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Eine Mitte der Bürgerschaft (6/22)

In dieser 22-teiligen Serie beschreibt Florian Mausbach seine persönlichen Vorstellungen für eine Umgestaltung des Rathausforums in Mitte. Die Texte gehen aus einem Vortrag hervor, den der Autor im September 2012 auf einer Veranstaltung zum Thema gehalten hat.

Demokratie ohne Autorität

Das Ende des Ersten Weltkriegs und des Kaiserreichs verschärft mit der plötzlichen Umwälzung aller Verhältnisse und der Nachkriegsnot die gesellschaftlichen Spannungen und Gegensätze. Die Demokratie, im 19. Jahrhundert zunächst durch ein freiheitlich gesinntes Bürgertum geprägt, ist durch eine sich ausbreitende Arbeiter- und Volksbewegung zur modernen Massendemokratie herangewachsen mit Pressefreiheit, freien, gleichen und geheimen Wahlen, Gemeindevertretungen und Parlamenten, Parteien und Gewerkschaften, Streiks, öffentlichen Versammlungen, Aufzügen und Kundgebungen. Jetzt wird nicht nur dem vierten Stand, den Arbeitern, sondern seit 1918 auch dem „fünften Stand“, den Frauen, durch das Frauenwahlrecht Mitwirkung und Mitbestimmung eröffnet. Dem Volk und seiner neuen Freiheit aber stehen fremd bis feindselig beharrende und überforderte Kräfte gegenüber und mit ihnen die durch Obrigkeitsdenken geprägten staatlichen Machtorgane – Verwaltung, Justiz, Polizei und Militär. Die Demokratie ist ohne Autorität. Die Auseinandersetzung um die Lösung gesellschaftlicher Konflikte verlagert sich aus gewählten Volksvertretungen auf die Straße. Radikale sozial- und nationalrevolutionäre Kräfte nutzen die Versammlungs- und Vereinigungs-freiheit, um die ungefestigte parlamentarische Demokratie durch uniformierte Aufmärsche und Straßenkämpfe zu erschüttern. Sie schüren Rassen- und Klassenhass und versprechen mit der Vernichtung innerer und äußerer Feinde nationales Heil und soziale Harmonie. Die junge Demokratie ist ihr erklärter Feind und das Opfer kommender Gewaltherrschaft.

Morgen: Teil 7 „Gleichschaltung und Volksgemeinschaft“