet werden musste (5.000 Gäste wollen die Bühne sehen!), ein Angebot, das niemand ausschlagen wollte: 9.500 DM, schreibt Schüler-Witte. Ein belgisches Büro hätte es für 95.000 DM gemacht, die USA für 250.000 DM. Die DDR wollte den Auftrag unbedingt, um das Kongresszentrum zu kopieren.

Die ICC-Pläne verschwanden bereits einen Tag nachdem die Westberliner Architekten das Projekt im Ost-Berliner „Institut für die Technologie kultureller Einrichtungen“ vorgestellt und dort hinterlassen hatten. Das war 1971. Der Institutsleiter telefonierte panisch mit den Architekten, hatte offenbar keine Ahnung von dem Vorgang. (Er verließ die DDR 1977 mit Hilfe des Architektenpaars; bitte selber nachlesen, auf welche Weise!). 1973 begann der Bau des Palasts der Republik und 1976 fertig, also bevor 1979 das ICC Berlin eröffnete. Der Gehirnschmalz von Schüler und Schüler-Witte, der die enorme Nutzungsvielfalt und Raumflexibilität im ICC ersann, wurde also auch für die Volkskammer verbraten.

Der asbestfreie Palast

Als wir am Sonntagnachmittag am Ende der Vivantes-Tour auf das ICC trafen, war die erste Bemerkung eines Gastes: „asbest-verseucht“. Dass das für den Palast der Republik galt, wird jeder wissen. Das ICC … Ich überlegte und sagte nichts. Weil ich nicht wusste, ob das zutraf. Später las ich im Buch weiter, wo steht:

„dass das ICC von Spritzasbest durch einen glücklichen Zufall verschont geblieben ist, weil es inzwischen das asbestfreie Material Kafko zur feuerhemmenden Ummantelung von Stahlbauelementen gab (…).“

Na bitte, meiner kleinen Liebesgeschichte steht also auch DAS nicht im Wege. Was freue ich mich, dass ich nächsten Sonntag um 11 Uhr wieder am S-Bahnhof Messe-Nord stehe, zusammen mit Vivantes. Am Treffpunkt der Etappe 14, der vorletzten von „Vivantes erradeln“ mit Berlin on Bike, blicken wir auf das ICC. Geht gar nicht anders. Wenn man hier ist, muss man es ansehen. Wie es da liegt an der Autobahn … Wer könnte das Stahlschiff anheben? – Auch interessant, dass Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte das „Raumschiff- und Weltraumdesign“ nicht bewusst als Stil entwarfen. Es war mehr ein Ergebnis von „Form follows function“, berichtet die Architektin. Die Devise hätten sich viele für den Nachfolgebau des Palasts der Republik gewünscht.


Das Buch … im Lukas Verlag

Die "Schlossfreiheit" vor dem neuen Schloss bleibt frei, ohne das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das auch als "Wippe" die Runde machte (Foto: André Franke)

Einheit gekippt – Wippen abgesagt

Da ist sie also gekippt, die Wippe. Die Wippe, die der Deutschen Einheit ein Denkmal setzen sollte. Gekippt vom historischen Sockel in die Spree, und dann weiter flussabwärts Richtung Havel. Und wurde nicht mehr gesehen. Diesmal war es der Bundestag, der die Planung und den Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmal stoppte, dass auf dem Sockel des ehemaligen Nationaldenkmals vor dem im Bau befindlichen Humboldtforum errichtet werden sollte. Es solle eine erneute Baukatastrophe mit steigenden Kosten und unvorhergesehenen bautechnischen Problemen vermieden werden. Was für eine Blamage für das Bauvermögen einer wohlhabenden Nation. Der leere Sockel wird ein Denkmal für das Bau-Unvermögen der geeinten Republik.

Die "Schlossfreiheit" vor dem neuen Schloss bleibt frei, ohne das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das auch als "Wippe" die Runde machte (Foto: André Franke)

Die „Schlossfreiheit“ vor dem neuen Schloss bleibt frei, ohne das Freiheits- und Einheitsdenkmal, das auch als „Wippe“ die Runde machte (Foto: André Franke)

Zur Erinnerung: nicht ein, sondern gleich zwei Wettbewerbe wurden für das Einheitsdenkmal ausgelobt. Allein die Verwerfung des ersten, Anfang 2009 ausgelobten offenen Wettbewerbes, bei dem es etliche gelungene Entwürfe gab, war ein Affront gegen die Teilnehmer. Die nun beschlossene Nicht-Realisierung des Einheitsdenkmals nach einem zweiten Wettbewerb ist eine unglaubliche Geringschätzung der kreativen Kräfte in dieser Republik und darüber hinaus, die international ihresgleichen sucht. Wenn ein über acht Jahre andauernder Entwicklungsprozess für ein Bauwerk zu einem historisch, soziologisch und emotional so beladenen Thema wie der Deutschen Einheit so leichtfertig in den Wind geschrieben wird, so muss dies als Indiz dafür gelten, dass diese Republik jegliche Vision zur eigenen Repräsentation verloren hat – und dies spiegelt sich leider an vielen Orten der deutschen Hauptstadt wieder.

Die Absage des Einheitsdenkmals ist auch eine Bankrotterklärung des Bundes, der sich – aufgeschreckt von einem vergeigten Flughafen, einer pekuniär in der Elbe versenkten Philharmonie und mehreren, den Kosten- und Zeitrahmen sprengenden Kultur- und Verwaltungsgebäuden in Berlin – noch nicht einmal die Realisierung einer Wippe, ein absolut überschaubares Bauprojekt, als Denkmal für die Deutsche Einheit zutraut.