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Hilfe, die Urbaniten sind da! Und einer entpuppt sich als Vorstädter

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Unscheinbar in der Oberwallstraße 20 gibt es ein Urbaniten-Café. Drinnen: der Blick in den Innenhof (Foto: André Franke)

Als ich vor drei Jahren einmal beim Projektentwickler der Townhouses vom Friedrichswerder anrief und man mir sagte, auf den 47 Schmalst-Parzellen lebten 500 Menschen, schmunzelte ich schon sehr. Dort wohnen doch keine zehn Leute in einem einzigen Haus! Dennoch sind die „Urbaniten“ da. Einen hab ich letztens kennengelernt, war Hausgast bei ihm, ja wirklich. Es gibt in der Oberwallstraße 20 ein Café, das seinen Gästen eine Terrasse mit Blick auf den Innenhof des Townhouse-Blocks bietet. Allerdings ist deren Nutzung baupolizeilich untersagt, worauf ein Schild ausdrücklich hinweist. Das Verbot kommt dadurch zustande, dass ein Townhouse-Bewohner, ein Urbanit, sich durch die Cafébesucher belästigt fühlt und dagegen klagt. Der Cafébetreiber nimmt aber alle seine Gäste in Schutz. Man kann getrost am Schild vorbei- und auf die Terrasse rausgehen. Dort traf ich dann meinen Gastgeber, ein Bewohner des Café-Townhouses, der mir die Geschichte erklärte. Bitte nicht verwechseln: Mein Gastgeber ist der Beklagte, er befürwortet das Café. Sitzt ja selber am Tisch neben mir. Die Klage kommt von der anderen Hofseite, von gegenüber, wo offenbar kein Urbanit, sondern eine Urbani(e)te eingezogen ist! Denn war es nicht die Idee, jene hier bauen und leben zu lassen, die die Dichte lieben und gemischte Strukturen, überhaupt: die Stadt? Als „Hoffnungsträger“ hatte man die Urbaniten in den 90er Jahren betrachtet. Jetzt sehen wir, dass mancher besser vor die Stadtgrenze gehörte, ins Suburbane, ins Umlandgrün, zu dem die Townhouse-Idee vom Friedrichswerder ja gerade das Gegenstück sein soll. So hoffe ich, dass die Klage scheitert, das Café bleibt und man beim nächsten Mal ehrlicher ist, wenn ich anrufe. Oder täuscht die Townhouse-Idylle nur?

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

Blick von der Terrasse über das Grün im Innenhof. Im Hintergrund: Wohnhochhaus an der Leipziger Straße (Foto: André Franke)

 

Die Heimatlosen

Aus dem Wahlspruch der FDP zur Bundestagswahl im September geht nicht eindeutig hervor, ob die Partei damit die politische Mitte meint oder das Zentrum Berlins. “Die Mitte entlasten”, ruft sie und trifft damit den Nerv der Stadt. Vielleicht ist es Absicht, vielleicht ahnt sie es nicht. Aber ihrem Ruf folgen viele. Denn in Berlin hat eine Welle der Peripherisierung eingesetzt. Ob es die Arbeitslosen sind wie Ursula Neue oder die Prostituierten aus Südosteuropa oder selbst die legendäre Kunststätte des Tacheles – Etwas zieht sie alle an den Rand der Stadt, oder vertreibt sie dorthin: das zahlungsunwillige Jobcenter, die angestammte Konkurrenz oder ein herzloser Verwaltungsakt. Heimatlos lebt Frau Neue in Staaken. Verloren laufen die Bulgarinnen draußen in Buch. Zwangsgeräumt springt das Tacheles nach Marzahn. Die Mitte ist reserviert für die anderen. Entlastet ist sie deshalb noch nicht.