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Korona küsst Schlosskuppel

Dass ich heute Morgen vor die Tür ging, war ein Akt der Notwendigkeit – und gleichzeitig ein Geschenk. Ich stieg vom Fahrrad, als ich diese Sonne sah. Eigentlich keine besonders besondere Sonne. Für einen Sonnenaufgang war es zu spät, für den Untergang viel zu früh, noch nicht mal Mittag. Wolken zogen an dem weißen Ball vorbei, ziemlich zügig. Mal ließen sie mehr Licht durch, mal weniger. Und wenn der Schleier stimmte, nicht zu dick, nicht zu dünn war, dann konnte man klar die Konturen sehen, die Konturen des großen Balles. Ist das nicht selten? Ist das nicht schön? Wenn so eine Übergröße ins menschliche Auge passt, können wir dann nicht auch alles andere begreifen, was uns unbegreiflich erscheint?

Kuppel statt Klotz: Mehr runde Formen in der Architektur wagen!

Das Bild, das ich sah, war kein reines Naturschauspiel. Es war eine Berlin-Kontur. Dem Rund des Sonnenrandes stand das neue Rund der Schlosskuppel gegenüber. Und ich begriff, die Kuppel ist gut. Und ich dachte, wir bauen zu wenig runde Formen. Es gibt zu viele Ecken und Kanten in der Stadt, zu viele Optionen, sich zu stoßen und zu schneiden. Da ich gerade aus der Gegend am Spreebogen kam, wo ich mich einem Schnelltest unterzog, steckte mir noch der neue Glaskubus vom Washingtonplatz wie ein Eissplitter im Auge, wie der Splitter im Auge von Kai, den die Schneekönigin verzauberte. Diesem Glaskasten am Hauptbahnhof wächst so eine angriffslustige, abgeflachte Pyramidenspitze aus der Fassade, dass ich seit heute fest davon überzeugt bin, die Architekten haben das Ding im Anblick ihres Weihnachtsbaumes entworfen, im Homeoffice, als Homeoffice noch exotisch war. Aber dort gehört dieser kälteeinflößender Eiswürfel hin: an den Weihnachtsbaum, wo es warm ist. Und weg schmilzt er.

So gewann ich plötzlich, auf der Eisernen Brücke stehend, bereit für den Befund, den Sinn für das Runde am Himmel über die von Reif überzogene Berliner Mitte, wo Architektur und Astronomie einen Augenblick lang zu Schwestern wurden. Und als hätten auch sie es begriffen, schrien die Möwen in den kalten Dezembermorgen hinein. Wahrscheinlich hatten sie aber nur Hunger. Die Kuppel des Schlosses hat mich schon öfters überrascht. Bisher hab ich nichts dazu geschrieben. Und das will ich damit sagen: dass eine Art Perspektivensammlung aussteht, die zeigt, dass die Schlosskuppel die Blicke auf die Mitte Berlins bereichert. Demnächst also…

Im Stadtkern ist die Hölle los

Vergleicht man das Bauen in Berlin mit der Arbeit eines Chirurgen am Körper, dann fällt auf, die operativen Eingriffe konzentrieren sich zur Zeit stark auf das Herz. Berlins Stadtkern wird von Endoskopen durchdrungen, von Klemmen zerdrückt, mit Pinzetten gepiesackt, mit Messern durchschnitten sowieso. Es wirkt, als wäre kein Arzt am Werk, eher eine Gruppe Aasgeier, die über das blutende Organ herfallen. Ja, mit dem Hammer draufhauen. Wenn am Ende wieder ein Herz herauskommen sollte, hat Berlin mehr als Schwein gehabt.

Die Hölle ist ein Ort auf Erden: Berlin-Mitte. 38 Projekte des Bauens, Planes, Diskutierens

Die Hölle ist ein Ort auf Erden: Berlin-Mitte 2017. 38 Projekte des Bauens, Planes, Diskutierens

Auch innerhalb des Stadtkerns konzentrieren sich die Projekte in bestimmten Bereichen. Ich nenne sie entsprechend „Bauhöllen“. Die 38 Projekte sind aber nicht nur reine Baustellen. Manche sind in Planung. Andere gerade fertiggebaut. Auch Denkmäler sind mit dabei, über deren Standorte gestritten wird. Und Stadtplätze, die neu entstehen. Und jetzt: Ab durch die Mitte – ab durch die Hölle!

Bauhölle Nord (1-5)

Auf der Museumsinsel wird das (1) Pergamonmuseum umgebaut. Es erhält einen vierten Flügel und soll nach Bauverzögerung und Kostenanstieg 2023 fertig sein. Daneben entsteht die (2) James-Simon-Galerie als zentraler Eingang in die unterirdische archäologische Promenade, die alle fünf Museen erschließt. Die Verkehrsverwaltung hat im September angekündigt, das Umfeld der Museumsinsel aufzuwerten, so auch die Straße (3) Am Kupfergraben, die teilweise aus Kopfsteinpflaster besteht. Sie wird erneuert. Der Unternehmer Ernst Freiberger saniert auf der anderen Seite der Insel mit dem (4) Forum Museumsinsel sieben denkmalgeschützte Gebäude zwischen Spree und Oranienburger Straße und belebt dadurch die Verbindung zwischen Spreeinsel und Spandauer Vorstadt. Auch das Berliner Traditionsunternehmen Siemens profiliert sich als Anrainer der Museumsinsel. Es baut seine Firmenrepräsentanz mitten im Garten vom (5) Magnus-Haus und wirkt dabei wie der Elefant im Porzellanladen. Das Gebäude mit Garten ist ein denkmalgeschütztes barockes Stadtpalais, wie es es in Berlin so kein zweites Mal gibt.

Letztes barockes Stadtpalais mit Garten - bitte einmal kräftig reinbauen! Siemens macht´s trotz Architektenprotest. (Foto: André Franke)

Letztes barockes Stadtpalais mit Garten – bitte einmal kräftig reinbauen! Siemens macht´s trotz Architektenprotest. (Foto: André Franke)

Bauhölle West (6-15)

Nach sieben Jahren sind endlich die Bauarbeiten an der (6) Staatsoper beendet. Das macht zwar eine Baustelle weniger in Mitte, aber vom Bebelplatz Richtung Osten häuft sich das Baugeschehen. Das (7) Opernpalais wird saniert, von dem es heißt, Bauherr sei Springer-Chef Mathias Döpfner. Der lässt die Berliner zappeln und verschweigt bislang, was aus dem Gebäude werden soll. Die Luxus-Appartments der (8) Kronprinzengärten sind fast fertig. Völlig fertig ist die (9) Friedrichswerdersche Kirche, und zwar in dem Sinne, dass sie zur Baustelle gemacht wurde. Daran waren die Tiefgaragen der Kronprinzengärten schuld. Sie brachten die Kirchenfundamente zum Wackeln. Jetzt stützen Gerüste Schinkels Bauwerk auf unbestimmte Zeit von innen. Eintreten bleibt ein Traum. Arme Kirche: Auf der anderen Seite baut die Frankonia Eurobau (10) Wohn- und Geschäftshäuser am Schinkelplatz. Durch den Wiederaufbau entsteht auch der (11) Werdersche Markt als Stadtplatz neu. Prominenteste Anrainerin wird hier die (12) Bauakademie. Der Ideenwettbewerb für den langersehnten, 62 Millionen teuren Wiederaufbau läuft bis Januar, die Jury entscheidet im April. Über das (13) Freiheits- und Einheitsdenkmal auf der anderen Seite des Spreekanals ist hingegen entschieden. Der Bundestag bestätigte den umstrittenen Bau der „Wippe“ im Sommer, nachdem das Projekt im wahrsten Sinne des Wortes ins Schaukeln geraten war. Die begehbare Plattform, die sich neigt, wenn sich eine kritische Masse an Besuchern auf eine Seite bewegt (offizieller Titel: „Bürger in Bewegung“), wird genau vorm (14) Berliner Schloss platziert. Es ist immer noch Berlins beste Baustelle, bei der man im Kosten- und Zeitplan liegt. Erste Barockfassaden sind vom Baugerüst befreit. Vom Lustgarten sind sie zu sehen. Wenn das Schloss als Humboldtforum 2019 eröffnen wird, werden die Bauarbeiten in der Nähe aber weitergehen. Nicht wundern. Der (15) U-Bahnhof Museumsinsel der Linie U5 braucht ein bisschen länger.

Bauhölle Mitte (16-21)

Die Linie der „Kanzlerbahn“, die vom Alexanderplatz bis zum Brandenburger Tor gebaut wird, bringt noch eine weitere Bahnhofsbaustelle mit sich. Für den neuen (16) U-Bahnhof Berliner Rathaus wurden die Reste der bei den Bauarbeiten freigegrabenen Tuchhalle des alten Rathauses zerstört. Keine schöne Geschichte. Nur weil in Berlin immer alles schnell gehen muss. Vier Denkmäler stehen auf dem Rathausforum, der Freifläche zwischen Spree und Fernsehturm. Das (17) Marx-Engels-Denkmal ist wegen der Baustelle der BVG an die Karl-Liebknecht-Straße gerückt. Wo es in Zukunft stehen soll, ist nicht sicher. Der neueste Vorschlag kommt von Annette Ahme (Verein Berliner Historische Mitte), es vor das Haus des Reisens zu bringen (mehr dazu später). Doch vermutlich kommt es ins Zentrum des Marx-Engels-Forums, einer Teilfläche des Rathausforums, zurück. Das (18) Luther-Denkmal ist zum Reformationsjubiläum vor die Marienkirche zurückgekehrt. Hier stand Luther seit Ende des 19. Jahrhunderts, allerdings auf einem Sockel und mit Begleitfiguren. Ein zweiter Neuzugang in der Nähe ist das (19) Denkmal für Moses Mendelssohn. Micha Ullmann („Bibliothek“ auf dem Bebelplatz) hat die Fassade des Hauses in der Spandauer Straße in die Horizontale gelegt. Der Aufklärer, der mit 14 Jahren als Jude nach Berlin kam, wohnte hier. Zwischen Marienkirche und Rathaus steht der (20) Neptunbrunnen. Auch er ist in der Diskussion, vielmehr sein Standort. Mit dem Bau des Schlosses wird auch der Wunsch bei vielen stärker, den ehemaligen Schlossbrunnen zurück zum Schlossplatz zu bringen. Zwar hatte der Bund dafür Geld zugesagt, aber das Land Berlin hat bislang nichts dergleichen entschieden. Alle genannten Projekte sind Teil des schon erwähnten (21) Rathausforums. Für dieses große Areal beschloss das Abgeordnetenhaus 2016 zehn Bürgerleitlinien, die das Ergebnis einer ganzjährigen Stadtdebatte mit Bürgern, Architekten und Stadtplanern waren. Es soll ein Stadtraum für alle sein, mit öffentlicher Nutzung und viel Grünfläche. Ein städtebaulicher Wettbewerb, wie er noch im Koalitionsvertrag von Rot-Schwarz 2011 geplant war, ist damit vom Tisch.

Genial und nur bei Regen: gespiegelte Umwelt des Denkmals (Foto: André Franke)

Mendelssohn-Denkmal von Micha Ullmann: Genial und nur bei Regen: gespiegelte Umwelt des Denkmals (Foto: André Franke)

Bauhölle Ost (22-29)

Rund um den Alex entstehen vor allem Hotelneubauten. Mit dem (22) Motel One an der Grunerstraße ist das erste, 60 Meter hohe und mit 708 Zimmern größte der Marke in Europa schon fertig. Ins (23) „Volt Berlin“ (südlich vom „Alexa“ und der Voltaire-Straße), wo nach ursprünglichen Plänen mit Surfing und Skydiving das Einkaufen zum Erlebnis gemacht werden sollte, zieht ein Hotel der Lindner-Gruppe. Hier werden gerade die Fundamente gegraben, für einen nun doch eher normalen Geschäfts- und Büroblock, wie es heißt. Südlich vom „Volt“ kommt (24) The Student Hotel, für das entlang der Alexanderstraße auf einer Fläche von 17.000 Quadratmetern 457 Zimmer für Studenten errichtet werden. Nördlich vom „Volt“ baut dagegen ein niederländischer Investor mit dem (25) „Grandaire“ ein klassisches, von Chicago inspiriertes Wohnhochhaus von 65 Metern Höhe und mit 269 Wohnungen. Der Bau eines (26) Hotels nördlich des Panorama-Hauses an der Karl-Liebknecht-Straße wird gerade in zweiter Instanz vor Gericht verhandelt. Eine Baugenehmigung gibt es hier schon seit 2012. Das Panorama-Haus landet gewissermaßen im Hinterhof. Soweit zu den konventionellen Projekten. Doch der (27) Alexanderplatz wird Hochhausstandort. Und die ersten zwei (von insgesamt neun geplanten) 150 Meter hohen Türme befinden sich auf dem Weg der Verwirklichung. Am Alexa baut nach Plänen des Architekturbüros Ortner & Ortner das russische Unternehmen Monarch, und am Saturn-Gebäude hat sich das US-amerikanische Unternehmen Hines für Entwürfe von Frank O. Gehry entschieden. Nicht nur die Skyline des Stadtkerns verändert sich. Es ist die Skyline Berlins. Nachdem die Hochhauspläne am Alex überarbeitet worden sind, entstehen auch neue Stadtplätze: (28) „Vorm Haus des Reisens“ und (29) „An der Markthalle“ sind die ersten Projekte, an deren Gestaltung auch die Berliner mitwirken können. Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher (Linke) hat angekündigt, die Stadtdebatte vom Rathausforum (siehe oben) weiterzuführen und die Bürger mitentscheiden zu lassen.

Bauhölle Süd (30-32)

Eher klein, aber fein erscheinen drei Projekte am Märkischen Museum. Mit dem (30) Metropolpark bauen die Architekten Axthelm Rolvien die expressionistische AOK-Zentrale zu Apartments um. Bis zu 370 Quadratmeter werden die Eigentumswohnungen groß, manche Räume haben eine Deckenhöhe von 6 Metern. Gleich gegenüber ist mit dem Tod der Stadtbären Maxi und Schnute die Geschichte des legendären (31) Bärenzwingers abgelaufen. In den nächsten zwei Jahren wird über eine neue Nutzung des denkmalgeschützten Gebäudes diskutiert, es laufen auch Austellungen. Um den schlecht angebundenen Köllnischen Park aus seinem Schattendasein zu befreien, gibt es auch Entwürfe des Architekten Detlev Kerkow für den Wiederaufbau der im Krieg zerstörten (32) Waisenbrücke. Auf der To-Do-Liste des Senats erscheint sie aber bis auf weiteres leider nicht.

Enturf für eine neue Waisenbrücke. Blick aufs Märkische Museum am südlichen Spreeufer (Abb. Detlev Kerkow)

Bauhölle Süd-Ost (33-36)

Schließlich verändet sich auch das Zentrum Alt-Cöllns. Nach dem Abriss des DDR-Bauminsteriums und den archäologischen Grabungen ensteht an der Breiten Straße ein ganzer Block neu. Das sanierte (33) Kaufhaus Hertzog ist Teil davon. Am Petriplatz nebenan kommt der Neubau des (34) Archäologischen Zentrums, von dem aus ein Informationswegesystem geplant ist, das durch die Altstadt führt. Aufsehen erregt hier vor allem aber das (35) House of One. Das interreligiöse Gotteshaus, das Kirche, Synagoge und Moschee in einem sein soll, ist mittlerweile zu einem Projekt des nationalen Städtebaus prämiert worden. Selbst die (36) Fischerinsel ist vor Bauaktivitäten nicht mehr sicher. Zwar sind die Pläne nach Protesten der Anwohner für ein Hochhaus abgesagt worden, doch die Ecke an der Grunerstraße, wo im Moment noch ein tiefes Loch klafft, bekommt auf jeden Fall einen neuen Block.

Bauhölle kommunikativ (37-38)

Zwei umfangreiche Projekte dürfen nicht unerwähnt bleiben. Beim Projekt (37) Molkenmarkt wird die Grunerstraße nach Norden an die Rückseite des Rathauses verschwenkt und Bauland gewonnen. Zweieinhalb Berliner Blöcke erwachsen so dem Klosterviertel. Die Bauhölle Ost verbindet sich mit der Bauhölle Süd-Ost. Und das (38) Flussbad Berlin, dem Ort, an dem Berlin bald baden gehen könnte, zieht sich entlang des Spreekanals vom Märkischen Museum an Alt-Cölln vorbei bis zur Museumsinsel. Drei Bauhöllen stehend somit in direkter Verbindung.

Geländergymnastik gegenüber vom Welterbe

Wanderer, kommst du an diese Kreuzung, dann frage nicht, worin hier der Sinn besteht … Mit den Worten müsste man Schilder an die Ebertbrücke (nahe Museumsinsel) stellen, um Touristen den Lebensmut zurückzugeben. Es würde auch mir selber helfen, nicht auszurasten, wenn ich hier mal als Fußgänger unterwegs bin. Doch die Szene mit den zwangsbeglückenden Stahlrohrgeländern ist letzten Endes ein echter Lacher.

Steigt einer übern Zaun zur Museumsinsel (Foto: André Franke)

Steigt einer übern Zaun zur Museumsinsel (Foto: André Franke)

Kreuzungsalltag an der Museumsinsel

Da kommt eine Gruppe von Leuten aus der Tucholskystraße rüber und erblickt linker Hand die Museumsinsel. Sie geht ungläubig nach rechts in die Straße Am Weidendamm, vom Geländer geführt (entführt!) bis an eine Stelle, wo das Geländer nach zwanzig Metern zwar aufhört, aber alle die Insel schon vergessen haben. So laufen sie halt zur Friedrichstraße. Auch schön, denken sie sich wohl, hier an der Spree lang.

Dann kommt einer, der das Gelände kennt. Und das Geländer. Er sieht aus, als lebte er auf der Straße. Und viele, die das tun, laufen ja stundenlang durch die Stadt. Er kommt ebenfalls von der Tucholskystraße über die Ebertbrücke, möchte aber, geradeaus in die Geschwister-Scholl-Straße. Überlegt nicht lange, guckt nicht nach rechts oder links. Der Mann steigt mit dem Bein durchs Geländer und schwingt in Kniehöhe den Oberkörper geübt hinterher. Jetzt steht er mitten auf der Kreuzung! Muss, um auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zu gelangen, durch ein weiteres Geländer durch. Oder drüber. Das machen auch manche, wie der, den ich fotografiert habe (siehe Bild oben).

Einen Hubschrauber möchte ich holen für diese beiden: Ein älteres Pärchen will vom Kupfergraben kommend einfach geradeaus, am Ufer der Spree. Einfach über die Straße. Sie stehen da, stehen da, stehen da immer noch. Dann entscheiden auch sie sich für den Durchbruch. Er scheitert. Das Geländer zwingt sie über die Brücke zu gehen.

Geländerlauf und Stolperfallen

Es gibt jetzt Hoffnung, dass die Epoche der geregelten Entgleisung an der Ebertbrücke zu Ende geht. Die Verkehrsverwaltung hat Baumittel zugesagt, die der Umgebung der Museumsinsel zugute kommen sollen. Vor allem Fußgängern soll der Zugang zum Weltkulturerbe geglättet werden. Es werden Straßen saniert, die es bitter nötig haben, wie die Kopfsteinpflasterstraße Am Kupfergraben. — Das kommt nämlich zum Geländerlauf noch dazu: Dass, wer die Stahlrohre überwunden hat, sich gefasst machen muss, über die herausgewachsenden Pflastersteine zu stolpern.

Wenn aber die Straße neugemacht und die Geländer beseitigt werden (ich hoffe, das ist ein kombinierter Akt), dann müsste doch im gleichen Atemzug auch die ganze Ebertbrücke zur Debatte stehen. Nach der Wende wurde sie gebaut, um die baufällige Weidendammer Brücke zu ersetzen, vorübergehend … Und jetzt liegt sie, das Permanent-Provisorium, an einem „Chipperfield“. Nicht nur das. Der ganze Straßenzug Tucholskystraße/Geschwister-Scholl-Straße ist eine kleine Architekturmeile geworden, wenn man sich das mal genauer ansieht. Ein Grund mehr, die Menschen hier nicht um die Ecke zu bringen, wenn sie geradeaus gehen wollen.


Mehr zur neuen Berliner Baumittelliste: tagesspiegel.de

Stadtkern im Uhrzeigersinn

Eine Nachlese zum Stadtkern-Walk vom 25. Januar …

Zu sechst waren wir am Mittwoch beim Stadtkern-Walk, dem ersten eigentlich, wenn man den letzten nicht zählt, was ja auch irrig wäre, weil er im Dezember mangels Anmeldungen ausfiel (acht Gäste warteten damals trotzdem spontan auf den Tourstart, nur der Guide kam nicht, weil er in der Kita war. Drum sag ich: Anmelden Leute, bitte regt Euch, auch wenn´s spontan ist). Danke an die Fünfe, die es diesmal tatsächlich taten!

Viadukt im Längsschnitt

Drei Stunden waren wir unterwegs, liefen ziemlich zügig, wenn ich das rekapituliere. Warmen Aufenthalt, vielmehr Durchgang, bot uns der Bahnhof Alexanderplatz. Das war ganz schön (nicht nur, weil es warm war), nachdem wir vorher nur entlang des Viadukts, auf dem die Bahn fährt, gegangen waren, entweder außen entlang oder innen. Auf einmal hatten wir hier die Möglichkeit, (was ich so auch nicht geplant hatte) nicht nur den Viadukt durch einen seiner Bögen zu queren, sondern sogar längs zu durchwandern.

Volle Kanne das Gegenteil wartete auf uns, als wir wieder rauskamen. Ein einziger Weg bleibt, um die Grunerstraße, hier: den Alexandertunnel zu überqueren. Wir mischen uns in den Menschenstrom, der sich in das Alexa ergießt. Hätten wir gleich drin bleiben können und folgen, in das Ding hinein und hinten wieder raus – wäre noch ein warmer Indoor-Streifzug geworden. Aber so kalt war´s nun auch wieder nicht am Mittwoch Abend. Und: der Bogen zwischen Viadukt und Alexa ist sehr anziehend, man sieht ihn ja schon, wenn man noch drüben auf der anderen Seite des Tunnels steht und sich nur fragt, wie man da rüber soll. Auch die Soundkulisse läuft auf dem Abschnitt mit: Riesenlärm beim Rübermachen zum Alexa, aber je weiter man die südliche Dircksenstraße abläuft, desto leiser wird´s. Bis hin zur Totenstille am Parochialkirchhof.

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Parochialkirche kurz vor Spiel

Da stehen wir an der Ecke Littenstraße und warten auf das 18-Uhr-Glockenspiel. Doch der neue Kupferturm der Parochialkirche tut uns den Gefallen nicht. Wir quatschen uns die Zwischenzeit rum, denn es sah so aus, als stünde die Turmuhr auf 17:58 Uhr. Doch es war dunkel, und wir hatten es falsch gesehen. Erst zehn vor Um war´s. Zu lange Warten für den Stadtkern-Walk. Immerhin waren wir noch nicht mal Dreiviertel der Strecke rum.

Was an der Parochialkirche zu früh war, war am Märkischen Museum zu spät. Hier schließen die Stadtmodelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber um 18 Uhr. Sechs Minuten später war es, als wir ankamen. Diesen Indoor-Stopp hatte ich allerdings auf dem Plan. Schade, denn Martina, die schon lange im Stadtkern wohnt, kannte diese Ausstellung der Stadtmodelle noch nicht.

Und was sagt uns das? – Den nächsten Stadtkern-Walk andersherum laufen!

Friedrichstraße? Nee, nee

Ich springe zurück. Zur Strecke zwischen Hackescher Markt und Alexanderplatz. Dort liefen wir die äußere, durchaus belebte und mit Geschäften und Kneipen besetzte Viaduktstraße (auch Dircksenstraße) ab, dann bogen wir durch eine Unterführung in die Rochstraße auf die innere Seite ein. – Sowas von tote Hose. Dunkel und still. Hier im Hinterland der Wohnscheiben der Liebknechtstraße, wo es auch eine Schule gibt, ist der Stadtraum am Bahnviadukt gewerblich genutzt, stehen Lieferwagen vor Lagerräumen zwischen Büschen rum. Ein Zaun trennt das Gelände von der Rochstraße ab, aber die Türe steht offen. Da stehen wir, gucken das an, als eine Touristin kommt, sie mag italienisch gewesen sein, die fragte mich, ob es hier zur Friedrichstraße geht (und zeigte in Richtung Gewerbebüsche!). Sie hatte Glück, ich bewahrte sie vor der Sackgasse. Wer hier reingeht (und das geht), steht nach 150 Metern erneut vor einem Zaun und muss umkehren.

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das Verbrechen am Kupfergraben

Noch vorher, als wir an der Museumsinsel waren, mogelte sich das Magnus-Haus in die Tour. Wie in den Notizen zum Stadtkern-Walk beschrieben, geht es ja nicht unbedingt um die Bauskandale und Bauprojekte am Wegesrand, sondern um Defizite und Potenziale der Stadträume am Stadtkern. Da aber alle Gäste an diesem barocken Stadtpalais und seinem Garten interessiert waren, bogen wir spontan (vor Merkels Haustür) in die Bauhofstraße ab. Gegenüber vom Collegium Hungaricum warfen wir einen Blick über den Gartenzaun des denkmalgeschützen Areals, auf dem Siemens seine Hauptstadtrepräsentanz bauen will. Beim Anblick des Gartens fragten wir uns alle gemeinsam, wo genau das Gebäude hier eigentlich stehen soll? Überall Garten, Bäume, Grün. Wer sich traut, an diesem verträumten Ort auch nur einen Baukran aufzustellen, dem müssen die Sinne einen makabren Streich spielen (bitte nach Hause fahren und mal kräftig ausschlafen!)

Barocker Stadtgarten - es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Barocker Stadtgarten – es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Ich belasse diese Nachlese mit dieser Handlungsempfehlung – und stelle nur noch fest: Die komplette Umrundung haben wir nicht geschafft, weil die Zeit fehlte. Kurz vor sieben Uhr, pünktlich zum Lichtbilderabend in der Stadtbibliothek, war der Stadtkern-Walk zu Ende. Die schöne Wallstraße (ein Potenzial), wäre es wert gewesen abzulaufen. Dann beim nächsten Mal wahrscheinlich, wenn es heißt: gegen den Uhrzeigersinn.

Notizen zum Stadtkern-Walk

Auf dem Stadtkern-Walk oder dem Stadtkern-Ride geht es nicht in erster Linie um Bauprojekte, die aktuell ablaufen und auf unserer Strecke liegen. Die Idee ist: Wir UMRUNDEN den Stadtkern in flüssiger Bewegung und verinnerlichen uns seine Ausmaße und prägenden Charakterzüge mit Blick auf:

  • Barrieren in der Wegeführung für Fußgänger und Radfahrer
  • schöne Stadtbilder und Straßenzüge
  • unterentwickelte Stadträume und Flächen
  • funktionale „Kraftpakete“ am „Ring“ und deren Zusammenspiel.

Der Rausch mitten in Berlin

Im Rausch über die Gertraudenbrücke (Foto: André Franke)

Im Rausch über die Gertraudenbrücke (Foto: André Franke)

Nichts desto trotz ist die Liste der Anrainer-Projekte lang. Wir passieren neue Gebäude und Baustellen oder haben sie auf Sichtweite, so dass der Stadtkern-Walk auch dem allgemeinen Überblick über die Stadentwicklung in Zentrum der City Ost dienen kann.

Projekte am Stadtkern-Walk

  1. die Townhouses des Friedrichswerder
  2. die umstrittenen Kronprinzengärten und die Kirche Schinkels
  3. der Schinkelplatz und die Bauakademie
  4. das Schloss und sein Umfeld
  5. die U55
  6. das Flussbad im Spreekanal
  7. das abgesagte Freiheits- und Einheitsdenkmal und die zugesagten Schloss-Kolonnaden
  8. der Bauskandal der Staatsoper
  9. die autofreien „Linden“
  10. der Bauskandal im Garten des Magnus-Hauses
  11. die Museumsinsel mit dem Simon-Palais und dem Pergamon-Museum
  12. das Forum Museumsinsel von Ernst Freiberger
  13. das Alea 101 und das Cubix-Kino
  14. Deutschland größtes Motel One Hotel
  15. das leerstehende Haus der Statistik als geplantes „Zentrum für Geflüchtete“
  16. die Saturn- und Alexa-Türme
  17. der Glockenturm der Parochialkirche
  18. die neue Waisenbrücke
  19. das House of One am Petriplatz
  20. das Hochhaus auf der Fischerinsel
  21. und weitere …
Die Staatsoper-Baustelle vom Bebelplatz: aktueller Eröffnungstermin (Nr. 3) ist der 3. Oktober 2017

Die Staatsoper-Baustelle vom Bebelplatz: aktueller Eröffnungstermin (Nr. 3) ist der 3. Oktober 2017

Die nächste Stadtkern-Tour findet statt am …

Reisebusse in Berlin

„Reisebusse raus!“ ist zu kurzsichtig

Als Fahrrad-Guide sind mir Reisebusse mindestens suspekt. Von Hass kann keine Rede sein. Mir geht es um die Stadt …

Reisebusse in Berlin

Schon besser: Ein Sightseeing-Bus überquert den Checkpoint Charlie wegen der Baustellenumleitung von Süden nach Norden ohne Abzubiegen (Foto: André Franke)

Der Berliner Kurier macht Stimmung gegen Reisebusse. Warum auch nicht? Sie blockieren Stadtbild und Sehenswürdigkeiten, verpesten die Luft, lärmen und sind ungelenke Riesen unter den Verkehrsteilnehmern und deswegen auch gefährlich. Gerade auch, weil die Fahrer ortsfremd sind. Schwerpunkte des Busgerangels sind schnell aufgezählt: Museumsinsel, Gendarmenmarkt, Holocaust-Mahnmal und Checkpoint-Charlie. Auch die Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße.

? Warum sanieren wir den Kolonnadenhof vor der Alten Nationalgalerie, wenn ich ihn nicht mehr sehen kann, weil der Säulengang von den Bussen zuparkt ist?

?? Wie kontraproduktiv, ja zerstörerisch sind die Reihen rollender Motoren am Gendarmenmarkt, dessen Attraktvität von der Atmosphäre straßenmusikalischer Inszenierungen lebt?

??? Und wie paradox erscheint mir die Lage am Stelenfeld, wo eine lückenlose Wagenburg die Offenheit und Begehbarkeit der Eisenman-Skulptur zu nichte macht?

Beim Checkpoint Charlie sieht man allerdings, wie eine gezielte Verkehrsführung sofort positive Effekte haben kann: Wegen der Baustelle in der Zimmerstraße müssen alle Busse aus Richtung Potsdamer Platz kommend zur Zeit über die Kochstraße fahren. Das heißt, sie überqueren den Checkpoint Charlie geradlinig, ohne links in die Friedrichstraße abzubiegen und vorher aufgrund der Vorfahrtsregeln minutenlang warten zu müssen. Hier bin ich gespannt, was die geplante „Begegnungszone“ bringt.

Berlin braucht mehr als ein Konzept für Reisebusse

Im Kurier fordert Stefan Gelbhaar von den Grünen ein Reisebus-Konzept. Ich halte das für viel zu kurz gegriffen. Denn auch Lieferverkehr stört in sensiblen Bereichen des Hauptstadt-Tourismus, und auch Pkw-Stellplätze blockieren Zugänge zu öffentlichen Räumen. Man denke mal an die East-Side-Gallery, wo die parkenden Autos den Betrachtern der Bilder den Standort für die beste Perspektive versauen.

Wir brauchen ein modifiziertes Verkehrskonzept. Und es muss eben auf die Schnittstellen zum Berlin-Tourismus abgestimmt werden.


weitere Futurberlin-Artikel zu: Checkpoint-Charlie und East-Side-Gallerie

Wie ein „Bordeaux“: Stadtkern-Kurs an der VHS wirbt für Berlin-Geschichte, aber auch für die eigene Meinung

Mit der Berliner Altstadt sei es wie mit Bordeaux-Weinen, sagt Benedikt Goebel, der im Namen des Bürgerforums Berlin am Dienstag in die Volkshochschule zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ einlud. 

„Es dauert ein Weile bis man zum Kenner wird, aber bis dahin hat man einfach eine schöne Zeit.“

Multifunktionsraum in der VHS-Mitte mit den pünktlichen Gästen. Es kamen mehr als zu sehen sind. (Foto: Christina Kautz)

Multifunktionsraum in der VHS-Mitte mit den pünktlichen Gästen. Es kamen mehr als zu sehen sind. (Foto: Christina Kautz)

Der multifunktionale Raum 1.12 in der Linienstraße 162 war gut besucht. Die VHS lieferte Stühle nach. Die Landschafts-architektin Christina Kautz und der Architekt Lutz Mauersberger hielten einen bilderreichen Vortrag über den Ursprung der Doppelstadt Berlin-Cölln und der historischen Stadtentwicklung an der Spree und dem Spreekanal. Und jene Bilder sind es eben, die einen zum Genießer werden lassen, bevor man sich versieht, weil sie Berliner Orte zeigen, die es nicht mehr gibt: Packhöfe, Oberbäume, Unterbäume, Schleusen, Pferdeschwemmen, Wasserkunst, Brückenschmuck, Fischkästen. Und Flussbäder.

Projekt Flussbad Berlin: renaturierter Spreekanal für ein sauberes Schwimmbecken direkt am Lustgarten (Bild: Flussbad Berlin e.V., realities:united)

Projekt Flussbad Berlin: renaturierter Spreekanal für ein sauberes Schwimmbecken direkt am Lustgarten (Bild: Flussbad Berlin e.V., realities:united)

Wobei die historischen Spree-Flussbäder hier eine ziemliche Steilvorlage boten für die Diskussion über das Zukunftsprojekt „Flussbad Berlin“, das auf 750 Meter Länge zwischen Bodemuseum und Schleusenbrücke gebaut werden soll und mit vier Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ öffentlich gefördert wird (hier mehr zum Projekt).

Das wird beim Bürgerforum sehr kritisch gesehen. Und Gründe, dem Flussbad-Projekt skeptisch gegenüber zu stehen, gibt es einige, zum Beispiel die Standortwahl: Man brauche sowas nicht an einer prominenten Stelle wie der Museumsinsel, meint Christina Kautz. Lutz Mauersberger macht auf den Preis aufmerksam, mit dem das Schwimmbecken bezahlt wird: die Filteranlage und Moorlandschaft, die den restlichen Spreekanal bis zur Mündung ausfüllen sollen. Und Benedikt Goebel ergänzt, dass Projektbilder eben auch nicht riechen. Sprich: das Projekt beeinträchtige potenziell die Wohnqualität an den angrenzenden Ufern, zum Beispiel auf der Fischerinsel.

Für einen Volkshochschulkurs könnte das für manchen ein bisschen viel Meinung gewesen sein. Oder auch nicht. Kennerschaft bringt am Ende eben auch ein handfestes Urteilsvermögen mit sich. – Prost.


Zum „Flussbad Berlin“ wird es beim Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV) am 23. Februar eine Veranstaltung geben.

Der nächste Kurstermin für angehende und schon gereifte Stadtkernkenner findet in der VHS Mitte am 17. Februar statt, dann unter dem Thema „Vergessene Schönheit der Berliner Altstadt“.

Kommen unkompliziert: keine Anmeldung nötig, kostenfrei, und Stühle gibt es auf jeden Fall genug.

Fünf Freunde für James Simon

Sein Name klingt nicht gerade berlinerisch, und doch hat James Simon der Stadt Schätze gebracht. Die Nofretete zum Beispiel, auf der Museumsinsel. Ohne Simon läge sie vielleicht heute noch in Ägypten, unentdeckt, denn der Mann gab sein Geld für die Grabungen.

Warum erzähle ich das? – Weil ich es bis Mittwoch einfach nicht wusste und weil ich mich ernsthaft frage, ob die Wissenslücke „James Simon“ für einen Stadtführer vertretbar ist. (Das kann ja mal jemand kommentieren …)

Es war jedenfalls nicht der mir unbekannte Name, der mich am Dienstag Abend um Sechs auf den Ku’damm trieb, um eine Veranstaltung zu besuchen, bei der es um die neue James Simon Gallerie ging. Wahrscheinlich war es eher das Kutscherhaus, das mich beim Lesen der Einladung neugierig machte und der Architekturpreis e.V., von dem ich noch nichts gehört hatte. Was für ein Verein ist das jetzt wieder?, dachte ich. Und was genau ist mit der Gallerie, der man diesen ausländischen Namen gibt? (Das war noch Dienstag.)

Immer rein in die gute Stube

Das Kutscherhaus liegt am Kurfürstendamm, im zweiten Hinterhof eines Eckhauses. Ich kann nicht sagen, ob das ganze Gebäude so heißt oder nur der Teil, in dem die Veranstaltung war. Dort, im Erdgeschoss, es wirkt wie eine alte Remise, sitzt der Architekturverein, in einem weißen, langen Raum, der interessanterweise an seinem Ende zusammenläuft und immer enger wird, dreieckig. Alles wirkt ziemlich ästhetisch, hier geht es um Architektur.

“Für Ihre Visitenkarten”, liest man an einer großen Schüssel. Sie steht auf einem brusthohen Tisch am Eingang, und es passen noch sehr viele Kärtchen rein. Zum Beispiel die von Futurberlin … Drin. Eine Frau fragt die ankommenden Leute, ob sie sich schon eingetragen hätten. Dort in die Listen. Auch die Listen liegen auf dem Tisch. Ich drehe wieder um und erkenne: Ich habe mich nicht angemeldet. – “Kein Problem”, höre ich die Frau zu einem anderen sagen, der auch nicht angemeldet ist. Man schreibt sich eben unten in die Liste ein. Listen über Listen liegen hier herum. Und am Eingang, der nicht viel Platz gibt, ist es voll. Warum schreiben wir uns nicht nachher ein?

Den großen Mann da vorne, den kenne ich. Er begrüßt die Gäste. “Guten Abend, Herr Mausbach”, sage ich. Und er fragt mich, wie die “kleine Serie” ankommt, die auf Futurberlin läuft. “Gut”, sage ich. Die 22 Artikel, die Florian Mausbach über das Rathausforum schrieb, haben 154 Besuche erhalten, aber das konnte ich ihm nicht sagen, da ich es am Dienstag noch nicht wusste, genauso wenig, wer James Simon war.

Wer zur Hölle ist David Chipperfield?

Der lange Raum ist voll, alle sitzen schon auf Stühlen, gefüllte Gläser in der Hand. Schon vor den Vorträgen?, frage ich mich. Normalerweise kommt die Erfrischung nachher, genau wie die Listen. Aber hier … Ich setze mich ans Ende des Raumes, und schon zu Beginn der Veranstaltung erfahre ich das spannendste: David Chipperfield war in Berlin einmal unbekannt. Florian Mausbach, der als Vorsitzender des Vereins den Abend eröffnet, erzählt, wie in den Neunzigern Hans Stimmann zu ihm sagte: “Der David Chipperfield, das soll ja ein guter Architekt sein.” – Wie sich die Zeiten geändert haben. Der große Architekt, der das Weltkulturerbe der Museumsinsel saniert, ist heute Abend nicht anwesend. Der Meister schickt seinen Gesellen.

Ans Rednerpult geht ein hagerer Mann mit buschig zusammengebundenem Haar. Wegen seines eleganten, feinen Bartes erinnert er mich an d’Artagnan von den drei Musketieren. Alexander Schwarz von David Chipperfield Architects hält eine Powerpoint-Präsentation, und der Degen, mit dem er ficht, ist die James Simon Gallerie.

Und dann sagt er etwas, was es wert war, hierher gekommen zu sein. (Immerhin hatte ich mir ein neues Umweltticket gekauft.) Schwarz sprach von “fünf Freunden, die an einem Tisch sitzen, aber sich den Rücken zukehren”. Und meinte damit die fünf Museen auf der Museumsinsel. Was für ein Bild! Aber wer hatte das gesagt? Ich habe den Satzanfang nicht mitgekriegt. Waren es seine eigenen Worte? Ich hatte sie jedenfalls vorher noch nie gehört. Ist auch diese Wissenslücke vertretbar? In aller Munde ist die Metapher jedenfalls nicht.

Nord-Süd- und Ost-West-Barrieren

Das Problem auf der Museumsinsel, so Schwarz, wäre die Nord-Süd-Trennung. Das Bodemuseum sei auf die nördliche Spitze orientiert, das Alte Museum nach Süden zum Schloss. Wenn in der Zukunft die James Simon Gallerie entsteht, wird sie in der Mitte der Insel sitzen. Das neue Besucherzentrum bildet den Ausgangspunkt für die archäologische Promenade, die unterirdisch, auf Ebene -1, zu allen Museen führen soll, jedem einzelnen. Von der Gallerie aus kann man bald direkt ins Pergamonmuseum gehen, das einen Südeingang bekommt. Und ein sechs Meter hoher Kolonnadengang verbindet die Gallerie mit dem frisch sanierten Kolonnadenhof der Alten Nationalgalerie. Mit diesem Plan wollen Schwarz und Chipperfield die Freunde endlich zusammenbringen.

Aber dann kommt der Landschaftsarchitekt Nicolai Levin. Er hat vor Jahren mit seinem Büro Levin/Monsigny den Freiraumwettbewerb für die Museumsinsel gewonnen und den Kolonnadenhof neugestaltet. Er bescheinigt der Insel auch zwei Seiten: Aber er spricht von der steinernen, hin zur Dorotheenstadt und von der landschaftlichen, hin zur Spree und zur Grünfläche hin. Und welche Grünfläche könnte hier wohl gemeint sein? – Es ist der James Simon Park, der zwischen Spree und Hackeschem Markt liegt, ein Parkname, der mich vor ein, zwei Jahren mal aufhorchen ließ (James Simon?), aber mich aus irgendeinem Grund nicht dazu brachte, ihn zu googeln. Vielleicht war es deswegen, weil er so amerikanisch klang. (Ist Unwissenheit eigentlich strafbar?) Levin will Elemente des Kolonnadenhofes auch auf den Platz an der James Simon Gallerie hinüber transportieren. Ein “Wassertisch” soll dort zum Beispiel hin, eine Art linearer Brunnen. Und Levin erklärt, warum dem Bodemuseum nichts anderes übrig blieb, als dem Freund Pergamon den Rücken zu kehren: Die Stadtbahn kam und zerschnitt die Insel, wenngleich das Pergamonmuseum erst nach ihm gebaut wurde.

Ein guter Architekt

Nach den Vorträgen wurmt mich immer noch das Zitat von den fünf Freunden. Ich frage Alexander Schwarz nach dem Urheber der Metapher. Für einen Moment lang, klingt er wie ein Österreicher. Aber ich muss mich wohl getäuscht haben. Jedenfalls verzieht ihm die Frage seine Gesichtszüge. Halb spaßig, halb warnend gibt er den “Meister” höchstpersönlich als Urheber an. (Und er sagte “Meister”!) Das hätte ich mir denken können, aber ich tat es nicht. Ich wollte sicher gehen, und jetzt weiß ich es, dass eine Bildersprache wie die von den fünf aparten Freunden nur von einem Künstler kommen kann. Danke, so habe ich die Museumsinsel noch nicht gesehen. Ich glaube, der David Chipperfield, das muss ein guter Architekt sein.

Er hat für den Umbau des Neuen Museums vom Architekturverein einen Sonderpreis bekommen. Das war vor drei Jahren, lese ich in einer Broschüre, die auf dem Tisch am Ausgang liegt. Bei den Visitenkarten und der Spendenbox. Stand die vorhin schon hier? Auf einem anderen Tisch, von dem ich mich längst bedient habe, stehen reihenweise Flensburger. Auch Weißbrot, Käse, Schinken. Wer noch kein Abendbrot gehabt haben sollte, wird im Kutscherhaus satt. Ich spende, und dann gehe ich.

Erst am nächsten Tag frage ich mich, wer eigentlich James Simon war. Und plötzlich fällt mir auch der Park wieder ein, google es, und finde, die fünf Freunde könnten ruhig mal auf den Mann anstoßen.