Stadtdebatte: Neue Mitte ohne Hiebe?

Die Stadtdebatte Rathausforum ist ein Experiment, bei dem verhindert wird, dass die Fetzen fliegen. Dies gerade zuzulassen, wäre allerdings auch eins …

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Neptunbrunnen und Marienkirche auf dem Rathausforum 2015: Siamesische Zwillinge, die nicht getrennt werden sollten, finde ich (Foto: André Franke)

Ganz ohne Bilder und Geschichte heranzugehen, das klang am Anfang spannend. Drei Wochen nach der Auftaktveranstaltung der Stadtdebatte „Alte Mitte, neue Liebe?“ glaube ich nicht mehr daran, dass dieser Weg der Partizipation erfolgreich sein wird. Aus Zeitgründen. Bis zum 18. Mai läuft noch der Online-Dialog. Dann folgen Kolloquien, Theater und Bürgerwerkstatt. Erst Ende Juni können wir uns in einer Ausstellung über die Hintergründe und (Planungs-)Geschichte des Ortes informieren. Es sollte anders herum sein!

Stadtdebatte: Neptun ist Kirche - zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Neptun ist Kirche – zumindest farblich. Solche Stadtbilder sind doch eine Qualität. Aber man kann sie verhandeln, da es auch andere Qualitäten geben könnte (Foto: André Franke)

Statt die Debatte von der neutralen Mitte aus in Richtung der Extreme zu entwickeln, fände ich es toll, wenn wir bei den Extremen anfangen dürften und uns diskursiv auf die Mitte zu bewegten. Es gibt zuviel zu vermittelndes Wissen und zuviel Varianten, mit denen die Kontroverse zwischen Freiraum- oder Bebauungplanung ausdifferenziert und ausbalanciert werden könnte. Ein Beispiel am Stadtbild-Paar Marienkirche-Neptunbrunnen: Ich stehe auf die freistehende Marienkirche und ich will, dass der Neptun bleibt, wo er ist. Aber ich würde den Neptun an den Schlossplatz ziehen lassen, wenn mir die „Freunde der Dichte“ den freien Blick auf die Südseite der Marienkirche gewähren und dort auf Bebauung verzichten. Andersherum stimmte ich (als „Freund der Weite“) einer umfassenderen Umbauung der Kirche zu, wenn Neptun dableiben könnte und zumindest der Blick auf das „siamesische Stadtbild“ gewahrt bliebe (siehe Foto).

Stadtdebatte „Unterhaus“

Das passende Format für eine Stadtdebatte, die von außen nach innen geführt wird, hätte ich auch schon gefunden: Wir setzen uns in einen großen Saal, die „Freunde der Dichte“ (übrigens eine sehr schöne Bezeichnung der Kontrahenten von einem Kollegen von mir) auf der rechten Seite, die „Freunde der Weite“ auf der linken. Alle, die unwissend, unentschieden oder in herausragender Weise zu Kompromissen bereit sind, nehmen Platz an der Kopfseite der Sitzordnung. Und dann gibt es eine Stadtdebatte, die sich gewaschen hat – ausgehend von 100-prozentiger Information. Beide Seiten präsentieren zu Beginn ihre Idealpläne. Dann fliegen die Argumente. Alles wird dokumentiert. Die Prozedur wird wiederholt. Wieder und wieder. Bis zum Herbst. Oder Dezember. Dann sitzen viele an neuen Plätzen. Und vielleicht sogar an einem Tisch.

Affront gegen die Stadtdebatte? Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Open-Air-Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ auf dem Rathausforum, Nähe Neptunbrunnen, April 2015 (Foto: Bürgerforum Berlin e.V.)

Vor diesem Hintergrund ist der Vorstoß des Bürgerforums Berlin mit der Ausstellung „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ am Neptunbrunnen mindestens äußerst hilfreich. Frank aus Reinickendorf schaute ziemlich perplex drein, als ich ihm auf der Zukunft-Berlin-Tour letzten Sonnabend sagen musste, dass es eine informierende Ausstellung mit Bildern und Plänen zur Geschichte des Rathausforums im Rahmen der offiziellen Stadtdebatte Rathausforum nicht gibt. Die vielzitierte „Ergebnisoffenheit“ hat also ihre Tücken.

Und so geht´s weiter… (Die Termine sind auch im Futurberlin-Eventkalender zu finden):

  • bis 18. Mai: Online-Dialog auf stadtdebatte.berlin.de
  • 15. Juni: Erstes Fachkolloquium
  • 22. Juni: Zweites Fachkolloquium
  • 26. Juni: Partizipatives Theater
  • 27. Juni: Bürgerwerkstatt
  • anschl. bis 10. September: Ausstellung
  • Sommer: Erkundungstouren
  • 5. September: Halbzeitforum
  • anschl. bis Dezember: Zweite Dialogphase (mit ähnlichen Formaten)

Mehr zum Rathausforum: Text „Der Turm kippt zur Spree – städtebauliche Qualitäten im Schatten des Fernsehturms“ (2009)

Garden Living: bissig am Domkirchhof

Garden Living: Übersichtskarte zwischen Chausseestraße (links), Tankstelle (oben) und Friedhof (rechts). Grüner Dschungel, ohne Raubtiere (Quelle: Garden Living, Peakside Capital)

Garden Living: Übersichtskarte zwischen Chausseestraße (links), Tankstelle (oben) und Friedhof (rechts). Grüner Dschungel, ohne Raubtiere (Quelle: Garden Living, Peakside Capital)

Nahe bei den Toten wohnt bald Garden Living. Ist ja nicht schlimm, auch Brecht schaute aus dem Fenster und sah Gräber …

Ich weiß noch ganz genau, wie ich mit dem Fahrrad über die Brache fuhr und von rechts ein kniehoher Kampfhund angerannt kam, um mich zu beißen. Wenigstens zu verjagen. Ich hatte mich von der Chausseestraße hier her gewagt, angezogen von einem Rest Berliner Mauer und jetzt blieb mir nichts anderes übrig als immer weiter geradeaus zu fahren. Ich hoffte, an der Friedhofsmauer würde ein Weg raus zur Liesenstraße führen. Nur als ich da ankam, war da keiner, und so zog ich einen weiten Bogen auf der Brache und kehrte in die Gegenrichtung zurück. Der Hund biss nicht. Aber im Abstand von etwa einem Meter eskortierte er mich zur Chausseestraße zurück. Sein Frauchen rief ihn die ganze Zeit über vergeblich. Die Brache war sein Revier. Zwei Jahre muss das ungefähr her sein.

Altes Kuppelkreuz von Berliner Dom auf Domkirchhof Liesenstraße (Foto: André Franke)

Altes Kuppelkreuz von Berliner Dom auf Domkirchhof Liesenstraße (Foto: André Franke)

Jetzt wurde hier Richtfest gefeiert. Das Projekt Garden Living entsteht hier, nach Entwürfen des Architekten Eike Becker. 16 Stadthäuser mit 161 Miet- und 200 Eigentumswohnungen werden zwischen der Total-Tankstelle und dem Domkirchhof gebaut, ein Areal von insgesamt 12.000 Quadratmetern. Spannend daran: der verzweigte, begrünte Blockinnenbereich, der chaotisch bis zufällig wirkt, sich öffnend zur Friedhofsmauer, über die hinweg manche der zukünftigen Garden-Bewohner auf das alte Kuppelkreuz des Berliner Doms herabsehen werden können, das dort auf dem Rasen steht. Ende des Jahres wird der erste Bauabschnitt fertig. Und 2016 die ganze Wohnanlage.

 

 

 

The Garden Living im Video hier

Locafox macht die Stadt zum Warenlager

Start-Up Locafox: Online suchen, im Geschäft kaufen (Abb. Locafox-website)

Start-Up Locafox: Online suchen, im Geschäft kaufen (Abb. Locafox-website)

Meine mentale Verbindung zum Saturn am Alex reicht, wie ich erstaunt feststelle, bis zur Hofjägerallee im Tiergarten. Dort nämlich entschied ich mich letzte Woche zum Kauf einer kleinen Kamera, die ich sicher auch in der City West, am Potsdamer Platz oder der Mall of Berlin hätte ergattern können. Ich fuhr aber zum Alex, weil mir die Einkaufswelt dort vertrauter ist.

In Kreuzberg hat sich vor knapp zwei Jahren ein Start-Up gegründet, das Menschen wie mir in Situationen wie dieser behiflich sein will. „Locafox“ betrachtet die Stadt mit samt ihren Einkaufswelten als riesiges Warenlager und verschafft Konsumenten online den direkten Zugang zu den gesuchten Produkten. Der Kunde sucht, zum Beispiel wie ich, eine Kamera, gibt seinen Standort ein und findet sie in seiner unmittelbaren Umgebung, vielleicht nur 200 Meter entfernt in einem lokalen Fachgeschäft.

„Locafox“ ist kein Internethandel, sondern zielt darauf ab, den unter der wachsenden Konkurrenz des E-Commerce (wie Zalando) leidenden stationären Einzelhandel in Berlin zu stärken. Das Unternehmen, das sich momentan in der Testphase befindet, hat somit edle Absichten. Denn ein florierender Einzelhandel heißt für die Stadt belebte (Geschäfts-)straßen und boomende Malls, auch wenn sich die kleinteiligen Läden und die großen Einkaufszentren teilweise als Konkurrenten gegenüber stehen.

Die Stadt als Warenlager transparent zu machen, ist allerdings eine gigantische Herausforderung, der sich wohl auch die Locafox-Gründer anfangs nicht bewusst waren. Als deutschlandweites Projekt gedacht, konzentrieren sie sich vorerst nur auf Berlin, wo Locafox mit etwa 250 Händlern Verträge geschlossen hat. Diese Händlerdichte macht es möglich, dass hier nach bis zu 500.000 Produkten gesucht werden kann, vorzugsweise im Bereich Elektronik. Auch hier hat sich das Start-Up erstmal spezialisiert.

Wer dagegen bestimmte Bücher sucht, kommt hier noch nicht auf seine Kosten, weil viele Händler, insbesondere kleine Buchhändler über kein Warenwirtschaftssystem verfügen. „Sie wissen nicht, was sie führen“, sagt Thilo Grösch von Locafox. Das zeigt, dass es sich bei dem Projekt im Grunde um den Versuch handelt, die hochdynamischen Warenkreisläufe in einer (Groß-)Stadt übers Internet zu erfassen und zu 100 Prozent zu digitalisieren. Markenunabhängig suchen, ohne Mental-Map.

Am Ende stünde der gezielte Einkauf – in der realen Welt. Ohne Umherschweifen, ohne Bummeln, ohne Zeitverlust. Abkürzen wie bei IKEA. Das käme wahrscheinlich Männern entgegen. Für Shopping-LiebhaberInnen, die ja gerade im permanenten Suchvorgang die Erfüllung finden, würde Locafox aber vielleicht auch das Ende eines Freizeitvergnügens bedeuten, so sie denn die neue Plattform auch nutzen.

Hier der Link zur website Locafox: www.locafox.de/berlin/

Auf einen Gang durch die Fischerinsel-Gassen

Blick auf die Fischerinsel von der Inselbrücke (Foto: André Franke, März 2015)

Blick auf die Fischerinsel von der Inselbrücke (Foto: André Franke, März 2015)

Das Wissen über die tiefere Historie Berlins liegt nicht grade an jeder Ecke, auch wenn jetzt direkt am Neptunbrunnen eine Open-Air-Ausstellung darüber informiert. Selbst sie, mit ihren elf Säulen, über die ich noch berichten werde, ist im Vergleich zu dem, was heute Abend beim 33. Lichtbilderabend von Benedikt Goebel geboten wird, relativ oberflächlich. Denn bei den Lichtbilderabenden geht es um einen konkreten Ort, der mit Hilfe von hunderten von historischen Abbildungen wieder zum Leben erweckt wird. Heute im Fokus: die Fischerbrücke und der Inselspeicher. Wer wissen will, wo das war, der gehe an den folgenden (noch existenten) Ort:

Landesgeschichtliche Vereinigung für die Mark Brandenburg im Marstall am Schloßplatz, Schloßplatz 7, 10178 Berlin

Zeit: 18:30 – 20:30 Uhr

(Anschließend gibt es auch noch einen kleinen Spaziergang durch die Gassen des Fischerkiezes.)

Dialog Extrem #2: Auf Tuchfühlung mit der Wohnungsbauleitstelle

Karte gezogen: Experte André Moschke, Tisch 26, Runde 4, Kosten: 1 Euro (unmittelbares Resultat: "Gebetsmühle Wohnungsbau")

Karte gezogen: Experte André Moschke, Tisch 26, Runde 4, Kosten: 1 Euro (unmittelbares Resultat: „Gebetsmühle Wohnungsbau“)

Senator Geisel betet die Zahlen runter. Staatssekretär Lütke-Daldrup betet sie runter. Und André Moschke von der Wohnungsbauleitstelle hat es auf dem DIALOG EXTREM neulich auch getan. Aber ich hatte ihn auch direkt danach gefragt: Wie ernst können wir die mittlerweile in aller Munde geführte Bevölkerungsprognose nehmen? Dass eben von 2011 bis 2030 eine Viertel Million Menschen mehr in Berlin leben werden. Ist das Ganze nicht irgendwie auch eine Illusion? Und André Moschke antwortete, etwas lächelnd:

„Da haben Sie recht. Die Prognose entspricht tatsächlich nicht der realen Entwicklung. Allerdings müssen wir sie deutlich nach oben korrigieren.“

Von 2011 bis heute sei Berlin insgesamt um mehr als 170.000 Einwohner gewachsen. „Um eine Stadt wie Potsdam“, betont Moschke beim Special-Tisch-Gespräch letzten Mittwoch. Und so hab ich es zuvor auch schon den Staatssekretär sagen hören. Das bedeutet, dass nach Ablauf von etwa 20 Prozent des Prognosezeitraums schon fast 70 Prozent der Neuberliner eingetroffen sind. Angesichts dieser Lage macht das Runterbeten Sinn. Ich fragte Moschke auch, ob die 700 Wohnungen im Mauerpark denn so wichtig seien. Er sagte: „Ja“. Heute Nachmittag kann man ihm diese Frage noch einmal stellen. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung lädt wieder ein zu ihrer Veranstaltung „Transparente Verwaltung“, diesmal mit Besuch in der Wohnungsbauleitstelle. 

Ort: Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt, Erdgeschoss, Ausstellungsraum Württembergische Straße 6, 10707 Berlin (Verkehrsverbindungen: U Fehrbelliner Platz, Bus Linien 101, 104, 115)

Zeit: 15:30 Uhr

Der Ruf des Rathausforums

"Grenzsteine" des Rathausforums: die Marienkirche (links), die Rathauspassagen (hinten). Vermittelndes Grün, das es heute schon nicht mehr gibt. (Foto: André Franke, Sommer 2014)

„Grenzsteine“ des Rathausforums: die Marienkirche (links), die Rathauspassagen (hinten). Vermittelndes Grün, das es heute schon nicht mehr gibt. (Foto: André Franke, Sommer 2014)

Ist das nicht ein passables Stadtbild? Marienkirche, Rathauspassagen, Grün. In beiden Gebäuden finde ich den gleichen Farbton. Die Feldsteine der Kirche erreichen aus dieser Sicht die Größe der Fenster der entfernten Passagen. Die Bäume vermitteln zwischen altem und jungem Gebäudestein. Ich finde diese Momentaufnahme schön! Aber es ist eben ein Bild, das einen Rahmen hat. Geht man ein paar Schritte weiter oder zoomt sich raus, sieht es schon wieder ganz anders aus, und überwältigt von den riesigen Dimensionen verliert man den Blick fürs Detail. Oder man verliert ihn, weil es auf dem Rathausforum mittlerweile drunter und drüber geht. Die Kirche verschwand hinterm Bauzaun, die Bäume gleich komplett. Und die Rathauspassagen sind seit Jonny K. für viele ein Angst-Raum. Das wurde auch am Sonnabend bei der Auftaktveranstaltung der Bürgerbeteiligung gesagt. Spätestens bei diesem Thema wird einem klar, dass es bei der Gestaltung des Rathausforums nicht nur um Ästhetik geht, sondern auch um einen Ruf.

Mehr zum Rathausforum: Text „Der Turm kippt zur Spree – städtebauliche Qualitäten im Schatten des Fernsehturms“ (2009)

Dialog Extrem #1: „Mein Nachbar, der Tourist“

Karte gezogen: Experte Nils Grube, Tisch 19 in Runde 3, Kosten: 1 Euro (unmittelbares Resultat: Event "Filmscreening" beim Think & Drink-Kolloquium), Danke.

Karte gezogen: Experte Nils Grube, Tisch 19 in Runde 3, Kosten: 1 Euro (unmittelbares Resultat: Event „Filmscreening“ beim Think & Drink-Kolloquium), Danke.

Der Dialog, das persönliche Gespräch zwischen zwei Menschen ist die effektivste Form der Kommunikation, wenn es um den Effekt des gegenseitigen, gezielten Austauschs geht und man nicht viel Zeit hat. 25 Minuten waren das beim DIALOG EXTREM am Mittwoch Abend pro Runde. Danach konnte man sich den nächsten Experten „buchen“ – für einen Euro. Ich sprach zum Beispiel mit Geograf Nils Grube, der zum Thema Touristifizierung forscht. Sein Dialog-Teaser „Mein Nachbar, der Tourist“ versprach einen Ausflug in die Grenzbereiche des konventionellen Berlin-Tourismus. Nicht die vielerorts beklagte Touristenschwemme beschäftigt ihn, sondern das Berliner Leben infiltrierende Touristentypen, wie die Arbeits- und Projekttouristen, die sich ein paar Monate in der Stadt aufhalten und einen richtigen Alltag leben. Umgekehrt ertappt er aber auch die Berliner, wie sie gelegentlich zu Touristen werden: Wenn der Besuch aus der Heimat kommt und sich vom Großstadt-Gastgeber ein bisschen rumführen lässt. Selbst das Grillen-Gehen in die Parks als berlinerisches Freizeitverhalten fällt bei Grube in eine Tourismus-nahe Kategorie. Mehr zu diesem Thema, bei dem man wirklich mal genauer hingucken muss, gibt es heute Abend beim „Think & Drink-Kolloquium“ am Georg-Simmel-Zentrum der Humboldt-Uni. Dort gibt es ein Filmscreening zu „Welcome, Goodbye“, einer Touri-Doku von Regisseurin Nana Rebhan, die selbst mit dabei sein wird. Hier geht´s zum Filmtrailer auf youtube.

Ort: Institut für Sozialwissenschaften Humboldt-Uni, Raum 002, Universitätsstraße 3b, Berlin-Mitte

Zeit: 18:00 Uhr

Schlossverkauf: Große Erzähler braucht das Land

"Extrablatt" des Fördervereins Berliner Schloss e.V. - Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

„Extrablatt“ des Fördervereins Berliner Schloss e.V. – Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

Wilhelm von Boddien ist ein bestechender Rhetoriker. Alle gesammelte Erfahrung gipfelt in Anekdoten. Dabei besitzt er die Gelassenheit eines Mannes, der es geschafft hat. Immerhin hat er nicht nur den Bundestag vom Schlossbau überzeugt, sondern ist auch Vater und Großvater von 5 Kindern und 13 Enkelkindern, wie er letzten Montag bei dem Vortrag zu den Schlossfassaden sagte. Seine Erzählkunst verbindet sich aber automatisch mit dem Marketingexperten, der er gleichermaßen ist. Das „Extrablatt“, das er als Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss herausgibt, koste ihn pro Heft 30 Cent, sagt er. Mit Versandkosten etwa 2,50 Euro. Aber jedes einzelne bringe immerhin bis zu 17.000 Euro in die Spendenkasse. Deshalb sei ihm das Heft sehr wichtig. Und am wichtigsten die letzte Seite, die mit dem Ausfüllformular: „Bitte ankreuzen und abschicken!“. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern fast schon beneidenswert. Seine Leidenschaft hat einen klaren Zweck (die Spende). So ist auch das Humboldtforum für ihn ein Mittel zum Zweck (die Schlossgeschichte). Mit den Geschichten, die das Humboldtforum zu erzählen vermag, so beschreibt es Boddien metaphorisch, müsse der Geist der unkultivierten, ungebildeten Jugendlichen unseres Landes geöffnet werden, wie man die Schnäbel von Gänsen öffnet, bevor man sie stopft. Dann käme es darauf an, in die freudige, erwartungsvolle Offenheit (das sind meine eigenen Worte) das nachzuschieben, was ab 2019 dann die Kunstsprache der rekonstruierten Fassadenwelt kommuniziert. Das ist hohe Erzählkunst, die bei der Seidenstraße beginnen mag und in Berlin am Schlosse endiget. Tja, und genau das hat Wilhelm von Boddien am Montag vorgemacht.

Stadtgebete statt Stadtdebatte geht auch

House of One nach dem Entwurf der Architekten KuehnMalvezzi am heutigen Petriplatz in Mitte mit Blick aus der Gertraudenstraße (© KuehnMalvezzi)

House of One nach dem Entwurf der Architekten KuehnMalvezzi am heutigen Petriplatz in Mitte mit Blick aus der Gertraudenstraße (© KuehnMalvezzi)

Ebenfalls ein Projekt auf dem Territorium der Berliner Altstadt, über das heute geredet wird, ist das „House of One“. Vor Beginn der Spendenkampagne für das interreligiöse Gotteshaus im Juni 2014 war es bekannt unter dem Namen „Bet- und Lehrhaus am Petriplatz“. Das Haus steht noch nicht. Es soll Kirche, Synagoge und Moschee in Einem sein – und überhaupt für jeden zugänglich. 154.190 Euro sind bis jetzt gesammelt worden. Gebraucht werden insgesamt 43,5 Millionen. Kommen die zusammen und steht „die gebaute Ringparabel“, gibt es jährlich am 14. April Lessings „Nathan der Weise“ hier als Theaterstück zu sehen. An dem Tag fand 1783 in Berlin dessen Uraufführung statt. Könnte das nicht ein Motiv für die Spende sein? – Der Journalist und Theaterkritiker Dirk Pilz stellt das Projekt heute um 15:00 Uhr in der C.G. Jung-Gesellschaft Berlin, Klosterstraße 66 (U2-Bhf. Klosterstraße) vor.


Mehr Infos zum Event unter: www.jungberlin.de

Zum „House of One“ hab ich unter dem Titel „Die drei Ringe vom Petriplatz“ auch einen Artikel für das Magazin Stadtaspekte geschrieben (siehe hier)

Open-Air-Ausstellung „Mitte!“ am Neptunbrunnen

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte« Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Harald Bodenschatz/Christina Kautz: Themenkarte »Verlorene Mitte«
Eine verblüffend hohe Zahl von verlorenen Gebäuden der Mitte Berlins wurde in verschiedenen früheren Listen und Publikationen als baugeschichtlich oder historisch wertvoll bezeichnet. Diese historischen Listen wurden von Lutz Mauersberger erstmals zusammengestellt und von Christina Kautz von der Planungsgruppe Stadtkern im Bürgerforum Berlin e. V. kartiert (Quelle: Bürgerforum Berlin e.V.)

Zeitgleich mit der heute stattfindenden Auftaktveranstaltung zur Bürgerbeteiligung am Rathausforum startet das Bürgerforum Berlin e.V. unter dem Titel „Mitte! 150 Jahre Transformation des Berliner Stadtkerns 1865-2015“ eine Open-Air-Ausstellung am Neptunbrunnen. Sie soll als Säulenausstellung bis 31. August Tag und Nacht zu besichtigen sein. Das Bürgerforum informiert dabei über die wichtigsten Fakten und Bilder zur Geschichte der Berliner Mitte. Der Verlust der Bauten durch die moderne Stadtentwicklung ist in dessen Flyer beziffert:

„Von den um 1865 vorhandenen zirka 1.500 Bauten des Stadtkerns sind nur noch 85 erhalten: Aus dem Mittelalter stammen nur vier Kirchen, kein einziges Bürgerhaus – ein solcher Verlust ist auch im europäischen Maßstab einzigartig.“

Mehr über die Ausstellung, das Bürgerforum und dessen Ziele – hier im Flyer

Rathausforum? – Jetzt auch in der Kita

Rathausforum 1987: offen, grün, rechts mit Marx-Engels-Forum, Spree und Palast der Republik ("Erst mal kucken in Berlin": Kinderbuchverlag Berlin, 1987)

Rathausforum 1987: offen, grün, rechts mit Marx-Engels-Forum, Spree und Palast der Republik („Erst mal kucken in Berlin“: Kinderbuchverlag Berlin, 1987)

Nicht, dass ich danach gestöbert hätte. Das Buch stand einfach da, neben der Holztreppe in der Garderobe der Kita meiner Tochter. Ein Kinderbuch, dessen Inhalt mittlerweile ein wenig überkommen ist. „Erst mal kucken in Berlin“, heißt es. Und schlage ich es in der Mitte auf, entfaltet sich die Mitte Berlins, die Mitte der Hauptstadt der DDR, vom Fernsehturm bis zur Spree. 1987 vom Kinderbuchverlag gedruckt, zeigt es genau das Terrain des „Rathausforums“, über das wir heute diskutieren wollen: auf der Auftaktveranstaltung zur Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ Und das ist das Programm:

Programm Auftaktveranstaltung Stadtdebatte am 18. April 2015 im bcc (Bildnachweis: Icons/ Zeichnungen © Anna-Lena Schiller)

Programm Auftaktveranstaltung Stadtdebatte am 18. April 2015 im bcc (Bildnachweis: Icons/ Zeichnungen © Anna-Lena Schiller)

Ab 13:00 Uhr geht´s los im „bcc Berlin Congress Center“, Alexanderstraße 11, 10178 Berlin (S+U-Bhf Alexanderplatz)

website der Stadtdebatte mit Online-Beteiligung, Newsletter und Anmeldung

Architekten-Hochschultag am DAZ und Studienbilanz A.F.

Studienbilanz André Franke: So wurde ich Stadtplaner. Weiße Felder = Arbeit am Reflexionsvermögen (Foto: André Franke)

Studienbilanz André Franke: So wurde ich Stadtplaner. Weiße Felder = Arbeit am Reflexionsvermögen (Foto: André Franke)

Das „Schillert“ wieder ein bisschen: Zu welchem Ende studiert man denn bitteschön Architektur? Kommt aus der Uni ein Generalist heraus oder ein Fachmann, Spezialist? – Um diese Frage geht es heute auf dem 2. Hochschultag im Deutschen Architektur Zentrum (DAZ). Und es ist eine Frage, mit der ich mich auch selber immer wieder beschäftige, obwohl ich kein Architekt bin. Als Stadtführer oder Journalist steht man vor ähnlichen Wegegabelungen. Und als Freiberufler überhaupt vor noch viel grundlegenderen Gesetzen. Interessant sind dahingehend die Thesen, die die Architekten beim letzten, beim 1. Hochschultag erarbeitet haben – damals allgemein zum Thema der Ausbildung von Architekten: Ein integraler Generalismus und komplexes Denken seien zu fördern, steht da. Und meine Lieblingsthese (These III): Verlangsamung und Intensivierung des Studiums. Daraus ein paar Worte:

„Das Studium der Architektur muss Neugierde erzeugen. Studieninhalte und Lehrende sollen Studierende ermuntern, sicher geglaubte Wege zu verlassen und zum experimentellen Suchen nach Räumen, Formen und Situationen einladen. Notwendige Voraussetzung für ein anregendes und freies Studium sind curricular festgelegte Freiräume und ein Lehrverständnis, das experimentelle Lehrformen einschließt. Schon im Studium soll eine Balance zwischen Freiheit und Selbstdisziplin, zwischen Kreativität und Bindung eingeübt werden, damit Architekten in ihrem Berufsleben die sich dynamisch wandelnde Realität mit einem breiten Fundus an Wissen und einem kritischen Denkvermögen immer wieder neu erforschen können.“ (BDA, Bund Deutscher Architekten)

Da war ich doch sehr an mein eigenes Studium erinnert. Siebeneinhalb Jahre hab ich fürs Diplom gebraucht. Als ich mich irgendwann einmal selber fragte: Was habe ich eigentlich gemacht? Kam (abgesehen von Lebensthemen) folgende Bilanz heraus (siehe Foto): 3 Praktika, 4 Projekte, 7 Klausuren, 7 städtebauliche Entwürfe, 10 Referate, 10 Prüfungen und 16 Hausarbeiten, inklusive der Diplomarbeit. Studiumsverzögernd (rote Farbe) war vor allem, dass ich mich nach dem Vordiplom erstmal zurücklehnte und mit dem Jahresprojekt aussetzte, fürs ZDF bis nach Südtirol fuhr und für die tiwi-Show Zelte aufbaute. Freiräume …

Heute also ab 11:00 Uhr im DAZ, Köpenicker Straße 48/49: Spezialist vs. Generalist? Was macht den guten Architekten aus? (Eventende ca. 18:00 Uhr)

Alle Thesen vom 1. Hochschultag hier

Buchpräsentation: Architektur des Expressionismus in Berlin

Abspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung am Nordhafen in Mitte (aus "Fragments of Metropolis Berlin" abfotografiert)

Abspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung am Nordhafen in Mitte (aus „Fragments of Metropolis Berlin“ abfotografiert)

Der architektonische Expressionismus ist nicht unbedingt der Architekturstil, der sofort ins Auge sticht. Expressionistisch heißt ja nicht zwangsläufig aufsehenerregend oder spektakulär. Das Buch „Fragments of Metropolis Berlin“ hat mir  jetzt die entsprechende Brille aufgesetzt, sodass ich das Vergnügen hatte, bei einer ganz normalen Mauer-Tour insgesamt 4 Beispiele dieser Epoche „einsammeln“ zu dürfen, zu registrieren: Vom Trafo-Häuschen am Arnimplatz, über die katholische Kirche St. Augustinus in der Dänenstraße sowie das Aspannwerk Scharnhorst an der Pankemündung in den Nordhafen, bis hin zum Fernmeldeamt in der Tucholskystraße in Mitte. Über 130 Gebäude sind im Buch fotografisch dokumentiert und im Stadtplan verortet. Es gehört auch die ehemalige AOK-Zentrale am Köllnischen Park dazu, die zum Projekt „Metropolpark“ gerade umgebaut wird. Genau dort, im Showroom in der Rungestraße 3-5, 10179 Berlin-Mitte, wird das Buch, für das Hans Kollhoff immerhin das Vorwort geschrieben hat, von Niels Lehmann und Christoph Rauhut heute Abend ab 19:00 Uhr präsentiert.

Über die besitzbare Stadt und ihre Besingbarkeit

Aus dem Song von Toni Kater: "Es ist wie ein Museum, es sieht nur noch gut aus. Und darum ziehen wir weiter und machen die nächste Stadt zu Eigentum."

Aus dem Song von Toni Kater: „Es ist wie ein Museum, es sieht nur noch gut aus. Und darum ziehen wir weiter und machen die nächste Stadt zu Eigentum.“

Am Späti in der Danziger Straße hab ich neulich jemand über Wohneigentümer sagen hören:

„Sie denken, sie kaufen sich eine Wohnung und die Szene dazu. Aber das können sie nicht.“

Das ist tatsächlich etwas – Szene – das man nicht besitzen kann. Man kann höchstens Teil von ihr sein und sich in ihr bewegen, sie mehr oder weniger mitgestalten. Szene entzieht sich Eigentum. (Vielleicht ist die Clubszene genau deshalb aus Prenzlauer Berg abgewandert. Übrigens weiß ich nicht, von welcher Szene der Mann eigentlich redete. Für mich gibt es in diesem Bezirk nur noch eine Szene: die Gastronomieszene.) Wie dem auch sei, die Musikerin Toni Kater hat einen Song aus dem Thema gemacht. In „Eigentum“ besingt sie New York als tote Stadt. Paris als Museum, das nur noch gut aussieht, und in Berlin gehen alle Türen zu. Im Video spaziert die Sängerin durch die Ella-Kay-Straße im Thälmannpark. Hier ist das Bauvorhaben „ELLA“ mittlerweile fast fertiggestellt, beim Dreh ist es noch eine Baustelle. 77 Eigentumswohnungen sind hier entstanden. In eine davon zieht im September eine entfernte Bekannte von mir ein, wie ich neulich erfuhrt. Aber Toni Kater trifft auch auf Kommunist Thälmann. Der Refrain des Songs ändert sich infolge dieser recht süffigen Symbolik in „Volkseigentum“ dennoch nicht. Soviel zum Video. Nun zum Event: Ausgerechnet heute, es ist der 16. April, der Thälmanns Geburtstag war, findet auf dem Messegelände ICC unter dem Titel „Zukunft Stadt@Grünbau Berlin“ ein Vortragsforum zu Stadtentwicklung statt. Bei einem der Vorträge geht es um den öffentlichen Raum als multifunktionalen Raum und in dem Zusammenhang um „Die besitzbare und bespielbare Stadt“.

Die Veranstaltung ist kostenlos. 

Toni Katers Song „Eigentum“ auf youtube … http://youtu.be/jmjmwMFAACg

Website der Musikerin: http://www.toni-kater.de

Großer Schritt für die Menschheit: Wohnen und Wohnen lassen

Städtebauliche Verdichtung: Eigentumswohnungsbau in der Ella-Kay-Straße trifft auf Plattenbauten im Thälmannpark (Foto: André Franke)

Städtebauliche Verdichtung: Eigentumswohnungsbau in der Ella-Kay-Straße trifft auf Plattenbauten im Thälmannpark (Foto: André Franke)

Die Auflehnung von Anwohnern gegen Wohnungsneubau vor der eigenen Haustür ist längst in Serie gegangen: am Tempelhofer Feld, an den Buckower Feldern, im Thälmannpark, am Mauerpark. Oder jetzt: an der Michelangelostraße im Norden von Prenzlauer Berg. Seit Sonnabend gibt es sogar den ersten Berliner Mietenvolksentscheid, für den bis Ende Mai 20.000 Unterschriften gesammelt werden. Städtebauliche Verdichtung und der organisierte Protest dagegen, sind in Berlin ein Metathema geworden. Und der Senat wird entschlossener, den Wohnungsneubau im Zweifel auch zu forcieren, zum Beispiel B-Pläne der Bezirke an sich zu ziehen (Buckower Felder, Mauerpark). Es sieht danach aus, als verhärten sich hier die Fronten. Insofern will ich mit diesem Eventtip den Austausch fördern: Heute Abend um 18:00 Uhr findet im Tempodrom unter dem Titel „Welchen Wohnungsneubau braucht Berlin?“ ein Stadtforum der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung statt. Dort sollen auch Aktionsbündnisse und Initiativen zu Wort kommen, wie in der Einladung steht. Begegnet Euch!

Mitgehört … Ein Argument, dass mindestens schwierig ist, für viele aber als provinziell gilt: Als Pankows Baustadtrat Jens-Holger Kirchner neulich in der Gethsemanekirche unter Hochdruck den Anwohnern der Michelangelostraße erklärte, man müsse im Bezirk wegen des massenhaften Zuzugs pro Jahr eine neue Schule bauen, rief eine Frau: „Aber doch nicht bei uns!“

Veranstaltungsort des Stadtforums: Tempodrom, Kleine Arena, Möckernstraße 10, 10963 Berlin

Das Speed-Dating der Berliner Stadtentwicklung

© Dorothea Wimmer - Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen

© Dorothea Wimmer – Schwarzmarkt für nützliches Wissen und Nicht-Wissen

Na das ist doch mal was ganz Neues! 40 Experten aus der Stadtentwicklung Berlins stellen sich am Mittwoch ab 18:00 Uhr für 25-minütige Gespräche zur Verfügung – Face-to-Face. Es warten auf uns: Ralf Schönball vom Tagesspiegel; Katrin Rothe, die Filmemacherin; Kathrin Lompscher, Stadtentwicklungssprecherin im Abgeordnetenhaus (Die Linke) und eben 37 weitere. Ein Gespräch kostet 1 Euro. Man kann aber auch „nur“ zuhören. Dabei hat man die Möglichkeit, über Kopfhörer sich in die Gespräche einzuklinken und mitzuhören. Das muss man echt mal ausprobieren! Der Event heißt „DIALOG EXTREM“ und erinnert mich ein bisschen an Speed-Dating. Ort der Veranstaltung: Lichthof der TU Berlin, Straße des 17. Juni 135. Der Eintritt ist frei. Veranstalter ist openberlin e.V.

Steinwüste Schlossplatz: Kein Grashalm, nirgends

Schlossplatz, März 2015: Passanten passieren die zukünftige Schlosspassage ohne sie wahrzunehmen. Muss ja auch noch nicht sein. (Foto: André Franke)

Schlossplatz, März 2015: Passanten passieren die zukünftige Schlosspassage ohne sie wahrzunehmen. Muss ja auch noch nicht sein. (Foto: André Franke)

Noch gehen sie vorbei, überqueren die Breite Straße und würdigen Schlossplatz und Schlossportal mit keinerlei Blicken. Was, wenn der verschleppte Schlossbrunnen dort wieder stünde, der Neptunbrunnen? Die Diskussion um seine Rückkehr ist ein zentraler Aspekt bei der Freiraumgestaltung rund ums Schloss. Ein weiterer ist die irrwitzige Verkehrsführung: Weder Radfahrer fahren die rechtwinklige Kurve auf vorgeschriebener Bahn, noch die Busse und Pkw (weil sie gar nicht können). Überhaupt fehlt und wird fehlen: Grün. Der Entwurf von bbz Landschaftsarchitekten, die 2013 den Wettbewerb für das Schlossumfeld gewannen, gönnt dem Schlossplatz vor den Portalen I und II keinen einzigen Baum. Ja, nicht einmal einen Grashalm. Am Mittwoch Abend (nicht Dienstag!) geht es beim 11. Forum der Schlossstiftung um das Thema „Städtebau, Platzgestaltung und Erschließung. Podiumsgäste: Senatsbaudirektorin Regula Lüscher, Publizistin Leah Rosh und BVG-Projektleiter der U5 Jörg Seegers (ab 18.30 Uhr in der Hochschule für Musik Hanns Eisler Berlin, Schloßplatz 7, 10178 Berlin).

Boddien erklärt die Barockfassaden

Schlossbauhütte: Gipsmodell des Innenportals II von Barockbildhauer Frank Kösler, März 2015 (Foto: André Franke)

Schlossbauhütte: Gipsmodell des Innenportals II von Barockbildhauer Frank Kösler, März 2015 (Foto: André Franke)

Es ist soweit. Mit den Barockfassaden bin ich übern Berg. Als letztens die Berliner Zeitung ihren Aprilscherz über sie machte, blieb mein Zwerchfell weitestgehend unbewegt. Das mag daran liegen, dass ich mittlerweile schon zum zweiten Mal in der Schlossbauhütte war und zuviel gesehen habe. Zuviel Arbeit, zuviel Kunst. Und zuviel Bildhauerleidenschaft. Wenn Frank Kösler zu mir sagt: „Ich lebe und sterbe für diese Aufgabe“, dann glaub ich ihm das. Er hat die Portalkrönung des Innenportals II modelliert (siehe Bild oben), eine Teilrekonstruktion. Die dunklen „Genien“ rechts und links sind hier nur Platzhalter aus Plastik. Die noch vorhandenen Originale werden später in das Sandsteinportal eingesetzt. Heute hält Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V., einen Vortrag über die Schlossfassaden (19 Uhr in der ZLB, Säulensaal im Alten Marstall, Breite Straße 30-36). 

Ende April erscheint auch ein Artikel von mir in der neuen Ausgabe von „Berlin vis à vis“ zum Fassadenprojekt 

Willkommen, großes Haus!

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: "Unser König" - Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: „Unser König“ – Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Neulich stand ich vorm Schloss und fotografierte. Da sprach eine Frau mich an: „Und was halten Sie vom Schloss?“ Ein Gespräch begann, und die Sonne schien, und schwupps-die-wupps kam die munter erzählende Charlottenburgerin auf König Friedrich. Den „Großen“. Nicht vom Humboldtforum redete sie, nicht vom Palast, nicht von den Barockfassaden. „Unser König“ schwebte ihr im Geist, der im Schloss geboren wurde. Und vom gleichnamigen Buch fing sie an zu schwärmen, das zum 300. Geburtstag Friedrichs als Biografie von Jens Bisky herauskam. Das war vor drei Jahren. Damals konnte ich mich für keine der vielen Veröffentlichungen entscheiden. Jetzt empfahl sie mir eine bestimmte davon persönlich, soufflierend, herzlich werbend. Und es dauerte. Was hatte Bisky mit dieser Frau gemacht? Für derartige Winke mit dem Zaunpfahl bin ich empfänglich. Ich habe das Buch noch am gleichen Tag gekauft und lese auf Seite 248, wie die Königin während des Krieges aus dem Schlosse flieht, weil die österreichischen Husaren Berlin erobern. Eine Woche lang wohnt sie unköniglich in der Festung Spandau:

„Vier Verbrecher, Eisen an den Füßen und eine kleine Lampe in der Hand, führen Ihre Majestät und die Prinzessinnen in die Wohnung, die aus fünf Räumen besteht, in denen die Fenster zerbrochen sind, keine Tür schließt, keine Stuhl zu erblicken ist.“ (aus dem Tagebuch des Kammerherrn von Lehndorff in „Unser König“, siehe unten)

Wie dem auch sei, wenn das die Kraft des neuen Schlosses ist, dass es die „großen“ Themen in uns weckt, dann ist es mir heute schon ein Stück weit willkommener als es das gestern war.

Buch: Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit – ein Lesebuch, Jens Bisky, Rowohlt, 2012

Neinsager Nr. 51, bitte sprechen Sie jetzt

Michelangelostraße in Prenzlauer Berg, 1. Preis städtebaulicher Wettbewerb 2014: Frank Görge Architekt, Hamburg und  Breimann & Brunn, Hamburg +++ Nachverdichtung zwischen der südlich gelegenen Thomas Mann Siedlung und den Zeilenbauten im Norden

Michelangelostraße in Prenzlauer Berg, 1. Preis städtebaulicher Wettbewerb 2014: Frank Görge Architekt, Hamburg und
Breimann & Brunn, Hamburg +++ Nachverdichtung zwischen der südlich gelegenen Thomas Mann Siedlung und den Zeilenbauten im Norden

Ich kann es immer noch nicht ganz glauben, dass Pfarrer Zeiske das durchgezogen hat. Er bat um Wortmeldungen und bekam ganze 51. Als er durch die Bankreihen in der Gethsemanekirche ging, durchzählte und die Liste schrieb, dachte ich, er hört bei Nr. 20 auf und plant die Moderation um. Aber er war konsequent. Nur ein unterschwelliger Seufzer „Oh Gott …“ entglitt ihm, da war er etwa bei Nr. 40.

Anwohner der Michelangelostraße in Prenzlauer Berg waren zu einer Informationsveranstaltung gekommen, wo Baustadtrat Kirchner und Senatsbaudirektorin Lüscher ein Neubauprojekt vorstellten, bei dem 1.500 Wohnungen entstehen sollen.

Nach eineinhalb Stunden bin ich gegangen. Das Wort hatte gerade die Meldung Nr. 17. Später kam ich wieder, und sie waren doch tatsächlich mit Rede und Antwort bei Nr. 48 angelangt. Vor jedem, der zu diesem Zeitpunkt noch in der Kirche war, zöge ich den Hut, wenn ich einen hätte. Vor den Anwohnern, aber vor allem vor Kirchner, Lüscher und Zeiske. Von Anfang an hatten sie hundertprozentigen Gegenwind. Wie oft haben sie sich wiederholt und blieben doch missverstanden?

Ich spare mir Inhalte. Und Zitate. Für heute. – Es war eine starke Veranstaltung, auf beiden Seiten. Aber auch eine, die zeigte, dass Betroffenheit manchmal blind machen kann.

Übrigens interessant, dass der Live-Bericht der Abendschau die Stimmung nicht wirklich einfangen konnte. Es war rauher. Aber hier ist der Beitrag noch bis 15. April zu sehen.

Die 38,9-Milliarden-Centopera – Ist das steigerungsfähig?

Die Staatsoper-Baustelle vom Bebelplatz: aktueller Eröffnungstermin (Nr. 3) ist der 3. Oktober 2017

Die Staatsoper-Baustelle vom Bebelplatz: aktueller Eröffnungstermin (Nr. 3) ist der 3. Oktober 2017

Zahlenspiele machen Laune. Ich hoffe nur, ich habe mich nicht verrechnet. Die ZITTY überschreibt ja ihre aktuelle Titelgeschichte mit „Die 3,89-Milliarden-Groschenoper“, wobei der Überraschungseffekt der Schlagzeile im Dimensionssprung vom Millionen- zum Milliardenprojekt liegt. Die Rede ist von der Sanierung der Staatsoper. Seit Dezember 2014 soll sie 389 Millionen Euro kosten. Ein aufschlussreicher Artikel ist das, der die Geschichte des neuesten Berliner Bauskandals ausbreitet (es gibt einen Untersuchungsausschuss im Abgeordnetenhaus) und dabei alle Finanzversprechen, Kostensteigerungen und Ex-Eröffnungstermine nennt. Warum also nicht noch weitergehen und sich des Englischen bedienen, der „Threepenny-Opera“? Den Penny übersetzen wir zurück ins Deutsche (beziehungweise ins europäische Währungsmaß) und können damit das Komma letzten Endes noch eine Stelle weiter nach rechts schieben. Und die Bausumme steigt augenscheinlich – für Berlins voluminöse Centopera. SCHOCK!

Siehe ZITTY Berlin Heft 08/15

Nochmal der Hinweis auf das (im Internet als Podcast anhörbare) Interview mit Nikolaus Bernau von der Berliner Zeitung (letzter Blogpost), der das Staatsoper-Projekt als „schieren Wahnsinn“ bezeichnet (Link hier)