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Kahlfeldts Kiez

„Baudamen“ … Jemand sagte, man solle doch von „Baudamen“ sprechen statt von „Bauherren“. Das ist wirklich eine gute Idee. Beim Fest von Mitte an einem Septembersonntag in der Berliner Klosterstraße drängt der Bauwille durch die Stimmen von Brigitte Thies-Böttcher, Petra Kahlfeldt und Marie-Luise Schwarz-Schilling und breitet sich in der warmen Kulisse der Parochialkirche aus. Die Damen wollen eine Schule bauen. Nicht irgendeine, nicht irgendwo. Sie setzen sich dafür ein, dass das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster in die Klosterstraße nach Mitte zurückkehrt.

Podiumsdiskussion in Parochialkirche: Matthias Wemhoff, Alexander Pellnitz, Brigitte Thies-Böttcher, Petra Kahlfeldt, Christoph Rauhut (v.l.n.r.)

Es ist ein Gymnasium, das 1574 im Zuge der Reformation im aufgegebenen Kloster der Franziskaner gegründet wird. Berühmte Schüler wie Schadow, Schinkel und Bismarck besuchen im 18. und 19. Jahrhundert die Schule. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlässt sie den Ort und tritt eine Odyssee in den Westen an. Über die Weinmeisterstraße und Niederwallstraße (beide noch in Mitte) gelangt sie nach Tempelhof und landet nach einem weiteren Umzug 1954 in der Nähe des Hohenzollerndamms in Wilmersdorf. Neun Jahre später, da steht in der Stadt die Mauer schon, übernimmt die Schule die Traditionen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und führt diesen Namen wieder offiziell. Heute noch werden Sprachen wie Alt-Griechisch, Hebräisch und Lateinisch gelehrt. Heute noch unternehmen die Schüler und Schülerinnen Exkursionen zum Ursprungsort – quer durch die Großstadt.

Ein Ort der Askanier

Das Graue Kloster befindet sich zu seiner Entstehungszeit im 13. Jahrhundert am Rande Berlins. Die Stadtmauer begrenzt das Gebäude an der östlichen Seite. In nördlicher Richtung liegt das Hohe Haus der brandenburgischen Markgrafen, die den Franziskanern das Grundstück zur Verfügung stellen, damit diese für sie die Grablege organisieren – so wird es auf einer der im Festprogramm angebotenen Führungen erklärt. Die Gegend um das Graue Kloster ist somit das älteste Regierungsviertel Berlins.

Führung mit Dirk Schumann zur Architektur der Klosterkirche beim Mitte-Fest 2023

Heute liegt der Ort mitten im Zentrum. Erkennbar ist er nur durch die weithin sichtbare, dach-, tür- und fensterlose Ruine der Klosterkirche. Vom Kloster selbst zeugt nur eine halb im Boden versunkene Feldsteinmauer des früheren Kreuzgangs. Von hier aus verläuft sich die Fläche bis zur Grunerstraße in Abstandsgrün und einer Baustelle.

Es ist die Baustelle des Mammutprojekts „Molkenmarkt“, ein Titel, der Uneingeweihte vermuten lässt, es würde nur ein romantischer alter Marktplatz wiederaufgebaut. Tatsächlich ist der Molkenmarkt, nur der Ansatz eines neuen Stadtquartiers, das sich von der Alten Münze beinahe bis zum Alexanderplatz erstreckt. Vier Berliner Blöcke werden neugebaut. Weil dafür die Grunerstraße nach Norden verschwenkt wird, entsteht auch neben der Klosterkirchenruine ein Baufeld. Es ist im Bebauungsplan für den Bau einer Schule reserviert. Die Stadtplaner nennen die Fläche fachmännisch-technisch: Block D.

Blick auf das Alte Stadthaus von Alter Münze über den Molkenmarkt. Block A wird in Zukunft die Sicht verstellen

Areal des Jüdenhofs in Block C (hinter dem Bauzaun); im Hintergrund Theaterdiscounter (TD)

Theaterdiscounter im Ex-Fernmeldeamt (Ost), links davon Ruine der Klosterkirche und dahinter das Amtsgericht Mitte

Als Marie-Luise Schwarz-Schilling 91-jährig und im roten Mantel für ihr Grußwort auf das Podium steigt, erzählt sie von Odysseus. Wie seine Männer beim Volk der Lotophagen von den Früchten des Lotos essen. Wie sie vergessen, woher sie kommen. Wie sie vergessen, wohin sie gehen. Nach der Geschichte ruft die Stifterin den Gästen des Mitte-Festes „Vergesst nicht!“ zu und lässt sich auf einer der harten hölzernen Bänke in der Parochialkirche nieder.

Neulich stand in der Zeitung, es gäbe für den „Molkenmarkt“ keinen Baubeginn vor 2026. Da bekommt man eine Ahnung davon, wieviel hier auszugraben ist. Wenn Block D des Grauen Klosters an die Reihe kommt, wird die benebelnde Wirkung des Lotos auf die irrfahrenden Köpfe der Stadt nachlassen? Werden die Berliner zu sich kommen? Die Klostergeschichte könnte ihnen ins Gehirn springen und einen – durchaus angenehmen – Schock auslösen. Womöglich schiebt die Klostergeschichte die Kirchenruine etwas in den Hintergrund des öffentlichen Interesses.

Das ist ein wenig aus den Worten von Landeskonservator Christoph Rauhut herauszuhören. Ihm gefällt die Idee von Architekt Alexander Pellnitz nicht, aus der Klosterkirchenruine die Aula des neuen Gymnasiums zu machen – eine 25 Jahre alte Idee, wie Pellnitz gesteht. Damals hatte er seine Diplomarbeit darüber geschrieben. Aber erst war das Kloster. Dann kam die Kirche. Nur weil die Kirche als Ruine und Höhendenkmal greifbar ist, muss sie deshalb auch Ansatzpunkt für die geplante Schule sein? Das Bodendenkmal der Klosteranlage, und alles was wir durch die Grabungen erfahren werden, könnte potenziell richtungsweisender für die Blockentwicklung sein.

Die Schule, die die Mitte feiert

Schwarz-Schilling auf der Holzbank winkt ab, als es auf dem Podium um archäologische Fenster geht. Das mag ihr zu passiv sein. Für die Unternehmerin zählt der aktive Zug. So lese ich ihre Geste. Und dieser aktive Zug wäre nicht, der Archäologie die stille Bühne zu überlassen. Muss hier nicht vor allem Leben in die Bude?

Schautafel mit Architekturentwurf Klosterstraße

Imaginiertes Klosterareal auf Schautafel in Parochialkirche (Stiftung Mitte Berlin)

Dass eine Schule gebaut wird, steht im B-Plan. Dass das Traditionsgymnasium nach Mitte zurückkehrt, ist keine ausgemachte Sache. Brigitte Thies-Böttcher arbeitet im Förderverein seit Jahren daran, dass das passiert. Von dieser Mission wird im kommenden Jahr sicher viel zu hören sein, wenn das Gymnasium zum Grauen Kloster 450-jähriges Jubiläum feiert. Auch dann wird wieder ein Mitte-Fest stattfinden, bestimmt. Die Veranstalter werden vermutlich bemüht sein, Thies-Böttcher im Programm den Raum zu bieten, der ihrem Anliegen gebührt. Diesmal hatte sie ihren Vortrag extrem eindampfen müssen, nachdem ihr Vorredner extrem überzogen hatte. Sicher wollte sie mehr erzählen – von der Schule, die im Stande wäre, die Mitte zu feiern.

Ehrlich, aber es hilft nicht

Das ist der Standortvorteil der Wilmersdorfer. Sie sind die geistigen Erben des Ortes, der berühmten Berliner Geist hervorgebracht hat. Sie haben den Draht zu Schadow, Schinkel, Schleiermacher. Und sie haben den Draht zu Petra Kahlfeldt. Die Architektin und Berliner Senatsbaudirektorin erzählt auf dem Podium, zu den Schülern des Gymnasiums gehörten auch ihre eigenen Kinder. Außerdem habe sie an der Schule das Café mitaufgebaut.

Man kennt sich also. Die Baudamen kennen sich. Natürlich dürfen sie das. Sie dürfen sich kennen. Und sie dürfen auch miteinander feiern. Ich fürchte aber, Kahlfeldt hat mit ihrer Offenheit dem Rückkehrprojekt ganz lautlos den Riegel vorgeschoben – ohne es selbst zu wollen. Denn von nun an wäre die Legende vom heimkehrenden Gymnasium zum Grauen Kloster immer auch mit der Nebengeschichte versehen, die Senatsbaudirektorin installiere ihren eigenen Kiez im geliebten Berliner Stadtkern. Werden die Berliner jemals genug Lotos fressen können, dass sie diesen Privatstreich übersehen?

Obdachlose leben in Zelten im Umfeld der Klosterkirchenruine

Was ich mich sonst noch so frage:

  1. Ist das tapfere Gymnasium also dazu verdammt, nicht zum Grauen Kloster zurückkehren zu können, solange Petra Kahlfeldt im Amt der Berliner Senatsbaudirektion bleibt?
  2. Welchen Stellenwert besitzt die Rückkehr des Gymnasiums zum Grauen Kloster auf der Agenda Kahlfeldts gegenüber anderen Projekten im Berliner Stadtkern? Taugt sie (die Rückkehr) als potenzielles Lebenswerk der Architektin? (Das wäre schon eine starke Geschichte, finde ich.)
  3. Wäre die Senatsbaudirektorin ggf. dazu zu bewegen, ihr Amt aufzugeben, wenn Berlin die Rückkehr des Gymnasiums zum Grauen Kloster proaktiv und verbindlich zusagen würde?
  4. Welche anderen Schulen kämen für den Standort infrage, wollte man an die Geschichte der Franziskaner als Bettelorden anknüpfen?
  5. Kommt nicht sogar eine andere soziale Nutzung infrage?

Evers Garten

Die Berliner Christdemokraten werden immer sympathischer. Zumindest einer, weil er sogar die Bildung von neuem Volkseigentum unterstützt. So äußerte Stefan Evers, stadtentwicklungspolitischer Sprecher der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus Berlin, Anfang Juni beim Gartengespräch des Flussbads sein Belieben, den Garten des ehemaligen DDR-Staatsratsgebäudes in Mitte, also den heutigen Garten der European School for Management and Technology (ESMT) in eine öffentliche Grünanlage umzuwandeln.

Eine Öffnung des Privatgartens hat ja schon stattgefunden. Wenn der Flussbad-Garten (also Garten Nr. 2) geöffnet hat, macht auch die ESMT eine Pforte im Zaun Richtung Spreekanal auf. So gelangt man, wenn man mit offenen Augen durch die Welt geht, von dem einen Garten (Nr. 2) in den andern (Nr. 1). Natürlich muss ich an dieser Stelle den Garten der ESMT als Garten Nr. 1 bezeichnen. Denn ohne die ESMT, die einen Teil ihres Gartens dem Flussbad-Projekt überlässt, gäbe es den Garten des Flussbads nicht.

Eine Gartenpforte auch nach Süden bitte!

Der Zaun verläuft an der Westseite des ESMT-Grundstücks, ein paar Meter zurückversetzt, sodass sich der Flussbad-Garten vor ein paar Jahren dort einrichten konnte. Die Pforte ist hier, die Gartenpforte. An der Ecke zur Sperlingsgassse biegt der Zaun Richtung Breite Straße nach Osten ab, ohne nochmals eine Gelegenheit zum Eintreten zu geben. Büsche sind ums Eisen gewachsen und schotten Garten Nr. 1 nach Süden zur Scharrenstraße ab. Mein Gott, das wird einmal die Einflugschneise ins Gotteshaus sein, ins House of One! Unterwegs dorthin, käme man am Nicolaihaus vorbei und an der Landesvertretung Sachsens, deren Staatsflagge vom ESMT-Garten aus sichtbar ist. Nur durch müsste man können, durch den wild umwachsenen, schönen und kostbaren Naturzaun, von mir aus auch drüber.

Da sieht man, wie genial die Idee von Stefan Evers ist. Der Garten der ESMT ist ein Puzzle-Teil mit drei Gelenken. Eins verbindet das Kanalufer westlich. Ein zweites verbindet den Garten mit den neuen Highlights von Alt-Cölln (House of One und Archäologisches Zentrum am Petriplatz). Ein drittes Gelenk knüpft östlich (eigentlich sind es zwei dritte Gelenke) an die Breite Straße an und damit an die Stadtbibliothek und (etwas nördlicher) an das Humboldtforum. Die Unterführung durch das Nebengebäude der ESMT entlang der Breiten Straße verlöre ihren Betriebshof-Charakter, würde hier das Tor aufgerissen. Dear Mr. Evers, open this gate!

Aber wie will er das eigentlich machen? Und was ist aus der Sache mit dem Studentenwohnheim geworden, das dort vor Jahren im Garten gebaut werden sollte?

Noch ein Privatgarten: das Magnus-Haus

Die Konstellation erinnert mich ein bisschen an das Magnus-Haus (mit Garten), weiter unten am Kupfergraben, gegenüber dem Pergamonmuseum. Garten Nr. 3 wäre der Standort der Siemens-Repräsentanz geworden, eines Neubaus, wenn nicht ein Wunder geschehen wäre. Das Wunder geschah, und das letzte barocke Stadtpalais in Mitte bleibt unbebaut und darf weiter für Siemens grünen. Alles privat, auch hier. Das Schönste Berlins scheint immer Privatsache zu sein.

Könnten wir nicht auch den Magnus-Haus-Garten öffnen? So zwischen Collegium Hungaricum und Maxim-Gorki-Theater, dazu die Humboldt-Uni, würde es sich doch wohl prima lesen, lernen und liegen lassen. Noch so ein Puzzle-Stück dieser Garten Nr. 3.

Und wenn dann letztlich noch das Flussbad selber kommt, dann ist die Verbindung der Gärten vollkommen. Beten gehen, Bücher ausleihen, durch Garten Nr. 1 ziehen, in den Garten Nr. 2 hinein, dort einen Kaffee trinken, dann ins Kanalwasser steigen, zum Magnus-Haus schwimmen, aus dem Kanal klettern, in Garten Nr. 3 ausruhen, Siemens für die noch zu tätigende Geste danken, ins Gorki-Theater gehen. Die Stadt braucht mehr Gartengespräche (das nächste findet statt am 7. Juli 2022, siehe https://www.flussbad-berlin.de/)

Stadtplanung – Bürgerbeteiligungsverfahren „Alte Mitte – Neue Liebe“ Debatte zur Berliner Mitte 2015 wurde beendet

— Mitteilung der Gesellschaft Historisches Berlin (GHB) —

Bebauung in Anlehnung an den historischen Grundriss (GHB)

Bebauung in Anlehnung an den historischen Grundriss (GHB)

Das Bürgerbeteiligungsverfahren zur Gestaltung der Historischen Mitte im Auftrag des Senats ging mit der Abschlussveranstaltung am 28. November 2015 zu Ende. An den Veranstaltungen nahmen nur wenige Berliner teil. Die mehrheitlich anwesenden Kiezbewohner engagierten sich für eine Beibehaltung der Freifläche und dominierten mit Unterstützung der Moderation Zebralog, der Verwaltung und einiger aktiver Politiker die Veranstaltungen. Städtebauliche Visualisierungen waren als wichtiges Mittel der visuellen Kommunikation in Architektur und Stadtplanung unerwünscht. Die Verwaltung, vertreten durch die Senatsbaudirektorin, griff wiederholt lenkend ein und ordnete die Diskussion anhand eines „weißen Blatt Papiers“, ohne jegliche visuelle Unterstützung, an.

Blick auf den Rathausplatz, Ort der Demokratie (GHB)

Blick auf den Rathausplatz, Ort der Demokratie (GHB)

Eine offene Diskussion, im Plenum einer jeden Veranstaltung üblich, wurde durch die Moderation weitestgehend unterbunden. In der Abschlussveranstaltung wurden 10 Leitlinien verkündet, die der Meinung der Kiezbewohner entsprachen. Die Minderheitsmeinung – ein Plädoyer für eine Teilbebauung – wurde nicht erwähnt.

Unter der Nennung der 10 Leitlinien wird das Ergebnis demnächst von der Verwaltung dem Abgeordnetenhaus vorgelegt werden.

Die 4 großen Bürgervereine in der Historischen Mitte tragen wegen der dominanten Lenkung der Stadtdebatte durch die Senatsverwaltung und wegen der mangelnden Neutralität der Moderation sowie wegen der aktiven Einflussnahme der Politiker aus der Partei Die Linke das Ergebnis nicht mit.

Blick auf den Rathausplatz, Ort der Demokratie (GHB)

Blick auf den Rathausplatz, Ort der Demokratie (GHB)

Mit einem gemeinsame Schreiben werden sich die GHB und drei uns befreundete Bürgervereine an die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses wenden, in dem die Vereine zum Ausdruck bringen, dass sie das Ergebnis des gelenkten Bürgerbeteiligungsverfahrens für nicht geeignet halten, um als Vorlage für weitere Beschlüsse zu dienen.

Hier zeigen wir auszugsweise einige Planungsvorschläge der GHB, die nur in sehr eingeschränktem Maße auf einer Veranstaltung des Bürgerbeteiligungs-verfahrens gezeigt werden konnten.


Mittwoch, 27. Januar 2016 um 18:30 Uhr

Vortrag: Dr. Benedikt Goebel – 40. Lichtbilderabend: St.-Wolfgang-Straße

Anmeldung bitte bei Herrn Goebel unter: stadtkern@berlin.de


Mittwoch, 17. Februar 2016, 19:00 Uhr

Vortrag: Dipl. Ing. Horst Peter Serwene – Die Friedrich-Wilhelm-Stadt

Sie ist die jüngste Gründung (1830) der Berliner Vorstädte innerhalb der Akzisemauer. Die beginnende Industrialisierung (Invalidenstraße) und die Entwicklung der Charité zur Universitätsklinik beförderten ihren Aufstieg. Heute liegt die Friedrich-Wilhelm-Stadt direkt am Regierungsviertel (und wird sogar ein Teil davon). Immer mehr wird das Quartier Standtort für Kultur, Geschäftsräume, wissenschaftlichen Institute und Wohnungen. Auch die vielen Bauten aus der klassizistischen Gründungsphase (Marienstraße) belegen die Attraktivität des Viertels.

Ort: Zentral- und Landesbibliothek, Breite Str. 30-36, Berliner Saal

 

Hilfe, die Urbaniten sind da! Und einer entpuppt sich als Vorstädter

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Als ich vor drei Jahren einmal beim Projektentwickler der Townhouses vom Friedrichswerder anrief und man mir sagte, auf den 47 Schmalst-Parzellen lebten 500 Menschen, schmunzelte ich schon sehr. Dort wohnen doch keine zehn Leute in einem einzigen Haus! Dennoch sind die „Urbaniten“ da. Einen hab ich letztens kennengelernt, war Hausgast bei ihm, ja wirklich. Es gibt in der Oberwallstraße 20 ein Café, das seinen Gästen eine Terrasse mit Blick auf den Innenhof des Townhouse-Blocks bietet. Allerdings ist deren Nutzung baupolizeilich untersagt, worauf ein Schild ausdrücklich hinweist. Das Verbot kommt dadurch zustande, dass ein Townhouse-Bewohner, ein Urbanit, sich durch die Cafébesucher belästigt fühlt und dagegen klagt. Der Cafébetreiber nimmt aber alle seine Gäste in Schutz. Man kann getrost am Schild vorbei- und auf die Terrasse rausgehen. Dort traf ich dann meinen Gastgeber, ein Bewohner des Café-Townhouses, der mir die Geschichte erklärte. Bitte nicht verwechseln: Mein Gastgeber ist der Beklagte, er befürwortet das Café. Sitzt ja selber am Tisch neben mir. Die Klage kommt von der anderen Hofseite, von gegenüber, wo offenbar kein Urbanit, sondern eine Urbani(e)te eingezogen ist! Denn war es nicht die Idee, jene hier bauen und leben zu lassen, die die Dichte lieben und gemischte Strukturen, überhaupt: die Stadt? Als „Hoffnungsträger“ hatte man die Urbaniten in den 90er Jahren betrachtet. Jetzt sehen wir, dass mancher besser vor die Stadtgrenze gehörte, ins Suburbane, ins Umlandgrün, zu dem die Townhouse-Idee vom Friedrichswerder ja gerade das Gegenstück sein soll. So hoffe ich, dass die Klage scheitert, das Café bleibt und man beim nächsten Mal ehrlicher ist, wenn ich anrufe. Oder täuscht die Townhouse-Idylle nur?

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

 

Open-Air-Ausstellung „Mitte!“ am Neptunbrunnen

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte« Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte«
Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Zeitgleich mit der heute stattfindenden Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung am Rathausforum startet das Bürgerforum Berlin e.V. unter dem Titel „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ eine Open-Air-Ausstellung am Neptunbrunnen. Sie soll als Säulenausstellung bis 31. August Tag und Nacht zu besichtigen sein. Das Bürgerforum informiert dabei über die wichtigsten Fakten und Bilder zur Geschichte der Berliner Mitte. Der Verlust der Bauten durch die moderne Stadtentwicklung ist in dessen Flyer beziffert:

„Von den um 1865 vorhandenen zirka 1.500 Bauten des Stadtkerns sind nur noch 85 erhalten: Aus dem Mittelalter stammen nur vier Kirchen, kein einziges Bürgerhaus – ein solcher Verlust ist auch im europäischen Maßstab einzigartig.“

Mehr über die Ausstellung, das Bürgerforum und dessen Ziele – hier im Flyer

Forum unterm Goldstern

Im Monbijoupark: Altes Haupttelegrafenamt, in das ein Hotel einziehen soll. Rechts: Oranienburger Straße mit Neuer Synagoge. (Foto: André Franke)

Im Monbijoupark: Altes Haupttelegrafenamt, in das ein Hotel einziehen soll. Rechts: Oranienburger Straße mit Neuer Synagoge. (Foto: André Franke)

Das Besondere beim Projekt „Forum Museumsinsel“ wird für mich der vergoldete Davidstern sein, der krönend von der Neuen Synagoge aus seinen Glanz in den riesigen Hof wirft, wo zwischen altem Fernmeldeamt, altem Haupttelegrafenamt, alter Freimaurerloge und Ziegelstraße in Form einer geplanten Markthalle und wechselnden Events, zum Beispiel Weihnachtsmarkt oder Public Viewing, bald neues Mitte-Leben einziehen soll. Was genau der Investor Ernst Freiberger mit den insgesamt sieben denkmalgeschützten Gebäuden des lange Zeit brachgelegenen Areals zwischen Oranienburger Straße und Spree vorhat, darüber informiert heute Abend Horst Peter Serwene in einem Vortrag im Berlin-Saal der Berliner Stadtbibliothek, Breite Straße 30-36 in Mitte.

Heute im Angebot: Argumente gegen die Groth-Pläne im Mauerpark

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Ab heute beginnt für das Prozedere der Pläne im Mauerpark die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung, die sogenannte “Öffentliche Auslegung”. Bis zum 16. März kann jeder, der möchte, seine Einwände gegen den Bebauungsplan 1-64a VE hervorbringen – in der Hoffnung, dass das Bezirksamt Mitte die Einwände berücksichtigt.

Der B-Plan soll dem Investor, der Groth Gruppe, Baurecht für ein Wohngebiet mit derzeit 709 Wohnungen nördlich des Gleim-tunnels verschaffen und ist infolge von städtebaulichen Verträgen die Voraussetzung für die Erweiterung des Mauerparks südlich davon.

Eine erste, “frühzeitige” Beteiligung, hat 2010 stattgefunden. Damals gaben Bürger 2.649 Stellungnahmen ab. Die Intitiativen kritisierten das Auswertungs-ergebnis, in dem die Einwände ihrer Ansicht nach kaum Berücksichtigung fanden. Das Bezirksamt, in Person des damaligen Baustadtrats Ephraim Gothe behauptet das Gegenteil (Fazit aus dem 18-seitigen Auswertungsergebnis; ganzes Dokument hier):

“Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach Abwägung der privaten und öffentlichen Belange zu den Planungszielen, das Verfahren des Bebauungsplans 1-64 unter Beachtung vorgebrachter Hinweise weiter verfolgt wird.”

Die Mauerpark-Allianz, ein Zusammenschluss aus Initiativen, Der Linken und den Piraten, informierte schon letzten Donnerstag über die Pläne und die Auslegung. Sie sieht das Prenzlauer Berger Gleimviertel und das Brunnenviertel im Wedding (Bezirk Mitte) von Gentrifizierung bedroht. Eine 3D-Animation läuft dazu auf youtube. Sie lässt die Baumassen in die Höhe wachsen und zeigt die befürchtete Verschattung der betroffenen Anrainer, wie die Jugendfarm Moritzhof.

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Die Allianz bietet einen umfangreichen Service. In ihrem fünfsprachigen Flyer gibt sie den Bürgern, die sich beteiligen wollen, ein Abreißformular an die Hand und bietet auf ihrer website sogar Argumente gegen die Groth-Pläne an. Die Mauerpark-Allianz, zu der auch die mit dem Volksentscheid erfolgreiche Initiative 100% Tempelhofer Feld gehört, bereitet außerdem ein Bürgerbegehren gegen den B-Plan vor.


Die Mauerpark-Geschichte ist äußerst komplex. Man kann sie sich bei Gelegenheit mal erklären lassen – immer montags 19:00 Uhr in der Jugendfarm Moritzhof, Schwedter Straße 90, wo sich die Mauerpark-Aktivisten für Fragen zur Beteiligung zur Verfügung stellen. Mehr Infos zum Plan und zur Auslegung auch auf der website des Bezirksamts Mitte, hier.

Mehr Beiträge auf Futurberlin.de

  • „Der Stadtrat, der aus der Hüfte schießt“ – Wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek weniger Bürgerbeteiligung wagt und mit seinem kuriosen Stil bisher ganz gut fährt (März 2013), im Fokus drei Mitte-Projekte: Mauerpark, Monbijoupark und Marienkirchhof
  • „Ob es klappt, weiß man nicht“ – Interview mit Frank Bertermann (Grüne), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der BVV Mitte, über die damals initierte Bürgerwerkstatt Mauerpark und den aufgstellten Bebauungsplan 1-64 (August 2010)
Rathausforum

Rathausforum: Der Turm kippt zur Spree

Bislang gäbe es für die Wiederbebauung des historischen Berliner Marienviertels, gemeint ist das heutige Rathausforum, noch keine politische Mehrheit, bekennt Kulturstaatssekretär André Schmitz am 16. Juli im Nicolaihaus auf Alt-Cöllner Territorium, aber er sei sich ganz sicher, dass das passieren wird. – Na klar, denn die Idee genießt die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit und scheint seit Veröffentlichung von Hans Stimmann´s „Berliner Altstadt“ auch auf einem fachlichen Fundament zu wachsen. Aber wartet die „Staatsbrache“ tatsächlich auf eine neue städtische Nutzung, wie der Bundesverdienstkreuzträger und ehemalige Senatsbaudirektor behauptet?

Eine Fläche … die funktioniert

Rathausforum / Marx-Engels-ForumDas Areal, um das es geht, ist ein differenzierter Raum mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten und besteht bei genauerer Betrachtung aus zwei verschiedenen Einzelflächen: dem Marx-Engels-Forum und einem Platz, der erstaunlicherweise keinen offiziellen Namen trägt.

Letzterer wird in einer gegenwärtig stattfindenden, mehrteiligen Veranstaltungsreihe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zum Thema Historische Mitte direkt als „Rathausforum“ bezeichnet. Bei dieser Freifläche zwischen Rotem Rathaus, Marienkirche und Fernsehturm handelt es sich funktional um einen Stadtplatz, der im Bereich Neptunbrunnen temporär auch als Marktplatz und Veranstaltungsort genutzt wird.

Das Marx-Engels-Forum funktioniert dagegen erstens als parkähnliche Grünfläche und zweitens als Gedenkstätte. Drittens übernimmt es mit der Anlegestelle für die Spreeschifffahrt eine besondere (Wasser-)Verkehrsfunktion. In Anlehnung an den bereits vor Eröffnung des Marx-Engels-Forums 1986 gebräuchlichen Namen „Park an der Spree“, und um das Forum im folgenden Text begrifflich und funktional vom Rathausforum abzugrenzen, soll die Fläche hier als „Spreepark“ bezeichnet werden. Beide Teilflächen weisen somit insgesamt sechs unterschiedliche Nutzungsaspekte auf.

… mit städtebaulichen Qualitäten

Was Freiräume wie Spreepark und Rathausforum in exponierter Lage wie dem Zentrum der City-Ost zu leisten vermögen, geht jedoch über funktionale Aspekte hinaus. Der Stadtraum zwischen Fernsehturm und Spree produziert eindrückliche Stadtbilder und eröffnet Sichtbeziehungen: kaum ein Standort, von dem der Blick des Besuchers nicht magisch vom mächtigen Schiff der Marienkirche angezogen wird. Der freistehende Kirchenbau hat eine Ausstrahlung, die durch eine Umbauung, selbst wenn sie auf historischem Stadtgrundriss verwirklicht würde, nur gebrochen werden kann. Die Marienkirche wirkt wie eine stolze, alte Dame, die man auf keinen Fall ins Korsett zwängen darf.

Dann das Rote Rathaus selbst: Stadthäuser im Bereich des Neptunbrunnens nähmen dem Gebäude jegliche Repräsentation. Das kann nicht ernsthaft im Interesse des Senats sein, der dort im Inneren sitzt. Die imposante Erscheinung des Gebäudes wird erst durch den Freiraum des Rathausforums erzeugt. Bauten würden diese Wirkung außer Kraft setzen.

Im Falle einer Bebauung des benachbarten Spreeparks, wären unter Berücksichtigung des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses folgende städtebauliche Konsequenzen zu (er)tragen: Das Spreeufer wäre sowohl auf der Alt-Cöllner als auch auf der Alt-Berliner Seite bebaut, infolge dessen die Spree mit ihrem Potenzial als Naturraum im Zentrum der Hauptstadt in beträchtlichem Maße aus der Wahrnehmung der Besucher genommen würde. Der Fluss bekäme seine Scheuklappen zurück. Gleichzeitig fiele auch die räumliche Kontrastwirkung weg, die man durch eine einseitige, akzentuierte Bebauung des Westufers mit dem Berliner Stadtschloss hervorrufen könnte. Der für die Öffentlichkeit sensationelle Blick vom Spreepark auf das Humboldtforum, das an dieser Stelle seine einzige modern gestaltete Fassade präsentieren wird, käme dann aus den Fenstern von Privatwohnungen. In diesen stadträumlichen Zusammenhang rückt dieser unterschätzte Park.

Ihre besondere Qualität erfährt die Freifläche aus Rathausforum und Spreepark aber erst in Bezug auf den 368 Meter hohen Fernsehturm. Beide Teilflächen bilden, quasi in Reihe geschaltet, sein stadträumliches Negativ, seinen lebendigen Schatten. Dieser ausgedehnte Freiraum ist die städtebauliche Übersetzung der Höhendominante des Fernsehturms in die Horizontale. Ganz subtil macht sie klar: wenn der Turm jemals kippen sollte, dann hier entlang, in Richtung Spree. Das ist eine Qualität von Städtebau – und im Hinblick auf die Größenordnung der Flächen auch eine Quantität – wie sie an diesem Ort nur unter sozialistischen Planungsverhältnissen entstehen konnte. Und das ist gut so.

Dem höchsten Bauwerk Deutschlands liegt mit diesem Stadtraum ein riesiges Potenzial zu Füßen. Über 500 Meter blicken wir heute vom Fuß des Fernsehturms über Wasserspiele und Neptunbrunnen ins Grüne hinein Richtung Westen. Mit dem Humboldforum erscheint am Horizont dann auch der fehlende Fixpunkt. Dieses Potenzial gilt es zu gestalten.

… im Rhythmus der Stadt

Auf größerer Maßstabsebene arbeiten beide Freiflächen, Rathausforum und Spreepark, mit den bebauten Flächen der Umgebung zusammen. Wie auch die beiden Freiflächen verschiedenartige Räume sind, so ist auch deren städtisches Umfeld durch eine auffallende Heterogenität geprägt. Ein kurzes Panorama soll die clusterhafte Beschaffenheit der City-Ost skizzieren.

Hackescher Markt mit Spandauer Vorstadt, Alexanderplatz mit Alexa, Kloster- und Nikolaiviertel mit zukünftigem Molkenmarkt, Alt-Cölln und Fischerinsel, Friedrichswerder mit Auswärtigem Amt und Townhouses, Schlossplatz mit zukünftigem Humboldtforum, Unter den Linden mit Universität und Deutschem Historischen Museum und schließlich das größte Universalmuseum der Welt: die Museumsinsel mit Lustgarten und Berliner Dom – sie lagern wie Schollen um die Freiflächen herum, sind Wohnstandorte von gestern und von morgen, zeigen Platte und (jetzt schon!) neue Stadthäuser, präsentieren Geschichte und Kultur, sind Platz, Boulevard oder Shopping-Mall.

Ein weiterer Townhouse-Standort im Zentrum dieses Ringes, der im Übrigen z.B. mit der Grunerstraße gegenwärtig auch Brüche aufweist, würde das Areal der City-Ost nicht bereichern, sondern entkräften. Was bereichert das Portfolio dieser Zentrumslage? – Diese Frage müssen wir stellen.

Der Maßstab für deren Beantwortung liefert uns nicht nur der oben dokumentierte Bestand. Vielmehr muss der Zielzustand des Planwerk Innenstadt zu Grunde gelegt werden sowie laufende und planungsrechtlich gesicherte Projekte. Ob am Hackeschen Markt, Alexanderplatz, Molkenmarkt, in Alt-Cölln oder auf Schinkel- und Schlossplatz – die Nachbarschaften von Spreepark und Rathausforum werden baulich verdichtet. Auch das ist gut so. Aber hüten wir uns doch davor, eine dritte Niere zu verpflanzen, an der Stelle, wo ein Herz zu schlagen hat.

Grün ist dieses Herz und Berliner Domöffentlicher Raum, ein direkter Zugang zum wahren Ursprung Berlins: der Spree. Dabei gehen die Aufgaben des Freiraums über eine lediglich funktionale Ergänzung zur bebauten Umgebung hinaus. In einem derartig facettenreichen Zentrum wie die City-Ost fördern Freiflächen wie Spreepark und Rathausforum die Orientierung und motivieren Mobilität; sie rhythmisieren die Wegebeziehungen zwischen den o.g. City-Bausteinen und sind darüberhinaus selbst Anziehungspunkte, denn eine wesentliche Qualität von Freiräumen, ob Grünfläche oder Stadtplatz, besteht in ihrem Vermögen, den bebauten Raum zu öffnen, den Passanten aus seiner Führung durch Straße und Block stadträumlich und mental zu befreien. Der Akt der Bebauung bedeutet an diesem Ort mehr als einen Wiederaufbau der historischen Altstadt; er ist ein Machtspruch, mit dem wir zukünftigen Berliner Besuchern und Einwohnern vorschreiben, auf welche Weise sie sich in der Stadt zu bewegen haben. Aber sind mit Lustgarten und Alexanderplatz nicht bereits genügend Freiräume bzw. Plätze vorhanden?

Gerade die Bedeutung des Marx-Engels-Forums als Park mit hochgewachsenen, voluminösen Bäumen darf nicht unterschätzt werden. So beschaulich und provinziell dieser grüne Stadtbaustein auf den ersten Blick – vielleicht aus den Fenstern des Roten Rathauses – wirken mag, so unschlagbar ist sein naturräumlicher, klimatischer Effekt im Großstadt-Sommer, inbesondere in Kombination mit der Spree. Weder Lustgarten noch Alexanderplatz, auch nicht das Rathausforum allein, können eine derartige Oasenwirkung ersetzen. Der belebte Lustgarten hat in der Tat Garten-Charakter, ist eine urbane Liegewiese, belebter Vorhof der Museumsinsel, aber wir finden keinen Schatten und hören auch keine Vögel zwitschern, denn es wachsen dort keine Bäume wie drüben im Park. Der Alexanderplatz dagegen ist ein urbaner Großstadtplatz, überregionaler Verkehrsknotenpunkt und Einkaufszentrum. Kurz gesagt: Hier kommt man an und geht Shoppen, auf dem Rathausforum entfaltet sich das Berliner Stadtbild, im Spreepark findet man sowohl Schatten als auch den Anschluss ans kühle Nass der Spree, und im Lustgarten sonnt man sich in Angesicht eines Weltkulturerbes. Es ist gerade dieser ausgewogene Freiflächen-Mix – und der Spreepark liefert einen außergewöhnlich originellen Beitrag dazu – der die Mitte Berlins so erlebbar macht.

… die nicht existiert?

Was keinen Namen hat, existiert nicht. Was den Namen eines untergegangenen Staates trägt, wird zur Brache erklärt. Das ist für den Platz vor dem Roten Rathaus und das Marx-Engels-Forum die real-kapitalistische Ausgangslage. Es ist vor allem das Image der Flächen, das unter den Hammer kommt – bei Ausklammerung ihrer wertvollen Funktion. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat sich für den Erhalt der Freiflächen ausgesprochen, aber auch deutlich gemacht, dass eine Umgestaltung notwendig sei, insbesondere an den Rändern zur angrenzenden Bebauung. Gleichzeitig scheut sie nicht den Vergleich des Areals mit dem Central Park in New York und hat angekündigt, ihre Verwaltung werde Vergleiche mit ähnlichen Metropolräumen anstellen. Das neue Image, das dieser Ort benötigt, muss also kein altes, historisches sein, und die „Marzipan-Altstadt“, vor der sich die Berliner fürchten (tip), bleibt hoffentlich nur ein Traum.

Die Stadt mit der neuen Altstadt – diesen Ruf könnte sich Berlin in der Zukunft aufhalsen und verlöre damit gleichzeitig eines seiner wichtigsten Alleinstellungsmerkmale gegenüber anderen europäischen Metropolen. Internationale Gäste sind fasziniert von den großzügigen Dimensionen der Stadt und schätzen das Image Berlins als weitläufige, offene und freiräumige Stadt – oder kommen sie am Ende etwa wegen der Brachen?

(Der Text entstand als Beitrag für die Planerin (Ausgabe Dezember 2009). Er ist ein Plädoyer für eine offene Gestaltung des sogenannten, neuen „Rathausforums“ und beschreibt die städtebaulichen Qualitäten „im Schatten des Fernsehturms“)