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Partizipation des Vergessens

Es ist schon ganz schön viel verlangt, was Stefan Evers sich da wünscht. “Mit einem weißen Blatt Papier” sollten wir in den Stadtdialog ums Rathausforum gehen. Der stadtentwicklungs-politische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus hat da schlichtweg eine Unmöglichkeit geäußert. Oder eben einen Wunsch.

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur “Berliner Mitte” vom letzten Montag hatte Ausnahmecharakter. Es wirkte, als fände sie in einem geschützten Raum statt. Und dieser Raum kam zustande, weil jedem klar war, dass es heute nicht um Inhalte ging, sondern um die Form. Zebralog, Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung, stellte das “Prozessdesign” für das Debattenprojekt ums Rathausforum vor. Heute wurde nicht geboxt, sondern der Boxkampf verabredet.

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: "Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen."

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: „Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen.“

Und das ist nicht einmal das falsche Wort. Antje Kapek von den Grünen, wünschte sich ausdrücklich, dass die anstehende Diskussion “knackig und kontrovers” geführt werde. Bisher war es so, dass die Debatte, ob Freiraum oder Bebauung, in den Medien und über Veröffentlichungen ausgetragen wurde. Ein Vorschlag jagte den anderen. Alle waren sie unverbindlich. Und die Giganten der Stadtplanung blieben unter sich, in ihren eigenen Veranstaltungen und übten am Punching Ball. Jetzt sollen sie sich treffen. Jetzt MÜSSEN sie sich treffen. Denn wer bei diesem Partizipationsprojekt, das sich an alle wendet, nicht mitmacht und später meckert, dem wird niemand mehr zuhören. Wenn am 18. April mit der Auftaktveranstaltung im bcc am Alex der Gong zur ersten Runde schlägt, darf es kein Ausweichen mehr geben.

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Dr. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Kommen wir zu den Ringrichtern. Es gibt sie wirklich, nämlich als 14-köpfiges Kuratorium, das aus Experten besteht, die über das Verfahren wachen sollen. Am Montag bekamen wir zumindest acht von ihnen zu sehen, was ich als Veranstaltungselement sehr sympathisch fand. Aber an der Zusammensetzung des Gremiums entzündet sich Kritik. So ist an einer Schreibtafel zu lesen: “Im Kuratorium gibt es nur einen Historiker!” Die Teilnehmer der Veranstaltung konnten hier auf Akteure hinweisen, die ihrer Meinung nach im Stadtdialog noch fehlten.

Daniela Riedel und Maria Brückner von Zebralog erklären vorher Struktur und Ablauf des breitangelegten Stadtdialogs, betitelt mit: “Alte Mitte – neue Liebe?” Nach der Auftaktveranstaltung im April als Aufwärm-Event gibt es eine Online-Beteiligung. Sie wird mit Werkstätten, Spaziergängen, Kolloquien, Ausstellungen, sogar mit Theater kombiniert. Die Ergebnisse gelangen über “entsandte” Bürger ins Halbzeit-Forum. Hier entscheiden die Entsandten über die weiteren Schwerpunkte, die nach der Sommerpause zu vertiefen sind. Im November dann: das Abschluss-Forum mit einem “offenen” Ergebnis.

Prozessdesign der Stadtdebatte "Alte Mitte - neue Liebe?" 2015 (Quelle: zebralog)

Prozessdesign der Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ 2015 (Quelle: zebralog)

Diese “Ergebnisoffenheit” hat manchem an diesem Abend zu schaffen gemacht. Eine Frau sagt, sie finde den Prozess nur deshalb ergebnisoffen, weil sie das Beteiligungskonzept für schwammig hält. Riedel erklärt, das Ergebnis müsse inhaltlich offen bleiben, aber ein Ergebnis als solches müsse es auf jeden Fall geben. Empfehlungen, Leitlinien, Vorschläge können das sein. Sie werden dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, das 2016 über alles weitere entscheidet. Viele zweifeln daher an der Verbindlichkeit des Ergebnisses. Das ist an einem spontanen Meinungsbild mit Klebepunkten deutlich zu erkennen. Warum dann überhaupt mitmachen?

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Weil es ein Experiment ist. So versteht es auch Andreas Geisel. Der neue Stadt-entwicklungssenator will, dass die Kontrahenten aufeinander zugehen, auch die eigene Meinung in Frage stellen und lernen. “Nicht in den Prozess reingehen, um zu gewinnen”, sagt er. Das klingt weniger nach Boxen. Das geht eher in Richtung Capoeira, den brasilianischen Kampftanz. Man setzt sich miteinander auseinander, aber niemand erleidet einen ernsthaften Schaden.

24 Stunden nachdem Geisel dies in seinen Schlussworten sagte, hat einer vorgemacht, wie dieses “Aufeinander Zugehen” aussehen könnte. Benedikt Goebel kommentierte vergangenen Dienstag in einem Vortrag über “Die vergessene Schönheit der Berliner Altstadt” auch ein Bild aus DDR-Zeiten. Abgebildet war der junge Freiraum am Fuße des Fernsehturms (das Rathausforum), ein coloriertes Foto, das die sozialistische Stadt von ihrer Sonnenseite zeigt (es war ein vergleichbares Foto wie unten). Goebel, der Historiker aus dem Kuratorium, gestand dem Ort in seinem damaligen Zustand eine eigene Schönheit zu (die er heute natürlich nicht mehr habe). Zugeständnisse dieser Art sind mir im Bürgerforum Berlin bisher nicht zu Ohren gekommen. Find ich gut.

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin - Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Alle Bilder stammen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin – Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Stefan Evers´ Ideal vom “weißen Blatt Papier” bleibt in meinen Augen aber eine absolute Illusion oder erfordert die Kunst des Vergessens. Das gilt zumindest für Fachleute und Initiativen. Bei demselben Vortrag, der zu einer Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule Mitte gehört, wurde geboxt. Eine Dame, die sich als Berlin-Gast ausgab, äußerte ihre ganz persönliche Stadtwahrnehmung. Sie deckte sich aber nicht mit der vorherrschenden Meinung im Raum. Eine gestandene Architektin konterte die Touristin in den Boden, dass Ex-IBA-Moderator Hildebrand Machleidt sie mit warmen Worten nach der Veranstaltung wieder auf die Beine zu bringen gedachte. Das zeigt, wie unverrückbar Haltungen sein können, die mit jahrelanger Arbeit und Leidenschaft aufgebaut, gepflegt und in die Welt getragen wurden. (Diese Arbeit verdient nebenbei gesagt auch Respekt.)

Für die Dame, die für eine ganze Interessensgruppe steht, war das “weiße Blatt Papier” allerdings Realität. Sie sieht die Stadt wie sie ist – ohne Bilder. Schade, dass dieser fruchtbare Moment am Dienstag in der Volkshochschule nicht für eine Diskussion genutzt wurde. Ihre Frage war doch eine Steilvorlage für jeden, der sich mit Stadt auskennt: “Dann erklären Sie mir, wie die Stadt funktioniert …” Allein, es blieb keine Zeit mehr dafür. Ein bisschen unglücklich war´s.

Solche Begegnungen zwischen “beschriebenen und unbeschriebenen Blättern” werden sich im Stadtdialog “Alte Mitte – Neue Liebe?” mit Sicherheit wiederholen. Dann wird es darauf ankommen, wie weit Experten Nichtfachleute mitnehmen können. Denn Zebralog hat das Prozessdesign auf eine breite Beteiligung angelegt. “Vergessen” wir also zumindest nicht den 18. April. Drei Tage nachdem die Dialogwebsite Online ging, hatten sich schon 170 Teilnehmer für die Auftaktveranstaltung angemeldet – übers Wochenende.


website des Stadtdialogs „Alte Mitte – neue Liebe?“ unter www.stadtdebatte.berlin.de (mit Anmeldung, Umfrage und Newsletter)

Livestream und Video-Aufzeichnung der Veranstaltung vom 15. Februar im Umspannwerk Alexanderplatz der Friedrich-Ebert-Stiftung unter www.sagwas.net

nächster Vortrag in der Veranstaltungsreihe „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ des Bürgerforums Berlin e.V. in der Volkshochschule Mitte am 3. März, dann das Thema „Totale Transformation – Stadtumbau zwischen 1840 und 1939“, mit Historiker Dr. Benedikt Goebel (kostenfrei, Anmeldung prinzipiell nicht nötig, aber erwünscht, und zwar hier)

Heute im Angebot: Argumente gegen die Groth-Pläne im Mauerpark

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Ab heute beginnt für das Prozedere der Pläne im Mauerpark die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung, die sogenannte “Öffentliche Auslegung”. Bis zum 16. März kann jeder, der möchte, seine Einwände gegen den Bebauungsplan 1-64a VE hervorbringen – in der Hoffnung, dass das Bezirksamt Mitte die Einwände berücksichtigt.

Der B-Plan soll dem Investor, der Groth Gruppe, Baurecht für ein Wohngebiet mit derzeit 709 Wohnungen nördlich des Gleim-tunnels verschaffen und ist infolge von städtebaulichen Verträgen die Voraussetzung für die Erweiterung des Mauerparks südlich davon.

Eine erste, “frühzeitige” Beteiligung, hat 2010 stattgefunden. Damals gaben Bürger 2.649 Stellungnahmen ab. Die Intitiativen kritisierten das Auswertungs-ergebnis, in dem die Einwände ihrer Ansicht nach kaum Berücksichtigung fanden. Das Bezirksamt, in Person des damaligen Baustadtrats Ephraim Gothe behauptet das Gegenteil (Fazit aus dem 18-seitigen Auswertungsergebnis; ganzes Dokument hier):

“Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach Abwägung der privaten und öffentlichen Belange zu den Planungszielen, das Verfahren des Bebauungsplans 1-64 unter Beachtung vorgebrachter Hinweise weiter verfolgt wird.”

Die Mauerpark-Allianz, ein Zusammenschluss aus Initiativen, Der Linken und den Piraten, informierte schon letzten Donnerstag über die Pläne und die Auslegung. Sie sieht das Prenzlauer Berger Gleimviertel und das Brunnenviertel im Wedding (Bezirk Mitte) von Gentrifizierung bedroht. Eine 3D-Animation läuft dazu auf youtube. Sie lässt die Baumassen in die Höhe wachsen und zeigt die befürchtete Verschattung der betroffenen Anrainer, wie die Jugendfarm Moritzhof.

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Die Allianz bietet einen umfangreichen Service. In ihrem fünfsprachigen Flyer gibt sie den Bürgern, die sich beteiligen wollen, ein Abreißformular an die Hand und bietet auf ihrer website sogar Argumente gegen die Groth-Pläne an. Die Mauerpark-Allianz, zu der auch die mit dem Volksentscheid erfolgreiche Initiative 100% Tempelhofer Feld gehört, bereitet außerdem ein Bürgerbegehren gegen den B-Plan vor.


Die Mauerpark-Geschichte ist äußerst komplex. Man kann sie sich bei Gelegenheit mal erklären lassen – immer montags 19:00 Uhr in der Jugendfarm Moritzhof, Schwedter Straße 90, wo sich die Mauerpark-Aktivisten für Fragen zur Beteiligung zur Verfügung stellen. Mehr Infos zum Plan und zur Auslegung auch auf der website des Bezirksamts Mitte, hier.

Mehr Beiträge auf Futurberlin.de

  • „Der Stadtrat, der aus der Hüfte schießt“ – Wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek weniger Bürgerbeteiligung wagt und mit seinem kuriosen Stil bisher ganz gut fährt (März 2013), im Fokus drei Mitte-Projekte: Mauerpark, Monbijoupark und Marienkirchhof
  • „Ob es klappt, weiß man nicht“ – Interview mit Frank Bertermann (Grüne), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der BVV Mitte, über die damals initierte Bürgerwerkstatt Mauerpark und den aufgstellten Bebauungsplan 1-64 (August 2010)

21 Tonnen am Stück ohne Schnitt und Fuge? Schlossbildhauer: Das hätt´s bei Schlüter nicht gegeben

Eine Stunde und einundzwanzig Minuten braucht ein Mensch in Berlin, um vom U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg zum Askanierring 74 in Spandau zu gelangen – zumindest mit den Öffentlichen. Das ist länger als meine weihnachtliche oder österliche Heimreise ins sachsen-anhaltische Karow dauert. Warum also dorthin fahren? Weil an dieser Adresse die mittigste Mitte der Stadt gespachtelt wird und gebildhauert: die an den Rohbau des Humboldtforums zu hängenden, spendenfinanzierten Barockfassaden in der sogenannten “Schlossbauhütte”.

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

Ungefähr 10.000 Steine bearbeiten die Bildhauer hier. Kleine und große, neue und Originale. Ich treffe auf der Führung, die der Architektur- und Ingenieurverein zu Berlin organisiert hat, das Säulen-kapitell wieder, das jahrzehntelang an der Ruine der Kloster-kirche lag, und natürlich gibt es hier sehr viele Adler, über die ich heute alles andere als spotten will (die Satire gibt´s hier).

Eher ergreift mich eine Ahnung von der Größe, der Komplexität der Rekonstruktionsaufgabe, die sich die Schlossstiftung gestellt hat. Es ist ein Puzzle aus tonnenschweren Steinskulpturen, die alle zuerst in Gips modelliert und zuvor ins korrekte Maß gebracht werden müssen. Schlüter, sagt Bertold Just, Leiter der Schlossbauhütte, arbeitete vor dreihundert Jahren mit dem “Rheinischen Fuß”. Franco Stella dagegen denkt und liefert die Pläne metrisch. Die Bildhauer rechnen um, skalieren in dieser Hütte, damit 2019 in Mitte alles passt.

Einer von ihnen ist Frank Kösler. Die klassische Musik, die auf der Tour in der Halle im Hintergrund zu hören ist, kommt von seinem Arbeitsplatz. Bautzener Senf steht auf einem kleinen Pausentisch und eine Packung Salz. Der Bildhauer ist mit einer Portalkrönung beauftragt, an der er seit September arbeitet. Kösler versteht Steine. Er beschreibt mit seinem ganzen Körper, wie sie sich setzen und Ruhepunkte suchen, sich später aber dennoch bewegen. Unbegreiflich ist ihm, warum der Stein, den er mit seinen zwei Töchtern gestaltet (es ist der größte, der in einem Stück an die Fassaden angebracht wird und er wiegt 21 Tonnen), nicht geschnitten und gefugt wird. Bei Schlüter hätte es sowas nicht gegeben, sagt er und prophezeit Risse. “Kollege Sollbruchstelle”, ein Wort Köslers, ist im Gipsmodell schon zu sehen.

Kösler versteht auch Barock. Er lebt ihn, um ihn produzieren zu können, das erklärt er auch ganz ausdrücklich in einem Stiftungs-Video über die Schlossbauhütte und stellt es live unter Beweis (zum Video hier). Spuren der barocken Lebensfreude, die er für seine Arbeit zur Praxis erhebt, stehen auf dem Tisch gleich neben dem Senf: drei leere Flaschen Budweiser. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können und war nicht der einzige, der am Ende der Führung noch lange bei ihm stehenblieb, als der Barockbildhauer leidenschaftlich ausführte, dass man nicht mit jedem Stein alles machen könne, zum Beispiel mit schlesischem Sandstein nicht schlüterschen Barock. Und er prophezeit, dass das Ergebnis entsprechend aussehen werde. – Eine Stunde und einundzwanzig Minuten denke ich auf dem Heimweg darüber nach, was ich von dem Projekt jetzt halten soll. Aber die Zeit, die vorher lang war, ist für die Antwort zu kurz.

Piraten-website „BERwatch“ rettet alle Flughafen-Verwirrten – DANKE!

Ein Eldorado für alle Flughafen-Verrückten: die website "BERwatch" von den Berliner Piraten

Ein Eldorado für alle Flughafen-Verrückten: die website „BERwatch“ von den Berliner Piraten

Als ich vor ein paar Wochen mit Kollegen in der Stadtklause am Askanischen Platz saß und wir über den BER redeten, wurde mir klar, dass das Problem des Flughafenprojekts aus heutiger Sicht im Grunde darin besteht, dass die Vorgänge und verschiedensten Aspekte nicht mehr kommunizierbar sind. Es fehlt die Zeit, um die ganze Geschichte zu erzählen. Und hätte man sie, fehlte den Zuhörern die Geduld. Denn es müsste ja so lange dauern!

Ich frage mich, in welcher Form die Geschichte vom BER eigentlich erzählbar wäre. Wie geht diese Geschichte? Wer kann sie (mir) in zehn Minuten zu verstehen geben? Und was ist an ihr eigentlich das Wichtigste? – Eine einfache Chronik beantwortet diese Frage nicht.

Suchend bin ich gestern auf die website “BERwatch” der Berliner Piraten gestoßen, auf der sie den Bauskandal vieldimensional für den laufenden Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus aufarbeiten. Und ich bin beeindruckt. Ich will sie hiermit all jenen empfehlen, die professionell oder in ihrer Freizeit in die Wissenschaft des “komplexen Flughafenverbaus” einsteigen wollen.

Die website bietet gleich mehrere, externe Chroniken an, verlinkt zu den jeweiligen Medien. Die Chronik von BERwatch selbst ist abrufbar nach separaten Themen, zum Beispiel Standortwahl, Lärmschutz, politische Aufarbeitung. Aber nicht nur das. Die website hat auch die überholten Zielsetzungen des Projekts erfasst, und führt systematisch in den Dschungel der an dem Großprojekt beteiligten Akteure. Das ganze wird unterlegt mit fundierten und für jeden einsehbaren Dokumenten.

Wünsche viel Spaß dabei!

Klein-Lichtenberg mitten in Mitte: Plattenbauten am Schiffbauerdamm werden abgerissen

Das ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Dieses temporäre Stadtbild ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker) ist das "Newscenter" zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten "Luisenlblock-Ost" nicht weichen braucht.

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker, flach) ist das „Newscenter“ zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten „Luisenblock-Ost“ nicht weichen braucht.

Das ist schon krass, wie man mitten in Mitte plötzlich das Gefühl bekommt, im Lichtenberger Industriegebiet Herzbergstraße zu sein. Am Schiffbauerdamm, zwischen Spree und S-Bahntrasse, ganz in der Nähe vom „Newscenter“, wo RTL, Reuters und n-tv ihre Studios haben, werden die Plattenbauten abgerissen, die den Ort freimachen für die Vollendung des „Band des Bundes“. Wie dieses nicht gerade ungigantische Architekturensemble (mit dem Kanzleramtspark im Westen beginnend) jenseits der Luisenstraße aussehen soll, hat ein städtebaulicher Ideenwettbewerb im Jahre 2009 entschieden, den Kusus + Kusus Architekten gewannen. Sie entwarfen ein markantes Oval. Nicht nur weitere Büros für die Bundestagsabgeordneten sollen entstehen, sondern auch Wohnraum und Gewerbeflächen. Skurril jedenfalls ist derzeit der Anblick eines ehemaligen Hauseinganges jener Plattenbauten, der samt Kellerfenstern für wer weiß wie lange auf der Abrissbaustelle noch zu bestaunen ist, worauf ich mit diesem Blogpost Lust machen will.

Filmkritik „Berlin East Side Gallery“ – zu lang, ohne Fokus und nicht glaubwürdig

IMGP7405IMGP7406IMGP7408IMGP7393IMGP7412Als ich vor einiger Zeit einen in Berlin spielenden historischen Hugenottenroman las und der Autor bei seinen Ausführungen zur Leidenschaft des preußischen Königs zum Tabakkollegium Friedrich I. mit dessen Sohn, dem “Soldatenkönig” verwechselte, war das Buch für mich zu Ende, denn die Geschichte war nicht mehr glaubwürdig. Letzte Woche Dienstag im Kino Babylon geschah bei der Weltpremiere von “Berlin East Side Gallery” das Gleiche auf der Leinwand: In der Einleitung werden in chronologischer Reihenfolge die Klassiker-Zitate aus der Historie des geteilten Berlins eingespielt, beginnend mit Ernst Reuter und seinem Luftbrücken-Appell an die “Völker der Welt …”, datiert auf 1961 statt 1948. Darf das in einem Film, der auf die Geschichtsträchtigkeit eines Denkmals setzt, passieren?

Ja, natürlich. Fehler werden überall gemacht. Nur dürfen die Filmemacher nicht erwarten, dass ich als Zuschauer ihnen dann noch irgendetwas glaube. Weder, dass der Grenzstreifen in Berlin vermint war, wie eine Stadtführerin in der Doku erzählt. Noch, dass alle, die gegen den Abriss der East Side Gallery protestieren, die Guten sind. Ich bin nicht einmal mehr von der Notwendigkeit überzeugt, die Gemälde von den Schmierereien zu befreien. Ein falscher Reuter hat seinen Preis.

Die Glaubwürdigkeit des Films ist also dahin für mich. Trotzdem hat er etwas geschafft, was zum 25. Jubiläum des Mauerfalls ohne Frage auch schön ist. Er feiert die Künstler, zeigt viele von ihnen in Portraits. Und er hat sie bei der Premiere zusammen auf die Bühne gebracht. Auch Dave Monty, der 1990 die Idee zu einer Mauergallerie ins Leben gerufen hatte, war mittenmang. Das war wohl historisch. Historisch korrekt. Denn das wird es wahrscheinlich nicht noch einmal so geben.

Der Film will zuviel

Über zwei Stunden Spielzeit (für einen Dokumentarfilm) zeigen dann aber doch die eigentliche Schwäche des Films. Er hat einen schwammigen Fokus. Geschichte, Kunst und Stadtentwicklung kriegten Karin Kaper und Dirk Szuszies, die an dem Film sechs Jahre arbeiteten, nicht unter einen Hut. Sie reihen sich mit ihrem Werk in die Protestdemos von 2013 ein, erklären aber nicht, wie das Politikum des “Living Levels” Luxuswohnhochhauses und das Baurecht des Investors Maik Uwe Hinkel überhaupt entstanden sind. Ich würde sagen, der Fall macht eine eigene Doku (und wäre sie wert).

Was der Film so wenig wie die Proteste in Bezug auf die Aufgabe der East Side Gallery als Geschichtsvermittler macht, ist, eine gesamtstädtische Perspektive einzunehmen. Es wird so getan, als ginge es um das letzte Grenzrelikt in Berlin und als könne die East Side Gallery die Berlinteilung (am besten) erklären. Sie kann es ja gerade nicht! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer haben wir in Berlin eine gepflegte Arbeitsteilung unter den Mauersehenswürdigkeiten erreicht. Dokumentieren, was geschah und was die Grenze war, kann die (im Film unerwähnte) Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße viel besser. Wenn der Film die Frage nach der Zukunftsbestimmung der East Side Gallery stellt, ohne über den Tellerrand zu schauen, erscheint mir das irgendwie ignorant.

IMGP7378Die Rolle der East Side Gallery in dieser Arbeitsteilung ist doch keine dokumentarische. Sie ist ein Kunstwerk. Die Menschen kommen wegen der Bilder, des “Bruderkusses” von Dmitri Vrubel zum Beispiel. Das erzählt der Film wiederum sehr gut und umfangreich.

Als Kunstwerk verstanden, kann ich mir die Zukunft der East Side Gallery dann auch flexibel vorstellen, losgelöst von der Straßenbegrenzungslinie der Mühlenstraße. Postiv gesehen, machte “Living Levels” das Betrachten wenigstens eines der Bilder, nämlich “Himlen over Berlin” von der Spree und vom Kreuzberger Ufer möglich. Auch die Fotogallerie „Wall on wall“ von Kai Wiedenhöfer, 2013 an die Westseite montiert, vermittelte die Kunst in eine neue Richtung.

IMGP7387Darum sollte es in Zukunft darum gehen, die Kunst zu erschließen. Die Bürgersteig-Gallerie ist entlang der parkenden Autos eher ein Spießrutenlauf als Vergnügen. Die Bilder sind groß, man muss sie aus ein paar Meter Distanz betrachten, um sie sehen und fotografieren zu können. Geht man auf die andere Straßenseite, stören wiederum die Autos.

"Himlen over Berlin", East-Side-Gallery, März 2013, © André FrankeIMGP7432Stellen wir die Bilder doch in die Grünanlage! Als Bilderhain, Bilderlabyrinth, Bilderstrecken. Lösen wir die East Side Gallery aus ihren Fundamenten, öffenen wir sie! Folgen wir “Himlen over Berlin” ins Grüne, an die Spree! Umdrehen ist noch lange kein Abreißen.

Natürlich müssten die Künstler diese Reinszenierung mitgestalten. Das ist doch der eigentliche Skandal gewesen oder? Dass sie nicht gefragt und von den Eingriffen überrascht wurden.

Und jetzt zu den Schmierereien: Ja. Man kann sie verabscheuen und man kann sie wieder abscheuern. Aber ich glaube, man wird diese Kommentarfunktion auf Dauer nicht ausschalten können. Und das macht die East Side Gallery auch zur Pinwand. Natürlich sind die Tags oberflächlich. Ich bezweifle aber, dass sie durchweg respektlos sind, denn sie sind das Feedback der Welt, international, eigentlich ein Riesen-Kompliment. Wer immer da seinen Wilhelm an die Wand setzt, steht in der Anziehungskraft der Mauerkunst und schmiert, schreibt, kritzelt, weil er oder sie nicht anders kann. Das ist die Macht der Maler, die Helden sind. So hätte ich den Film wegen seiner Portraits übrigens auch genannt: “Die Helden der Wand”.

Der BER verdient keine Eilmeldungen

Screenshot Tagesschau.de vom 12.12.2014 - Da hat einer nicht umsonst gedrückt. (Danke David)

Screenshot Tagesschau.de vom 12.12.2014 – Da hat einer nicht umsonst gedrückt. (Danke David)

Eine Eilmeldung ist eine Nachricht, die schneller unterwegs ist als alle anderen. Sie läuft sogar Gefahr, Schallmauern von so eben Gesagtem und Gehörtem zu durchbrechen und sich selbst wieder einzuholen. Ganz so, wie es die Katze tut, die sich in den eigenen Schwanz beißt. Dann löst sich die Eilmeldung schließlich selber auf … So geschehen am Freitag, als Tagesschau.de Hartmut Mehdorns neuen Eröffnungstermin für den BER kundtat – eben als Eilmeldung. Übers Wochenende muss das Geschoss „2. Jahreshälfte 2017“ dann so dermaßen an Fahrt aufgenommen haben, dass es den Flughafenprotagonisten Mehdorn, ausgerechnet den Schöpfer des „Sprint“-Expertenteams, selber mit fortriss. Am Montag kündigte Mehdorn seinen Rücktritt an. Und Tagesschau.de schickte Eilmeldung BER Nr. 2 raus – sicherlich die gerechtfertigtere unter den zwein. Wenn aber Hartmut Mehdorn früher geht, als erwartet, und die Suche nach dem wahren Bär wieder von vorne losgeht, können wir den verkündeten, mittlerweile dreimal um die Welt gerasten Termin genauso ernst nehmen wie die vorherigen.

BIZ bitte nicht vor den Reichstag stellen – Variante Nr. 6: Krolloper-Steg statt Teuer-Tunnel

Wenn mich nicht alles täuscht, stammen die fünf Varianten, wo am Platz der Republik potenziell ein Neubau für das geplante Besucher- und Informationszentrum des Bundestags (BIZ) hingebaut werden könnte, von der Berliner Zeitung selbst, die am Wochenende über das (inklusive Tunnel) 150 Millionen Euro teure Bauprojekt berichtete. Wenn dem tatsächlich so ist, dann bitte: Malstunde beenden, Rotstifte beiseite legen, auf den Platz der Republik gehen und die Augen öffnen: Vor die Westfassade des Reichstagsgebäudes gehört gar nichts! Dessen ist sich wohl auch der Bundestag bewusst. Sein Ältestenrat hat sich für den BIZ-Neubau für den Standort südlich der Scheidemann-Straße entschieden – abseits des Platzes. (Nicht schlecht, aber ich plädiere wie gesagt für eine Erhaltungssatzung für den Schokopudding im dort heute bereits existierenden Berlin-Pavillon, was einen Abriss desselben und eine Erschwerung der Rückkehr des Puddings an diesen Ort verhindern helfen soll.) Ich wage daher eine Variante Nr. 6: Malt ein rotes BIZ-Rechteck westlich der Heinrich-von-Gagern-Straße auf die Grünfläche, wo einst die Krolloper stand! Das wäre städtebaulich doch rund oder? Zu lang die Tunnelstrecke dann? Und zu teuer? – Macht einen oberirdischen Steg draus und verzichtet auf den Teuer-Tunnel! Drei Meter hoch dieser Steg, von transparenten (von mir aus Panzer-) Glaswänden gesäumt, der direkt ins Portal des Reichstagsgebäudes führt.

Ohne Brecht zu bemühen: Plädiere für Erhaltungssatzung für den Pudding im Berlin-Pavillon am Platz der Republik

Besucherbuden blockieren Bundestag. Weg damit, mit den Besucherbaracken.

Besucherbuden blockieren Bundestag. Weg damit, mit den Besucherbaracken.

Der Pavillon schmeckt und ist aus manchen Perspektiven kaum zu sehen. Mehr noch, er passt sich bescheiden in die Atmosphäre ein.

Der Pavillon schmeckt und ist aus manchen Perspektiven kaum zu sehen. Mehr noch, er passt sich bescheiden in die Atmosphäre ein.

Fährt man fast dran vorbei, außer man war beim Zahnarzt, musste das Mittagessen aufschieben und hat Hunger. Nochmal: atmosphärisch stört die Bude nicht. - Stehenlassen bitte.

Fährt man fast dran vorbei, außer man war beim Zahnarzt, musste das Mittagessen aufschieben und hat Hunger. Nochmal: atmosphärisch stört die Bude nicht. – Stehenlassen bitte.

Überraschung: Stadtmodell in 3D auf der Grundlage des Planwerks Innenstadt aus dem Jahre 2005. Macht sich mindestens gut als Orientierungshilfe. Holzmarkt muss ge-updated werden!

Überraschung: Stadtmodell in 3D auf der Grundlage des Planwerks Innenstadt aus dem Jahre 2005. Macht sich mindestens gut als Orientierungshilfe. Holzmarkt muss ge-updated werden!

"Stäv" lässt grüßen: Aber ein Altkanzler-Filet ist es nicht. Auch nicht ganz so teuer, sondern "nur" 6,90 Euro.

„Stäv“ lässt grüßen: Aber ein Altkanzler-Filet ist es nicht. Auch nicht ganz so teuer, sondern „nur“ 6,90 Euro.

Na bitte. Das Besucher- und Informationszentrum des Bundestages soll nicht länger unterirdisch geplant, sondern als ganz normales Haus im Tageslicht gebaut werden. Kein “Grab des Volkes” mehr, immerhin. Aber weichen soll ein Haus, wie die Berliner Zeitung schreibt, das am Platz der Republik schon steht, schon länger: der Berlin-Pavillon. Dabei handelt es sich um eine Fressbude, gar nicht mal um eine schlechte. Schöne, dicke Currywürste, wahlweise mit Pommes oder Bratkartoffeln gibt es da; auf dem Teller sieht’s aus wie im “Stäv” am Schiffbauerdamm, wenn man ein Altkanzler-Filet bestellt. Schmeckt auch fast so gut wie dort, nur das Kraut fehlt und die Nationalflagge. Aber die kann sich die Gastro bei dem Schwarz-Rot-Gold-Aufgebot nebenan wirklich sparen. Will sagen: ich mag den Pavillon! Trotz der sechs Euro neunzig, die ich für die Wurst mit Pommes gestern bezahlt habe und vor denen ich nicht zurückschreckte, weil ich mein Mittagessen um zwei Stunden verschieben musste, weil ich zuvor beim Zahnarzt war. (Mal herhören: Der Schoko-Pudding ist der absolute Hammer! Sehr flüssig, fast trinkbar. Tipp: Esslöffel benutzen! Kosten: zwei Euro zwanzig.) Also, ich mag die Bude. Sie ist sogar informativ und besonders bei Regen tourtechnisch ansteuerbar für Berliner Stadtführer, wegen seines großflächigen 3D-Stadtmodells an der Wand. Aber ich mag das Ding auch, weil es architektonisch so unscheinbar ist, grau, gut getarnt. Ich fürchte, von dem zukünftigen Besucherhaus wird man das nicht erwarten dürfen, es wird bestimmt in Sichtbeton, wie beim “Band des Bundes”, hell aus den Büschen des Tiergartens blitzen. Und wir werden denken: noch Baustelle oder schon fertig gebaut? Aber das ist nur eine Vermutung. Naja, der Pavillon ist jedenfalls mehr als ein Zelt, mehr als eine Humboldt-Box. Ich werde Abschied nehmen. Pudding essen. Mit großem Löffel. Tag für Tag. Ab morgen. Oder kommt die Moral etwa doch zuerst?

Meister Hinkel auf Brückenfahrt

Ja hat denn der Investor keine Brückenfahrt gemacht? - Überstempelt hat er den Schaft des Fernsehturms, ein Stadtbild versaut. Kann er es durch Architektur wieder gut machen?

Ja hat denn der Investor keine Brückenfahrt gemacht? – Überstempelt hat er den Schaft des Fernsehturms, ein Stadtbild versaut. Kann er es durch Architektur wieder gut machen?

Eine Spreefahrt kann weh tun: Wenn das alte, geliebte, angepriesene, ganz und gar vollendet zu scheinende Stadtbild neuerdings nicht mehr ist, es jemand plötzlich überstempelt, ja überrumpelt hat, zerstört mit einem Pinselstrich, einem, der hätte auf einer anderen Leinwand gemalt werden sollen, aber doch nicht hier! Nicht doch zwischen die Türme der Oberbaumbrücke!! Da wanderte noch im Jahr zuvor der Fernsehturm, wenn man auf der Brückenfahrt in den Kanal einfuhr: ganz langsam, sein schlanker Schaft, von einem Turm zum andern. Jetzt rollt höchstens noch seine Kugel übers Dach vom “Living Levels”. Und die Frage, die ich mir seit dem Frühjahr stelle, ist: Hat Investor Hinkel jemals die Brückenfahrt gemacht? So ist es entweder Zufall oder Kalkül und am Ende auch egal. Nur zu hoffen bleibt, dass der Wohnturm mit seiner strahlend weißen Balkonfassade (und begrünt soll sie sein, obendrein!) in der Wirklichkeit auch hält, was er verspricht. Dann lässt der Schmerz nach, hoffentlich.

Kristallkugel, Lichtkonzept, Medienfassade – neue Idee für die Zukunft des Rathausforums

Rathausforum-Entwurf Achim und Andreas Linde

Nicht das „Festival of Lights“, sondern der Entwurf für eine Lichtinstallation zwischen Fernsehturm, Rotes Rathaus und Marienkirche – gegen eine zukünftige Medienfassade an einer noch zu bauenden, noch zu diskutierenden Zentralbibliothek (Visualisierung: Achim und Andreas Linde, 2014)

Während für das Rathausforum in Berlin-Mitte gerade ein Dialogverfahren in Vorbereitung ist, gibt es für seine zukünftige Gestaltung einen neuen Vorschlag von Architekt Achim Linde und seinem Bruder Andreas Linde. Sie entwerfen einen Mix aus Grünfläche, Bebauung und Stadtplatz. Im Detail so:

Das Marx-Engels-Forum, etwa die Hälfte des heutigen, soll eine Grünfläche mit viel Baumbestand werden (beziehungsweise bleiben) und sich mit einem Amphitheater zur Spree und zum Schloss öffnen.

Neben dem Park, also auf der anderen Hälfte des heutigen Marx-Engels-Forums, an der Spandauer Straße, soll eine Zentralbibliothek mit einem Berlin-Pavillion entstehen. Dieses Gebäude soll den anschließenden Platz fassen und eine multimedial bespielbare, konkav zum Platz verlaufende Medienfassade abgeben, auf der im Sommer Berlin-Filme laufen. Entlang der historischen Bischofstraße soll eine Sicht- und Wegeverbindung freigelassen werden, also der Blick vom Platz zum Schloss möglich sein. Der Berlin-Pavillon soll die Stadtmodelle aufnehmen und als Diskussionsort mit der Stadtverwaltung dienen. Hierbei nehmen die in Berlin lebenden Linde-Brüder eine Idee von Thomas Flierl von der Herrmann-Henselmann-Stiftung auf, die dieser in dem Buch “Berlin plant” (2010) beschrieb. So soll ein Kommunikationsort für öffentliches Leben entstehen, ein “Platz der Demokratie”.

Rathausforum-Entwurf von Achim und Andreas Linde, 2014

Park, Stadt, Platz – der Entwurf ordnet die Fläche zwischen Spree und Fernsehturm in drei klare Bereiche. Neptun soll gehen. Luther kommt. (Entwurf: Achim und Andreas Linde, 2014)

Auf dem Platz, an der Stelle, wo heute der Neptunbrunnen steht, soll eine flexible, multifunktionale Installation errichtet werden, wahlweise als Tribüne für die Medienfassade, Kristallkugel, versenktes Amphitheater oder ebenerdiger Platz. Der Neptunbrunnen soll dafür wieder zurück auf den Schlossplatz rücken. Die Brüder finden, dem Neptunbrunnen würde “zuviel Prominenz und auch Präsenz abverlangt”, und dass dieser beides nicht liefern könne. Sie treten auch für die (bereits in die Wege geleitete) Rückführung des Luther-Denkmals an den historischen Ort vor der Marienkirche ein und für die Markierung des Wohnhauses von Moses Mendelssohn in der Spandauer Straße 68, wie es auch Stadthistoriker fordern.

Die Oberfläche des Platzes soll mit einem innovativem Lichtkonzept farblich und plastisch gestaltet werden, und der Platzraum (besonders vom Fernsehturm aus gesehen) als erkennbare Gestaltungseinheit wirken. „Hier liegt das Hauptproblem des Gebietes“, heißt es im Linde-Entwurf, „es ist halb Platz und halb Park, aber keins von beiden richtig.“

Unterirdisch, direkt unter dem Platz, soll es Geschäfte und öffentliche Toiletten geben. Der Entwurf sieht außerdem die Integration des Eingangs der U5 in die Platzgestaltung vor und strebt auch die Zugänglichkeit der ausgegrabenen Alt-Berliner Rathausreste an.

Rathaus, Fernsehturm und Marienkirche werden als die drei Hauptakteure betrachtet. Der durch Teilbebauung gefasste Platz soll deren Hauptrolle unterstützen.

Achim und Andreas Linde wollen ihren Beitrag als Anregung zur Diskussion und Aufforderung zur Weiterentwicklung verstanden wissen. Das Gebäude der Bibliothek sei als Platzhalter für einen Entwurf zu betrachten, auch die Installation könne anders aussehen.


Kontakt: Dipl.-Ing. Architekt Achim Linde und Dr. Andreas Linde, ehemaliger Bezirksverordneter 

achimlinde@gmail.com 

Checkpoint Disney adé!

Yadegar Asisi-Panorama im Hintergrund. Die Zeit der Rundumschläge am Checkpoint Charlie ist bald vorbei.

Yadegar Asisi-Panorama im Hintergrund. Die Zeit der Rundumschläge am Checkpoint Charlie ist bald vorbei.

Der “Berliner Kurier” schreibt am Dienstag, dass der irische Eigentümer seine Grundstücke am Checkpoint Charlie beiderseits der Friedrichstraße verkaufen will (oder – die staatliche Bank “Nama” im Nacken sitzend – verkaufen muss). Das heißt, Disneyland verabschiedet sich. Zum Ende des Jahres ziehen die Buden ab. Ich wette, wir werden sie uns zurückwünschen! Denn die Friedrichstraße/ Ecke Zimmerstraße wird bald nicht mehr von der Friedrichstraße/ Ecke Leipzigerstraße und von der Friedrichstraße/ Ecke Krausenstraße und von der Friedrichstraße/ Ecke x-beliebige Straße zu unterscheiden sein. Das wäre schlimmer als das, was wir heute haben. Aber was wäre eigentlich besser als der Mansch von heute? Eine Gedenkstätte? Ein Platz? Ein Park? Ein Panzer-Denkmal? Oder doch ein banales Bürohaus in Rasterfassaden? Eigentlich ist doch alles besser als die Grenze von vor 25 Jahren.

In Jogginhosen zum Baustadtrat – Wie die Holzmarkt-Betreiber um 75 Jahre Zukunft verhandeln

Berlin wird ein Dorf: Bauwagen auf dem Holzmarkt-Gelände im September 2014

Berlin wird ein Dorf: Bauwagen auf dem Holzmarkt-Gelände im September 2014

Der “Spiegel” berichtet in der Ausgabe von letzter Woche (Nr. 36) vom Holzmarkt-Projekt an der Spree. Autor Philipp Oehmke begleitet die Clubbetreiber Juval Dieziger, Christoph Klenzendorf und deren Clubanwalt Mario Husten ins Bauamt von Friedrichshain-Kreuzberg zum Investorengespräch mit Baustadtrat Hans Panhoff. Das tun sie auf unkonventionelle Weise, in “Jogginghosen und Wanderstiefel”, und ist lesenswert. Der Artikel zeigt aber auch, wie schwer es für die Genossenschaft werden könnte, 75 Jahre Zukunft in Erbbaupacht zu gestalten. Pro Jahr sei ein Erbbauzins von mehr als 500.000 Euro fällig, und das Projekt koste mindestens 100 Millionen Euro, schreibt Oehmke. Es müsse auch der Bebauungsplan der Verwaltung geändert werden. Im Oktober könnte das schon geschehen.

Die fragwürdigste Wohnarchitektur in Berlin – ein Vorschlag für den Plattformpreis 2014

Plattform Nachwuchsarchitekten suchen für ihren diesjährigen Plattformpreis Vorschläge zu fragwürdiger Architektur in Berlin im Bereich Wohnen. Mein Vorschlag: das für Studenten gebaute Containerdorf am Plänterwald in der Eichbuschallee 51 in Treptow. Aus später einmal insgesamt 412 ausgedienten, übereinander gestapelten Schiffscontainern stellt Investor Jörg Duske mit dem Projekt „Franky & Johnny“ comfortablen, der deutschen Baunorm entsprechenden Wohnraum für Berliner Studenten her und baut damit auch ein Stück Stadt. Fragwürdig daran ist für mich:

  1. Ist das schon Städtebau oder einfach nur herzlos?
  2. Wie wegweisend wird das Bauen in Modulen bei Erfolg des Projekts für Berlin an anderen Orten in der Zukunft sein?
  3. Warum leisten sich die Studenten für die 14 Euro pro Quadratmeter, die sie für den Container zahlen, keine herkömmliche, frisch sanierte Berliner Dachgeschoss-Wohnung in den innerstädtischen Gründerzeitvierteln?

20 von insgesamt 412 Containern sind schon gebaut. Jeden Samstag finden Führungen statt, bei denen man die Wohnungen besichtigen kann.

Containerdorf in der Eichbuschallee 51: modular wie Plattenbau, aber hochflexibel, Juli 2014

Containerdorf in der Eichbuschallee 51: modular wie Plattenbau, aber hochflexibel, Juli 2014

 

Ente gut, alles gut? – tieranatomisches Rätselraten bei Schlossbaumeistern

Henne von Hohenzoll 2

Die halbe Henne von Hohenzoll / Ist schon ein merkwürdiges Wesen / Sie sitzt nur da und wundert sich / Warum sie nicht kann fliegen …

Schloss-Satire #2 — Mal ehrlich, ich hätte diesen Vogel nicht ausgestellt. Es ist ja überhaupt nicht klar, welcher Art er ist, welcher Gattung er angehört. Aber er ist das sehenswerteste der aktuellen Ausstellung „Schlossbaumeister“, zumindest für mich. Das gute Stück erlaubt haarsträubende Interpretationen oder führt ganz einfach zu Verwechslungen. Wer also beim Rundgang durchs Bodemuseum (die Ausstellung ist bis 24. August verlängert worden) auf ein Steintier trifft, von dem er nie zuvor gehört oder gesehen hat, dem sei ein Eintrag aus dem Ethymologischen Wörterbuch mit auf den Weg gegeben, der vielleicht weiterhilft:

Adler m. großer heimischer Greifvogel, mhd. adelar(n), adlar, adler (…) ist eine (im Nhd. nicht mehr erkennbare Zusammensetzung von mhd. adel (s. Adel) und ar (s. Aar), eigentl. ‘edler Aar’. Der Name entsteht, als mit der im 12. Jh. zur Blüte gelangenden Falknerei der Adler von den übrigen niederen Jagdvögeln unterschieden wird.”

… „niedere Jagdvögel“ – da haben wir´s doch: Wir sehen ein Huhn mit starkem Schnabel, das Körner jagd und Eier legt, respektive: Spenden sammelt, Beton abwirft. Darüber wird zu berichten sein, zu dichten sein: über „die halbe Henne von Hohenzoll“ – eine Ballade, in der Schloss-Satire #3

Marsch in die Mall! – wenn auch ein bisschen spät, werte Kaufsoldaten

Die Eröffnung des Leipziger Platz Quartiers verzögert sich. Dennoch steht der “Alte Dessauer” bereit und leitet die zukünftigen Besucherströme in die neue Shopping Mall – bald, vielleicht im Herbst

Warenhaus Wertheim Leipziger Platz, "Frau Wertheim"

Lichthof des alten Warenhaus Wertheim mit Kupferstatue „Frau Wertheim“

Es war sein Lichthof, der das Besondere war. Und das Besondere wird wieder ein Lichthof sein. Mit der überdachten Piazza zitieren die Architekten des Leipziger Platz Quartiers das Herzstück des einstigen Warenhauses Wertheim. Zwischen den Weltkriegen war es das größte in Europa, nach dem Mauerbau war es weg. Und mit ihm auch der Lichthof mit der an den Treppen postierten sechs Meter hohen Kupferstatue “Arbeit”, von den Mitarbeitern auch “Frau Wertheim” genannt. Am Bauzaun Leipziger Platz Nr. 12 war sie in den letzten Monaten zu sehen. Aber die neue Piazza braucht Statuen nicht, sie bietet den Besuchern den Blick auf die Borussia im Giebel des Bundesrats.

Seit dreieinhalb Jahren wird am Leipziger Platz gebaut und gleichfalls an der Voss-, Wilhelm- und Leipziger Straße. Was hier auf einer Geschossfläche von 21 Hektar entsteht, ist mehr als nur ein Lückenschluss in der Barockform des achteckigen Platzes, des „Octogons“. Das Leipziger Platz Quartier der High Gain House Investment GmbH (HGHI) des Unternehmers Harald G. Huth ist ein Brückenschlag zwischen den vier Himmelsrichtungen. Vom Westen werden die Besucher das Quartier auf ihrem Weg in den Osten zum Gendarmenmarkt passieren, vom Norden kommen sie vom Holocaust-Mahnmal direkt in die Piazza hereinmarschiert, motiviert vom durchscheinenden Portal des ehemaligen Preußischen Herrenhauses, das das Bundesratsgebäude einmal war. Im Herbst, sagt ein Bauarbeiter, könnte es mit dem Flanieren und Konsumieren losgehen, wobei die Eröffnung eigentlich schon diesen Frühling geplant war.

Leipziger Platz Quartier vom Kollhoff-Tower aus

Neues Leipziger Platz Quartier: fast fertig, Blick vom Kollhoff-Tower auf auf die Dächer der Gebäude an Leipziger Straße und Vossstraße, Juni 2004

„Shopping is coming home”, verkündet der Bauherr an den Bauzäunen und schlägt eine Brücke auch von der Historie in die Gegenwart. Das Leipziger Platz Quartier wird in der Hauptsache ein Einkaufszentrum mit 270 Läden auf 76.000 Quadratmeter Verkaufsfläche. “Wir erinnern in unserem Projekt an das alte Wertheim-Warenhaus”, sagt Huth. Mittendrin wird es aber auch ein Hotel geben. Drumherum und obendrauf entstehen 175 Townhouses und Apartments, auch Büros, wie im alten Vosspalais. Das denkmalgeschützte Palais mit der roten Sandsteinfassade ist die authentische Perle in dem Projekt, 130 Jahre alt und das einzige Gebäude aus dem 19. Jahrhundert weit und breit. Geschäfte des gehobenen Einzelhandels sollen hier einziehen, von wo aus man einst auf die 420 Meter lange Fassade von Hitlers neuer Reichskanzlei blickte. Die Vossstraße im Norden des Shopping-Districts ist eine historisch brisante Gegend. Aber das kann man von der Wilhelmstraße im Osten des Quartiers genauso sagen. Immerhin ist die Hauptstraße des alten Regierungsviertels heute eine “Geschichtsmeile”. Der interessierte Flaneur durchzieht sie und durchliest sie von Unter den Linden kommend auf seinem Weg zur “Topografie des Terrors”. Es ist davon auszugehen, dass die Meile ihre Spaziergänger Ecke Vossstraße kraft des Konsums verlieren wird. Denn “Shopping is coming home”.

Harald G. Huth investiert dafür etwa 800 Millionen Euro. Nach Angaben von HGHI sind mindestens 95 Prozent der Flächen vermietet. Einziehen werden die einschlägigen Marken, die man auch andernorts kennt, zum Beispiel aus den Potsdamer Platz Arkaden. 45 Handelsketten, die heute schon im benachbarten Shopping-Center an der Alten Potsdamer Straße zu finden sind, werden ihr zweites Standbein im Leipziger Platz Quartier errichten, schreibt der Tagesspiegel, darunter H&M, Esprit und Zara. Der Elektronikfachmarkt Saturn entscheidet sich sogar komplett für den Leipziger Platz und damit für ein fast doppelt so großes Einkaufszentrum. Die 40.000 Quadratmeter umfassenden Arkaden bekommen eine große Schwester.

Warenhaus Wertheim, 1920er Jahre

Alfred-Messel-Bau: schlanke Granitpfeiler in Warenhausfassade am Leipziger Platz, 1920er Jahre

Erstaunlich, dass beide Shopping-Center zusammen fast auf die 108.000 Quadratmeter kommen, die der Nutzfläche ihres Ahnen, des Warenhauses Wertheim entsprachen. Es hatte eine Schaufensterfront von 330 Meter Länge. Alfred Messel hatte es ab 1897 gebaut. Schlanke, durchlaufende Granitpfeiler strebten in der Hauptfassade des Hauses bis unter die Traufe. Sie prägten das Stadtbild am Leipziger Platz. Messel baute oft für Wertheim. Einziges Zeugnis dessen steht heute in der Rosenthaler Straße in Mitte. Dort blickt man auf die kunstvoll detaillierte, denkmalgeschützte Pfeilerfassade des Warenhauses Wertheim, das Messel dort 1903 baute.

Das neue Leipziger Platz Quartier ist eine Schöpfung der Architektengemeinschaft NPS Tchoban Voss/Architekturbüro Pechtold, die mehr als ein einzelnes Gebäude entwirft. Das Einkaufszentrum, das Hotel, die Büros und die Wohnungen fügen sich ins Format der traditionellen Berliner Blockrandbebauung ein. Betrachtet man die Piazza als Straße, entstehen zwei Blöcke mit begrünten Innenhöfen und mit Gebäudehöhen, die sich an der Berliner Traufhöhe von 22 Meter orientieren – so hoch war auch der Lichthof von “Frau Wertheim”.

Leipziger Platz, barockes "Octogon" beinahe wiederhergestellt, Juni 2014

Leipziger Platz, Juni 2014: barockes „Octogon“ beinahe wiederhergestellt

Es gibt am Leipziger Platz bald eine Lücke weniger, und das barocke “Octogon” mit seinen acht Platzecken tritt wieder hervor. Eine Wunde heilt. Oder mit den Worten des Stadtplaners Dieter Hoffmann-Axthelm gesagt: Das “Widerlager” für das “Westberliner Triumphtor” entsteht, womit er die Hochhäuser des Potsdamer Platzes meint.

An die Berliner Mauer, die den Platz überquerte, wird im Quartier nichts erinnern. Sechs Teile von ihr stehen ja auch direkt auf dem Platz, und wer mehr davon will, der findet in der Erna-Berger-Straße einen “Rundblickbeobachtungsturm” vom Typ BT6, zu dem ein Durchgang am Dalimuseum führt.

Der "Alte Dessauer" treibt sie alle in die Shopping-Mall, und zwar im Gleichschritt! Der hat schon ganz andere unter ganz anderen Bedingungen ganz woanders hochgejagt.

Der „Alte Dessauer“ treibt sie alle in die Shopping-Mall, und zwar im Gleichschritt! Der hat schon ganz andere unter ganz anderen Bedingungen ganz woanders hochgejagt.

Eine Statue gibt es dann doch noch, die für das Quartier von Bedeutung sein könnte: Auf dem Weg zur Friedrichstraße treffen die Shoppenden am Zietenplatz auf Fürst Leopold von Dessau. Er ist im Gegensatz zu „Frau Wertheim“ nicht aus Kupfer, sondern Bronze und hält keinen Warenkorb, sondern die Hand am Säbel. Vom “Alten Dessauer” erzählt der Historiker Siegfried Fischer-Fabian, dass der General in Kesselsdorf im Krieg für Friedrich den Großen “mit seinen Männern einen eisbedeckten Hang hinauf gegen eine aus 34 Geschützen bestehende sächsische Batterie anstürmte”. Er hat auch den Gleichschritt eingeführt. – Man nehme sich also in Acht und gehorche auch den tieferliegenden Gesetzen des Ortes, marschiere in die neue Piazza ein und kaufe, kaufe, kaufe.

(Artikel erschienen auch in: Berlin vis à vis, Nr. 56, Herbst 2013, allerdings leicht verändert)

Perspektive Osten: Skyline vom Alex noch ausbaufähig

Einer geht noch rein. Die Skyline am Alexanderplatz ist ausbaufähig, wie dieses Foto vom Balkon an der Danziger Straße zeigt.

Einer geht noch rein. Die Skyline am Alexanderplatz ist ausbaufähig, wie dieses Foto vom Balkon an der Danziger Straße zeigt.

Ich habe Freunde am Volkspark Friedrichshain, die lecken sich die Finger nach Neuzugängen in der Skyline von Berlin (Zoofenster, Backfabrik u.a.), denn sie blicken von der Terrasse ihrer Wohnung über den großen Bunkerberg direkt ins Stadtzentrum. Als wir neulich grillten (und uns die Finger leckten), sah ich in diesem Panorama schon den Gehry-Tower von morgen und stellte fest, dass er im Grunde gut ist. Aus der Weite betrachtet, erscheint der 150-Meter-Maßstab der Türme vom Alex recht passabel, verbindet die vertikalen Extreme, mäßigt den Höhenzug im Panorama. Toll! Lasst uns ihn bauen! Der Gehry-Tower würde sich einreihen, dachte ich, genau zwischen dem Hotel Park Inn und Fernsehturm und die Lücke füllen. Aber ganz so hundertprozentig passt er dann doch nicht, jedenfalls nicht aus dieser Perspektive: Er stünde etwas links vom Haus des Reisens, dass auf dem Foto direkt vorm Schaft des Fernsehturms steht. Meinen Freunden bliebe der Berliner Dom und die Marienkirche erhalten, zwei Zwergengipfel von Sehenswürdigkeiten in diesem Bild, für die man schon etwas genauer hinsehen muss, um sie zu erkennen. Und der Gehry-Tower erweist sich von hier aus sogar als geschichtsverträglich – sieht man von anderen Blockade-Effekten direkt vor Ort einmal ab.

Die Cuvrybrache an der Spree – Favela* mit erklärungsbedürftigem Sternchen

Cuvrybrache 2014Aufgeworfene Frage in der Facebook-Gruppe „Berlin Guides“: Ist die Cuvrybrache eine Favela in Berlin? – Auf den ersten Blick klingt das übertrieben. Die Favelas sind größer und werden von bis zu 200.000 Menschen bewohnt, liegen am Stadtrand und werden im Zuge ihrer Entwicklung sogar zu offiziellen Stadtvierteln erklärt. Die “Cuvry” ist dagegen überschaubar, kann in keine Himmelsrichtung expandieren, liegt in der Innenstadt, sogar an der Spree, und die Chancen, dass das, was die “Cuvryianer” dort laut einer Reportage des Tagesspiegel treiben, von Staatswegen annerkannt wird, sind gleich Null, schätze ich. Trotzdem: Wenn die Favela als brasilianische Variante einer informellen Siedlung in ihrer Riesendimension und mit ihrer oft nachträglich durch die Behörden gebauten Infrastruktur bildhaft die Hohe See ist, muss man in der “Cuvry” mehr oder minder den Dorfteich erkennen. Aber warum?

  1. Nun, sie expandiert zumindest in die Vertikale. Laut der oben genannten Reportage von Nik Afanasjew, die wirklich lesenswert ist, wurde bereits die erste Hütte mit zwei Geschossen gebaut, was zeigt, dass die Siedlung sich im Rahmen ihrer grundsätzlichen Flächenbegrenzung baulich weiterentwickelt und verdichtet. Das die Favelas ausmachende endogene Wachstum findet auch in der „Cuvry“ statt.
  2. Die “Cuvry” ist absolut informell. Das sind die brasilianischen Favelas auch. Genauso Gecekondus in der Türkei. Nur die Namen des immer gleichen Phänomens der Notverstädterung sind geografisch verschieden. So heißen sie in Argentinien „Villa Miseria“, in Chile „Poblaciones“, in Pakistan „Katchi Abadis“.
  3. Die “Cuvry” (und ich plädiere für eine gleichlautende Namenstaufe für deutsche oder zumindest Berliner informelle Siedlungen) ist Anlaufstation und Auffangbecken für Zuwanderer, ein Berliner Kopfbahnhof des 21. Jahrhunderts! Da wird berichtet von einem Philmon aus Lybien, auch von einem Polen aus Breslau und von bulgarischen Wanderarbeitern. Über den grauen Teppich, keinen roten, gelangen sie in die Großstadt. Auch die Tore von Sao Paulo & Co. sind für die Mittellosen grau. Von der Hüttenstadt aus denken und handeln sie, so auch in der „Cuvry“: Während Philmon erkennt, dass er Arbeit braucht, gehen Andere kriminellen Aktivitäten nach: “Wir gehen die Sinti und Roma klatschen”, heißt es in dem Bericht.

Was spricht noch dafür, dass die „Cuvry“ Berlins Favela ist? Kommentiert!

Geniale Schloss-PR

Ostfassade Schloss - SpreeuferEs ist nicht lange her, dass Architekt Stephan Braunfels mit seinem provokanten Entwurf, das Schloss zur Stadt hin öffnen wollte. Eine Initiative versucht seitdem, den Verzicht auf die Ostfassade des Humboldtforums in die Realität umzusetzen, auch wenn diese ganz anders aussieht (die Wand steht schon im zweiten Geschoss). Jetzt lädt die Schlossstiftung am Sonntag zu einem Tag der offenen Baustelle ein und schneidert sich das Braunfelsmotiv maßgerecht um – sprachlich zumindest. Stiftungsvorstand Manfred Rettig lässt sich in einer Pressemitteilung so zitieren:

„Ich bin begeistert von diesem großartigen Gebäude und von den neuen Stadträumen, die entstehen. Architekt Franco Stella öffnet das Schloss für die Stadt. Das Humboldt Forum wird zur Visitenkarte eines weltoffenen Deutschlands im 21. Jahrhundert.“

– Gemeint ist eine öffentliche Baustellenbesichtigung. Na dann, schmerzlich willkommen! 

Aufgeschoben, nicht aufgehoben – die Feldarbeit geht weiter

Tempelhofer FeldKaum ist der Feldfriede in Tempelhof eingekehrt, werfen Politiker und Architekten mit neuen Ideen um sich. Das ist nicht nur gut so, sondern oberhammeraffentittengeil. Sofort entfesselt der Volksentscheid eine Kraft, die der Masterplan des Senats unterbunden und zuletzt fast vollständig gelähmt hatte: die Freiheit der Ideen. Genau dafür habe ich mein Kreuz bei der Initiative gemacht und lese jetzt in der Zeitung, dass Antje Kapek (Grüne) sich auf dem Tempelhofer Feld einen „Kulturhafen“ vorstellt oder (besser) Stephan Braunfels vorschlägt, das Feld mit konsequent dem Wohnen vorbehaltenen und fassadenbegrünten Punkthochhäusern mit bis zu 100 Meter Höhe abzustecken. 10.000 Wohnungen wären möglich, der Freiraum bliebe vollständig erhalten, von keiner Seite wäre die Sicht verbaut, aber von überall in Berlin nähme man die Ausmaße des Feldes wahr. Auf einmal ist alles klar: Die Hochhäuser, die sich Berlin am Alex wünschte, gehören in den neuen Süden ans Feld!

Shopping, Skydiving und Surfen unter einem Dach

Das VOLT Berlin ist die Fortsetzung des Alexa-Einkaufszentrums mit anderen Mitteln. – Ein Tourbericht zur gestrigen Zukunft-Berlin-Tour mit Berlin on Bike und der Antwort, was zwischen Alexa und Jannowitzbrücke gebaut wird.

VOLT Berlin, J. Mayer H.Kommt Zeit, kommt Rat. Und manchmal schneller als man denkt. Bei der Zukunft-Berlin-Tour am Sonnabend tauchte die Frage auf, was eigentlich auf dem Gelände hinterm Alexa geplant sei. Wir radelten daran vorbei und sahen die Bier-Bikes darauf parken. Als wir beim dritten Stopp dann zu den Stadtmodellen bei der Senatsverwaltung kamen, stießen wir auf eine aktuelle Ausstellung, die die Ergebnisse eines Architektenwettbewerbs zeigt. Zwischen Alexanderstraße und Stadtbahn, da wo jeden Dezember Berlins größter Weihnachtsmarkt, der “Wintertraum” aufschlägt, entsteht das sogenannte “Volt Berlin Future Urban Home”, ein Einkaufs- und Erlebniszentrum mit Skydiving und Surfen drin. Die Kernschmelze von Alexa-Konsum und Marktspektakel lasse ich mir ein anderes Mal auf der Zunge zergehen. Sie verdient auf jeden Fall Beachtung und ist zumindest konsequent. Die Architektur erinnert an das “Alea 101”, dass in der Nähe gerade gegenüber dem Cubix-Kino gebaut wird. Sie stammt vom Architekten Jürgen Mayer H. und ist neben den Alternativ-Entwürfen der Ausstellung noch bis zum 23. Mai im Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Am Köllnischen Park 3 in Mitte zu sehen.