Nikolaus Bernau im Podcast: „Berlin ist eine eigene Kategorie innerhalb der ethnologischen Museen“

Ankündigung des Ethnologischen Museums in Humboldt-Box (Foto: André Franke)

Ankündigung des Ethnologischen Museums in Humboldt-Box (Foto: André Franke)

Opernhäuser, Theaterbauten, Bibliotheksgebäude – Man solle nicht Äpfel mit Birnen vergleichen, sagt Nikolaus Bernau. Der Architekturkritiker der Berliner Zeitung äußert sich zu Denkmalpflege und Kulturbauten in einem Gespräch der Reihe „Die Wahrheit beginnt zu zweit“ auf dem Blog „Verbietet das Bauen“. Ein sehr schöner AUDIO-BEITRAG, bei dem diverse Kulturbauprojekte in Deutschland angesprochen werden: die Elbphilharmonie in Hamburg, das Rostocker Stadttheater, die Münchner Philharmonie (um die geht es eigentlich). Bernau bringt mit Staatsoper, ZLB, AGB, den Dahlemer Museen, Kulturforum und Museumsinsel aber auch zahlreiche Beispiele aus Berlin.

Zum Ethnologischen Museum sagt er:

„Berlin ist eine eigene Kategorie innerhalb der ethnologischen Museen!“

Zur Zentral- und Landesbibliothek erinnert er:

„Der Neubau für die ZLB wurde 1901 versprochen!“

Und zur Staatsoper:

„Der Umbau der Staatsoper in Berlin ist von vornherein der schiere Wahnsinn gewesen!“

Am Ende entschuldigt er sich übrigens, dass er so viel geredet hat. – Da kann man nur dagegenhalten: Danke, Herr Bernau!

Hier der Link zum Beitrag auf dem Blog

Was suchen Schlepper am Checkpoint Charlie?

Laster? - Nachts bitte! Dann gibt´s hier genug Platz. Checkpoint Charlie, 2014 (Foto: André Franke)

Laster? – Nachts bitte! Dann gibt´s hier genug Platz. Checkpoint Charlie, 2014 (Foto: André Franke)

Nach einem Verkehrsunfall nahe dem Checkpoint Charlie, bei dem am Mittwoch ein 40-Tonner beim Rechtsabbiegen eine Radfahrerin erfasste, fordern Unfallforscher und die Politik nichts anderes als den „elektronischen Abbiege-Assistenten“? Wer das Foto im Tagesspiegel sieht, wie der lange Schlepper sich über die gesamte Kreuzung dreht, begreift doch sofort, dass das Problem nicht der Richtungswechsel des Lkw war. Was hat so ein Gefährt überhaupt in der einspurigen Friedrichstraße zu suchen? Erst recht am Touristenort Checkpoint Charlie? Nachts ist zwar tote Hose hier. Tagsüber stören aber selbst Reisebusse. Auch die sollten den Checkpoint Charlie nicht mehr kreuzen dürfen! Ich kann mir vorstellen, der lange Laster kam oder wollte zu einer innerstädtischen Baustelle. Schloss, U5, Museumsinsel, Schinkelplatz … Gibt es eigentlich ein Konzept der Verkehrslenkung für die Berliner Baustellenerschließung?

Heute abend startet die Radprotestbewegung „Critical Mass Berlin“ vom Mariannenplatz um 20 Uhr (Ziel: Checkpoint Charlie)

Die Saison ist eröffnet, die Zukunft läuft … fährt auf Rädern

Nordfassade Schloss: Noch Werbeplane statt Sandsteinfiguren. Aber bald kommen sie - aus der Spandauer Schlossbauhütte.

Nordfassade Schloss: Noch Werbeplane statt Sandsteinfiguren. Aber bald kommen sie – aus der Spandauer Schlossbauhütte.

Heute beginnt die offizielle Saison bei Berlin on Bike und damit auch die wöchentliche Radtour „Zukunft Berlin“, bei der wir aus aktuellem Anlass am Mauerpark die Rede von Amadeus Hollitzer verlesen, die er am Donnerstag in der BVV gehalten hat, um zu verhindern, dass der Senat die Planung an sich zieht. Zu spät, wie sich herausstellte. Aber auch die BND-Zentrale zeigt Neuigkeiten: Drinnen wurden die Wasserhähne geklaut, draußen gibt´s jetzt eine Fußgängertreppe vom Pankepark zu den Townhouses. Außerdem im Programm:

  • Straßenbau in der Europacity
  • pulverisierte Plattenbauten direkt an der Spree
  • Neues von den Barockfassaden
  • Partizipationsgebaren am Rathausforum

Wirt starten um 11 Uhr in der Kulturbrauerei.

Neue Ausgabe „Stadtaspekte“ kommt heute raus – mit 2x Berlin

Titelseite Magazin "Stadtaspekte", neue Ausgabe "Neue Räume", ab 20.3.2015

Titelseite Magazin „Stadtaspekte“, neue Ausgabe „Neue Räume“, ab 20.3.2015

Heute kommt die neue Ausgabe des Magazins „Stadtaspekte“ heraus. Thema: „Neue Räume“ mit zwei Berlin-relevanten Artikeln: „Generation Townouse – Aufwachsen im Berliner Neubauviertel“ und „Das große Misstrauen – Bürgerbegehren kippen Bauprojekte“. Dass Letzteres auch umgekehrt geschehen kann, dass nämlich Bauprojekte (von kooperativer Baupolitik unterstützt) auch Bürgerbegehren kippen können oder unterlaufen, zeigt aktuell das Projekt Mauerpark (Landet der B-Plan beim Senat, ist mit dem Bürgerbegehren Schluss). Die Release-Party zur Ausgabe findet am Sonnabend ab 20 Uhr im Prachtwerk in Neukölln (Ganghoferstr. 2) zusammen mit der Bundesstiftung Baukultur statt, die die Ausgabe unterstützt hat.

Überschüttet mit Geschenken: Mauerpark-Drama beglückt Baustadtrat

Mauerpark, auf dem "Dach" des Gleimtunnels. "Hinterm" Horizont (im Sinne von "betret- und erlebbar": das Brunnenviertel (Foto: André Franke)

Mauerpark, auf dem „Dach“ des Gleimtunnels. „Hinterm“ Horizont (im Sinne von „betret- und erlebbar“: das Brunnenviertel (Foto: André Franke)

„Nehmen Sie 39.000 Einwände ernst und liefern Sie die Demokratie nicht den Geschäftsinteressen der Groth-Gruppe aus“, appelliert die Mauerpark-Allianz in einem Beitrag der Abendschau an Mittes Baustadtrat Carsten Spallek, der geduldig zuhört, als die Bürgerinitiativen die gesammelten Stellungnahmen gegen das laufende Bebauungsplanverfahren 1-64a VE geradezu paketweise im Rathaus Wedding am Montag übergab. Geduldig, weil er mit dem Mauerpark bald nichts mehr zu tun haben wird, wenn der Senat weiterplant. Der Beitrag ist noch bis Sonntag, 22.3. im Internet abrufbar (Hier der Link zum Beitrag).

„VE“ heißt übrigens „Vorhaben- und Erschließungsplan“, was ein besonderer Typ von Bebauungsplan ist

Forum unterm Goldstern

Im Monbijoupark: Altes Haupttelegrafenamt, in das ein Hotel einziehen soll. Rechts: Oranienburger Straße mit Neuer Synagoge. (Foto: André Franke)

Im Monbijoupark: Altes Haupttelegrafenamt, in das ein Hotel einziehen soll. Rechts: Oranienburger Straße mit Neuer Synagoge. (Foto: André Franke)

Das Besondere beim Projekt „Forum Museumsinsel“ wird für mich der vergoldete Davidstern sein, der krönend von der Neuen Synagoge aus seinen Glanz in den riesigen Hof wirft, wo zwischen altem Fernmeldeamt, altem Haupttelegrafenamt, alter Freimaurerloge und Ziegelstraße in Form einer geplanten Markthalle und wechselnden Events, zum Beispiel Weihnachtsmarkt oder Public Viewing, bald neues Mitte-Leben einziehen soll. Was genau der Investor Ernst Freiberger mit den insgesamt sieben denkmalgeschützten Gebäuden des lange Zeit brachgelegenen Areals zwischen Oranienburger Straße und Spree vorhat, darüber informiert heute Abend Horst Peter Serwene in einem Vortrag im Berlin-Saal der Berliner Stadtbibliothek, Breite Straße 30-36 in Mitte.

Stadtkern-Schmankerl: Luther-Denkmal und Neptunbrunnen – Nur nach Hause woll´n wa nich?

Rückseite Neptunbrunnen vor Rotem Rathaus und Rathauspassagen, 2013 (Foto: André Franke)

Rückseite Neptunbrunnen vor Rotem Rathaus und Rathauspassagen, 2013 (Foto: André Franke)

Beide Denkmäler sind besonders. Das Luther-Denkmal und der Neptunbrunnen stammen aus der Kaiserzeit und sind nach dem Zweiten Weltkrieg umgesetzt worden: Luther an die Nordseite der Marienkirche, Neptun vor das Rote Rathaus. Dass Luther den Standort wieder wechseln wird, nämlich auf die andere Seite der Marienkirche, wo früher der Neue Markt war, ist, glaube ich, schon beschlossene Sache. Beim Neptunbrunnen ist noch unklar, ob er auf den Schlossplatz zurückkehren wird. Das ist eine umstrittene Sache. In der Volkschule Mitte hält u.a. Manfred Rettig von der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum heute Abend einen Vortrag dazu. Ab 18:30 Uhr in der Linienstraße 161. Freier Eintritt.

Mauerpark: Vom Zaune zur Wies´?

Welche Geschichte erzählt der Mauerpark? Vom Publikum hängt´s wohl ab, ob es um das Ringen um den Park geht oder das Niederringen der befestigten DDR-Staatsgrenze vor 25 Jahren (Foto: Kai Lübeck)

Welche Geschichte erzählt der Mauerpark? Vom Publikum hängt´s wohl ab, ob es um das Ringen um den Park geht oder das Niederringen der befestigten DDR-Staatsgrenze vor 25 Jahren (Foto: Kai Lübeck)

Diesen Schülern der Internationalen Schule aus Neubeuern in Bayern konnte ich am Sonnabend nichts vom aktuellen Mauerpark-Drama erzählen. Sie brauchten die größere Geschichte: wie aus der Betonwand ein Zaun wurde. Das graue Zäunchen kriegen wir schon noch weg. Das ist doch das kleinere Drama. Und es war ja auch eine Mauer- und keine Zukunft-Tour. Heute jedenfalls gaben die Initiativen ihre gesammelten Stellungnahmen gegen die Mauerparkpläne ab – am letzten Tag der öffentlichen Auslegung. Die Initiativen hoffen, dass der Senat, der den Bebauungsplan an sich ziehen will, möglichst lange mit den Einwänden beschäftigt bleibt und damit das Planverfahren verzögert wird. Deshalb zählte in den letzten vier Wochen der Auslegung jede Stimme. Die Anzahl der aktuellen Stellungnahmen übertrifft die Menge derer, die zur vorangegangenen frühzeitigen Bürgerbeteiligung gesammelt wurden, offenbar um das 15-fache. Das war heute jedenfalls auf Facebook zu lesen. Ende 2015 soll der B-Plan festgesetzt, also beschlossen werden, womit der Investor, die Groth Gruppe, Baurecht für ein Wohngebiet nördlich der Gleimstraße bekäme. Das allerdings wäre im Moment die Voraussetzung dafür, dass der Park im zentralen Bereich Richtung Brunnenviertel erweitert würde und auch der Zaun fällt.

Das Kreuz mit der Urbanität

Alle wollen sie, aber jeder versteht unter ihr etwas anderes. Auch im Salon von Lea Rosh letzten Montag bemühten die Gäste den Begriff von der Urbanität, als es erneut ums Rathausforum ging.

„Wir glauben, dass man Urbanität nur durch die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses herstellen kann“, sagte Gerhard Hoya von der Gesellschaft Historisches Berlin.

Doch Wolf-Dieter Heilmeyer von der Stiftung Zukunft Berlin verwies darauf, dass Urbanität auch soziologisch interpretiert werden kann. Leider wurde die Frage nicht weiter vertieft. Das Thema verdient sogar eine eigene Veranstaltung, finde ich: Was meint wer mit Urbanität?

Ein Buch, die Dissertation von Thomas Wüst, „Urbanität: ein Mythos und sein Potenzial“, auf das ich gestoßen bin, gibt schon mal einige Antworten, wenn auch nicht direkt zum Berliner Rathausforum.

Auch auf einen studentischen Projektbericht zum Thema Nutzungsmischung im Städtebau der TU Berlin bin ich in meinem Archiv gestoßen, bei dem wir im Jahre 1999 die Urbanitätsdebatte zusammenfassten. Hier ein Auszug:

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Eine der Zielsetzungen, die oft im Zusammenhang mit Nutzungsmischung diskutiert wird, ist die Erhaltung bzw. die Schaffung von Urbanität. Eine intakte funktionsgemischte Stadtstruktur wird häufig als Voraussetzung für Urbanität angesehen. Dieser Meinung ist z.B. Hunkenschroer, die als eine Vertreterin dieses Leitbildes der Stadtentwicklung bezeichnet werden kann.

”Die Mischung von Wohnen und Arbeiten kann in vielfältiger Weise auch in unserer Gesellschaft dazu beitragen, der Verödung von Stadtquartieren etwas entgegenzusetzen. Durch die Überlagerung mannigfacher Funktionen in dichten Strukturen entsteht Öffentlichkeit, da sich unterschiedliche Personen zu mehreren Tageszeiten im öffentlichen Raum (meist auf der Straße) aufhalten.” (Hunkenschroer, 1995: S.20)

Dabei ist für Hunkenschroer Dichte ein zentrales Merkmal von Urbanität. So sei eine Mindestdichte an Bewohnern in einem Quartier nicht nur die Voraussetzung für die Rentierlichkeit sozialer und technischer Infrastruktur sowie für Kommunikationsprozesse und Informationsflüsse.

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts:  (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts: „Lebendigkeit im öffentlichen Raum“. (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Den Dichtebegriff bezieht Hunkenschroer darüberhinaus auch auf das Maß an städtebaulicher Konzentration (vgl. ebd.).

”Die bauliche Dichte ist auch die Voraussetzung für die Lebendigkeit im öffentlichen Raum.” (ebd.: 101)

Der urbane Charakter eines Gebietes werde jedoch endgültig erst durch eine hohe Interaktionsdichte zwischen den Bewohnern erreicht. Das bedeutet, daß unterschiedliche Nutzungstypen, wie z.B. Wohnen und Versorgung, auf einen kleinen Raum konzentriert werden müssen, und auf diese Weise eine fußläufige Erreichbarkeit ermöglicht wird. Die Folge dieser schnellen Erreichbarkeit ist, daß die Nutzung der im Gebiet ansässigen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen intensiviert wird, und somit der urbane Charakter des Gebiets zunimmt.

Hoffmann-Axthelm beschäftigt sich insbesondere mit der inszenierten Urbanität, die er als von der eigentlichen Stadt gelöst sieht. Demnach sind urbane Lebensverhältnisse nicht mehr an die Stadt gebunden. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996). Vor dem Hintergrund der Suburbanisierung ist Urbanität für ihn der Stadtrest, …

”den diejenigen mitnehmen wollen, die sich aus dem Sozialvertrag Stadt (…) herausstehlen ins grüne (…) Umland” (Hoffmann-Axthelm 1996:55).

In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Typen von künstlicher Urbanität:

Der erste sei die gewöhnliche Innenstadt mit Einkaufszentren, die im geschützten Innenraum Stadt simulieren. Urbanität bedeutet hier Einkaufs- und Freizeitumgebung, verknüpft mit Kino, Restaurants, Cafés und Warenhaus. Die Mischung beschränkt sich hierbei auf das oben genannte Angebot an Konsumeinrichtungen, klammert jedoch eine Vielzahl an Funktionen, wie z.B. Handwerk, produzierendes Gewerbe und bestimmte Dienstleistungen, aus.

Im Vergleich zu diesem Urbanitätstyp ist der Zweite nur noch auf tourismusorientierte Funktionen beschränkt. Hoffmann-Axthelm beschreibt, daß sich das städtische Geschehen in den historischen Zentren fast ausschließlich auf die Erdgeschoßbereiche konzentriert.

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Die dritte Art von inszenierter Urbanität ist fast vollständig von der Nutzungsmischung losgelöst. Das heißt Lebendigkeit wird durch eine Festivalisierung der Städte erzeugt, wobei sie ausschließlich wegen bestimmter Ereignisse oder Attraktionen besucht werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Neubau von Unterhaltungskomplexen, wie z.B. am Potsdamer Platz in Berlin. (vgl. ebd.). Hier gruppieren sich die Investitionen um einen ”unterhaltungsindustriellen Kern”.

”Bei Debis (…) ging es schon sehr früh um ein Musicaltheater. Der Medienkonzern Sony baut im Innern seines Komplexes eine riesige multimediale Bühne, einen Raum, der zugleich Bildschirm und Film, Stadtraum und simulierte Stadt ist.” (ebd.: 60)

Die Typisierung Hoffmann-Axthelms macht deutlich, daß Nutzungsmischung nicht das einzige Instrumentarium ist, um den städtischen Raum zu beleben. Von besonderer Bedeutung für sein Urbanitätsverständnis ist eine ausgewogene soziale Mischung, die zwangsläufig ein erhöhtes Konfliktpotential in sich birgt. Wenn man diese Mischung aus unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Bevölkerungsschichten sowie mehreren Generationen näher betrachtet, wird deutlich, daß ein hohes Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern erforderlich ist. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996) Dies kann jedoch nicht vorausgesetzt werden (vgl. Gruen 1975, Schäfers 1997, Hunkenschroer 1995).

Die sich aus der Mischung ergebenden Konflikte sind dagegen ein Hauptpunkt der Kritik am Leitbild der durch Nutzungsmischung erzeugten Urbanität. So schreibt Jakhel, daß die soziale Integration innerhalb eines gemischten Viertels nicht überschätzt werden sollte (Jakhel, 1976: S.83). Er bezweifelt, daß räumliche Planung Lebendigkeit im Stadtgebiet hervorrufen und die Integration des Stadtbürgers in das Stadtgeschehen bzw. in das Marktgeschehen fördern kann. Auch die Tendenz zur sozialen Segregation kann seiner Meinung nach nicht allein durch die Gestaltung des Raumes aufgehoben werden.

Eine ähnliche Haltung vertrat bereits Anfang der 60er Jahren SalinEr bezweifelt, daß Raumplanung tatsächlich urbane Verhältnisse erzeugen könne. Salin definiert Urbanität als …

”kulturell – gesellschaftliche Lebensform, weltoffene Haltung der Bewohner zueinander und gegenüber Fremden, aber nicht (als) die Qualität einer besonderen städtebaulich – räumlichen Struktur.” (in: Sieverts, 1998)

Literaturliste:

  • Hoffmann-Axthelm, Dieter 1996: Anleitung zum Stadtumbau. Frankfurt/M. New York
  • Hunkenschroer, Birgit 1995: Mischung von Wohnen und Arbeit als Potential für eine stadtverträgliche Gewerbentwicklung. Diplomarbeit. Berlin
  • Jakhel, Rudolf 1976: Illusion und Realität der ‚urbanen‘ City: Ein Beitrag zur Kritik der urbanistischen Ideologie, Aachen
  • Sieverts, T. 1998: Zwischenstadt, Braunschweig u.a.

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Ich bin mal gespannt, wie weit man sich bei der anstehenden Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ mit diesem Thema befassen wird. Die Auftaktveranstaltung dazu findet am 18. April statt.

Zum Thema Rathausforum und Urbanität siehe auch: „Hingehen, sehen lernen“ – Ein Interview mit Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil e.V. auf Futurberlin.de

Partizipation des Vergessens

Es ist schon ganz schön viel verlangt, was Stefan Evers sich da wünscht. “Mit einem weißen Blatt Papier” sollten wir in den Stadtdialog ums Rathausforum gehen. Der stadtentwicklungs-politische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus hat da schlichtweg eine Unmöglichkeit geäußert. Oder eben einen Wunsch.

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur “Berliner Mitte” vom letzten Montag hatte Ausnahmecharakter. Es wirkte, als fände sie in einem geschützten Raum statt. Und dieser Raum kam zustande, weil jedem klar war, dass es heute nicht um Inhalte ging, sondern um die Form. Zebralog, Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung, stellte das “Prozessdesign” für das Debattenprojekt ums Rathausforum vor. Heute wurde nicht geboxt, sondern der Boxkampf verabredet.

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: "Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen."

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: „Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen.“

Und das ist nicht einmal das falsche Wort. Antje Kapek von den Grünen, wünschte sich ausdrücklich, dass die anstehende Diskussion “knackig und kontrovers” geführt werde. Bisher war es so, dass die Debatte, ob Freiraum oder Bebauung, in den Medien und über Veröffentlichungen ausgetragen wurde. Ein Vorschlag jagte den anderen. Alle waren sie unverbindlich. Und die Giganten der Stadtplanung blieben unter sich, in ihren eigenen Veranstaltungen und übten am Punching Ball. Jetzt sollen sie sich treffen. Jetzt MÜSSEN sie sich treffen. Denn wer bei diesem Partizipationsprojekt, das sich an alle wendet, nicht mitmacht und später meckert, dem wird niemand mehr zuhören. Wenn am 18. April mit der Auftaktveranstaltung im bcc am Alex der Gong zur ersten Runde schlägt, darf es kein Ausweichen mehr geben.

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Dr. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Kommen wir zu den Ringrichtern. Es gibt sie wirklich, nämlich als 14-köpfiges Kuratorium, das aus Experten besteht, die über das Verfahren wachen sollen. Am Montag bekamen wir zumindest acht von ihnen zu sehen, was ich als Veranstaltungselement sehr sympathisch fand. Aber an der Zusammensetzung des Gremiums entzündet sich Kritik. So ist an einer Schreibtafel zu lesen: “Im Kuratorium gibt es nur einen Historiker!” Die Teilnehmer der Veranstaltung konnten hier auf Akteure hinweisen, die ihrer Meinung nach im Stadtdialog noch fehlten.

Daniela Riedel und Maria Brückner von Zebralog erklären vorher Struktur und Ablauf des breitangelegten Stadtdialogs, betitelt mit: “Alte Mitte – neue Liebe?” Nach der Auftaktveranstaltung im April als Aufwärm-Event gibt es eine Online-Beteiligung. Sie wird mit Werkstätten, Spaziergängen, Kolloquien, Ausstellungen, sogar mit Theater kombiniert. Die Ergebnisse gelangen über “entsandte” Bürger ins Halbzeit-Forum. Hier entscheiden die Entsandten über die weiteren Schwerpunkte, die nach der Sommerpause zu vertiefen sind. Im November dann: das Abschluss-Forum mit einem “offenen” Ergebnis.

Prozessdesign der Stadtdebatte "Alte Mitte - neue Liebe?" 2015 (Quelle: zebralog)

Prozessdesign der Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ 2015 (Quelle: zebralog)

Diese “Ergebnisoffenheit” hat manchem an diesem Abend zu schaffen gemacht. Eine Frau sagt, sie finde den Prozess nur deshalb ergebnisoffen, weil sie das Beteiligungskonzept für schwammig hält. Riedel erklärt, das Ergebnis müsse inhaltlich offen bleiben, aber ein Ergebnis als solches müsse es auf jeden Fall geben. Empfehlungen, Leitlinien, Vorschläge können das sein. Sie werden dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, das 2016 über alles weitere entscheidet. Viele zweifeln daher an der Verbindlichkeit des Ergebnisses. Das ist an einem spontanen Meinungsbild mit Klebepunkten deutlich zu erkennen. Warum dann überhaupt mitmachen?

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Weil es ein Experiment ist. So versteht es auch Andreas Geisel. Der neue Stadt-entwicklungssenator will, dass die Kontrahenten aufeinander zugehen, auch die eigene Meinung in Frage stellen und lernen. “Nicht in den Prozess reingehen, um zu gewinnen”, sagt er. Das klingt weniger nach Boxen. Das geht eher in Richtung Capoeira, den brasilianischen Kampftanz. Man setzt sich miteinander auseinander, aber niemand erleidet einen ernsthaften Schaden.

24 Stunden nachdem Geisel dies in seinen Schlussworten sagte, hat einer vorgemacht, wie dieses “Aufeinander Zugehen” aussehen könnte. Benedikt Goebel kommentierte vergangenen Dienstag in einem Vortrag über “Die vergessene Schönheit der Berliner Altstadt” auch ein Bild aus DDR-Zeiten. Abgebildet war der junge Freiraum am Fuße des Fernsehturms (das Rathausforum), ein coloriertes Foto, das die sozialistische Stadt von ihrer Sonnenseite zeigt (es war ein vergleichbares Foto wie unten). Goebel, der Historiker aus dem Kuratorium, gestand dem Ort in seinem damaligen Zustand eine eigene Schönheit zu (die er heute natürlich nicht mehr habe). Zugeständnisse dieser Art sind mir im Bürgerforum Berlin bisher nicht zu Ohren gekommen. Find ich gut.

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin - Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Alle Bilder stammen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin – Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Stefan Evers´ Ideal vom “weißen Blatt Papier” bleibt in meinen Augen aber eine absolute Illusion oder erfordert die Kunst des Vergessens. Das gilt zumindest für Fachleute und Initiativen. Bei demselben Vortrag, der zu einer Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule Mitte gehört, wurde geboxt. Eine Dame, die sich als Berlin-Gast ausgab, äußerte ihre ganz persönliche Stadtwahrnehmung. Sie deckte sich aber nicht mit der vorherrschenden Meinung im Raum. Eine gestandene Architektin konterte die Touristin in den Boden, dass Ex-IBA-Moderator Hildebrand Machleidt sie mit warmen Worten nach der Veranstaltung wieder auf die Beine zu bringen gedachte. Das zeigt, wie unverrückbar Haltungen sein können, die mit jahrelanger Arbeit und Leidenschaft aufgebaut, gepflegt und in die Welt getragen wurden. (Diese Arbeit verdient nebenbei gesagt auch Respekt.)

Für die Dame, die für eine ganze Interessensgruppe steht, war das “weiße Blatt Papier” allerdings Realität. Sie sieht die Stadt wie sie ist – ohne Bilder. Schade, dass dieser fruchtbare Moment am Dienstag in der Volkshochschule nicht für eine Diskussion genutzt wurde. Ihre Frage war doch eine Steilvorlage für jeden, der sich mit Stadt auskennt: “Dann erklären Sie mir, wie die Stadt funktioniert …” Allein, es blieb keine Zeit mehr dafür. Ein bisschen unglücklich war´s.

Solche Begegnungen zwischen “beschriebenen und unbeschriebenen Blättern” werden sich im Stadtdialog “Alte Mitte – Neue Liebe?” mit Sicherheit wiederholen. Dann wird es darauf ankommen, wie weit Experten Nichtfachleute mitnehmen können. Denn Zebralog hat das Prozessdesign auf eine breite Beteiligung angelegt. “Vergessen” wir also zumindest nicht den 18. April. Drei Tage nachdem die Dialogwebsite Online ging, hatten sich schon 170 Teilnehmer für die Auftaktveranstaltung angemeldet – übers Wochenende.


website des Stadtdialogs „Alte Mitte – neue Liebe?“ unter www.stadtdebatte.berlin.de (mit Anmeldung, Umfrage und Newsletter)

Livestream und Video-Aufzeichnung der Veranstaltung vom 15. Februar im Umspannwerk Alexanderplatz der Friedrich-Ebert-Stiftung unter www.sagwas.net

nächster Vortrag in der Veranstaltungsreihe „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ des Bürgerforums Berlin e.V. in der Volkshochschule Mitte am 3. März, dann das Thema „Totale Transformation – Stadtumbau zwischen 1840 und 1939“, mit Historiker Dr. Benedikt Goebel (kostenfrei, Anmeldung prinzipiell nicht nötig, aber erwünscht, und zwar hier)

Heute im Angebot: Argumente gegen die Groth-Pläne im Mauerpark

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Ab heute beginnt für das Prozedere der Pläne im Mauerpark die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung, die sogenannte “Öffentliche Auslegung”. Bis zum 16. März kann jeder, der möchte, seine Einwände gegen den Bebauungsplan 1-64a VE hervorbringen – in der Hoffnung, dass das Bezirksamt Mitte die Einwände berücksichtigt.

Der B-Plan soll dem Investor, der Groth Gruppe, Baurecht für ein Wohngebiet mit derzeit 709 Wohnungen nördlich des Gleim-tunnels verschaffen und ist infolge von städtebaulichen Verträgen die Voraussetzung für die Erweiterung des Mauerparks südlich davon.

Eine erste, “frühzeitige” Beteiligung, hat 2010 stattgefunden. Damals gaben Bürger 2.649 Stellungnahmen ab. Die Intitiativen kritisierten das Auswertungs-ergebnis, in dem die Einwände ihrer Ansicht nach kaum Berücksichtigung fanden. Das Bezirksamt, in Person des damaligen Baustadtrats Ephraim Gothe behauptet das Gegenteil (Fazit aus dem 18-seitigen Auswertungsergebnis; ganzes Dokument hier):

“Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach Abwägung der privaten und öffentlichen Belange zu den Planungszielen, das Verfahren des Bebauungsplans 1-64 unter Beachtung vorgebrachter Hinweise weiter verfolgt wird.”

Die Mauerpark-Allianz, ein Zusammenschluss aus Initiativen, Der Linken und den Piraten, informierte schon letzten Donnerstag über die Pläne und die Auslegung. Sie sieht das Prenzlauer Berger Gleimviertel und das Brunnenviertel im Wedding (Bezirk Mitte) von Gentrifizierung bedroht. Eine 3D-Animation läuft dazu auf youtube. Sie lässt die Baumassen in die Höhe wachsen und zeigt die befürchtete Verschattung der betroffenen Anrainer, wie die Jugendfarm Moritzhof.

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Die Allianz bietet einen umfangreichen Service. In ihrem fünfsprachigen Flyer gibt sie den Bürgern, die sich beteiligen wollen, ein Abreißformular an die Hand und bietet auf ihrer website sogar Argumente gegen die Groth-Pläne an. Die Mauerpark-Allianz, zu der auch die mit dem Volksentscheid erfolgreiche Initiative 100% Tempelhofer Feld gehört, bereitet außerdem ein Bürgerbegehren gegen den B-Plan vor.


Die Mauerpark-Geschichte ist äußerst komplex. Man kann sie sich bei Gelegenheit mal erklären lassen – immer montags 19:00 Uhr in der Jugendfarm Moritzhof, Schwedter Straße 90, wo sich die Mauerpark-Aktivisten für Fragen zur Beteiligung zur Verfügung stellen. Mehr Infos zum Plan und zur Auslegung auch auf der website des Bezirksamts Mitte, hier.

Mehr Beiträge auf Futurberlin.de

  • „Der Stadtrat, der aus der Hüfte schießt“ – Wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek weniger Bürgerbeteiligung wagt und mit seinem kuriosen Stil bisher ganz gut fährt (März 2013), im Fokus drei Mitte-Projekte: Mauerpark, Monbijoupark und Marienkirchhof
  • „Ob es klappt, weiß man nicht“ – Interview mit Frank Bertermann (Grüne), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der BVV Mitte, über die damals initierte Bürgerwerkstatt Mauerpark und den aufgstellten Bebauungsplan 1-64 (August 2010)

21 Tonnen am Stück ohne Schnitt und Fuge? Schlossbildhauer: Das hätt´s bei Schlüter nicht gegeben

Eine Stunde und einundzwanzig Minuten braucht ein Mensch in Berlin, um vom U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg zum Askanierring 74 in Spandau zu gelangen – zumindest mit den Öffentlichen. Das ist länger als meine weihnachtliche oder österliche Heimreise ins sachsen-anhaltische Karow dauert. Warum also dorthin fahren? Weil an dieser Adresse die mittigste Mitte der Stadt gespachtelt wird und gebildhauert: die an den Rohbau des Humboldtforums zu hängenden, spendenfinanzierten Barockfassaden in der sogenannten “Schlossbauhütte”.

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

Ungefähr 10.000 Steine bearbeiten die Bildhauer hier. Kleine und große, neue und Originale. Ich treffe auf der Führung, die der Architektur- und Ingenieurverein zu Berlin organisiert hat, das Säulen-kapitell wieder, das jahrzehntelang an der Ruine der Kloster-kirche lag, und natürlich gibt es hier sehr viele Adler, über die ich heute alles andere als spotten will (die Satire gibt´s hier).

Eher ergreift mich eine Ahnung von der Größe, der Komplexität der Rekonstruktionsaufgabe, die sich die Schlossstiftung gestellt hat. Es ist ein Puzzle aus tonnenschweren Steinskulpturen, die alle zuerst in Gips modelliert und zuvor ins korrekte Maß gebracht werden müssen. Schlüter, sagt Bertold Just, Leiter der Schlossbauhütte, arbeitete vor dreihundert Jahren mit dem “Rheinischen Fuß”. Franco Stella dagegen denkt und liefert die Pläne metrisch. Die Bildhauer rechnen um, skalieren in dieser Hütte, damit 2019 in Mitte alles passt.

Einer von ihnen ist Frank Kösler. Die klassische Musik, die auf der Tour in der Halle im Hintergrund zu hören ist, kommt von seinem Arbeitsplatz. Bautzener Senf steht auf einem kleinen Pausentisch und eine Packung Salz. Der Bildhauer ist mit einer Portalkrönung beauftragt, an der er seit September arbeitet. Kösler versteht Steine. Er beschreibt mit seinem ganzen Körper, wie sie sich setzen und Ruhepunkte suchen, sich später aber dennoch bewegen. Unbegreiflich ist ihm, warum der Stein, den er mit seinen zwei Töchtern gestaltet (es ist der größte, der in einem Stück an die Fassaden angebracht wird und er wiegt 21 Tonnen), nicht geschnitten und gefugt wird. Bei Schlüter hätte es sowas nicht gegeben, sagt er und prophezeit Risse. “Kollege Sollbruchstelle”, ein Wort Köslers, ist im Gipsmodell schon zu sehen.

Kösler versteht auch Barock. Er lebt ihn, um ihn produzieren zu können, das erklärt er auch ganz ausdrücklich in einem Stiftungs-Video über die Schlossbauhütte und stellt es live unter Beweis (zum Video hier). Spuren der barocken Lebensfreude, die er für seine Arbeit zur Praxis erhebt, stehen auf dem Tisch gleich neben dem Senf: drei leere Flaschen Budweiser. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können und war nicht der einzige, der am Ende der Führung noch lange bei ihm stehenblieb, als der Barockbildhauer leidenschaftlich ausführte, dass man nicht mit jedem Stein alles machen könne, zum Beispiel mit schlesischem Sandstein nicht schlüterschen Barock. Und er prophezeit, dass das Ergebnis entsprechend aussehen werde. – Eine Stunde und einundzwanzig Minuten denke ich auf dem Heimweg darüber nach, was ich von dem Projekt jetzt halten soll. Aber die Zeit, die vorher lang war, ist für die Antwort zu kurz.

Wie ein „Bordeaux“: Stadtkern-Kurs an der VHS wirbt für Berlin-Geschichte, aber auch für die eigene Meinung

Mit der Berliner Altstadt sei es wie mit Bordeaux-Weinen, sagt Benedikt Goebel, der im Namen des Bürgerforums Berlin am Dienstag in die Volkshochschule zum Auftakt der Veranstaltungsreihe „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ einlud. 

„Es dauert ein Weile bis man zum Kenner wird, aber bis dahin hat man einfach eine schöne Zeit.“

Multifunktionsraum in der VHS-Mitte mit den pünktlichen Gästen. Es kamen mehr als zu sehen sind. (Foto: Christina Kautz)

Multifunktionsraum in der VHS-Mitte mit den pünktlichen Gästen. Es kamen mehr als zu sehen sind. (Foto: Christina Kautz)

Der multifunktionale Raum 1.12 in der Linienstraße 162 war gut besucht. Die VHS lieferte Stühle nach. Die Landschafts-architektin Christina Kautz und der Architekt Lutz Mauersberger hielten einen bilderreichen Vortrag über den Ursprung der Doppelstadt Berlin-Cölln und der historischen Stadtentwicklung an der Spree und dem Spreekanal. Und jene Bilder sind es eben, die einen zum Genießer werden lassen, bevor man sich versieht, weil sie Berliner Orte zeigen, die es nicht mehr gibt: Packhöfe, Oberbäume, Unterbäume, Schleusen, Pferdeschwemmen, Wasserkunst, Brückenschmuck, Fischkästen. Und Flussbäder.

Projekt Flussbad Berlin: renaturierter Spreekanal für ein sauberes Schwimmbecken direkt am Lustgarten (Bild: Flussbad Berlin e.V., realities:united)

Projekt Flussbad Berlin: renaturierter Spreekanal für ein sauberes Schwimmbecken direkt am Lustgarten (Bild: Flussbad Berlin e.V., realities:united)

Wobei die historischen Spree-Flussbäder hier eine ziemliche Steilvorlage boten für die Diskussion über das Zukunftsprojekt „Flussbad Berlin“, das auf 750 Meter Länge zwischen Bodemuseum und Schleusenbrücke gebaut werden soll und mit vier Millionen Euro aus dem Bundesprogramm „Nationale Projekte des Städtebaus“ öffentlich gefördert wird (hier mehr zum Projekt).

Das wird beim Bürgerforum sehr kritisch gesehen. Und Gründe, dem Flussbad-Projekt skeptisch gegenüber zu stehen, gibt es einige, zum Beispiel die Standortwahl: Man brauche sowas nicht an einer prominenten Stelle wie der Museumsinsel, meint Christina Kautz. Lutz Mauersberger macht auf den Preis aufmerksam, mit dem das Schwimmbecken bezahlt wird: die Filteranlage und Moorlandschaft, die den restlichen Spreekanal bis zur Mündung ausfüllen sollen. Und Benedikt Goebel ergänzt, dass Projektbilder eben auch nicht riechen. Sprich: das Projekt beeinträchtige potenziell die Wohnqualität an den angrenzenden Ufern, zum Beispiel auf der Fischerinsel.

Für einen Volkshochschulkurs könnte das für manchen ein bisschen viel Meinung gewesen sein. Oder auch nicht. Kennerschaft bringt am Ende eben auch ein handfestes Urteilsvermögen mit sich. – Prost.


Zum „Flussbad Berlin“ wird es beim Architekten- und Ingenieurverein zu Berlin (AIV) am 23. Februar eine Veranstaltung geben.

Der nächste Kurstermin für angehende und schon gereifte Stadtkernkenner findet in der VHS Mitte am 17. Februar statt, dann unter dem Thema „Vergessene Schönheit der Berliner Altstadt“.

Kommen unkompliziert: keine Anmeldung nötig, kostenfrei, und Stühle gibt es auf jeden Fall genug.

Piraten-website „BERwatch“ rettet alle Flughafen-Verwirrten – DANKE!

Ein Eldorado für alle Flughafen-Verrückten: die website "BERwatch" von den Berliner Piraten

Ein Eldorado für alle Flughafen-Verrückten: die website „BERwatch“ von den Berliner Piraten

Als ich vor ein paar Wochen mit Kollegen in der Stadtklause am Askanischen Platz saß und wir über den BER redeten, wurde mir klar, dass das Problem des Flughafenprojekts aus heutiger Sicht im Grunde darin besteht, dass die Vorgänge und verschiedensten Aspekte nicht mehr kommunizierbar sind. Es fehlt die Zeit, um die ganze Geschichte zu erzählen. Und hätte man sie, fehlte den Zuhörern die Geduld. Denn es müsste ja so lange dauern!

Ich frage mich, in welcher Form die Geschichte vom BER eigentlich erzählbar wäre. Wie geht diese Geschichte? Wer kann sie (mir) in zehn Minuten zu verstehen geben? Und was ist an ihr eigentlich das Wichtigste? – Eine einfache Chronik beantwortet diese Frage nicht.

Suchend bin ich gestern auf die website “BERwatch” der Berliner Piraten gestoßen, auf der sie den Bauskandal vieldimensional für den laufenden Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus aufarbeiten. Und ich bin beeindruckt. Ich will sie hiermit all jenen empfehlen, die professionell oder in ihrer Freizeit in die Wissenschaft des “komplexen Flughafenverbaus” einsteigen wollen.

Die website bietet gleich mehrere, externe Chroniken an, verlinkt zu den jeweiligen Medien. Die Chronik von BERwatch selbst ist abrufbar nach separaten Themen, zum Beispiel Standortwahl, Lärmschutz, politische Aufarbeitung. Aber nicht nur das. Die website hat auch die überholten Zielsetzungen des Projekts erfasst, und führt systematisch in den Dschungel der an dem Großprojekt beteiligten Akteure. Das ganze wird unterlegt mit fundierten und für jeden einsehbaren Dokumenten.

Wünsche viel Spaß dabei!

Entmietet durch den Staat – Berlin opfert seine Mieter für die A100

Entmietet zu werden, gehört für die Berliner seit der neuen Wohnungsnot zum Reigen potenzieller Zukunftsängste. Wen es erwischt, der ist stocksauer, erbost, verzweifelt, will nicht mehr … oder jetzt erst recht. Tritt im Entmietungsprozedere statt des verhassten privaten Immobilienhais dann auch noch der Staat als Hauptakteur auf, dann vervielfacht sich die Wut der Entmieteten, Entrechteten, wie jetzt in Treptow.

Dort führt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung stellvertretend für die Bundesrepublik Deutschland, die die Eigentümerin ist, ein Besitzeinweisungsverfahren für zwei für den Abriss bestimmte Wohnhäuser in der Beermannstraße 20 und 22 durch. Den noch verbliebenen Bewohnern soll dadurch das Mietrecht entzogen werden. Hintergrund ist der Ausbau der A100.

Ein Artikel des Blogs “Karla Pappel”, eine Initiative gegen Mietpreiserhöhungen und Verdrängung in Alt-Treptow, bringt die Wut der zu Verdrängenden nicht zuletzt mittels der Wortwahl zum Ausdruck. Eine Aufzählung:

“Baumafia”, “Bananenrepublik”, “Senatsschweinereien”, “Drecksarbeit”, “Diktatur”.

Staatssekretär Christian Gaebler, aus dessen Email-Korrespondenz der Artikel auch zitiert, wird als “kalter Machttechniker” bezeichnet und der heutige Regierende Bürgermeister Berlins, Michael Müller, kommt aus der Stadtentwicklungsbehörde “herausgekrochen”, so steht es im Text.

Wut also. Darüber, dass die gleichen Verantwortlichen an anderer Stelle in der Stadt neue Wohnungen bauen lassen, aber in der Beermannstraße die Wohnungen opfern. Darüber, dass sie, die Bewohner, selbst geopfert werden. Für die Enteignungsbehörde sind sie “Illegale”. Und so werden sie auch behandelt: Fenster und Türen von bereits leerstehenden Wohnungen werden verbarrikadiert, die benachbarte besetzte Kleingartenanlage wird geräumt und beschädigt, Bäume werden gefällt ohne Genehmigung, und ein Bagger reißt ohne Vorwarnung eine Hofmauer ein, inklusive eines später zur Anzeige gebrachten Angriffs auf einen Anwohner. – So beschreibt der Blogartikel die jüngsten Vorkommnisse auf den Grundstücken.

Zehn Mietparteien harren in den Häusern noch aus. Die Zwangsräumung sei laut Artikel für den 16. Februar geplant. Vorher wird es noch einen Besitzeinweisungsbeschluss geben oder auch nicht.

Eine Demo gegen die Zwangsräumung und den Abriss findet am 6. Februar um 14:00 Uhr beginnend an der Cuvrystraße in Kreuzberg statt.

Klein-Lichtenberg mitten in Mitte: Plattenbauten am Schiffbauerdamm werden abgerissen

Das ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Dieses temporäre Stadtbild ist einen Steinwurf von der Friedrichstraße entfernt und vom Reichstagsgebäude. Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm, Januar 2015

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker) ist das "Newscenter" zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten "Luisenlblock-Ost" nicht weichen braucht.

Abrissarbeiten am Schiffbauerdamm im Januer 2015: Einer von drei Plattenbauten aus DDR-Zeiten ist schon weg. Im Hintergrund (roter Klinker, flach) ist das „Newscenter“ zu sehen, ein denkmalgeschütztes Gebäude, das für den sogenannten „Luisenblock-Ost“ nicht weichen braucht.

Das ist schon krass, wie man mitten in Mitte plötzlich das Gefühl bekommt, im Lichtenberger Industriegebiet Herzbergstraße zu sein. Am Schiffbauerdamm, zwischen Spree und S-Bahntrasse, ganz in der Nähe vom „Newscenter“, wo RTL, Reuters und n-tv ihre Studios haben, werden die Plattenbauten abgerissen, die den Ort freimachen für die Vollendung des „Band des Bundes“. Wie dieses nicht gerade ungigantische Architekturensemble (mit dem Kanzleramtspark im Westen beginnend) jenseits der Luisenstraße aussehen soll, hat ein städtebaulicher Ideenwettbewerb im Jahre 2009 entschieden, den Kusus + Kusus Architekten gewannen. Sie entwarfen ein markantes Oval. Nicht nur weitere Büros für die Bundestagsabgeordneten sollen entstehen, sondern auch Wohnraum und Gewerbeflächen. Skurril jedenfalls ist derzeit der Anblick eines ehemaligen Hauseinganges jener Plattenbauten, der samt Kellerfenstern für wer weiß wie lange auf der Abrissbaustelle noch zu bestaunen ist, worauf ich mit diesem Blogpost Lust machen will.

Filmkritik „Berlin East Side Gallery“ – zu lang, ohne Fokus und nicht glaubwürdig

IMGP7405IMGP7406IMGP7408IMGP7393IMGP7412Als ich vor einiger Zeit einen in Berlin spielenden historischen Hugenottenroman las und der Autor bei seinen Ausführungen zur Leidenschaft des preußischen Königs zum Tabakkollegium Friedrich I. mit dessen Sohn, dem “Soldatenkönig” verwechselte, war das Buch für mich zu Ende, denn die Geschichte war nicht mehr glaubwürdig. Letzte Woche Dienstag im Kino Babylon geschah bei der Weltpremiere von “Berlin East Side Gallery” das Gleiche auf der Leinwand: In der Einleitung werden in chronologischer Reihenfolge die Klassiker-Zitate aus der Historie des geteilten Berlins eingespielt, beginnend mit Ernst Reuter und seinem Luftbrücken-Appell an die “Völker der Welt …”, datiert auf 1961 statt 1948. Darf das in einem Film, der auf die Geschichtsträchtigkeit eines Denkmals setzt, passieren?

Ja, natürlich. Fehler werden überall gemacht. Nur dürfen die Filmemacher nicht erwarten, dass ich als Zuschauer ihnen dann noch irgendetwas glaube. Weder, dass der Grenzstreifen in Berlin vermint war, wie eine Stadtführerin in der Doku erzählt. Noch, dass alle, die gegen den Abriss der East Side Gallery protestieren, die Guten sind. Ich bin nicht einmal mehr von der Notwendigkeit überzeugt, die Gemälde von den Schmierereien zu befreien. Ein falscher Reuter hat seinen Preis.

Die Glaubwürdigkeit des Films ist also dahin für mich. Trotzdem hat er etwas geschafft, was zum 25. Jubiläum des Mauerfalls ohne Frage auch schön ist. Er feiert die Künstler, zeigt viele von ihnen in Portraits. Und er hat sie bei der Premiere zusammen auf die Bühne gebracht. Auch Dave Monty, der 1990 die Idee zu einer Mauergallerie ins Leben gerufen hatte, war mittenmang. Das war wohl historisch. Historisch korrekt. Denn das wird es wahrscheinlich nicht noch einmal so geben.

Der Film will zuviel

Über zwei Stunden Spielzeit (für einen Dokumentarfilm) zeigen dann aber doch die eigentliche Schwäche des Films. Er hat einen schwammigen Fokus. Geschichte, Kunst und Stadtentwicklung kriegten Karin Kaper und Dirk Szuszies, die an dem Film sechs Jahre arbeiteten, nicht unter einen Hut. Sie reihen sich mit ihrem Werk in die Protestdemos von 2013 ein, erklären aber nicht, wie das Politikum des “Living Levels” Luxuswohnhochhauses und das Baurecht des Investors Maik Uwe Hinkel überhaupt entstanden sind. Ich würde sagen, der Fall macht eine eigene Doku (und wäre sie wert).

Was der Film so wenig wie die Proteste in Bezug auf die Aufgabe der East Side Gallery als Geschichtsvermittler macht, ist, eine gesamtstädtische Perspektive einzunehmen. Es wird so getan, als ginge es um das letzte Grenzrelikt in Berlin und als könne die East Side Gallery die Berlinteilung (am besten) erklären. Sie kann es ja gerade nicht! 25 Jahre nach dem Fall der Mauer haben wir in Berlin eine gepflegte Arbeitsteilung unter den Mauersehenswürdigkeiten erreicht. Dokumentieren, was geschah und was die Grenze war, kann die (im Film unerwähnte) Mauergedenkstätte in der Bernauer Straße viel besser. Wenn der Film die Frage nach der Zukunftsbestimmung der East Side Gallery stellt, ohne über den Tellerrand zu schauen, erscheint mir das irgendwie ignorant.

IMGP7378Die Rolle der East Side Gallery in dieser Arbeitsteilung ist doch keine dokumentarische. Sie ist ein Kunstwerk. Die Menschen kommen wegen der Bilder, des “Bruderkusses” von Dmitri Vrubel zum Beispiel. Das erzählt der Film wiederum sehr gut und umfangreich.

Als Kunstwerk verstanden, kann ich mir die Zukunft der East Side Gallery dann auch flexibel vorstellen, losgelöst von der Straßenbegrenzungslinie der Mühlenstraße. Postiv gesehen, machte “Living Levels” das Betrachten wenigstens eines der Bilder, nämlich “Himlen over Berlin” von der Spree und vom Kreuzberger Ufer möglich. Auch die Fotogallerie „Wall on wall“ von Kai Wiedenhöfer, 2013 an die Westseite montiert, vermittelte die Kunst in eine neue Richtung.

IMGP7387Darum sollte es in Zukunft darum gehen, die Kunst zu erschließen. Die Bürgersteig-Gallerie ist entlang der parkenden Autos eher ein Spießrutenlauf als Vergnügen. Die Bilder sind groß, man muss sie aus ein paar Meter Distanz betrachten, um sie sehen und fotografieren zu können. Geht man auf die andere Straßenseite, stören wiederum die Autos.

"Himlen over Berlin", East-Side-Gallery, März 2013, © André FrankeIMGP7432Stellen wir die Bilder doch in die Grünanlage! Als Bilderhain, Bilderlabyrinth, Bilderstrecken. Lösen wir die East Side Gallery aus ihren Fundamenten, öffenen wir sie! Folgen wir “Himlen over Berlin” ins Grüne, an die Spree! Umdrehen ist noch lange kein Abreißen.

Natürlich müssten die Künstler diese Reinszenierung mitgestalten. Das ist doch der eigentliche Skandal gewesen oder? Dass sie nicht gefragt und von den Eingriffen überrascht wurden.

Und jetzt zu den Schmierereien: Ja. Man kann sie verabscheuen und man kann sie wieder abscheuern. Aber ich glaube, man wird diese Kommentarfunktion auf Dauer nicht ausschalten können. Und das macht die East Side Gallery auch zur Pinwand. Natürlich sind die Tags oberflächlich. Ich bezweifle aber, dass sie durchweg respektlos sind, denn sie sind das Feedback der Welt, international, eigentlich ein Riesen-Kompliment. Wer immer da seinen Wilhelm an die Wand setzt, steht in der Anziehungskraft der Mauerkunst und schmiert, schreibt, kritzelt, weil er oder sie nicht anders kann. Das ist die Macht der Maler, die Helden sind. So hätte ich den Film wegen seiner Portraits übrigens auch genannt: “Die Helden der Wand”.

Nachdenken über G.

difu-DialogIn ihren Abschlussworten mutmaßt Moderatorin Ricarda Pätzold, es könne daran liegen, dass der Saal so “sittsam” sei. Gepolsterte Stühle, Auslegware, geringe Deckenhöhe und: jede Menge Wissenschaftler – hier würde jeder Aufschrei versacken, jeder Protest versinken in analytischer Gemütlichkeit. Also gibt es auch keinen. Und es klingt fast, als hätte sich Pätzold beim gestrigen Difu-Dialog, bei dem es um das Reizthema Gentrifizierung ging, insgeheim mehr Stimmung gewünscht.

Die Volksfurcht vor der Gentrifizierung tritt sonst zutage bei jeder Infoveranstaltung oder Bürgerbeteiligung. Ein Bauprojekt braucht man. Aber das gibt es hier heute nicht. Im Deutschen Institut für Urbanistik (Difu) in der Zimmerstraße geht es um Gentrifizierung ganz abstrakt, um Konzepte zu ihrer Messbarkeit, losgelöst von konkreten Städten und Stadtteilen. – Alles sehr interessant. Und je mehr ich darüber nachdenke, desto ruhiger werde ich.

Diese Wissenschaftler! Die Wissenschaft schwebt über dem Phänomen. Aber sie schafft es nicht einmal, Gentrifizierung einheitlich zu definieren. Einer der beiden Referenten, Andrej Holm, beschreibt das Bild eines von blinden Stadtforschern umgebenen Elefanten. Jeder greift nach einem anderen Teil. Niemand versteht das Ganze. Und dann kommt da der Satz eines Betroffenen in Berlin, den Holm aus einem Interview zitiert:

“Früher gab´s hier schöne Menschen, jetzt gibt´s schöne Häuser”

… (in dieser Masterarbeit nachzulesen). Na bitte, kurz und schmerzlos.

Betroffen müsste man sein, dann versteht´s jeder. (Bloß nicht natürlich!) Im Kern hat die Debatte um Gentrifizierung und Verdrängung ja mit Emotionen zu tun. In “Betongold” kommt das gut rüber, dem preigekrönten Dokumentarfilm von Katrin Rothe. Sie hätte man vielleicht einladen sollen.

Wieviele von den 140 Difu-Gästen tatsächlich von G. betroffen sind? – Es erheben sich etwa zehn, als Pätzold anfangs danach fragt. Immerhin: Holm steht auch. Er zeigt im Vortrag übrigens eine Wörter-Wolke mit Gentrifizierungsvokabular, die die Präsenz in deutschen Medien abbildet: Gentrifizierung hat in den letzten Jahren im wahrsten Sinne des Wortes Schlagzeilen gemacht. Ein Grund, das auf diesem Blog nicht fortzusetzen.