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Korona küsst Schlosskuppel

Dass ich heute Morgen vor die Tür ging, war ein Akt der Notwendigkeit – und gleichzeitig ein Geschenk. Ich stieg vom Fahrrad, als ich diese Sonne sah. Eigentlich keine besonders besondere Sonne. Für einen Sonnenaufgang war es zu spät, für den Untergang viel zu früh, noch nicht mal Mittag. Wolken zogen an dem weißen Ball vorbei, ziemlich zügig. Mal ließen sie mehr Licht durch, mal weniger. Und wenn der Schleier stimmte, nicht zu dick, nicht zu dünn war, dann konnte man klar die Konturen sehen, die Konturen des großen Balles. Ist das nicht selten? Ist das nicht schön? Wenn so eine Übergröße ins menschliche Auge passt, können wir dann nicht auch alles andere begreifen, was uns unbegreiflich erscheint?

Kuppel statt Klotz: Mehr runde Formen in der Architektur wagen!

Das Bild, das ich sah, war kein reines Naturschauspiel. Es war eine Berlin-Kontur. Dem Rund des Sonnenrandes stand das neue Rund der Schlosskuppel gegenüber. Und ich begriff, die Kuppel ist gut. Und ich dachte, wir bauen zu wenig runde Formen. Es gibt zu viele Ecken und Kanten in der Stadt, zu viele Optionen, sich zu stoßen und zu schneiden. Da ich gerade aus der Gegend am Spreebogen kam, wo ich mich einem Schnelltest unterzog, steckte mir noch der neue Glaskubus vom Washingtonplatz wie ein Eissplitter im Auge, wie der Splitter im Auge von Kai, den die Schneekönigin verzauberte. Diesem Glaskasten am Hauptbahnhof wächst so eine angriffslustige, abgeflachte Pyramidenspitze aus der Fassade, dass ich seit heute fest davon überzeugt bin, die Architekten haben das Ding im Anblick ihres Weihnachtsbaumes entworfen, im Homeoffice, als Homeoffice noch exotisch war. Aber dort gehört dieser kälteeinflößender Eiswürfel hin: an den Weihnachtsbaum, wo es warm ist. Und weg schmilzt er.

So gewann ich plötzlich, auf der Eisernen Brücke stehend, bereit für den Befund, den Sinn für das Runde am Himmel über die von Reif überzogene Berliner Mitte, wo Architektur und Astronomie einen Augenblick lang zu Schwestern wurden. Und als hätten auch sie es begriffen, schrien die Möwen in den kalten Dezembermorgen hinein. Wahrscheinlich hatten sie aber nur Hunger. Die Kuppel des Schlosses hat mich schon öfters überrascht. Bisher hab ich nichts dazu geschrieben. Und das will ich damit sagen: dass eine Art Perspektivensammlung aussteht, die zeigt, dass die Schlosskuppel die Blicke auf die Mitte Berlins bereichert. Demnächst also…

Über das Wagnis, in Berlin einen Grundstein zu legen

Grundsteinlegungen in Berlin waren immer riskant. Als der König nach dem Sieg über die Dänen das Denkmal in Auftrag gab, das wir heute als Siegessäule kennen, wusste er noch nicht, dass er auch gegen die Österreicher gewinnen würde und gegen die Franzosen. So buddelten die Berliner den Grundstein der Siegessäule gleich zweimal wieder aus, ehe das Denkmal 1873 endlich eingeweiht werden konnte: dann von einem König, der auch Kaiser war. Springen wir ins Jahr 2012, zum 12. Juni an den Schlossplatz: Damals wurde dort der Grundstein fürs Humboldtforum gelegt, und Hermann Parzinger wagte einen Kommentar auf das sonnige Berliner Wetter, als er seine Rede unter freiem Himmel begann. Er könne von „Kaiserwetter“ sprechen (und er tat es eben auch), scherzte er spontan. Später, als er sich an die Schlosskritiker richtete („Betrachtet uns nicht nur durch die Brille des Kolonialismus!“), fiel ein Lächeln leicht und das Ernstnehmen schwer. Und heutzutage? Hat auch Jochen Sandig neulich auf der Tacheles-Baustelle etwas Riskantes getan?

Der Pirat stürmt die Prominentenbühne und ist selber einer

Nach dem Bericht der Berliner Zeitung vom 19. Oktober („Akt der Piraterie“) sprang Sandig, ein Tacheles-Gründer, auf die Bühne und befüllte die Kartusche, die in den Grundstein kommt, mit Papier, das für den Tacheles-Untergrund so nicht vorgesehen war: Karten, die mit den 17 Zielen der nachhaltigen Entwicklung beschriftet waren; die UN hatte sie 2015 in ihrer Agenda 2030 beschlossen. Sandigs Botschaft: Die Tacheles-Ruine soll nicht vermarktet, sondern einer Stiftung übergeben werden, und die Generation Greta soll in das Haus einziehen; „Fridays for Future“ soll ein Zuhause kriegen. Fridays for Future an der Friedrichstraße (naja, fast an der Friedrichstraße), das ist schon ein reißerisches Setting. Für alle, die die Nachhaltigkeitsziele konkret nicht kennen (z.B. ich selbst), liste ich sie einmal auf:

  1. keine Armut
  2. kein Hunger
  3. Gesundheit und Wohlergehen
  4. hochwertige Bildung
  5. Geschlechtergleichheit
  6. sauberes Wasser und Sanitäreinrichtungen
  7. bezahlbare und saubere Energie
  8. menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum
  9. Industrie, Innovation und Infrastruktur
  10. weniger Ungleichheiten
  11. nachhaltige Städte und Gemeinden
  12. nachhaltige/r Konsum und Produktion
  13. Maßnahmen zum Klimaschutz
  14. Leben unter Wasser
  15. Leben an Land
  16. Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen
  17. Partnerschaften zur Erreichung der Ziele

Mag die Mission Jochen Sandigs auf höherer, symbolischer Ebene liegen, so lassen sich doch ein paar Reizpunkte auch auf den neuen Tacheles-Bau direkt beziehen. Taz-LeserInnen entdecken sofort eine Missachtung von Punkt 5. Das Publikum, vor dessen Augen die Grundsteinlegung am 19. September 2019 stattfand, bestand einem Bericht zufolge nicht zu gleichen Teilen aus Damen und Herren. Nein, die taz sah eine „Männerriege“ aus „rund 300 Männern in blauen Anzügen (…) Die wenigen anwesenden Damen waren entweder fürs Büffet oder die Berichterstattung zuständig“. Dagegen verwirklicht das Tacheles Punkt 17 phänomenal: Ex-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder macht den Bebauungsplan (im Jahre 2003), seine Gattin lädt zur Grundstein-Party (2019); auch hier hilft uns die taz (zitiert den Tagesspiegel), aber auch die Morgenpost erklärt ein paar Hintergründe (siehe unten). Der Pirat könnte also durchaus „im Klartext“ gehandelt haben. Aber was hat denn Sandig nun eigentlich riskiert?

Tacheles-Baustelle mit Kranhaken, ca. 2 Jahre vor der Grundsteinlegung

Wäre ich am 12. Juni 2012 zur Schlosskartusche marschiert und hätte ihr rebellisch eine taz reingedrückt (damals schrieb sie über den „großen Fassadenschwindel“), man hätte mich wohl in die Spree geworfen. Und am Tacheles schreiten „dutzende Sicherheitsmänner mit ´Mann im Ohr“ (wieder taz) nicht ein, wenn jemand auf die Festbühne springt, der auf der Festbühne gar nicht erwartet wurde? Ich glaube, dass der Festspielintendant und Berliner Kulturunternehmer von vornherein zum Programm gehörte. Man war ja unter sich. Und wenn das stimmt, hat Sandig nur eine Sache riskiert: mit seiner Stiftungsidee nicht gehört zu werden. Insofern hat er ja noch mal Glück gehabt, dass wenigstens die Berliner Zeitung darüber schrieb. Vielleicht war das aber nur eine Gefälligkeit im Gegenzug dafür, dass der Berliner Zeitung die Ehre zuteil wurde, mit dem Tacheles-Grundstein versenkt zu werden – vom Ex-Regierenden Klaus Wowereit. Auch das erfährt man von der taz.


LINKS

Berliner Zeitung v. 19. September 2019

Berliner Zeitung v. 19. Oktober 2019

Baugeschichte Siegessäule auf bundestag.de

Eventreport Grundsteinlegung Schloss auf Futurberlin.de v. 13. Juni 2012

Morgenpost v. 8. September 2016

Nachhaltigkeitsziele auf bundesregierung.de

Tagesspiegel v. 19. September 2019

taz v. 19. September 2019

taz v. 20. September 2019

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

„Und plötzlich begann der Bauwahnsinn“

Bausinn, Bauwahn, Bauwahnsinn? Ja, Bauen kann Sinn machen, und wahnsinnig machen vielleicht auch (siehe „Germania“). Oder muss man andersherum zuerst wahnsinnig sein, um zu bauen?

Senator Geisel lebe in einer Parallelwelt, die neue Liegenschaftspolitik sei eine Farce, und es gebe ein Kartell von Akteuren, die kleinteilige Nutzungsmischung auf Gebäudeebene verhindere. Das war gestern beim öffentlichen Stadtgespräch im Charlottenburger Stadtbüro von Katrin Lompscher zu hören – Sätze, die nicht von ihr kamen, sondern von den Gästen, dem Publikum.

Eventnotizen, quer durch den Gemüsegarten

Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf, das mit mehr als 900 Wohnungen bebaut werden soll, hieße jetzt „Friedenauer Höhe“, sagt jemand mit einem Lächeln auf den Lippen.

Es wurde kritisiert, dass das Land Berlin beim Projekt Elisabeth-Aue in Pankow weiterhin Grundstücke an Private verkauft (etwa 50 Prozent, wie ich hier neulich gelesen habe), anstatt sie zu behalten und ausschließlich in Erbbaupacht zu vergeben.

Es wurde erwähnt, dass ein Investor eine (billige) Bahnfläche am Westkreuz kaufen will, um sie zu bebauen und dass der Bezirk ihm das leicht mache.

Es wurde über die zwei Volksentscheide „Fahrrad“ und „Volksentscheide retten“ gesprochen, die beide für die Bundestagswahl 2017 zu spät kämen, weil sie von der Verwaltung torpediert würden (dazu ein Interview des Tagesspiegel mit Heinrich Strößenreuther vom Fahrradvolksentscheid). Es gäbe für die Verwaltung für die Bearbeitung keine Frist, was der „Retten“-Entscheid eben auch ändern wolle.

Berlin, die „Samsung-Stadt“

Katalin Gennburg, früher Stadtbüro-Mitarbeiterin von Katrin Lompscher, jetzt gewählte Abgeordnete aus Treptow, nannte in ihrer Agenda unter anderem, sie wolle großflächige Fassadenwerbung an Baustellen verhindern. Finde ich sehr symphatisch! Zwei Beispiele fallen mir sofort dazu ein: Beim Festival of Lights vorm mal wieder phänomenal-illuminierten Berliner Dom störte vor zwei Wochen nichts den Farbton des Abends mehr als das grelle Samsungschloss. Wenigstens für das Festival hätte die Stiftung Humboldtforum das Licht ausmachen können. Genauso bezeichnend für die Unsensibilität gegenüber seiner Umwelt ist der Standort „Samsungplatz“ … Na, wo ist der? Samsung-Großbildwerbung hängt auch an der Planfassade des Skandalgrundstücks Leipziger Platz 18/19, wo der „Samsunginvestor“ F100 aus Luxemburg für die erklärte Europäische, nutzungsgemischte Stadt Berlin keine „Samsungwohnungen“ bauen braucht, weil ein „S-Senator“ („S-“ wie Stadtentwicklung) ihm eine Ausnahme erteilt (die Presse berichtete umfangreich). Neben dem Berliner Bauwahnsinn existiert also auch ein Berliner Schauwahnsinn.

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Apropos Umwelt … Ein Bausenator könne nicht gleichzeitig auch Umweltsenator sein, sagte gestern auch jemand und kritisierte die Ämterhäufung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Das widerspräche sich und ermögliche Amtsmissbrauch.

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ein Stück Halle an der Saale unterm Schloss an der Spree

Was einem nicht alles zugetragen wird, wenn man den Menschen sein Ohr schenkt! Besonders als Stadtführer sollte man öfter die Klappe halten und empfangen, was Mitteilungswürdiges der Besucher Berlins mit in die Stadt bringt. Natürlich sitzen die Infos aus der Heimat sprungbereit hinter seiner Stirn. Sowie die Hauptstadt(-geschichte) halt macht, sprudeln sie heraus aus dem Gast.

Hallenser, die ich neulich zwei Tage lang betreute, erzählten mir, das Carillon im Tiergarten sei das zweitgrößte in Europa. Wusste ich gar nicht. Auch nicht, dass es das drittgrößte der Welt sei. Jetzt ratet mal, in welcher Stadt das größte Carillon Europas und das zweitgrößte Carillon der Welt steht! – In Halle.

Hallenser klettern für Christo 1995

Die Christo-Verhüllung des Reichstagsgebäudes im Sommer 1995 ist auch ein erzählenswerter Meilenstein am Platz der Republik und ein starkes Bild fürs Besucherauge dazu. Aber fortan wird in meinen Touren nicht länger der Künstlername Christo das Bemerkenswerte sein. Wohl aber der Name der Stadt, aus der die Industriekletterer kamen, die sein Kunstwerk in die Tat umsetzten: Halle.

Und dann wäre da noch ein Stück geformtes, fundamentiertes Erz, das heute kein Mensch mehr sieht, wohl nie mehr sehen wird. Welches aber mitschwingt, wenn zukünftig die U5 unter dem Schlossplatz durchrattert. Unter der Bodenwanne des Palasts der Republik fährt die U-Bahn bald durch. Sie ruht zwischen Tunnel und Berliner Schloss und ist ein Produkt der Eisenbiegeanlage des VEB Bau- und Montagekombinats „Chemie“ in: Halle an der Saale.

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Hier ruht in Frieden: die in Halle hergestellte Fundamentwanne des niedergebauten Palastes der Republik, 2011 (Foto: André Franke)

Ich wäre dafür, am Mehringplatz das Hallesche Tor wiederaufzubauen. Einfach als Ehrerbietung für das Mitwirken der Saalestadt an der Hauptstadt Berlin. Im Übrigen ist Halle vor allem Musikerstadt, die Geburtsstadt Händels. Finden wir wohl nicht einen Platz am „Musikerofen“ für ihn, im Tiergarten? Oder ein eigenes Denkmal.

Schloss in pink

„Hinter“ dem Schloss

Hinter dem Schloss, wo die Container stehen und Franco Stella öfter über die Straße geht, um nach seiner Baustelle zu sehen, wo auch die Busse, steif wie Bock, in die Breite Straße eindrehen und dabei den Radweg mit den todbringenden Doppelreifen der Hinterachse überrollen, und wo, im Gegensatz zur Nordseite, auch kein Weltkulturerbe anzutreffen ist (es würde sich wohl schnell aus dem Staub machen …), – hier ist nicht „hinten“!

Schloss in pink

Pink am Schlossplatz, 2015: In Berlin ein Zeichen für Temporäres, nicht Dauerhaftes. Dafür aber ein „Störer“, der die Aufmerksamkeit von Berlin-Besuchern auf sich zieht. Hier ist bald wieder „vorne“.

„Hier ist vorne“, erkläre ich am Sonntag auf einer Zukunft Berlin Tour, da bei Ulla, die aus Erftstadt bei Köln kommt, der erste Eindruck beim Stoppen vorm alten Staatsratsgebäude folgender war: „Ich war bisher immer nur vorne gewesen, auf der anderen Seite … Aahh, so sieht´s also hinter dem Schloss aus!“

Ich freue mich über solche Steilvorlagen sehr. Man kommt sofort auf das Wichtige zu sprechen, auf das Positive. Was ist das Positive am Schloss? Es bringt die Grundordnung auf der Spreeinsel zurück: einen Lustgarten im Norden, einen Schlossplatz im Süden. Wir können wieder zeigen, wo die Stechbahn war, wo Ritter sich mit Lanzen die Rüstungen durchbohrten, vom Pferd fielen.

Erkennbar wird dadurch auch eine weitere Geschichte: Berlin war nicht das Schloss. Nicht immer jedenfalls. Das Schloss kam erst in der zweiten Welle der Berliner Stadtentwicklung. Mehr als 200 Jahre kam Berlin-Cölln ohne es aus, und Kurfürst Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, positionierte seine Residenz am Rande der Stadt. Fortan musste Berlin mit dieser … „Unwucht“ leben. Oh, dieses Bild gefällt mir auch sehr. Und man könnte hinzufügen, dass die Unwucht später ein ganzes Land ins Schleudern brachte und ins Desaster katapultierte, wo die Menschen nicht wussten, wo oben und unten ist.

Ein Wort der Wahrheit

Als ich vor Weihnachten über das „Wort zuviel“ schrieb, über das „Noch“ in dem Rettig-Satz, beim Berliner Schloss (eben: noch) auf gutem Wege zu sein, ahnte ich nicht, dass die Wende am Bau so kurz bevorstand. Es war ein Wort der Wahrheit, nichts Geringeres, das wissen wir jetzt. Und es macht jetzt – nach dem erklärten Rückzug Rettigs – sogar Sinn. Nur so. Er wusste, dass er geht. Wir wussten es nicht.

Schlossbaumanager Manfred Rettig wirbt in Tagesspiegel-Anzeige für plankonformes Verhalten aller Baubeteiligten - kurz vor Weihnachten 2015 (Foto: André Franke)

Schlossbaumanager Manfred Rettig wirbt in Tagesspiegel-Anzeige für plankonformes Verhalten aller Baubeteiligten – kurz vor Weihnachten 2015 (Foto: André Franke)

Das kleine Wort entfaltet große Wirkung. Die Zeitungen finden in den Quartalsberichten und Sitzungsprotokollen der Schlossstiftung die Wahrheit über die „beste Baustelle Berlins“: Die Baustelle ist wie alle andern. 2019 gibt´s eine Teileröffnung, der Bau wird teurer. Der Risikopuffer gleicht die Mehrkosten momentan – noch – aus. Denn wie klein erscheint die Risikosumme von 29,9 Millionen Euro vor der Größe des Rufs des Kreateurs von der Insel.

Die dritte Wahrheit tritt hier hervor: Rettig geht, weil MacGregor kommt. Das hat nichts mit groß und klein zu tun. Nur mit der Unvereinbarkeit zweier Projekte. Wo das starre Schloss ist, kann kein dynamisches Humboldtforum sein. Wo Neil MacGregor Welten arrangiert, müssen Wände so flexibel sein wie die Ausstellungsgegenstände selbst. Die Exponate, sagt Rettig in der Morgenpost, seien aber bis auf den Zentimeter genau eingeplant. „Wir wissen genau, wo was hinkommt.“ Das heißt, das Humboldtforum wurde bis jetzt mit dem Geist des Schlosses geplant. Damit ist Schluss. Jetzt kommt der Weltgeist in ein Haus, wo die deutsche Industrienorm schon auf der Zielgeraden war, holt tief Luft, bläst die Backen auf und pustet mit Rückenwind von ganz oben den Laden kräftig durch. Da platzen im Schloss die frisch eingebauten Fenster auf, fallen Wände und am Ende sogar die Barockfassaden. Jetzt kommt die Nutzung, die sich den Körper baut.

Rettigs Ruhestand war eine weise Entscheidung. Und eine sympathische dazu, sagt er doch, er sei gesund und munter und er wolle vom Leben noch etwas haben. Offenbar gibt es Wichtigers als ein Schloss zu bauen. Sehe ich genau so: einen Flughafen bauen. Die Schloss-BER-Assoziation ist in letzter Zeit wahrhaftiger geworden.


Manfred Rettig wird bei Lea Rosh zu Gast sein, wenn es am 1. Februar in der Kommunalen Galerie, Hohenzollerndamm 176, um das Umfeld des Humboldtforums gehen wird – ab 20 Uhr (Eintritt 10 EUR)

Pressemitteilung Humboldtforum: Manfred Rettig verlässt die Schlossstiftung

Berlin, 12. Januar 2016

Ergebnisse der Stiftungsratssitzung vom 12.01.2016

Logo Schlossstiftung

Logo Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum

Der Stiftungsrat der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum hat in einer Sondersitzung am 12.01.2016 wichtige Beschlüsse für den Fortgang des Projekts gefasst. Dazu gehört die Gründung einer „Humboldt Forum Kultur GmbH“ als Tochtergesellschaft unter dem Dach der Stiftung, in die die Gründungsintendanz für Deutschlands größtes Kulturbauvorhaben institutionell eingebunden wird. Um ihre kulturellen Aufgaben zu betonen, wird die Stiftung außerdem umbenannt in „Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss“. Der Technische Vorstand und Sprecher Manfred Rettig verlässt zum 01.03.2016 die Stiftung. 

Das Bauvorhaben zur Wiedererrichtung des Berliner Schlosses als Humboldt Forum ist auf einem guten Weg. Kosten und Termine befinden sich im Plan. Änderungen an der beschlossenen Bauplanung sollen nach dem Willen des Stiftungsrates ausgeschlossen bleiben. Immer mehr treten nun die programmatischen Fragen zum Humboldt Forum in den Vordergrund. Dies ist mit vielen Veranstaltungen und Tagungen der beteiligten Partner und nicht zuletzt der Stiftung selbst in letzter Zeit immer deutlicher geworden. 

Mit der Berufung der Gründungsintendanz für das Humboldt Forum, bestehend aus dem ehemaligen Direktor des British Museum Neil MacGregor, dem Präsidenten der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, Hermann Parzinger, und dem Professor für Kunstgeschichte an der Humboldt Universität Horst Bredekamp, durch Kulturstaatsministerin Monika Grütters nimmt die Arbeit am Programm für das Humboldt Forum nun konkrete Gestalt an. 

Der notwendige institutionelle Rahmen dafür wurde heute mit dem Beschluss des Stiftungsrates geschaffen, eine Humboldt Forum Kultur GmbH als Tochtergesellschaft der Stiftung zu gründen. Die Humboldt Forum Kultur GmbH wird den kulturellen Betrieb des Humboldt Forums in kuratorischer Gesamtverantwortung für die Stiftung aufbauen und Kulturveranstaltungen im Vorfeld der Eröffnungsphase für die Stiftung durchführen. Ihr Geschäftsführer wird gleichzeitig als Vorstand Kultur neben dem Vorstand Bau und dem kaufmännischen Vorstand angesiedelt.

Manfred Rettig, Vorstand und Sprecher der Stiftung seit ihrer Gründung 2009, wird sein Amt zum 01.03.2016 abgeben. Nach einem langen Berufsleben mit wichtigen Stationen als Leiter des Umzugsstabes der Bundesregierung von Bonn nach Berlin und langjähriger Geschäftsführer der Bundesbaugesellschaft Berlin mbH freut er sich darauf, dass er sich nun verstärkt eigenen Projekten widmen kann.

Die Pressemitteilung finden Sie unter folgendem Link: http://www.sbs-humboldtforum.de/de/Service/Presse/Pressemitteilungen/

V.i.S.d.P:

Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss 
Bernhard Wolter 

Pressesprecher 

Unter den Linden 3 

10117 Berlin

Tel +49 30 3180 572-30 Fax +49 30 3180 572-33

Mobil +49 151 1400 1199 

E-Mail info@sbs-humboldtforum.de

Schlosskuppel mit Weihnachtsbaum

Ein Wort zuviel am Schloss

Schlosskuppel mit Weihnachtsbaum

Schloss mit Risiko: Schon wieder Richtfest oder was? Frohe Weihnachten für die beste Baustelle Berlins, wünsch ich! (Foto: André Franke)

Es ist keinesfalls so, dass ich das Schloss schlechtreden will oder mich freuen würde und heimtückisch darauf warten, wenn der Bau doch länger dauern sollte. Im Gegenteil, ich preise die Schlossbaustelle bei fast jeder Führung als “beste Baustelle Berlins”, bei der man voll im Kosten- und Zeitplan liege – noch. Genau dieses Wort – noch – lese ich im letzten Satz einer Anzeige im Tagesspiegel. Der Bauherr selbst, Manfred Rettig, Vorstand und Sprecher der Stiftung Berliner Schloss – Humboldtforum, erläutert auf wenigen Zeilen, wie das Risikomanagement auf seiner Baustelle funktioniert. Oft seien im Hinblick auf den Umfang der Baumaßnahme und die Qualität der technischen Ausstattung die Anforderungen der Nutzer zu hoch, unvollständig oder unwirtschaftlich. Und so fährt er fort:

“Sind Entscheidungen zum Bau aber einmal gefallen und mit den technischen Einbauten durchgeplant, dann sind nachträgliche Änderungen das größte Risiko.”

Nachträgliche Änderungen – sofort denkt man an das BER-Terminal, das im Laufe der Planung (und sogar im Laufe des Baus) immer mehr Shopping-Mall wurde als Luftreisehaus. Rettig weiter: Von mehr als zehn verschiedenen Ingenieursfachrichtungen müssten diese Änderungen bei komplexen Baumaßnahmen bearbeitet werden – “mit unabsehbaren Folgen für Kosten und Termine”. Es folgt in der Anzeige ein Appell an die Disziplin von Politikern, Architekten, Nutzern und Bauherrn und: der Satz mit dem Wort zuviel (ich lasse es im Folgenden mal weg): “Beim Berliner Schloss – Humboldtforum sind wir hier (…) auf gutem Wege.”

Wie gesagt, es treibt mich nicht die potenzielle Schadenfreude. Mir ist vielmehr klar geworden, dass der Reiz dieses Positiv-Baus in dem Damokles-Schwert liegt, das über ihm schwebt – über den Bau und über Manfred Rettig selbst, der unstrittig als erfolgreicher Bauherr gilt, (…). Denn einen neuen Nutzerwunsch hat es mit dem Rückzug der ZLB schon gegeben. Berlin will stattdessen ein Stadtmuseum als Beitrag zum Humboldtforum einrichten. Wie Paul Spies als designierter Direktor der Stiftung Stadtmuseum Berlin seinen Wunsch gedenkt auszugestalten, ist auf Inforadio nachzuhören (49:21 min.). Dort gehen Spies und Rettig schon mal auf Tuchfühlung.

Brandenburger Tor in Berlin. Auch in Paris gab es Schmucktore

Was hat Paris, das Berlin nicht hat? – Und umgedreht

Schöne arte-Doku …

Leider liefert die Stadt Paris in diesen Tagen Geschichten, die der Horror sind. Und den Terror und die Trauer, die sich mit ihnen verbinden, will man nicht nach Deutschland kommen sehen. Nirgendwohin. Doch aus Paris hat mich am Wochenende auch eine andere Geschichte erreicht, eine positivere. Arte zeigte in einer vierteiligen Dokureihe mit dem Titel „Nachbarschaftsgeschichten“, wie sich Architektur und Stadtentwicklung in Paris und Berlin seit 1650 wechselseitig beeinflussten, vor allem wie grundverschieden sie sind. Sonntag schaltete ich ein, als der vierte Teil lief, ließ mich aber (gerne) stören durch Family & Co., was zur Folge hatte, dass ich mir heute, am Montag, den vierten, den dritten, den zweiten und auch den ersten Teil (in dieser Reihenfolge und in einem Zug) ansah. Sehr zu empfehlen ist das.

Brandenburger Tor in Berlin. Auch in Paris gab es Schmucktore

Brandenburger Tor früh morgens. Kein Napoleon, nirgends. Auch die Idee, Stadttore zu Schmucktore auszubauen, kam von Paris nach Berlin, wenn auch nicht durch N. (Foto: André Franke)

Am spannendsten: das 20. Jahrhundert. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Albert Speer schon am Zehlendorfer Dächerkrieg in den 20er Jahren beteiligt war. Oder wie „Germania“ konkret mit dem Holocaust zusammenhängt. Auch nicht, dass Florian Hertweck („Der Berliner Architekturstreit“, in Deutsch verfasst) so super französisch spricht. Und nicht, dass das Hansaviertel mit seinen 53 eingeladenen internationalen Architekten und 36 gebauten Häusern im Gegensatz zur Architektur der Karl-Marx-Allee „swingt“, wie es Gabi Dolff-Bonekämper mit den Fingern schnippsend im Film beschreibt.

Mit Schönheitsfehlern

Ein bisschen kurz kommt aus meiner Sicht die Ära der West-Berliner Stadtplanung „Urbanität durch Dichte“. Nach Hansaviertel und Mauerbau macht die Doku dann gleich bei den Hausbesetzungen in Kreuzberg weiter, ohne die Kahlschlagsanierung oder die Entstehung des Märkischen Viertels und der Gropiusstadt zu thematisieren. Auch durfte – begnädigt von arte – die Ruine des Berliner Schlosses zwei Jahre länger stehen bleiben als üblich: nämlich bis 1952. Das will ich nicht auf die Goldwaage legen, aber wenn dort (unter vielen anderen sehenwerten Modellen) auch ein Modell vom zukünftigen Schloss gezeigt wird, an dem der alte Apothekerflügel hängt, dann könnten arte-Zuschauer in ferner Zukunft vielleicht auf die Idee kommen, diesen einzuklagen, denn geplant ist der bekanntlich doch nicht oder?


Teil 1 „Verfeindete Geschwister“ und Teil 2 „Auf in die Moderne!“ sind in der arte-Mediathek zu sehen bis zum 6. Januar 2016

Teil 3 „Gegenüber“ und Teil 4 „Erschütterung“ bis zum 13. Januar 2016

Schloss in pink

Schloss in pink garantiert Hingucker

Schloss in pink

Pink: In Berlin ein Zeichen für Temporäres, nicht Dauerhaftes. Dafür aber ein „Störer“, der die Aufmerksamkeit von Berlin-Besuchern auf sich zieht. (Foto: André Franke, Juni 2015)

Schloss-Satire #4 – Die FAQ Nr.1, also die most frequently asked Question, die Touristen auf einer Stadtführung durch Berlin stellen, ist diejenige nach den pinkfarbenen Rohren. Manchmal hab ich sogar den Eindruck, die Gäste nehmen die Rohre umso intensiver war, desto mehr Kultur und Geschichte wir ihnen um die Ohren hauen. (Natürlich nur, um sie zu begeistern.) Doch sie lieben eher Rätsel. Die Antwort, dass es sich bei den Rohren um Grundwasser von Baustellen handelt, ruft bei ihnen meistens ein zweifelhaftes Lächeln hervor. Manchmal sogar Enttäuschung, dass es sich nicht um Gasrohre handelt. Fakt ist, sie springen darauf an, weil das Pink eine Störfarbe im Stadtbild ist. Und weil sie denken, die Rohre stünden für immer. Seht es mir nach, wenn auch ich mich nun durch das Pink-Portal II des Schlosses etwas irritiert fühlte, als ich vorgestern vorbeifuhr. Und auch ich hätte da gleich eine Anschlussfrage à la Tourist: „Ist das vorübergehend oder bleibt das für immer?“ Ich meine: das Schloss.

Wieder „Kaiserwetter“ am Schloss?

Das Schloss feiert Richtfest. Das Humboldtforum auch. Mögen beide Sonne tanken im „Kaiserwetter“ …

Am Freitag wird es sonnig und heiß. Ob dann jemand aus der geladenen Richtfestgesellschaft auf der Schlossbaustelle wieder von „Kaiserwetter“ sprechen wird? Hermann Parzinger, Präsident der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, hatte vor zwei Jahren bei der Grundsteinlegung keine Scheu, dieses Wort auszusprechen. Ich habe es selbst gehört, ich war dabei. Diesmal wird es mir nicht vergönnt sein. Weil ich nicht in Besitz eines Presseausweises bin, hat das große Haus keinen Platz für kleine Schreiber wie mich. Der Bau, den ich vor kurzem in einem Blogpost willkommen hieß, lässt mich vor der Türe stehen. Wenigstens nicht bei Regen. Oder begünstigt mich das Schicksal etwa mit der Perspektive von außen? Vom Schinkelplatz? Thyssen-Krupp-Platz? Den Kranz auf der Kuppel baumeln sehen, das geht doch am besten mit etwas Abstand, denke ich. So sag ich in weiser Voraussicht schon mal Danke, liebe Stiftung.

Schlosskuppel mit Dixieklo im Mai 2015: Menschlichkeit auf der Baustelle (Foto: Frank aus Hermsdorf, aufgenommen während der Zukunft-Berlin-Tour)

Schloss schlägt Humboldtforum

Doch das „Kaiserwetter“ macht mich immer noch ein bisschen kirre. Das Wort, sollte es jemand in Reden bemühen, klängen heute anders als 2013. Damals standen wir in der Baugrube, unter Straßenniveau. Jetzt redet man von der Kuppel herab. Der Bau selber spricht, der Rohbau wohlgemerkt, schreit: Schloss, Kaiser, Deutsches Reich! Das ist ein Dreiklang, der in keinem Forum weggeredet werden kann. Wilhelm von Boddien sagt in einem Interview, das Humboldtforum würde bei den Menschen nicht hängenbleiben. Sie würden zukünftig ins „Schloss“ gehen, weil sie den Begriff „Humboldtforum“ noch nicht verstanden hätten.

Werbung fürs Schloss. Kaiserwetter auch im Thälmannpark möglich

Werbung fürs Schlossrichtfest im Thälmannpark. Links: Gast auf der „Osten ungeschminkt“-Tour mit Berlin on Bike am 10. Juni 2015 (Foto: André Franke)

So ist es. Das habe ich selbst bei jenen beobachtet, die genau wissen, was das Humboldtforum sein soll. Im Februar dieses Jahres bemühte sich Staatssekretär Engelbert Lütke-Daldrup bei einer Veranstaltung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung wirklich darum, nicht vom „Schloss“ zu sprechen. Es fiel ihm gar nicht so leicht. Aber das immer erklärungsbedürftige „Humboldtforum“ wollte sich einfach nicht auf seine Zunge legen. Am Ende seiner Ausführungen, befördert durch Emotion beim Reden, vergaß er den Vorsatz, und es kam wieder das einsilbige, schnelle Schloss heraus. Ist ja auch gar nicht schlimm, ich mach´s ja genauso. Boddien hat längst gewonnen.

Die letzten Sonnenstrahlen im Schloss 1918

Aber mit dem Kaiserwetter sollte man vorsichtiger sein am Freitag. Mögen die Gäste es bloß nicht herbeirufen! Einmal aufgegangen, bleibt die wilhelminische Sonne, jegliche Menschlichkeit verachtend, fest am Himmel stehen. Und geht als letzte unter. Wie im November 1918. Über die letzten „Sonnenstrahlen“ im Berliner Schloss (als Lebensmittelvorräte des Kaisers) schreibt Heinz Knobloch unter Berufung auf den Zeitzeugen Wilhelm Carlé etwas, bei dem sich des Lesers Magen umdreht, so er denn gefüllt ist:

„Bereitwillig führt man mich in die großen Lagerräume. Ich war darauf gefasst, ein Lager vorzufinden, aber das dort gesehene übertrifft doch alle meine Erwartungen. In großen, weiß getäfelten Kammern stand hier alles, aber auch wirklich alles, was man sich an Lebensmittelvorräten überhaupt denken kann. Nein, ich muss mich verbessern, man kann es sich nicht ausdenken, dass nach vierjährigem Krieg noch solche ungeheuren Mengen von Lebensmitteln aufgespeichert sind. Da finden wir Fleisch und Geflügel auf Eis, Saucentunken in großen Kisten, blütenweißes Mehl in Säcken bis an die hohe Decke aufgestapelt, tausende von Eiern, Riesenbassins mit Schmalz, Kaffee, Tee, Schokoladen, Gelees und Konserven jeder Art aufgeschichtet in unendlich scheinenden Reihen. Hunderte von blauen Zuckertüten, Hülsenfrüchte, Dörrobst, Zwieback usw. Man ist sprachlos und denkt unwillkürlich an den alten Witz, dass die Mengen so groß sind, dass ein Mann allein sich davon unmöglich einen Begriff machen kann. Der Wert der Vorräte beläuft sich auf mehrere hunderttausend Mark. Wenn diese Lebensmittelvorräte augenblicklich nicht besser zu gebrauchen wären, so möchte  man vorschlagen, sie unberührt dem deutschen Volke im Nationalmuseum als ein ewiges Zeichen zu erhalten, damit Kinder und Kindeskinder noch sehen mögen, wie in Deutschland, während Millionen hungerten, ‚Gottbegnadete‘ durchhielten.“ (aus: Berlins alte Mitte, Jaron-Verlag, 1996, Berlin)


Futurberlin-Eventreport zur Grundsteinlegung des Schlosses am 13. Juni 2013 

Boddien-Interview mit Deutschlandradio Kultur

Kürzliche, jetzt fragwürdige Futurberlin-Anfreundung mit dem Schlossbau

Schlossverkauf: Große Erzähler braucht das Land

"Extrablatt" des Fördervereins Berliner Schloss e.V. - Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

„Extrablatt“ des Fördervereins Berliner Schloss e.V. – Herstellungskosten 30 Cent, Spendeneffekt: 17.000 Euro (Foto: André Franke)

Wilhelm von Boddien ist ein bestechender Rhetoriker. Alle gesammelte Erfahrung gipfelt in Anekdoten. Dabei besitzt er die Gelassenheit eines Mannes, der es geschafft hat. Immerhin hat er nicht nur den Bundestag vom Schlossbau überzeugt, sondern ist auch Vater und Großvater von 5 Kindern und 13 Enkelkindern, wie er letzten Montag bei dem Vortrag zu den Schlossfassaden sagte. Seine Erzählkunst verbindet sich aber automatisch mit dem Marketingexperten, der er gleichermaßen ist. Das „Extrablatt“, das er als Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss herausgibt, koste ihn pro Heft 30 Cent, sagt er. Mit Versandkosten etwa 2,50 Euro. Aber jedes einzelne bringe immerhin bis zu 17.000 Euro in die Spendenkasse. Deshalb sei ihm das Heft sehr wichtig. Und am wichtigsten die letzte Seite, die mit dem Ausfüllformular: „Bitte ankreuzen und abschicken!“. Das ist nicht nur in Ordnung, sondern fast schon beneidenswert. Seine Leidenschaft hat einen klaren Zweck (die Spende). So ist auch das Humboldtforum für ihn ein Mittel zum Zweck (die Schlossgeschichte). Mit den Geschichten, die das Humboldtforum zu erzählen vermag, so beschreibt es Boddien metaphorisch, müsse der Geist der unkultivierten, ungebildeten Jugendlichen unseres Landes geöffnet werden, wie man die Schnäbel von Gänsen öffnet, bevor man sie stopft. Dann käme es darauf an, in die freudige, erwartungsvolle Offenheit (das sind meine eigenen Worte) das nachzuschieben, was ab 2019 dann die Kunstsprache der rekonstruierten Fassadenwelt kommuniziert. Das ist hohe Erzählkunst, die bei der Seidenstraße beginnen mag und in Berlin am Schlosse endiget. Tja, und genau das hat Wilhelm von Boddien am Montag vorgemacht.

Boddien erklärt die Barockfassaden

Schlossbauhütte: Gipsmodell des Innenportals II von Barockbildhauer Frank Kösler, März 2015 (Foto: André Franke)

Schlossbauhütte: Gipsmodell des Innenportals II von Barockbildhauer Frank Kösler, März 2015 (Foto: André Franke)

Es ist soweit. Mit den Barockfassaden bin ich übern Berg. Als letztens die Berliner Zeitung ihren Aprilscherz über sie machte, blieb mein Zwerchfell weitestgehend unbewegt. Das mag daran liegen, dass ich mittlerweile schon zum zweiten Mal in der Schlossbauhütte war und zuviel gesehen habe. Zuviel Arbeit, zuviel Kunst. Und zuviel Bildhauerleidenschaft. Wenn Frank Kösler zu mir sagt: „Ich lebe und sterbe für diese Aufgabe“, dann glaub ich ihm das. Er hat die Portalkrönung des Innenportals II modelliert (siehe Bild oben), eine Teilrekonstruktion. Die dunklen „Genien“ rechts und links sind hier nur Platzhalter aus Plastik. Die noch vorhandenen Originale werden später in das Sandsteinportal eingesetzt. Heute hält Wilhelm von Boddien, Geschäftsführer des Fördervereins Berliner Schloss e.V., einen Vortrag über die Schlossfassaden (19 Uhr in der ZLB, Säulensaal im Alten Marstall, Breite Straße 30-36). 

Ende April erscheint auch ein Artikel von mir in der neuen Ausgabe von „Berlin vis à vis“ zum Fassadenprojekt 

Willkommen, großes Haus!

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: "Unser König" - Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Vom Beton zum Buch. So schnell kann´s gehen: „Unser König“ – Erst beworben, dann erworben: Ersteres hat die gesprächige Frau aus Charlottenburg für mich getan, blechen war mein Part. Danke! (Foto: nette Passantin, ohne Buchempfehlung)

Neulich stand ich vorm Schloss und fotografierte. Da sprach eine Frau mich an: „Und was halten Sie vom Schloss?“ Ein Gespräch begann, und die Sonne schien, und schwupps-die-wupps kam die munter erzählende Charlottenburgerin auf König Friedrich. Den „Großen“. Nicht vom Humboldtforum redete sie, nicht vom Palast, nicht von den Barockfassaden. „Unser König“ schwebte ihr im Geist, der im Schloss geboren wurde. Und vom gleichnamigen Buch fing sie an zu schwärmen, das zum 300. Geburtstag Friedrichs als Biografie von Jens Bisky herauskam. Das war vor drei Jahren. Damals konnte ich mich für keine der vielen Veröffentlichungen entscheiden. Jetzt empfahl sie mir eine bestimmte davon persönlich, soufflierend, herzlich werbend. Und es dauerte. Was hatte Bisky mit dieser Frau gemacht? Für derartige Winke mit dem Zaunpfahl bin ich empfänglich. Ich habe das Buch noch am gleichen Tag gekauft und lese auf Seite 248, wie die Königin während des Krieges aus dem Schlosse flieht, weil die österreichischen Husaren Berlin erobern. Eine Woche lang wohnt sie unköniglich in der Festung Spandau:

„Vier Verbrecher, Eisen an den Füßen und eine kleine Lampe in der Hand, führen Ihre Majestät und die Prinzessinnen in die Wohnung, die aus fünf Räumen besteht, in denen die Fenster zerbrochen sind, keine Tür schließt, keine Stuhl zu erblicken ist.“ (aus dem Tagebuch des Kammerherrn von Lehndorff in „Unser König“, siehe unten)

Wie dem auch sei, wenn das die Kraft des neuen Schlosses ist, dass es die „großen“ Themen in uns weckt, dann ist es mir heute schon ein Stück weit willkommener als es das gestern war.

Buch: Unser König. Friedrich der Große und seine Zeit – ein Lesebuch, Jens Bisky, Rowohlt, 2012

Die Saison ist eröffnet, die Zukunft läuft … fährt auf Rädern

Nordfassade Schloss: Noch Werbeplane statt Sandsteinfiguren. Aber bald kommen sie - aus der Spandauer Schlossbauhütte.

Nordfassade Schloss: Noch Werbeplane statt Sandsteinfiguren. Aber bald kommen sie – aus der Spandauer Schlossbauhütte.

Heute beginnt die offizielle Saison bei Berlin on Bike und damit auch die wöchentliche Radtour „Zukunft Berlin“, bei der wir aus aktuellem Anlass am Mauerpark die Rede von Amadeus Hollitzer verlesen, die er am Donnerstag in der BVV gehalten hat, um zu verhindern, dass der Senat die Planung an sich zieht. Zu spät, wie sich herausstellte. Aber auch die BND-Zentrale zeigt Neuigkeiten: Drinnen wurden die Wasserhähne geklaut, draußen gibt´s jetzt eine Fußgängertreppe vom Pankepark zu den Townhouses. Außerdem im Programm:

  • Straßenbau in der Europacity
  • pulverisierte Plattenbauten direkt an der Spree
  • Neues von den Barockfassaden
  • Partizipationsgebaren am Rathausforum

Wirt starten um 11 Uhr in der Kulturbrauerei.

21 Tonnen am Stück ohne Schnitt und Fuge? Schlossbildhauer: Das hätt´s bei Schlüter nicht gegeben

Eine Stunde und einundzwanzig Minuten braucht ein Mensch in Berlin, um vom U-Bahnhof Eberswalder Straße in Prenzlauer Berg zum Askanierring 74 in Spandau zu gelangen – zumindest mit den Öffentlichen. Das ist länger als meine weihnachtliche oder österliche Heimreise ins sachsen-anhaltische Karow dauert. Warum also dorthin fahren? Weil an dieser Adresse die mittigste Mitte der Stadt gespachtelt wird und gebildhauert: die an den Rohbau des Humboldtforums zu hängenden, spendenfinanzierten Barockfassaden in der sogenannten “Schlossbauhütte”.

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

An einem sonnigen Februarsonntag: das Schlossportal III (Eosanderportal), das sich noch ohne die Portalkrönung zeigt, an der Bildhauer Frank Kösler in der Schlossbauhütte in Spandau gegenwärtig noch arbeitet (Foto: André Franke)

Ungefähr 10.000 Steine bearbeiten die Bildhauer hier. Kleine und große, neue und Originale. Ich treffe auf der Führung, die der Architektur- und Ingenieurverein zu Berlin organisiert hat, das Säulen-kapitell wieder, das jahrzehntelang an der Ruine der Kloster-kirche lag, und natürlich gibt es hier sehr viele Adler, über die ich heute alles andere als spotten will (die Satire gibt´s hier).

Eher ergreift mich eine Ahnung von der Größe, der Komplexität der Rekonstruktionsaufgabe, die sich die Schlossstiftung gestellt hat. Es ist ein Puzzle aus tonnenschweren Steinskulpturen, die alle zuerst in Gips modelliert und zuvor ins korrekte Maß gebracht werden müssen. Schlüter, sagt Bertold Just, Leiter der Schlossbauhütte, arbeitete vor dreihundert Jahren mit dem “Rheinischen Fuß”. Franco Stella dagegen denkt und liefert die Pläne metrisch. Die Bildhauer rechnen um, skalieren in dieser Hütte, damit 2019 in Mitte alles passt.

Einer von ihnen ist Frank Kösler. Die klassische Musik, die auf der Tour in der Halle im Hintergrund zu hören ist, kommt von seinem Arbeitsplatz. Bautzener Senf steht auf einem kleinen Pausentisch und eine Packung Salz. Der Bildhauer ist mit einer Portalkrönung beauftragt, an der er seit September arbeitet. Kösler versteht Steine. Er beschreibt mit seinem ganzen Körper, wie sie sich setzen und Ruhepunkte suchen, sich später aber dennoch bewegen. Unbegreiflich ist ihm, warum der Stein, den er mit seinen zwei Töchtern gestaltet (es ist der größte, der in einem Stück an die Fassaden angebracht wird und er wiegt 21 Tonnen), nicht geschnitten und gefugt wird. Bei Schlüter hätte es sowas nicht gegeben, sagt er und prophezeit Risse. “Kollege Sollbruchstelle”, ein Wort Köslers, ist im Gipsmodell schon zu sehen.

Kösler versteht auch Barock. Er lebt ihn, um ihn produzieren zu können, das erklärt er auch ganz ausdrücklich in einem Stiftungs-Video über die Schlossbauhütte und stellt es live unter Beweis (zum Video hier). Spuren der barocken Lebensfreude, die er für seine Arbeit zur Praxis erhebt, stehen auf dem Tisch gleich neben dem Senf: drei leere Flaschen Budweiser. Ich hätte ihm stundenlang zuhören können und war nicht der einzige, der am Ende der Führung noch lange bei ihm stehenblieb, als der Barockbildhauer leidenschaftlich ausführte, dass man nicht mit jedem Stein alles machen könne, zum Beispiel mit schlesischem Sandstein nicht schlüterschen Barock. Und er prophezeit, dass das Ergebnis entsprechend aussehen werde. – Eine Stunde und einundzwanzig Minuten denke ich auf dem Heimweg darüber nach, was ich von dem Projekt jetzt halten soll. Aber die Zeit, die vorher lang war, ist für die Antwort zu kurz.

Die halbe Henne von Hohenzoll – eine animalische Ballade in 14 Strophen

… Schloss-Satire #3

Und das ist der lange Schatten meines Besuchs in der Ausstellung Schlossbaumeister: Der geschundene Adler Preußens ließ mich nicht mehr los, auch nicht auf dem Weg in den Urlaub. Welch schöneren Anlass als einen Aufenthalt in Weimar könnte ich nehmen, das Genre zu wechseln und auch einmal dem Lyrischen zu verfallen? Hier also das erste Gedicht auf Futurberlin – eine Hommage an alle gluckenden Greifvögel. Zunächst: das Objekt der Inspiration, die halbe Henne…

Halbe Henne, mehr ist nicht dran. Bodemuseum Juli 2014, Ausstellung "Schlossbaumeister"

Halbe Henne, mehr ist nicht dran. Bodemuseum Juli 2014, Ausstellung „Schlossbaumeister“

(1)

Die halbe Henne von Hohenzoll

Ist schon ein merkwürdiges Wesen

Sie sitzt nur da und wundert sich

Warum sie nicht kann fliegen

(2)

Da stolpert in das Museum rein

Und kehrt mit ehrwürdigem Besen

Der Pförtner, spricht: Erinn’re dich!

Du warst ein hohes Wesen

(3)

Oh sag, mein Lieber, du kanntest mich?

Erzähl mir mehr von diesem Leben

Was war, wo flog, wie stürzte ich?

Wie kam ich ins Museum?

(4)

Du stiegst gen Himmel – ja wundervoll

Dank deiner hergeraubten Federn

Sie hielten in den Schwingen sich

Die Schwingen bald verwesten

(5)

Verwesten! – Wo ich doch fliegen soll?

Das ging ja herzlos denn daneben

Zerstaubt mein edles Flügelpaar?

Was bin ich denn gewesen?

(6)

Du warst der Adler von Hohenzoll

Ein wahrlich jagdtaugliches Wesen

Mit Krallen, Schnabel, Augenlicht –

Nur Großes konnt’ es lesen

Ganz klar: ein Adler. Wohin der fliegen wird, ist unklar.

Krumme Neese – ganz klar: ein Adler. Wohin der fliegen wird, ist unklar.

(7)

Ich nahm den Schnabel gar allzu voll?

Ist schon sehr lehrreich, dein Benehmen

Doch warte, langsam dämmert’s mich:

Ich stürzte ganz verwegen …?

(8)

Des Königs’s-Adlers Kanonenhall

Samt seinen kaiserlichen Späßen

War’n lustig für die Menschen nicht

Die Adler drüber schwebten

(9)

Im Traume flog ich nach Niederland

War es denn groß, das Reichsbegehren?

Der Luftraum bald verdunkelt sich

Und neuzehnsiebenvierzig …

(10)

Die Alliierten von überall

In einer meisterlichen Geste

Erkoren als das Übel: dich!

Nur Eier sollst du legen

(11)

Als Henne wie in’em Hühnerstall?

Da bleibt ja kaum was zu erstreben

Die Flügel wachsen innerlich

Bald werd’ ich mich erheben

Schlossbaustelle Juni 2014

Hier erhebt sich ein Wesen mit steinernen Flügeln. Schlossbaustelle Juni 2014

(12)

Du heile Henne von Hohenzoll

Wie eine Katze hast du Leben!

Wie Phoenix aus der Asche kam

Wirst du am Schlosse kleben

(13)

Jawohl mein Lieber, von Hohenzoll!

Das war der Name meiner Väter

Was kommt zurück im Donnerhall:

Bin ich, ein Adlerswesen!

(14)

Da stolpert aus dem Museum raus

Und hat die Zukunft ausgelesen

Der Pförtner, schwört: Ich spende nicht!

Bleibst hier, du krumme Neese!

 

ENDE

Ente gut, alles gut? – tieranatomisches Rätselraten bei Schlossbaumeistern

Henne von Hohenzoll 2

Die halbe Henne von Hohenzoll / Ist schon ein merkwürdiges Wesen / Sie sitzt nur da und wundert sich / Warum sie nicht kann fliegen …

Schloss-Satire #2 — Mal ehrlich, ich hätte diesen Vogel nicht ausgestellt. Es ist ja überhaupt nicht klar, welcher Art er ist, welcher Gattung er angehört. Aber er ist das sehenswerteste der aktuellen Ausstellung „Schlossbaumeister“, zumindest für mich. Das gute Stück erlaubt haarsträubende Interpretationen oder führt ganz einfach zu Verwechslungen. Wer also beim Rundgang durchs Bodemuseum (die Ausstellung ist bis 24. August verlängert worden) auf ein Steintier trifft, von dem er nie zuvor gehört oder gesehen hat, dem sei ein Eintrag aus dem Ethymologischen Wörterbuch mit auf den Weg gegeben, der vielleicht weiterhilft:

Adler m. großer heimischer Greifvogel, mhd. adelar(n), adlar, adler (…) ist eine (im Nhd. nicht mehr erkennbare Zusammensetzung von mhd. adel (s. Adel) und ar (s. Aar), eigentl. ‘edler Aar’. Der Name entsteht, als mit der im 12. Jh. zur Blüte gelangenden Falknerei der Adler von den übrigen niederen Jagdvögeln unterschieden wird.”

… „niedere Jagdvögel“ – da haben wir´s doch: Wir sehen ein Huhn mit starkem Schnabel, das Körner jagd und Eier legt, respektive: Spenden sammelt, Beton abwirft. Darüber wird zu berichten sein, zu dichten sein: über „die halbe Henne von Hohenzoll“ – eine Ballade, in der Schloss-Satire #3

Ich, der Großspender

Eosanderportal pink PunkteSchloss-Satire #1 — Ja, ich habe gespendet. Ich habe mein Geld für das Schloss gegeben. Als ich am Tag der offenen Schlossbaustelle (was wundert’s, es war ja Kindertag!) im Vorbeischlendern durch die Humboldtbox das nackte, künftige Eosanderportal glänzen sah, packte mich pures Mitleid mit dem heraufziehenden, Gewitterwolkenartigen Rohbauschloss und verfiel einer verspielten, aber großzügigen Geste. Ich griff in die Konfettibox und klebte so viele pinkfarbene Klebepunkte ans Portal, bis die Humboldtboxer, weil sie mit dem Punkte-Nachzählen gar nicht nachkamen, mich aufforderten, damit aufzuhören. “Wollen Sie denn meine Spende nicht?”, fragte ich. Man hielt mir vor, ich könne das doch gar nicht alles bezahlen. ”Aber ich arbeite im Berlin-Tourismus. Die Saison läuft gut, und ich spende meine ganzen Frühjahrs-Honorare für die Hohenzollernfarce!”, sagte ich. Da ließ man mich weiterkleben und nahm meinen Scheck an. Er liegt in der Spendenbox, zwischen den Zehnern und der Portaldeko, das müsst Ihr mir glauben, auch wenn das schwer zu erkennen ist! Das Foto verruckelte, weil die herandrängenden, verblüfften Leute mich, den Großspender!, im Moment der Aufnahme und sicher ohne böse Absichten, anstießen. Nennen wir es doch die Humboldt’sche Unschärferelation, die an jenem ausgesprochen sonnigen Sommersonntag die Sicht auf die kassierten Finanzen ein bisschen ins Trübe zieht.

Spendenbox

 

Geniale Schloss-PR

Ostfassade Schloss - SpreeuferEs ist nicht lange her, dass Architekt Stephan Braunfels mit seinem provokanten Entwurf, das Schloss zur Stadt hin öffnen wollte. Eine Initiative versucht seitdem, den Verzicht auf die Ostfassade des Humboldtforums in die Realität umzusetzen, auch wenn diese ganz anders aussieht (die Wand steht schon im zweiten Geschoss). Jetzt lädt die Schlossstiftung am Sonntag zu einem Tag der offenen Baustelle ein und schneidert sich das Braunfelsmotiv maßgerecht um – sprachlich zumindest. Stiftungsvorstand Manfred Rettig lässt sich in einer Pressemitteilung so zitieren:

„Ich bin begeistert von diesem großartigen Gebäude und von den neuen Stadträumen, die entstehen. Architekt Franco Stella öffnet das Schloss für die Stadt. Das Humboldt Forum wird zur Visitenkarte eines weltoffenen Deutschlands im 21. Jahrhundert.“

– Gemeint ist eine öffentliche Baustellenbesichtigung. Na dann, schmerzlich willkommen! 

Distel entwirft Zukunft Berlins anno 2050

Das Kabarett-Theater „Distel“ in der Friedrichstraße spielt in seinem Jubiläumsprogramm „Endlich Visionen“ auch einen Sketch über Berlin im Jahre 2050. Auf dem „Wowereiter“ unternimmt eine Familie eine Stadtführung und bekommt ein Bild von der Stadt geboten, das wir heute noch nicht kennen, aber vielleicht schon erahnen: Berlins Innenstadt wird bus- und autofrei, Neukölln ein Safari-Zoo für Touristen, Opernhäuser gibt es sieben, verbunden werden sie mit einem „Transopera“, über den auch das einzige Stadtorchester seine Instrumente austauscht, das Berliner Schloss als Humboldtforum wird unter die Erde gelegt, zugunsten des darüber ausgebauten U-Bahnhofs Museumsinsel, denn es gibt eine neue U-Bahnlinie U55 B, die oberirdisch „über den Linden“ verkehrt – zusätzlich zur unterirdischen U55 -, die Linden werden deswegen gefällt, Hertha schießt wegen der Dauersanierung des Olympiastadions aufs Brandenburger Tor und einen Flughafen gibt es nicht, auch nicht in Tegel. Ich war der einzige, der bei der Vorstellung gestern für die autofreie Innenstadt geklatscht hat. Die „Distel“ feiert ihr 60-jähriges Jubiliäum. In dem Programm wirft sie den Blick 60 Jahre in die Zukunft. Es läuft noch bis Ende des Jahres.