BER: Als Geisterfahrer in Berlins Geisterstadt

Der BER bietet Radtouren am neuen Terminal an. Doch die Anreise ist mehr als ein Abenteuer – nämlich rechtswidrig +++

Wie ich im Newsletter schon berichtete, war ich am Samstag zu Besuch in einer Geisterstadt. Ich war mit dem Rad am BER. Und das war brenzlich. Denn zum neuen Terminalgebäude drüben am Info-Tower führten ausschließlich Kraftfahrstraßen. Radfahren war verboten. Ich fuhr aber trotzdem. Da Wochenende war, gab es so gut wie keine Linienbusse. Ich war allein auf weiter Flur, allein. Das klingt erstmal unspektakulär. Aber die Gefahr, wie sich herausstellte, war weniger, von Autos und Bussen überfahren zu werden, als von der Hochsommerhitze auf dem nicht enden wollenden Asphalt gegrillt zu werden. Auf dem Rückweg vom Terminal verfuhr ich mich, landete auf der falschen Seite der Eisenbahn. Die Brücke musste noch gebaut werden, die an der Stelle, die mich zum Umkehren zwang, die Fußgänger und Radfahrer in Richtung Schönefeld bringen wird. Kilometer umsonst gefahren in der Gewerbegegend, die jetzt „Gatelands“ heißt. Früher war hier das Dorf Kienberg. Ein Haus steht noch.

BER Flughafen

Erschließung des neuen BER-Terminals. Als Radfahrer hat man schlechte Karten, weil keinen Überblick. Dieses Straßenkreuz war allerdings noch eines von der leichteren Sorte. (Foto: André Franke)

Später in diesem Dschungel aus Straßen und Brücken wurde mir auf einmal mulmig, weil ich merkte, ich fuhr auf der Gegenfahrbahn („Gegenstraße“ müsste es wohl eher heißen). Mangels Verkehr war das schwer zu überprüfen. Der Geisterfahrer fuhr erstmal weiter. Dann wurde es offensichtlich und ich stieg rüber, auf die parallel laufende, niegel-nagel-neue, heute nur mir verpflichtete, etwa einen Meter höher liegende Straße nach Schönefeld.

Mittagssonne und nichts zu trinken dabei? – Ich finde noch eine andere Sache brenzlich: Immer sonntags bietet die Flughafengesellschaft geführte Radtouren über das BER-Gelände an. Allerdings müssen die Teilnehmer mit ihren eigenen Rädern kommen. Treffpunkt am Info-Tower. Das heißt, der Veranstalter erwartet von seinen Gästen, dass sie Straßenverkehrsregeln brechen und sich in Lebensgefahr begeben. Aber okay, ist ja sonntags, wenn die Busse spärlich sind.

Critical Mass: StVO im Kasernenton

Eigentlich wollte ich gestern noch was zum Zu-Fuß-Gehen schreiben, aber angesichts der „Critical Mass“ vom Freitag schalte ich in den zweiten Gang menschlicher Mobilität. Ist das nicht das Radfahren?

Als sich am Freitagabend gegen halb acht Uhr etwa 20 Leute am Mariannenplatz in Kreuzberg versammelt hatten, dachte ich nicht, dass wir zwei Stunden später mit, ich schätze, mehr als 2.000 Rädern die Spandauer Altstadt umrunden würden. Was zog sich die Strecke dorthin jenseits der Stadtautobahn … U-Bahhof Ruhleben … Endlich Ikea! Die „Ruhlebener Klause“ klatschte Beifall. An den Tanken holten wir was zum Trinken. Ein Vater, der seine Tochter im Lastenrad chauffierte, rief: „Und einen Lutscher!“ Andere „korkten“, wie es heißt, die Straßenquerungen, um sicherzustellen, dass nicht Busse, nicht Autos, nicht andere Fahrradfahrer, auch nicht Fußgänger die mobile Masse, die „kritische“ Masse an der Durchfahrt hinderten. Denn die ist legitim. Jedenfalls solange der Verband zusammenhängend bleibt. Und zu einem solchen werden wir nach der Straßenverkehrsordnung ab 16 Radfahrern.

Korken? Die Critical Mass ist auch „critical“

Das Korken bringt Konflikte mit genervten Auto- aber auch Mopedfahrern mit sich. Eigentlich ist es rechtlich „Too much“. Aber ohne diese Flankensicherung würden querende Verkehrsteilnehmer frustriert in die Menge fahren. Ein Mopedfahrer hat das gegen dreiundzwanzig Uhr auf der Leipziger Straße getan, fuhr einfach in die Masse rein. – Sehr verrückt. Das brachte einen Critical-Mass-Fahrer dermaßen in Rage, dass ich glaubte, auch dieser müsse verrückt geworden sein. Er schrie den Verkehrsverletzer mit maximaler Lautstärke an. Das Verrückte, das Zivilisierte: Er kam ihm nicht zu nahe, wurde nicht handgreiflich, nicht ausfällig, nicht vulgär. Stattdessen rezitierte er die Straßenverkehrsordnung. Akkurat im Kasernenton. Aber voller Leidenschaft.

Macht mal anders

Die „Critical Mass“ ist eine Machtdemonstration. Das begriff ich nach etwa 30 Kilometern. Sie kehrt das alltägliche Kräfteverhältnis zwischen (insbesondere) Autofahrern und Radfahrern ins Gegenteil. Einmal pro Monat. Das tut gut. Ich glaube, beide Seiten lernen.

Gegen Mitternacht war ich wieder zu Hause. War etwa 45 Kilometer gefahren. Hatte einen Sturz gesehen, auch: eine verzweifelt auf der Kreuzung Potsdamer- /Ecke Bülowstraße stehende Polizistin, die entweder nicht informiert war oder den sich lose auseinanderziehenden „Verband“ nicht akzeptieren wollte. Und hatte mit meinem niederländischen Kollegen Sido radelnd auch einmal entspannt über unsere Rente geplaudert. Sieht so aus, als würden wir noch sehr lange radeln müssen. Aber das w o l l e n wir ja.


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