In der Mediathek, meiner eigenen, hauseigenen, hier auf futurberlin.de, die ich in Erinnerung meiner alten, irgendwann gelöschten Filmliste nun wieder rekonstruiere, findet sich seit Sonntag ein Dokumentarfilm von 1987, den ich noch gar nicht kannte: „Feuerland“.
Ich recherchierte für eine Tour und war eigentlich an dem interessiert, was 150 Jahre früher an der Chausseestraße geschah, bei der Gründung von Borsig 1837, an der „Beuth“-Lok von 1841 und an den Jahrzehnten, die darauf folgten.
Stattdessen schickte mich Wikipedia zu youtube, wo sich die Kneipentüre ins „Borsig-Eck“ in der Borsig- /Ecke Tieckstraße öffnete. Dort verbringe ich gedanklich nun schon den zweiten Abend und trinke Bier für 51 Pfennige das Glas („m.B.“ – mit Bedienung, wie Ihr im Film erfahrt).
„Na höre mal, wer kennt Kutte nicht“
Den will ich Euch ans Herz legen. Da sitzt dieser „Kutte“ am Tisch, der den historischen Bogen zurück bis ins Dritte Reich schlägt. Anfangs 1935 für sechs Wochen zur Gestapo in die Prinz-Albrecht-Straße verschleppt, verbrachte er nach eigenen Angaben bis zu den Olympischen Spielen 1936 seine Zeit im KZ. In den 1950er Jahren sei er Schachmeister in Berlin gewesen. Möchte ich gerne glauben, denn der Mann, im Drehjahr 1987 schon 75 Jahre alt, scheint seine Gegner im „Borsig-Eck“ der Reihe nach abzuzocken, gegen Geld. Gegen einen Jüngeren verzichtet „Kutte“ zu Spielbeginn sogar auf einen Turm und einen Springer. Er erwartet allerdings dafür von seinem Gegner, dass er schnell spielt, „ruck-zuck“.
„Aber ruck-zuck, wie ick gesacht habe!“
(„Kutte“ in „Feuerland“, den Zeigefinger drohend erhebend)
Blickt man genau hin, erkennt man das Sympathische dieser vergangenen Welt: Der zweite Turm von Weiß ist eine Turmfigur aus einem anderen Schachspiel, eher grau, mannschaftsfremd. Das heißt, das Schachbrett in der Kneipe war intensivster Nutzung ausgesetzt. Und tatsächlich filmt Regisseur Volker Koepp in einer späteren Aufnahme vier Jugendliche, die um das Schachbrett herum sitzen und spielen (natürlich trinken sie dabei Bier).
„Kutte“, immer am Zigarrenstummel nuckelnd, bildet das Nervenzentrum dieser Kiezreportage. Doch sie geht über ihn und die Eckkneipe hinaus und zeigt das städtische Umfeld. Die Aufnahmen fangen auch das Ballhaus in der Chausseestraße ein und das Stadtbad in der Gartenstraße. Letzteres wird im Film gerade rekonstruiert, man erlebt es im Innern der Baustelle.
Auffällige Sandsteinskulptur über der Ecktür im ersten Obergeschoss, fehlt zu DDR-Zeiten, ist im Film zumindest nicht erkennbar (Foto: André Franke)
Bauarbeiter der Hauptstadt
Ein weiterer Bauarbeitertrupp wird interviewt in einem nahegelegenen Bauwagen. Da sitzen sie und spielen Skat oder stehen herum, lassen sich fragen, wie lange sie schon in Berlin auf Montage seien und was ihre Frauen dazu sagten. Die Neubrandenburger berichten, dass sie seit vier Jahren in der Stadt arbeiteten. Und dann zählen sie auf, woran sie in dieser Zeit alles gebaut hätten. An dieser Stelle wird es städtebaulich interessant:
vier Hochhäuser an der Rhinstraße (Lichtenberg)
die Tschechische Botschaft in Pankow (?)
Gebäude an der Wilhelm-Pieck-Straße (heute Torstraße)
Bei dem Projekt Rhinstraße müsste es sich um jene Plattenbauten handeln, über die die Morgenpost im Jahre 2013 berichtet hat. Damals bemalten französische Künstler die Fassaden der Gebäudeblöcke in einem Ausmaß, das ins Guinnessbuch der Rekorde führen sollte als größtes bewohntes Wandbild der Welt. Wir schauen in „Feuerland“ in die Gesichter der Männer, die für dieses Riesen-Mural die Grundlage gelegt haben.
Die Aussage mit der Tschechischen Botschaft irritiert mich. Denn die Botschaft steht in der heutigen Wilhelmstraße in Mitte. Zwar gibt es das Botschaftsviertel im Pankower Tiroler Viertel, aber dass es dort die Tschechische gegeben haben soll, ist mir schleierhaft.
Mit den Baustellen in der damaligen Wilhelm-Pieck-Straße, der heutigen Torstraße, wären wir quasi wieder zurück in der Nachbarschaft von „Feuerland“. Die Torstraße und die parallel verlaufende Linienstraße säumen DDR-Plattenbauten, die von diesen Händen, welche im Film Skat kloppen, errichtet wurden. Und damit schlägt der Film auch eine städtebauliche Brücke in die Gegenwart. Denn diese Wohnplatten wurden erst im Oktober unter Denkmalschutz gestellt, die Plattenbauten in der Spandauer Vorstadt. Insgesamt 28 Gebäude sind betroffen bzw. beehrt, wie u.a. RBB24 berichtete.
Tauben ohne Züchter
Die Männer in dem Bauwagen haben nicht ganz umsonst lange Gesichter gemacht. Wenn man genau hinhört, vernimmt man in der letzten Sekunde der Szene (Skat), wie es einem beim Reizen entwischt: „Kann nicht.“ Das muss tragischerweise eben auch der Satz gewesen sein, den die Männer ihren Familien widergegeben haben mussten, wenn sie nach anstehenden, aussichtsreichen, gemeinsamen Terminen gefragt wurden.
Was hat der DDR-Städtebau an Lebensentwürfen gekostet? Welche Menschen-Träume haben die Aufbauprogramme auf dem Gewissen? Einer der Bauarbeiter ist Taubenzüchter. „Aktiv“, wie er sagt, als würde er seinen Lebenslauf ablesen, und in Klammern hinter dem Wort „Taubenzüchter“ stünde „(aktiv)“. Und er sagt das mit einem Elan, der von Hoffnung kündet. Als glaubte er fest daran, auch morgen noch Tauben zu züchten, in der nächsten Woche noch Tauben zu züchten, im nächsten Jahr noch Tauben zu züchten – der Bauarbeiter der Hauptstadt. Er erzählt, dass den Job seine Frau für ihn macht. Und ein Kollege sagt, sie müssten in Berlin bleiben … noch drei Jahre lang. Ich möchte wissen, ob in Neubrandenburg im Wendejahr noch Tauben durch die Lüfte flogen.
„Nomad“ mit Frühstück
Wenn ich die Tour im Juni mit den Gästen fahre, wo stelle ich ihnen also „Feuerland“ vor? An der Infotafel an der Chausseestraße wohl eher nicht.
Ich fürchte, wir werden uns vor das „Nomad“ stellen. Das ist der Nachfahre des „Borsig-Ecks“ an der Borsig- /Ecke Tieckstraße. Es verspricht: delicous Brunch.
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Nach Feuerland, aber ruck-zuck!
/0 Kommentare/in Blogposts /von André FrankeIn der Mediathek, meiner eigenen, hauseigenen, hier auf futurberlin.de, die ich in Erinnerung meiner alten, irgendwann gelöschten Filmliste nun wieder rekonstruiere, findet sich seit Sonntag ein Dokumentarfilm von 1987, den ich noch gar nicht kannte: „Feuerland“.
Ich recherchierte für eine Tour und war eigentlich an dem interessiert, was 150 Jahre früher an der Chausseestraße geschah, bei der Gründung von Borsig 1837, an der „Beuth“-Lok von 1841 und an den Jahrzehnten, die darauf folgten.
Stattdessen schickte mich Wikipedia zu youtube, wo sich die Kneipentüre ins „Borsig-Eck“ in der Borsig- /Ecke Tieckstraße öffnete. Dort verbringe ich gedanklich nun schon den zweiten Abend und trinke Bier für 51 Pfennige das Glas („m.B.“ – mit Bedienung, wie Ihr im Film erfahrt).
„Na höre mal, wer kennt Kutte nicht“
Den will ich Euch ans Herz legen. Da sitzt dieser „Kutte“ am Tisch, der den historischen Bogen zurück bis ins Dritte Reich schlägt. Anfangs 1935 für sechs Wochen zur Gestapo in die Prinz-Albrecht-Straße verschleppt, verbrachte er nach eigenen Angaben bis zu den Olympischen Spielen 1936 seine Zeit im KZ. In den 1950er Jahren sei er Schachmeister in Berlin gewesen. Möchte ich gerne glauben, denn der Mann, im Drehjahr 1987 schon 75 Jahre alt, scheint seine Gegner im „Borsig-Eck“ der Reihe nach abzuzocken, gegen Geld. Gegen einen Jüngeren verzichtet „Kutte“ zu Spielbeginn sogar auf einen Turm und einen Springer. Er erwartet allerdings dafür von seinem Gegner, dass er schnell spielt, „ruck-zuck“.
(„Kutte“ in „Feuerland“, den Zeigefinger drohend erhebend)
Blickt man genau hin, erkennt man das Sympathische dieser vergangenen Welt: Der zweite Turm von Weiß ist eine Turmfigur aus einem anderen Schachspiel, eher grau, mannschaftsfremd. Das heißt, das Schachbrett in der Kneipe war intensivster Nutzung ausgesetzt. Und tatsächlich filmt Regisseur Volker Koepp in einer späteren Aufnahme vier Jugendliche, die um das Schachbrett herum sitzen und spielen (natürlich trinken sie dabei Bier).
„Kutte“, immer am Zigarrenstummel nuckelnd, bildet das Nervenzentrum dieser Kiezreportage. Doch sie geht über ihn und die Eckkneipe hinaus und zeigt das städtische Umfeld. Die Aufnahmen fangen auch das Ballhaus in der Chausseestraße ein und das Stadtbad in der Gartenstraße. Letzteres wird im Film gerade rekonstruiert, man erlebt es im Innern der Baustelle.
Auffällige Sandsteinskulptur über der Ecktür im ersten Obergeschoss, fehlt zu DDR-Zeiten, ist im Film zumindest nicht erkennbar (Foto: André Franke)
Bauarbeiter der Hauptstadt
Ein weiterer Bauarbeitertrupp wird interviewt in einem nahegelegenen Bauwagen. Da sitzen sie und spielen Skat oder stehen herum, lassen sich fragen, wie lange sie schon in Berlin auf Montage seien und was ihre Frauen dazu sagten. Die Neubrandenburger berichten, dass sie seit vier Jahren in der Stadt arbeiteten. Und dann zählen sie auf, woran sie in dieser Zeit alles gebaut hätten. An dieser Stelle wird es städtebaulich interessant:
Bei dem Projekt Rhinstraße müsste es sich um jene Plattenbauten handeln, über die die Morgenpost im Jahre 2013 berichtet hat. Damals bemalten französische Künstler die Fassaden der Gebäudeblöcke in einem Ausmaß, das ins Guinnessbuch der Rekorde führen sollte als größtes bewohntes Wandbild der Welt. Wir schauen in „Feuerland“ in die Gesichter der Männer, die für dieses Riesen-Mural die Grundlage gelegt haben.
Die Aussage mit der Tschechischen Botschaft irritiert mich. Denn die Botschaft steht in der heutigen Wilhelmstraße in Mitte. Zwar gibt es das Botschaftsviertel im Pankower Tiroler Viertel, aber dass es dort die Tschechische gegeben haben soll, ist mir schleierhaft.
Mit den Baustellen in der damaligen Wilhelm-Pieck-Straße, der heutigen Torstraße, wären wir quasi wieder zurück in der Nachbarschaft von „Feuerland“. Die Torstraße und die parallel verlaufende Linienstraße säumen DDR-Plattenbauten, die von diesen Händen, welche im Film Skat kloppen, errichtet wurden. Und damit schlägt der Film auch eine städtebauliche Brücke in die Gegenwart. Denn diese Wohnplatten wurden erst im Oktober unter Denkmalschutz gestellt, die Plattenbauten in der Spandauer Vorstadt. Insgesamt 28 Gebäude sind betroffen bzw. beehrt, wie u.a. RBB24 berichtete.
Tauben ohne Züchter
Die Männer in dem Bauwagen haben nicht ganz umsonst lange Gesichter gemacht. Wenn man genau hinhört, vernimmt man in der letzten Sekunde der Szene (Skat), wie es einem beim Reizen entwischt: „Kann nicht.“ Das muss tragischerweise eben auch der Satz gewesen sein, den die Männer ihren Familien widergegeben haben mussten, wenn sie nach anstehenden, aussichtsreichen, gemeinsamen Terminen gefragt wurden.
Was hat der DDR-Städtebau an Lebensentwürfen gekostet? Welche Menschen-Träume haben die Aufbauprogramme auf dem Gewissen? Einer der Bauarbeiter ist Taubenzüchter. „Aktiv“, wie er sagt, als würde er seinen Lebenslauf ablesen, und in Klammern hinter dem Wort „Taubenzüchter“ stünde „(aktiv)“. Und er sagt das mit einem Elan, der von Hoffnung kündet. Als glaubte er fest daran, auch morgen noch Tauben zu züchten, in der nächsten Woche noch Tauben zu züchten, im nächsten Jahr noch Tauben zu züchten – der Bauarbeiter der Hauptstadt. Er erzählt, dass den Job seine Frau für ihn macht. Und ein Kollege sagt, sie müssten in Berlin bleiben … noch drei Jahre lang. Ich möchte wissen, ob in Neubrandenburg im Wendejahr noch Tauben durch die Lüfte flogen.
„Nomad“ mit Frühstück
Wenn ich die Tour im Juni mit den Gästen fahre, wo stelle ich ihnen also „Feuerland“ vor? An der Infotafel an der Chausseestraße wohl eher nicht.
Ich fürchte, wir werden uns vor das „Nomad“ stellen. Das ist der Nachfahre des „Borsig-Ecks“ an der Borsig- /Ecke Tieckstraße. Es verspricht: delicous Brunch.
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