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Eine Mitte der Bürgerschaft (8/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

„Demokratischer Zentralismus“ 

Berlin wird geteilt. Was von der historischen Mitte und der Altstadt Berlins übrig ist, liegt im sowjetisch besetzten Ostteil der Stadt. In der sowjetischen Besatzungszone  gilt zunächst  mit der „Demokratischen Gemeindeordnung“ von 1946 ein demokratisches Selbstverwaltungsrecht. Die anfangs in der SBZ und der 1949 gegründeten DDR verbreiteten Hoffnungen auf einen demokratischen und sozialen Neubeginn werden bald enttäuscht. Schon in den frühen 1950er Jahren werden Städte und Gemeinden dem Prinzip der Parteidoktrin des  „demokratischen Zentralismus“ unterworfen und zur unteren Verwaltungsebene des zentralistischen Einheitsstaats DDR degradiert und durchgängiger Kontrolle der Einheitspartei SED unterworfen. An die Stelle der Demokratie tritt die „Volksdemokratie“, die „Deutsche Demokratische Republik“ mit dem Scheinparlament der „Volkskammer“, bewacht durch „Volksarmee“ und „Volkspolizei“. Aus Ost-Berlin wird „Berlin, Hauptstadt der DDR“.

Um ihre von der Sowjetunion geliehene Macht den Anschein historischer Legitimität zu geben und ihre Deutungshoheit über Geschichte, Gegenwart und Zukunft zu demonstrieren, besetzt die DDR die historische Mitte der Stadt. Andreas Schlüters Barockschloss wird gesprengt und Karl Friedrich Schinkels Bauakademie beseitigt. 500 Jahre Stadtgeschichte und nationale Baugeschichte werden zunichte gemacht und geleugnet.

In Stefan Heyms Schlüsselroman „Die Architekten“ schwärmt der Staatsarchitekt vom neuen Stadtzentrum Berlins, von der

„Vista auf die große Plaza für Aufmärsche und Demonstrationen als sichtbarem Beweis für die Macht des Volkes, und auf den zentralen Hochhausturm, in dem die Büros von Partei- und Bezirksleitung sich befinden werden.“

Tatsächlich soll ein alles überragendes stalinistisches  Hochhaus als Dominante Berlin beherrschen. Am Ende aber bleiben von den hochfliegenden Plänen nur eine Tribüne und ein gigantischer Aufmarschplatz für 275 000 Menschen. Der Aufmarsch- und Paradeplatz umfasst den im „Dritten Reich“ zu gleichen Zwecken gepflasterten Lustgarten und reicht vom Alten Museum im Norden bis zum Staatsratsgebäude im Süden. Das Staatsratsgebäude dient der äußeren Repräsentation des künstlichen Staatsgebildes, die reale Macht aber, das Zentralkomitee der Einheitspartei SED, verschanzt sich nebenan in der steinernen  Reichsbank. Zur Sicherheit wird die Umgebung von verbliebener Bebauung geräumt.

Nach dem Hohenzollern-Schloss verschwindet ein Jahrzehnt später auch das Gegenüber jenseits der Spree, die Reste der historischen Altstadt mit ihren Handwerker- und Bürgerhäusern, und ihrem Gewirr von Straßen, Plätzen und Gassen. An die Stelle historischer Nachbarschaft von Bürgerstadt, Kirche und Schloss tritt, vom neuen Marx-Engels-Platz bis zum Alexanderplatz, gähnende Leere.

Morgen: Teil 9 „Sozialistische Siegessäule und Palast“