Ein Ort zum Downloaden
— Bericht —
Vor zehn Tagen sollte er die revolutionäre 1. Mai-Demo empfangen, jetzt wird der Bebelplatz “ein Ort zum Lesen”. Diesen Titel gibt der Berliner Urban Curator Jürgen Breiter seinem Kunstprojekt, bei dem er am 10. Mai in Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 zwischen Staatsoper und alter Bibliothek 50 Stühle mit Büchern darauf platziert. Bücher, die damals verbrannt wurden und heute darauf warten, gelesen zu werden: Erich Kästners “Das fliegende Klassenzimmer”, zum Beispiel.
“Ein Ort zum Lesen” soll auch zum Verweilen einladen. Auf die roten, orangenen und braunen Plastikstühle kann man sich beim Lesen deshalb auch setzen. “Sie assoziieren die Farben des Feuers”, sagt Jürgen Breiter und denkt schon daran, das Projekt unter dem Arbeitstitel “Ein Ort zum Lesen 2.0” in digitaler Form fortzuführen. Für den Platz will er eine IT-basierte Medienskulptur vorschlagen. Per Smartphone soll man sich vor Ort Leseproben und Hörbuchausschnitte aus der Bibliothek der verbrannten Bücher 365 Tage im Jahr herunterladen können. Die Skulptur solle eher unscheinbar aussehen und “sich zurücknehmend in den Platz integrieren, einem Stadtmöbel ähnlich”, sagt Breiter. Er wirbt für die Idee auf der Konferenz für Kultur und Informatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die am Donnerstag und Freitag im Pergamonmuseum stattfindet.
Das analoge Kunstprojekt findet 2012 das vierte Mal statt. Breiter begann 2009 mit zehn Stühlen und Büchern. Ein Jahr später waren es 50, dann 100. Dann hat er die Erfahrung gemacht, dass zuviele aufgestellte Stühle auf das Publikum hemmend wirken. Deshalb werden es jetzt wieder 50 sein.
Außerdem teilt er sich den Bebelplatz mit der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Sie veranstaltet wie jedes Jahr das “Lesen gegen das Vergessen”. Zwei Stunden lang lesen prominente Politiker und Künstler aus den gebrandmarkten Büchern vor, darunter Beate Klarsfeld, Gesine Lötzsch und Katrin Lompscher. Auch die 101-jährige Elfriede Brüning wird an der Gedenkfeier teilnehmen. Die Schriftstellerin hatte die Bücherverbrennung 1933 auf dem Bebelplatz miterlebt.
Erst am Sonntag war auf dem Platz das Salzburger “StadtLesen 2012”-Projekt zu Ende gegangen, das dieses Jahr erstmals in Berlin stattfand. Vier Tage lang konnten Besucher komfortabel auf Kissen und in Hängematten liegend Bücher lesen. Von den verbrannten Büchern stand aber keines in den Regalen. “Ein bisschen enttäuscht von der Promotionshow des Projekts” gab sich Jürgen Breiter. Obwohl er die Idee einer Lesetour durch Deutschland “super charmant” findet, gehörte die Leseförderung besser in die Kieze, statt auf den Bebelplatz, sagt er. “StadtLesen” reist bis Oktober durch insgesamt 23 Städte in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.
(verkürzt erschienen in taz vom 10.05.2012, Print)
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