„Weil die Projekte den Wandel im Denken erzeugen“

— Interview —

In Berlin wetteifern Senat, die Grünen und Stadtplaner um die besten Ideen für eine neue Internationale Bauausstellung. Im Interview mit futurberlin spricht Aljoscha Hofmann, Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der TU Berlin und Mitgründer der Initiative „ThinkBerl!n“ über den IBA-Vorschlag „Radikal Radial! – Eine neue Bauausstellung für Berlin?“ und meint, dass eine IBA für Berlin nicht um jeden Preis notwendig sei.

 

Aljoscha, die IBA Berlin 2020 hat mittlerweile eine Facebook-Seite. „20 Leuten gefällt das“ (Stand: 13.04.2011). – Dir auch?

Das habe ich, ehrlich gesagt, noch nicht mitbekommen (er lacht).

Es handelt sich um den IBA-Vorschlag der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung.

Persönlich finde ich das nicht schlecht, weil ich denke, man sollte sich aller Kommunikationsformen bedienen, die adäquat sind. Letzten Endes bin ich glücklich, wenn eine öffentliche Diskussion zustande kommt. Das ist ja auch das, was tatsächlich noch zu wenig passiert ist.

Wie kommuniziert Ihr Eure IBA-Idee mit der Konkurrenz?

Es hat vor kurzem eine Veranstaltung des Bildungswerk der Heinrich-Böll-Stiftung der Grünen gegeben, in der genau die drei Konzepte IBA Nord-Neukölln, IBA Berlin 2020 und Radikal-Radial nebeneinander vorgestellt und diskutiert wurden. Die Veranstaltung war sehr spannend, da man natürlich sehen konnte, wo die Schwächen und wo die Stärken sind, aber auch, wo es Überschneidungen, also mögliche Anknüpfungspunkte gibt. Von daher ist es wichtig, für einen Moment aus dem Konkurrenzdenken herauszugehen. Dafür braucht man eben dann das Gespräch, in dem man offen über die Ziele spricht.

Radikal-Radial! nimmt 13 Berliner Ausfallstraßen mit einer Gesamtstrecke von ca. 200 Kilometern plus deren Anrainer-Kieze ins Visier. Ist Euer Vorhaben räumlich nicht zu umfangreich?

Das ist einer der verständnislosen Blicke, die uns immer begegnen, wenn wir das Konzept vorstellen. Uns ist klar, dass selbst mit IBA-Mitteln alle 13 Radialen nicht auf ganzer Länge bespielt werden können.

Also werdet Ihr Euch auf einige Radialen konzentrieren, und nicht alle Radialen kommen unter den Hammer?

Genau. Wir müssen natürlich in beispielhaften Projekten, an unterschiedlichen Orten arbeiten.

Welche Themenvielfalt steckt da drin?

Alle Themen kommen vor. Es geht nicht nur um Leerstand, nicht nur um ökologische Belange, Klimawandel, Sanierung, Verkehr oder Einzelhandel. Es geht um die integrierte Betrachtung anhand konkreter räumlicher Situationen. Dort wird man jedes Mal andere Lösungen finden müssen.

Soziale Stadt im Klimawandel ist das Thema der Grünen-IBA in Nord-Neukölln

Das bedeutet nicht, dass wir diese Themen nicht behandeln, dass sie nicht Teil unseres Konzeptes sind oder sein können. Wir haben das Gefühl, Stadtentwicklung wird zu sehr in sektoralen Themen gedacht. Die Straßenbahn zum Beispiel wird nur als reines Verkehrskonzept vorgestellt. Es wird überhaupt nicht bedacht, dass eine Straßenbahn auch ein urbanes Instrument ist.

Die Ausfallstraßen sind vor allem Transitzonen und haben eine direkte Verkehrsfunktion. Ist Euer Vorschlag nicht eine Kampfansage an den Kfz-Verkehr?

Die äußeren Räume sind die, in denen immer noch das Automobil dominiert, in denen der autogerechte Ausbau immer noch voranschreitet. Man sieht es gerade an dem Anschluss in Brandenburg …

In Pankow zum Beispiel, in der Prenzlauer Promenade, die zur A 14 führt …

 

Richtig. Da oben wird es dann plötzlich vierspurig und sehr, sehr schnell. Aber auch innerhalb von Berlin ist es schwierig, die Straßen wieder zu zivilisieren, wie Denis Bocquet das neulich auf einer Veranstaltung zu Grand Paris so schön bezeichnet hat, als er über die Zivilisierung der Boulevards in Paris sprach. Das ist ein schönes Wort, weil es eben ja nicht darum geht, das Automobil komplett zu verdrängen.

Worum geht es dann?

Die Frage ist vielmehr, wie können die Verkehrsarten miteinander in Einklang gebracht werden? Wie können neue Wege gefunden werden, dass auch stadtverträglicher Verkehr möglich ist? Wie erzeugt man einen guten Verkehrsfluss, der die nötigen Kapazitäten hat, ohne dass es aber gleich eine Autobahn wird? Das ist, glaube ich, nicht so sehr eine Frage, die man nur als harten Konflikt diskutieren muss. Zum Beispiel ist heute bekannt, dass der Verkehr bei 42 km/h flüssiger und mit höherer Kapazität fließt als bei Tempo 55.

Hat sich der ADAC bei Euch schon gemeldet?

Nein. Das wäre aber sehr spannend zu hören, was da kommt.

Welche Reaktionen bekommt Ihr auf Euren IBA-Vorschlag?

Die Kommentare sind natürlich gemischt. Wir bekommen sehr viel positives Feedback, vom ersten Moment an, von verschiedensten Institutionen sowie Privatpersonen. Natürlich gibt es auch Kritik. Oftmals können sich die Leute nicht vorstellen, wie diese Menge an Räumen, die wir in den Blick rücken, überhaupt bewältigt werden kann. Aber da liegt es auch an uns, noch mehr Aufklärung zu betreiben, mit welchen Instrumenten wir uns das vorstellen.

Wer unterstützt Euch?

Wir haben bislang zwei Partner gefunden, die unser Konzept mittragen. Das sind die Vereinigung für Stadt-, Regional- und Landesplanung (SRL) und der Berliner Landesverband des BUND Berlin e.V.

Kam von einem Mitglied der SRL auf der Finissage zur Ausstellung STADTVISIONEN 1910|2010 am 9. Dezember nicht die Kritik, mit dem Format „Internationale Bauausstellung“ zu inflationär umzugehen?

Wenn ich mich richtig erinnere, kam der Kommentar damals vor dem Hintergrund, dass dort erste Überlegungen zu einer IBA Thüringen vorgestellt wurden. Wobei aber auch nicht ganz klar war, was eigentlich das Thema sein soll? Die Kritik erregte sich daran, dass es scheinbar wie folgt läuft: wir machen eine IBA und überlegen uns hinterher, was das Thema ist …

So scheint es heute auch in Berlin zuzugehen.

Genau in die Richtung geht unsere Kritik auch. Wir haben uns bis heute vorbehalten, im Untertitel unserer Idee – „Eine neue Bauausstellung für Berlin?“ – das Fragezeichen zu lassen, weil wir der Meinung sind, dass dieser Begriff und das Instrument der IBA, das international anerkannt und für gute Ergebnisse bekannt ist, nicht leichtfertig aufs Spiel gesetzt werden darf.

Wie würdest Du Eure selbstgestellte Frage denn beantworten? Braucht Berlin eine IBA?

Wenn man sich die Haushaltssituation anguckt, dann würde ich schon behaupten, eine IBA wäre durchaus ein gangbarer Weg, weil nur so die Konzentration der Mittel und der Ausnahmezustand zu schaffen wären. – Aber auch wiederum nicht um jeden Preis. Ein schlechtes IBA-Konzept hilft nicht weiter.

Dr. Engelbert Lütke Daldrup, damaliger Staatssekretär im Bundesbauministerium, hat 2008 von einer „Laborsituation“ gesprochen, die für eine erfolgreiche IBA erforderlich sei. Ist Berlin aus seiner nachwendezeitlichen Experimentierphase nicht längst heraus?

Das ist natürlich eine interessante Frage. Man kann da jetzt gleichzeitig viele Beispiele heranziehen, bei denen man sich fragt, ob Berlin nicht noch ständig am Experimentieren ist, zum Beispiel beim Umgang mit der historischen Mitte. Auch haben wir in Berlin die Situation, dass der Fahrradverkehr massiv steigt, allerdings derzeit und zukünftig besonders stark in den innerstädtischen Räumen. Das sind ja nicht die Räume, die wir in unserem Konzept betrachten.

Die Laborsituation liegt also eher in den suburbanen Räumen?

Auf jeden Fall. Eine Stadt wie Berlin, die das Zentrum einer Metropolregion sein möchte, kann man nicht nur auf die Innenstadt beschränken, die muss man größer denken.

Die Radialen reichen bis nach Brandenburg hinaus. Damit wäre es nicht nur eine Berlin-IBA. Die IBA wäre also auch in politisch-organisatorischer Hinsicht umfangreicher als die anderen Vorschläge. Wie stellt Ihr Euch die Zusammenarbeit zweier Bundesländer im Rahmen einer IBA vor?

Die Internationale Bauausstellung Fürst-Pückler-Land 2000-2010 hat Ihre Projekte in der Lausitz über zwei Bundesländer (Brandenburg und Sachsen) verteilt. Wie die genaue Trägerschaft hier lief, weiß ich allerdings nicht. Es ist natürlich auch so, dass Berlin und Brandenburg über eine gemeinsame Landesplanung verfügen. Das ist also schon mal ein existierendes Instrument. Gleichzeitig muss man die Wirksamkeit dieses Instrument natürlich hinterfragen. Wir haben ja alleine schon innerhalb des Berliner Stadtgebietes unterschiedliche Bezirke, die entlang einer Radiale liegen, und allein dort ist die Zusammenarbeit im Normalfall schwierig. Insofern ist auch die Institution einer IBA, also die Einrichtung einer Sonderbehörde, immens wichtig, d.h. die Einrichtung einer übergeordneten Instanz, die es schaffen kann, die unterschiedlichen Beteiligten an einen Tisch zu holen und das Ganze zu managen.

Was hat die Ausstellung mit einer Behörde zu tun?

Es gibt natürlich neben der Ausstellung immer einen institutionellen Apparat, beispielsweise eine Gesellschaft, der auch nicht unbedingt personell riesig sein muss. Es gibt natürlich zwei Bereiche: Dinge, die im Hintergrund laufen, also die gesamte Organisation der Ausstellung, und zweitens die Projekte, die umgesetzt werden, die dann auch sichtbar bleiben und hoffentlich dann auch den Paradigmenwechsel erzeugen – also über das Einzelprojekt hinaus eine Wirkung haben. Letztendlich sind sie das Wichtige, weil die Projekte den Wandel im Denken erzeugen können.

Welches Paradigma muss Berlin überwinden?

Derzeit reden in Berlin viele immer nur über die Berliner Kieze, über die Unterschiedlichkeit und Vielfalt und daraus entstehende Qualität Berlins. Das ist sicherlich an sich auch richtig, allerdings verleitet diese Sichtweise dazu, die Stadt nur noch als viele kleine Inseln zu betrachten. Dass eine Stadt von der Größe Berlins viele verschiedene Quartiere mit teilweise fast dörflichem Charakter hat, ist aber keine ausgesprochene Einzigartigkeit Berlins. Das findet man auch an anderen Orten. Problematisch wird es aber dann, wenn das Inseldenken, räumlich, wie sektoral dazu führt, dass die Stadt nicht mehr in ihrer Gesamtheit gedacht und beplant wird.

Was heißt das konkret, für Kiez und Bürger?

Für Bewohner der Außenstadt muss genauso begründet werden, warum es wichtig ist, das Stadtzentrum als Schaufenster der Stadtregion zu gestalten und zu stärken, wie einem Bewohner der Innenstadtquartiere erklärt werden muss, warum Maßnahmen im Bereich der Außenstadt wichtig sind. Betrachtet man nur seinen kleinen Kiez, ohne auf den Zusammenhalt der Gesamtstadt zu achten, riskiert man, dass die Stadtteile sozialräumlich immer weiter auseinanderdriften. In der Berliner Stadtentwicklung muss also der Fokus wieder erweitert werden. Welche Auswirkungen haben räumlich begrenzte Maßnahmen und Projekte auf die restliche Stadt? Was muss diese dafür geben, was bekommt sie dadurch?

Aljoscha, Dankeschön für das Gespräch.

Das Interview führte André Franke.

Event-Tip: Think Berl!n – Ist Stadtentwicklung nach der Wahl egal? Amerikahaus, 6. Mai 2011 (siehe Events / futurberlin-Kalender und http://www.think-berlin.de/strategietagung.html)

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