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Haspels Brunnen

Da muss ich reingrätschen. So wenige Medien berichten über den neuen alten Mosaikbrunnen in Mitte, aber gleich zwei Zeitungen schreiben den Namen der Hochschule falsch. Die Hochschule, in deren Garten der Brunnen steht, welcher am letzten Sonntag, dem Tag des offenen Denkmals, feierlich und in Anwesenheit des Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner wieder in Betrieb genommen wurde, heißt European School for Management and Technology.

Menschen stehen in einem Garten. Im Hintergrund ein Gebäude.

Gartenparty am Tag des offenen Denkmals im September 2025. Rückseite des ehemaligen Staatsratsgebäudes (Glasfenster von hier aus nicht zu sehen)

Eine Abkürzung verwirrt die Stadt

Am ausgeschriebenen Titel hapert´s nicht. Auch nicht am Englischen. Doch die Abkürzung scheint es der taz und der Morgenpost schwer zu machen. Die eine schreibt EMTS, die andere EMST. Dabei sollte sie ESMT heißen. Während der taz der Fehler nur einmal passiert (und sie immerhin einen standardisierten Button für einen Fehlerhinweis unter ihre Beiträge setzt), unterläuft er der Morgenpost gleich zweimal. Und die Morgenpost, deren Abo ich im Leben nicht kündigen werde, macht aus Jörg Rocholl, dem Präsidenten der Hochschule, im fortlaufenden Artikel eine entstellte Quelle namens „Rogall“ – auch das zweimal hintereinander. Und dann wäre da noch (ebenfalls Morgenpost) die Bildunterschrift, bei der aus der DDR-Künstlerin Ortraud Lerch eine Ortrud wird.

Warum passiert so was? Schreibt da KI? Oder wirkt der Genius Loci, der Geist des Ortes, bis in die Köpfe der Autorinnen hinein? Die verstellte Abkürzung „EMTS“ ließe sich mühelos verlängern auf „European Memorial for Technology and Socialism“. Und gleich nebenan fliegen hungrig die Möwen am Spreekanal umher (Engl. „seagull“). Außerdem steht die Heilige Gertraud gar nicht weit, eine Statue, deren Name gerne auch als Heilige Getraude oder eben Heilige Gertrud auftaucht, Gertrud ohne a.

Eine Brachfläche verlässt Berlin

Der Brunnen, der so elegant im weiten Garten liegt, stammt aus den Sechziger Jahren. Der Garten gehörte zum Staatsratsgebäude der DDR. Walter Ulbricht hat den Brunnen sprudeln sehen. Erich Honecker hat den Brunnen sprudeln sehen. Gerhard Schröder hat den Brunnen sprudeln sehen, nachdem er Ende des letzten Jahrtausends als Bundeskanzler ins ehemalige Staatsratsgebäude eingezogen war. Doch keiner der Studierenden hat den Brunnen je sprudeln sehen, seit sich die ESMT in dem Gebäude befindet. Das sind mittlerweile 19 Jahre. Der Mosaikbrunnen, gebaut aus Glassteinen, hat insgesamt knapp ein viertel Jahrhundert lang brach gelegen.

„Vergessen Sie den Brunnen nicht!“

(Christoph Rauhut rezitiert Jörg Haspel bei der Eröffnung des Mosaikbrunnens am Sonntag, den 14. September 2025)

Landeskonservator Christoph Rauhut wies bei seiner Eröffnungsrede darauf hin, dass der Brunnen trotz der langen Zeit immer auf dem Radar des Landesdenkmalamts geblieben war. Er erzählte, Jörg Haspel habe ihn bei der Amtsübergabe eindrücklich gebeten, an ihn appelliert, den Brunnen nicht zu vergessen: „Vergessen Sie den Brunnen nicht!“ Haspel war Landeskonservator: stolze 23 Jahre lang. Und er freute sich sichtlich über diese Anekdote Rauhuts, als er an dem Sonntag im September dort im denkmalgeschützten Garten stand. Der Brunnen war eine Mission. Die Mission ist erfüllt.

Menschen an Stehtischen am Rande eines Springbrunnens mit zwei Fontänen. In der Umgebung drei Gebäude.

Sprudelnder Mosaikbrunnen mit organischen Formen, entworfen von Ortraud Lerch, nach der Wiedereröffnung im September 2025

Christoph Rauhut sagte auch, der Brunnen stünde als Kunstwerk nicht für sich allein. Er vermittele das Glaswandbild von Walter Womacka aus dem Innern des Gebäudes und bringe es heraus in den Garten. So oder so ähnlich hatte er es ausgedrückt. Und so macht dieser transparent-bunte, organisch abgerundete Rechteck-Brunnen Sinn.

Ein Haus zeigt sein Inneres

So machte auch dieser Sonntag Sinn: Denn erst fand die Eröffnung des Brunnens statt, und dann, als er wieder sprudelte, machte die ESMT Hausführungen durchs Gebäude, Touren durch das lebendige Denkmal, die zwar von der Schule ohnehin zweimal im Monat kostenfrei angeboten werden, aber in der Kombination mit der Präsentation des Mosaikbrunnens im Garten einmalig waren.

Fenster mit bunten Bildern: Weiße Tauben, Blonde Frau in rotem Kleid, Fabriken, Satelliten.

Glasfenster von Walter Womacka im Foyer der ESMT: Im Hintergrund Garten der ESMT und Hochhaus von der Fischerinsel

Wandbild mit Staatsemblem der DDR mit grauen Mosaikstücken

In der ESMT: Staatsemblem der DDR als Mosaik-Wandbild. Heute Gegenwart für alle Studierenden

Ein Guide klettert über den Gartenzaun

So ging mir ein Motiv auf, dass ich zuvor noch nicht gesehen hatte. Ich nenne es „die sozialistische Spur“. Auf den künstlerischen Doppelpunkt aus Glasfenster von Walter Womacka und Mosaikbrunnen von Ortraud Lerch hatte der Landeskonservator bei der Eröffnung ja hingewiesen, aber es gibt noch mehr sozialistische Kunst vor Ort. Jenseits des Gartenzauns der ESMT, an der Sperlingsgasse, hängt an den Plattenbauten Richtung Jungfernbrücke seit 2013 das Wandbild „Der Mensch, das Maß aller Dinge“, ebenfalls von Walter Womacka. Das Kunstwerk, das aus emaillierten Kupferfliesen besteht, zieht sich vertikal 15 Meter die Hausecke hinauf und stammt ursprünglich vom DDR-Bauministerium, das um 2010 herum an der Breiten Straße abgerissen wurde. Der Freundeskreis Walter Womacka und die Wohnungsbaugesellschaft Mitte (WBM) haben das Wandbild damals eingelagert und schließlich hierher transloziert. Der Brunnen von Ortraud Lerch liegt so gesehen, nachbarschaftlich eingebettet, zwischen zwei Womacka-Bildern.

Spreekanal mit Fernsehturm, Wandbild an einem Plattenbau, Ecke des Staatsratsgebäudes und Kuppelspitze des Berliner Schlosses

Wandbild „Der Mensch, das Maß aller Dinge“ von Walter Womacka an der Friedrichsgracht/Ecke Sperlingsgasse. Hinter den Bäumen liegt der Garten der ESMT

Doch die sozialistische Spur geht weiter. Vom „Mensch, das Maß aller Dinge“ ist es nur einen Steinwurf entfernt (also vielleicht eher zwei Steinwürfe) zu einem weiteren Wandbild von Ortraud Lerch. Dazu gehe man über die Jungfernbrücke und Kleine Kurstraße in die Leipziger Straße 55. Tatsächlich braucht man nicht einmal den Spittelmarkt zu überqueren und sieht auf der Nordseite der Leipziger Straße, gegenüber den Spittelkolonnaden, Ortraud Lerchs „Friedenstaube“ an der Wand des Erdgeschosses fliegen. Wie der Brunnen im Garten der ESMT ist das Bild zusammengesetzt aus zahlreichen Glasmosaikstücken. Seine Farben aus starken Blau-,  Rot- und Türkis-Tönen lassen sich leicht wiedererkennen; sie ähneln den Farben im Brunnen. Unten rechts im Bild steht der korrekt geschriebene Name der Künstlerin: Ortraud Lerch, Ortraud mit a.

Weiße Taube auf blauen, roten und türkis-Farben zwischen Läden im Erdgeschoss an einem Gehweg.

Mosaikbild „Friedenstaube“ von Ortraud Lerch in der Leipziger Straße 55 in Berlin-Mitte.

Zum Garten, den man kennt

Wieder zurück auf Anfang: Die sozialistische Spur beginnt nicht mit dem Glasfenster im ehemaligen Staatsratsgebäude. Sie lässt sich auch nach Norden verlängern: zum Schloss. Wer dieses Fenster sehen will – mit seinen Mähdreschern, Schornsteinen, Baggerschaufeln (dazu gäbe es mehr zu sagen) -, muss durch das historische Schlossportal, das ins ehemalige Staatsratsgebäude 1964 als Hommage an Karl Liebknechts Republikausrufung von 1918 eingebaut wurde. Bei der Hausführung stehen wir innen und blicken vom Obergeschoss durch die Fenster auf den schmalen Balkon hinaus. Wir erfahren, Liebknecht habe nicht auf dem Balkon gestanden, sondern nur unten am Lustgarten, vorm Portal. Wir erfahren auch, das Portal sei nicht zu hundert Prozent das originale Portal IV des abgerissenen Berliner Schlosses. Lediglich zwanzig Prozent seiner Substanz seien in dem Bauwerk integriert worden.

Blick von einem Gebäude auf einen Balkon hinaus in die Stadt: Geländer am Balkon, Brücke im Hintergrund, Gebäude

Balkongeländer des alten Schlossportals von innen aus der ESMT heraus, beflaggt mit ukrainischen Farben. Im Hintergrund: Schlossbrücke mit Zeughaus und Museumsinsel

Damit hätte, einen weiteren Schritt „zurück springend“ (quasi in der Geschichte des Deutschen Kommunismus), die sozialistische Spur ihre Keimzelle, ihren Startpunkt für eine potenzielle Tour, am heutigen Nachbau des Portals IV vom Humboldtforum am Lustgarten und käme auf insgesamt sechs erzählenswerte Standorte und Sehenswürdigkeiten:

  1. Schlossportal IV (Humboldtforum)
  2. Schlossportal IV (ESMT)
  3. Glasfenster von Walter Womacka (ESMT)
  4. Mosaikbrunnen im Garten (ESMT)
  5. Wandbild „Der Mensch, das Maß aller Dinge (Friedrichsgracht/Ecke Sperlingsgasse)
  6. Mosaikbild „Friedenstaube“ (Leipziger Straße).

Ein Brunnen in der Sackgasse

Wäre da nicht die Barriere des Gartenzauns … Der Zaun und die buschig wuchernde Grundstücksgrenz-Vegetation trennt den Brunnen vom Womacka-Wandbild, so dass man wieder durchs Portal zurückgehen und um das Grundstück der ESMT herumgehen muss. Zwar gibt es immer noch die Kooperation der offenen Tür zwischen ESMT und Flussbad-Garten (man gelangt vom Flussbad-Garten durch eine Tür im Zaun in den Garten). Aber wenn der Flussbad-Garten ab Oktober für die Wintermonate den Spreekanal verlässt, gibt es für Gäste kein Durchkommen mehr.

Fichten am Rande eines Gartens.

Serbische Fichten am Rande des Gartens. Rechts entlang gehts zur Tür im Zaun zum Flussbad-Garten

Ein Campus ohne Mauern

Aber es gibt eine große Alternative. Die ESMT plant auf ihrem Grundstück Studentenwohnheime. Dafür müsste sie im Garten bauen. Gemessen an dem Tonfall und an den wenigen Worten, mit denen das Bauprojekt bei Eröffnung des Mosaikbrunnens angesprochen wurde, vermute ich, dass das keine einfache Sache ist. Der Garten ist ja denkmalgeschützt. Doch wo die Neubauten errichtet würden, stehen wunderbare, in sozialistischer Linie gewachsene serbische Fichten. Das wird eng für die hochgewachsenen Stämme. Das erkennt man im Modell.

Das Modell vom geplanten ESMT-Campus befindet sich im Foyer der Schule, nahe des Womacka-Fensters. Außerdem plant die ESMT den neuen Campus schon sehr lange. Zwei Gebäude sollen an der Sperlingsgasse entstehen. Und von der Brüderstraße gäbe es eine Art tieferen Einzug auf das Gelände des heutigen Gartens. Noch verhindert die üppige, oben angesprochene „Grundstücksgrenz-Vegetation“ die visuelle Verbindung beider Orte: Garten, Brüderstraße/Petriplatz. Gerade hier muss es sie in der Zukunft geben, sollte das House of One jemals gebaut werden. Das Dreireligionen-Haus wäre sichtbar von der ESMT aus! Die Brüderstraße führte direkt in den Haupteingang.

Hand zeigt mit Finger auf einen Glaskasten. Darin befindet sich ein Stadtmodell.

Modell vom geplanten ESMT-Campus: links das ehemalige Staatsraatsgebäude, rechts Ausgang in die Brüderstraße zum Petriplatz, unten Ufer des Spreekanals

Bei genauerem Hinsehen lassen sich im Campus-Modell anstelle des heutigen Zaunes zwar Mauern erkennen. Da wir uns aber in Berlin befinden, bleibe ich hoffnungsvoll, dass die ESMT das Durchstreifen ihres Gartens (nicht nur den punktuellen Zugang) dauerhaft ermöglichen wird. In Berlin fallen früher oder später alle Mauern. Am besten früher. Heißt: bitte erst gar nicht bauen.

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