Oswalts Hoffnung
Ernst-Wolf Abée spricht und sagt, es sei in seinem Innern eine Klappe aufgegangen, als er sich in jüngster Vergangenheit einmal öfter mit dem Berliner Schloss konfrontiert sah. Er präsentiert seine Idee, aus dem Humboldtforum ein Anti-Kriegsmuseum zu machen. Ein Bild zeigt die Barockfassaden als Schlachtschiff. Aus den Fernstern stechen Kanonenrohre heraus. Alle Luken sind geöffnet. Feuer frei. Abées Idee ist eine von 153 Ideen zur „Schlossaneignung“. Die gleichnamige Initiative hatte einen Wettbewerb ausgelobt. Nun stellen in der Stadtwerkstatt in der Karl-Liebknecht-Straße in Mitte neben Abée 20 weitere Kritiker, Kreative, Künstler und Weiterdenkende ihre kleinen dreiminütigen Werke vor. Sie, Werke wie Werktätige, zählen zu den ausgewählten.
Darunter ist auch Larry Bonchaka, der ein Basecap mit der Aufschrift „HOPE“ trägt. Er präsentiert in Englisch. Was, ist im Grunde zweitrangig, denn die Botschaft, die er vermittelt, besteht aus genau eben diesen vier Buchstaben: H-O-P-E. Moderator Anh-Linh Ngo, Chefredakteur der Zeitschrift Arch+, erkennt das sofort und unterstreicht Larrys Abgang mit dem rhetorischen Wink auf die Hoffnung, die heute im Raum schwebt, hier in der Stadtwerkstatt. Das Berliner Schloss ist zwei Steinwürfe entfernt. Larrys Hoffnung ist die Fortsetzung des großen „ZWEIFEL“, der als riesiger Schriftzug, als Konterfei der Schlossbaugegner, auf dem Dach des ausgeräumten und asbestsanierten Palasts der Republik stand. Früher war Zweifel, heute ist Hoffnung. Es besteht Hoffnung, dass aus Schloss und Humboldtforum mehr wird als Schloss und Humboldtforum.
Auch Philipp Oswalt, Mitgründer der Initiative „Schlossaneignung“, scheint zu hoffen. Das verrät der Ton, in dem er spricht. Er weist daraufhin, betont, dass die Petition, die gestartet wurde, 30.000-mal mitgezeichnet werden muss. Sie läuft bis zum 8. November. Bei Erfolg muss sich der Bundestag mit dem Thema beschäftigen. 30.000 Unterschriften sind aber viel. Ich glaube, sie werden nicht zusammenkommen. Diesmal noch nicht.
Wo Drohnen stören
Dann, beim nächsten Mal vielleicht. Oder beim übernächsten Mal. Was hier nämlich losgetreten wird, hat eine große Zukunft. Es soll ein Rohling geformt werden. Es soll etwas vom Himmel Gefallenes in der Erde anwachsen. Es soll in der Gesellschaft anwachsen. Nutzungen sollen ergänzt werden, Barockfassaden sollen überblendet, demontiert oder vegetativ durchwuchert werden. Neue Zugänge sollen durch Außentreppen entstehen und durch hochgebaggerte Sandhügel. Schwärme von Drohnen sollen wie Krähen die Gemütlichkeit und das Schwelgen in der Schlosserinnerung stören. Der gemeinsame Nenner aller Entwürfe ist: An diesem Schloss fehlt etwas. Das Gebäude und sein Forum erzählen die Gesamtgeschichte nicht. Da genügt es auch nicht, wenn zum Festival of Lights die Spreefassade des Schlosses mit Motiven des Palasts der Republik überspielt wird. Zwar blüht die Glasblume aus dem früheren Palastfoyer über zehn Abende, grüßen Jung-Pioniere mit blauen Halstüchern und Käppis, zieht ein Fuchs über die grüne Wiese. Ein Fuchs?
Als ich am ersten Sonnabend des Festivals mit Touristen am Spreeufer gegenüber der Fassade stand, war der Fuchs für mich eine echte Überraschung. Selten hat man als Stadtführer die Gelegenheit diese Geschichte aus der Tasche zu ziehen. Beim Thema 9. November 1989 reicht es meist nur für Schabowskis Zettel und die Bornholmer Straße. Doch Schabowskis Zettel ist auch der Zettel von Gerhard Lauter.
Und wo Füchse ins Theater gehen
Oberst Gerhard Lauter schreibt ihn mit Mitarbeitern am Morgen des 9. November im Ministerium des Innern. Anschließend geht der Entwurf der Reiseregelung ans Politbüro und ins ZK der SED. Am Abend, nach getaner Arbeit, geht Lauter ins Theater. Er schaut sich „Reineke Fuchs“ von Goethe an (vermutlich handelt es sich um die völlig frei vorgetragene und äußerst zu empfehlende Lesung von Eberhard Esche, die schon 1984 im DDR-Fernsehen übertragen wurde und heute noch bei youtube zu sehen ist). In einem späteren Interview gibt er preis, dass das Stück eine perfekte Parodie auf die damaligen DDR-Verhältnisse gewesen sei und dass niemand gelacht hätte. Das Theater, in dem der Oberst saß, war das Theater im Palast der Republik. Als er nach Hause geht, klingelt das Telefon, und er muss ins Ministerium, wo er die Nacht damit verbringt, den „Schaden“ zu begrenzen.
Ein Fuchs zieht durchs Schloss. – Könnte man das nicht irgendwie auch in Echt hinkriegen? Wo Füchse in Berlin über den roten Teppich des Kanzleramts trappeln (letzte Woche auf einem Foto im SPIEGEL zu sehen), und vom „Kita-Fuchs“ und „Schul-Fuchs“ berichten sogar meine Kinder. Der Schulfuchs ist anerkannt, gleichermaßen von Schülern wie Lehrern, und dort immer gern gesehen. Vielleicht könnte man diesen motivieren, vom Prenzlauer Berg runter ins Spreetal zu wandern, wenn die Gastronomie des Humboldtforums einen Eimer Abfälle dauerhaft in den Schlüterhof stellt.
Bisschen Farbe für die toteste Architektur Berlins
Ohne Fuchs und ohne Festival of Lights ist die Spreefassade des Schlosses tot. Nur „Humboldt Forum“ steht fett drauf. Diese Wand ist das abstoßendste Stadtbild, das Berlin seinen Besuchern und Bewohnern zuzumuten wagt. Ich sehe da nur Wilhelmstraße, sonst gar nichts. Wäre sie entstanden wie Architekt Franco Stella sie geplant hatte, bräuchte es bewegte Füchse nicht. Dann sähen wir Menschen, sähen die Gäste des Humboldforums durch die offene Loggia wandeln, verweilen, winken. Gepanzert hat man das Humboldtforum mit den immer geschlossenen, schwarz-grauen Fensterkreuzen.
Gleichförmig und mit getrübtem Glas, unbewegt und Bewegung im Außenraum nicht im Stande zu verursachen, trennt ausgerechnet die einzige modern gestaltete Fassade was doch zusammengehört: die Menschen im Schloss und die Menschen in der Stadt, die Berliner und die Spree, das Wissen aus dem Humboldtforum und das Wasser im Fluss. Die Besucher des Humboldtforums dieser Begegnung zu berauben, ist beinahe ein Gewaltverbrechen. Da pumpt man sie voll mit den Stoffen der Weltkulturen, maximiert das Raumprogramm des Neubaus, dass das Forum auseinanderplatzt und hält die zugeballerten Köpfe gefangen im Gebäude, ohne dass sie sich durch den Blick auf die langsam dahinziehende Spree, auf den vorbeirollenden Wellen wieder etwas entleeren könnten. Auch das ist schon wieder so eine Ironie. Dass es am Schlossplatz so ganz ohne Gewalt nicht zu gehen scheint. Und ohne Befehlston auch nicht.
Da komme ich mit einer Gruppe Schülern auf Rädern oben ans Schloss. Es ist Nachmittag, Hochsommer. Die Spreefassade liegt gnädig im Schatten, und die Schüler setzen sich auf die hüfthohe (für die Kleinen brusthohe) Balustrade aus Stein. Kühler Stein ist eine Wohltat in der Hitzestadt. Hier lässt es sich für ein paar Minuten aushalten. Und ich erzähle der Gruppe von Schloss, Palast und Humboldtforum. Komme grade bis zum Kaiser, dem letzten, da nötigen Sicherheitskräfte meine aufmerksamen Schüler (aufmerksame Schüler sind Gold wert), von der Balustrade herunterzusteigen! Dieses Steingeländer, ähnlich der Mauer am Brandenburger Tor, das wie eine Bühne einlud, sie zu besteigen, zu bespielen, zu beleben, zu bevölkern, ist die ideale Sitzgelegenheit im öffentlichen Raum östlich des Humboldtforums, erst recht wenn der Ort im Sommer im Schatten liegt. Und es ist die einzige Sitzgelegenheit noch dazu. Als die Typen um die Ecke gegangen waren, stiegen wir wieder drauf. Das war auch eine Form der Aneignung.
Diesen Ort muss man sich aneignen oder meiden und vergessen. Und damit meine ich eben den ganzen Schlossplatz wie es im Sinne des Wettbewerbs Programm ist. Ernst-Wolf Abée machte in seiner Vorstellung einen weiten Zukunftsraum auf. Die Jahreszahl 2089 erschien an irgendeiner Stelle seiner Präsi. Das war – für mich jedenfalls – „mind blowing“. Es werden die Jungen kommen und das Ding umkrempeln. Wir haben ja alle Zeit der Welt.
Vielleicht muss dafür mehr als eine Petition aufs Gleis gesetzt werden. Oder vielleicht auch weniger. Vielleicht kommt die Aneignung oder Auflösung dessen, was heute dort steht, auch auf einem ganz anderen Weg zustande. Vielleicht verdampft dieser Dampfer unmerklich. Ausbleibende Besucher wären ein unterschätztes Szenario. „Wanderer, kommst Du nach Berlin, bleibe den Barockfassaden fern!“ Ja, was wäre das für ein spannender Ort: alle pilgern zum Schloss, aber keiner geht rein. Außen die Hölle los, innen aus die Maus.