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Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Wenn Thierse meiner Tocher an die Nase fasst …

… dann geht die Schaukel auch durchs Parlament. Und so kam es auch. Null Uhr drei in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag stimmte der Bundestag für den Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmals (das Video ist hier nachzuschauen auf bundestag.de). Das fand ich schon ein bisschen überraschend, nachdem so ein Hickhack um die Zukunft des Denkmals gemacht wurde und gefühlt zwei Drittel der Leute, die sich öffentlich äußerten, gegen es war (nicht zu reden von den Umfragen): Kultursenator Klaus Lederer, Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, auch von Kulturstaatsministerin Monika Grütters war zu lesen, sie unterstütze das Projekt nicht, weswegen man es ihrer Regie entziehen und in die Hand von Bundesbauministerin Barbara Hendricks geben wollte. Und es protestierten noch am Mittwoch vor der Bundestagsabstimmung mehrere Inititativen und Vereine gegen die Standortwahl des Denkmals auf dem Sockel des früheren Nationaldenkmals (berliner-zeitung.de), die zwar das Denkmal als Anlage nicht ablehnten, aber es in der Leerstelle im „Band des Bundes“, wo mal das Bürgerforum geplant war, für besser aufgehoben hielten. Die wenigen „Thierses“, die Befürworter des Denkmals, schienen in der Minderzahl, jedenfalls hatte ich den Eindruck.

Omen für das Denkmal und ein Kinderspiel

Im Bundestag waren die „Thierses“ aber omnipräsent. Nur die Linken stimmten gegen den Bau. Wenn ich zurückdenke, dann hätte ich das Ergebnis schon Anfang der Woche ahnen können. Denn da stieg ich in die U-Bahn, wo eine Dame meiner Tochter ihren Platz anbot, was ich dankend ablehnte, da wir sowieso gleich wieder aussteigen wollten. Daraufhin lächelten sich beide an, und der Ex-Parlamentspräsident, der daneben saß, kniff mit den Fingern nach der Nase der Kleinen – eine Geste, die Gelassenheit ausstrahlte und die ich heute als ein unbedingtes Omen lese für den langen Denkmal-Donnerstag und sein irgendwie doch vorhersagbares Ergebnis.

Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Der Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals ist komisch. Das finde ich auch. Aber die Ursache dafür liegt in seiner Umgebung: Barockschloss, Staatsratsgebäude, Bauakademie, Kommandantenhaus … Dazu der stählerne Schwung der Schaukel? Das Denkmal verlangt eher eine exponierte Lage, wo man es von Weitem sieht und wo man von der Bewegung, die auf ihm stattfindet und nach der es benannt ist („Bürger in Bewegung“) angezogen wird. Der Spreebogen und das bislang offen gebliebene Band des Bundes wären tatsächlich der bessere Stadtraum für die Demokratie-Wippe, weil darüber hinaus es an entscheidender Stelle das Anti-Nordsüdachsen-Statement des Band des Bundes zur NS-Germaniaplanung endlich vollenden und auf den Punkt bringen würde. Ich würde das Denkmal auch lieber hier sehen, zwischen Kanzleramt und Löbe-Haus. Wenn da nicht Wolfgang Thierse wäre.

Thierse sticht

Der bringt nämlich das einzige Argument mit, das den Standort auf dem Wilhelm-Sockel nicht nur rechtfertigt. Es verlangt ihn, wenn er das Bild beschreibt, wie Bismarck, Moltke und Wilhelm 1871 die Deutsche Nation „Top Down“ erschufen und mit „Eisen und Blut“; und wie in umgekehrter Richtung das Volk der DDR 1989 mit ihrem gewaltfreien Protest auf der Straße die Wiedervereinigung Deutschlands „Bottom Up“ möglich machten. Dieser geschichtliche Bogen ist schicksalhaft. Könnten deutsche Demokraten so was denn abblasen?

Der geschichtliche Bogen und die Genialität des Denkmalentwurfs sind unschlagbar. Meine Lieblingsschaukel ist gefunden

Unabhängig davon verstehe ich bis heute nicht, warum die Idee des Denkmals bei den Kritikern nicht zu fruchten scheint. Kann man ins Schwärzere treffen, als die Dynamik des Denkmals von einer kritischen Masse abhängig zu machen, die auch im Fall von Revolutionen entscheidend ist? Hätten sich die Leipziger am 9. Oktober an der „Runden Ecke“ vorbeigetraut, wenn wie eine Woche zuvor nur 20.000 von ihnen zur Montagsdemonstration erschienen wären? Es kamen aber 70.000, und sie passierten die Bezirksverwaltung der Staatsicherheit. Wann wanken Diktaturen? Das Freiheits- und Einheitsdenkmal zelebriert doch das „Zünglein an der Waage“, das jenseits von Revolutionssymbolik doch auch in den Parlamenten zum Einsatz kommt. Mit der Zungenspitze von 18 Stimmen Mehrheit entschied der wiedervereinigte Bundestag 1991 über die Zukunft von Bonn und Berlin. Ohne diese zarte Dramatik würden wir über das Denkmal am Schloss gar nicht reden, weil mit Berlin alles anders gekommen wäre.

Für das Kippen der Schale benötigt es übrigens 30 Personen, hab ich gelesen, die auf der einen oder anderen Seite zusammenkommen müssen. Was werden sich die Leute da an den Ärmeln ziehen, in Fremdsprachen zurufen und nach gezielten Absprachen urplötzlich in Gruppen losrennen, damit sich das Ding bewegt! Ich für meinen Teil weiß genau, wo ich ab 2019 mit meinen Kindern schaukeln gehe. Eine eigene, familiäre Mehrheit kriege ich bis dahin zwar nicht auf die Beine gestellt, da fehlen mir knapp 28. Aber vielleicht bringe ich die ganze Kita mit, und dann kriegen wir das Ding schon geschaukelt.

Klein-Lichtenberg mitten in Mitte: Plattenbauten am Schiffbauerdamm werden abgerissen

Das ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Dieses temporäre Stadtbild ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker) ist das "Newscenter" zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten "Luisenlblock-Ost" nicht weichen braucht.

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker, flach) ist das „Newscenter“ zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten „Luisenblock-Ost“ nicht weichen braucht.

Das ist schon krass, wie man mitten in Mitte plötzlich das Gefühl bekommt, im Lichtenberger Industriegebiet Herzbergstraße zu sein. Am Schiffbauerdamm, zwischen Spree und S-Bahntrasse, ganz in der Nähe vom „Newscenter“, wo RTL, Reuters und n-tv ihre Studios haben, werden die Plattenbauten abgerissen, die den Ort freimachen für die Vollendung des „Band des Bundes“. Wie dieses nicht gerade ungigantische Architekturensemble (mit dem Kanzleramtspark im Westen beginnend) jenseits der Luisenstraße aussehen soll, hat ein städtebaulicher Ideenwettbewerb im Jahre 2009 entschieden, den Kusus + Kusus Architekten gewannen. Sie entwarfen ein markantes Oval. Nicht nur weitere Büros für die Bundestagsabgeordneten sollen entstehen, sondern auch Wohnraum und Gewerbeflächen. Skurril jedenfalls ist derzeit der Anblick eines ehemaligen Hauseinganges jener Plattenbauten, der samt Kellerfenstern für wer weiß wie lange auf der Abrissbaustelle noch zu bestaunen ist, worauf ich mit diesem Blogpost Lust machen will.

BIZ bitte nicht vor den Reichstag stellen – Variante Nr. 6: Krolloper-Steg statt Teuer-Tunnel

Wenn mich nicht alles täuscht, stammen die fünf Varianten, wo am Platz der Republik potenziell ein Neubau für das geplante Besucher- und Informationszentrum des Bundestags (BIZ) hingebaut werden könnte, von der Berliner Zeitung selbst, die am Wochenende über das (inklusive Tunnel) 150 Millionen Euro teure Bauprojekt berichtete. Wenn dem tatsächlich so ist, dann bitte: Malstunde beenden, Rotstifte beiseite legen, auf den Platz der Republik gehen und die Augen öffnen: Vor die Westfassade des Reichstagsgebäudes gehört gar nichts! Dessen ist sich wohl auch der Bundestag bewusst. Sein Ältestenrat hat sich für den BIZ-Neubau für den Standort südlich der Scheidemann-Straße entschieden – abseits des Platzes. (Nicht schlecht, aber ich plädiere wie gesagt für eine Erhaltungssatzung für den Schokopudding im dort heute bereits existierenden Berlin-Pavillon, was einen Abriss desselben und eine Erschwerung der Rückkehr des Puddings an diesen Ort verhindern helfen soll.) Ich wage daher eine Variante Nr. 6: Malt ein rotes BIZ-Rechteck westlich der Heinrich-von-Gagern-Straße auf die Grünfläche, wo einst die Krolloper stand! Das wäre städtebaulich doch rund oder? Zu lang die Tunnelstrecke dann? Und zu teuer? – Macht einen oberirdischen Steg draus und verzichtet auf den Teuer-Tunnel! Drei Meter hoch dieser Steg, von transparenten (von mir aus Panzer-) Glaswänden gesäumt, der direkt ins Portal des Reichstagsgebäudes führt.