Rückzug des Planwerk Innenstadt an Karl-Marx-Allee

— Bericht —

Für das Gelände des ehemaligen „Hauses der Statistik“ an der Karl-Marx-Allee Ecke Otto-Braun-Straße in Mitte gibt es eine neue städtebauliche Planung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat ein konkurrierendes städtebauliches Gutachterverfahren durchgeführt und präsentiert die Entwürfe von vier Berliner Architekturbüros im Rahmen einer Ausstellung. Das Areal am Alexanderplatz sei in den vergangenen Jahren „Ort heftigster planungspolitischer Auseinandersetzungen“ gewesen, sagte Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte in der Senatsverwaltung. Er eröffnete die Ausstellung am Donnerstag und betonte die Kooperation im Verfahren mit Architekten, dem Bezirk Mitte und den Eigentümern, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Liegenschaftsfond Berlin.

Der prämierte Entwurf des Büros Augustin und Frank Architekten lieferte die geforderte hohe Bandbreite an Gebäudetypologien und beantwortete die zentrale Wettbewerb-Frage nach der räumlichen Vernetzung des Plangebiets mit dem angrenzenden Wohngebiet an der Karl-Marx-Allee am überzeugendsten. Ausgehend von einer klaren Stadtkante an der Otto-Braun-Straße verjüngen sich drei 9-geschossige Blöcke trapezartig im rückwärtigen Bereich. Der Nutzungsmix aus Einzelhandel, Büros/Hotels und Wohnen variiert zwischen den Geschossen und in Abhängigkeit von der Nähe zum Wohngebiet. Zwei 11- und 15-geschossige Solitäre leiten zur offenen Bauweise über und dienen fast ausschließlich dem Wohnen. Ecke Karl-Marx-Allee schließt ein 13-stöckiges Büro- und Hotelhochhaus das Gebiet an den Alexanderplatz an, es ragt aus einem 4-geschossigen Block-Sockelbau heraus, der die Bauflucht der alten Landsberger Straße wieder aufnimmt.

Entgegen älteren Planungen hat die Landsberger Straße in dem Entwurf keine grundstückserschließende Funktion und wird nur mit landschaftsgestalterischen Mitteln wiederhergestellt. Die Blöcke orientieren sich am rechtwinkligen Straßengrundriss des DDR-Wohngebiets. Der radikale Ansatz des Planwerks Innenstadt von 1998, der eine starke städtebauliche Überformung des Gebiets mit der radialen Struktur der alten Königsstadt vorsah, sei aufgegeben worden, sagte Kühne. Inzwischen hätten sich die Nutzungsinteressen der Eigentümer, wie auch die Lage am Markt geändert, und es gäbe eine höhere Nachfrage nach Wohnen als in den Jahren zuvor.

Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus Thomas Flierl (Linke) findet die Planung richtig und gut. Schon als Baustadtrat von Mitte (1998-2000) hatte er sich für den Erhalt der Ost-Moderne an der Karl-Marx-Allee eingesetzt, heute fordert er die verwaltungsexterne Weiterentwicklung des Planwerks Innenstadt mit politischem Beschluss. Nach Angaben von Kühne soll ein neuer Planwerksbeschluss noch in diesem Jahr gefasst werden. Die Ausstellung der Gutachter-Entwürfe läuft bis 6. Februar im Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Am Köllnischen Park 3.

(teilweise veröffentlicht in Neues Deutschland v. 23.01.2010)

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Auferstanden aus Ruinen – Abschied vom „Haus der Statistik“

— Bericht —

Getrost kann man an der Karl-Marx-Allee Ecke Otto-Braun-Straße von einem städtebaulichen Missstand sprechen. Das ehemalige „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz verschreckt durch sein ruinöses Erscheinungsbild Autofahrer in den unterirdischen Kreuzungstunnel. Aber das wird sich ändern, das Grundstück wird neu bebaut.

Vier Berliner Architekturbüros haben dazu Entwürfe erarbeitet, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher stellt die Pläne am Donnerstag vor. Sie sind das Ergebnis eines konkurrierenden städtebaulichen Gutachterverfahrens, das die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zusammen mit den Eigentümern und dem Bezirk Mitte durchgeführt hat. Der Siegerentwurf des Büros Augustin und Frank Architekten sieht vor, den baufälligen Gebäudekomplex in drei Blöcke aufzubrechen und im Kreuzungsbereich ein Hochhaus zu errichten. Die Arbeiten werden bis 6. Februar im Lichthof der Senatsverwaltung Am Köllnischen Park 3 ausgestellt.

Der 1970 errichtete Bürobau ist heute abrissreife Bausubstanz. Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik hatte vor der Wende hier ihren Sitz. Bekannt war das Haus auch für den „Natascha-Laden“ und die „Suhler Jagdhütte“. DDR-Bürger konnten hier Erzeugnisse aus der Sowjetunion kaufen oder sich in dem Jägerei-Fachgeschäft mit Ferngläsern, Flinten und Hirschfängern ausrüsten. Mieter nach 1990 waren die Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamtes und die Zentralstelle der „Birthler-Behörde“. Das Gebäude steht heute leer. Eine Zukunft jenseits des 40. Geburtstages wird es für das Bauwerk nicht geben. Auf den Jahrestag genau folgt es dem Staat ins Grab, der es gebaut hat.

Auferstehen wird auf dem Gelände ein Stück Vorkriegs-Berlin. Hier lag einst die historische Georgenvorstadt, später Königstadt genannt, deren Straßen ursprünglich strahlenförmig vom Alexanderplatz wegführten. DDR-Architekten haben den alten Stadtgrundriss an dieser Stelle mit einem 1962 fertiggestellten Plattenbau-Wohngebiet überplant. Die Landsberger Straße verschwand so aus dem Stadtraum. Einzig das 1913 gebaute „Haus der Gesundheit“ steht noch in der alten Straßenflucht. Mit ihrem Entwurf holen die Gewinner-Architekten sie ins Gedächtnis der Stadt zurück – teilweise.

(teilweise veröffentlicht in Neues Deutschland v. 23.01.2010)

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Planschen mit Neptun – neue Pläne für das Rathausforum

— Bericht —

Der römische Gott des fließenden Wassers und der Meere würde das blaue Szenario wohl mit jubelnder Forke willkommen heißen. Weder wird darin vor dem Roten Rathaus die Berliner Altstadt auferstehen, noch der New Yorker Central Park in die deutsche Hauptstadt geholt. Nein, das Areal vor dem Fernsehturm, wo Neptun auf seiner Muschel thront, wird mit Spreewasser geflutet.

Die „Uferterrassen“ sind eins von insgesamt fünf Leitbildern, mit denen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher die Diskussion um die Zukunft des Zentrums Historische Mitte anheizen will. Die Entwürfe wurden am 17. Dezember im Rahmen einer Bürgerwerkstatt der Öffentlichkeit vorgestellt. Ähnlich wie schon bei der Bürgerbeteiligung „Parklandschaft Tempelhof“ im Oktober bekamen die Besucher in kleinen Dialoggruppen und mit Stift und Zettel die Möglichkeit, selbst Vorschläge und Ideen einzubringen. An den Präsentationstafeln der „Uferterrassen“ vermerkte auf diese Weise ein Teilnehmer, die Tiefe des Hafenbeckens auf 30 Zentimeter zu beschränken, damit man im Sommer „auf dem Wasser laufen“ könne. – Wir können gespannt sein.

Die von Lüscher beauftragten Architekten kommen aus den verschiedenen Büros Graft, Kiefer und David Chipperfield, aber sie betonen, dass sie sich als eine Planungsgemeinschaft verstehen. Es ging ihnen vor allem darum, kräftige Bilder zu entwerfen und nicht nach dem Baukastenprinzip verschiedene Elemente der einzelnen Entwürfe miteinander zu kombinieren. Gesucht wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Planungsprozesses nicht nach Kompromissen und Machbarkeit, sondern nach Kreativität.

Bis zum Sommer 2011 sollen die Ideen weiterentwickelt werden und dann in ein Entwicklungskonzept münden. Noch vor der Berlin-Wahl möchte die Senatsbaudirektorin das Konzept von Senat und Abgeordnetenhaus beschließen lassen. 2012 wird ein internationaler Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben. Vorerst bleibt das Gelände bis voraussichtlich 2017 teilweise von einer Baustelle für die Verlängerung der U-Bahnlinie U5 besetzt.

Neben den „Uferterrassen“ eröffnen die neuen Lüscher-Entwürfe die weiteren Entwicklungsperspektiven „Stadtpark“, „Städtische Bühne“, „Esplanade“ und „Archäologischer Garten“. Keine der Varianten verfolgte die historische Rekonstruktion des Alt-Berliner Marienviertels. Konzepte mit dieser Ausrichtung sind im Rahmen eines Workshops erst vor kurzem, am 27. November, im Neuen Stadthaus präsentiert worden. Unter ihnen war auch der Entwurf des Architekten Bernd Albers, der das Gebiet im Sinne des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann flächendeckend mit Berliner Blöcken bebauuen will.

Im Altstadt-Szenario würde Neptun samt Brunnen freilich auf den alten Schlossplatz versetzt, wo er 1891 eingeweiht worden war. Er würde dem historisch mit dem Ort verbundenen Martin-Luther-Denkmal Platz machen. Aber wie historisch verbunden ist der Neptunbrunnen eigentlich mit dem Standort südlich vor dem Berliner Stadtschloss? Der Legende nach hat Kaiser Wilhelm II. die gesamte Brunnenanlage aufwendig drehen lassen. Er fühlte sich durch die finsteren Blicke Neptuns gestört. Offenbar hat der Herr der Meere dort relativ locker im Sattel gesessen. Und wenn man sich heute überlegt, von wem die Altstadt-Pläne politisch unterstützt werden, dann könnte man meinen, der Neptun habe seitdem kein Auge zugeschlagen. Kulturstaatssekretär André Schmitz und sogar der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wollen sich mit Vergnügen die Sicht aus dem Roten Rathaus verbauen lassen. In der Tat schaut Neptun auf den Arbeitsplatz der Senatspolitiker. Unter seinen Blicken verrichten sie ihre Amtsgeschäfte. Doch wielange noch?

Rathausforum

Rathausforum: Der Turm kippt zur Spree

Bislang gäbe es für die Wiederbebauung des historischen Berliner Marienviertels, gemeint ist das heutige Rathausforum, noch keine politische Mehrheit, bekennt Kulturstaatssekretär André Schmitz am 16. Juli im Nicolaihaus auf Alt-Cöllner Territorium, aber er sei sich ganz sicher, dass das passieren wird. – Na klar, denn die Idee genießt die Unterstützung des Regierenden Bürgermeisters Klaus Wowereit und scheint seit Veröffentlichung von Hans Stimmann´s „Berliner Altstadt“ auch auf einem fachlichen Fundament zu wachsen. Aber wartet die „Staatsbrache“ tatsächlich auf eine neue städtische Nutzung, wie der Bundesverdienstkreuzträger und ehemalige Senatsbaudirektor behauptet?

Eine Fläche … die funktioniert

Rathausforum / Marx-Engels-ForumDas Areal, um das es geht, ist ein differenzierter Raum mit flexiblen Nutzungsmöglichkeiten und besteht bei genauerer Betrachtung aus zwei verschiedenen Einzelflächen: dem Marx-Engels-Forum und einem Platz, der erstaunlicherweise keinen offiziellen Namen trägt.

Letzterer wird in einer gegenwärtig stattfindenden, mehrteiligen Veranstaltungsreihe der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zum Thema Historische Mitte direkt als „Rathausforum“ bezeichnet. Bei dieser Freifläche zwischen Rotem Rathaus, Marienkirche und Fernsehturm handelt es sich funktional um einen Stadtplatz, der im Bereich Neptunbrunnen temporär auch als Marktplatz und Veranstaltungsort genutzt wird.

Das Marx-Engels-Forum funktioniert dagegen erstens als parkähnliche Grünfläche und zweitens als Gedenkstätte. Drittens übernimmt es mit der Anlegestelle für die Spreeschifffahrt eine besondere (Wasser-)Verkehrsfunktion. In Anlehnung an den bereits vor Eröffnung des Marx-Engels-Forums 1986 gebräuchlichen Namen „Park an der Spree“, und um das Forum im folgenden Text begrifflich und funktional vom Rathausforum abzugrenzen, soll die Fläche hier als „Spreepark“ bezeichnet werden. Beide Teilflächen weisen somit insgesamt sechs unterschiedliche Nutzungsaspekte auf.

… mit städtebaulichen Qualitäten

Was Freiräume wie Spreepark und Rathausforum in exponierter Lage wie dem Zentrum der City-Ost zu leisten vermögen, geht jedoch über funktionale Aspekte hinaus. Der Stadtraum zwischen Fernsehturm und Spree produziert eindrückliche Stadtbilder und eröffnet Sichtbeziehungen: kaum ein Standort, von dem der Blick des Besuchers nicht magisch vom mächtigen Schiff der Marienkirche angezogen wird. Der freistehende Kirchenbau hat eine Ausstrahlung, die durch eine Umbauung, selbst wenn sie auf historischem Stadtgrundriss verwirklicht würde, nur gebrochen werden kann. Die Marienkirche wirkt wie eine stolze, alte Dame, die man auf keinen Fall ins Korsett zwängen darf.

Dann das Rote Rathaus selbst: Stadthäuser im Bereich des Neptunbrunnens nähmen dem Gebäude jegliche Repräsentation. Das kann nicht ernsthaft im Interesse des Senats sein, der dort im Inneren sitzt. Die imposante Erscheinung des Gebäudes wird erst durch den Freiraum des Rathausforums erzeugt. Bauten würden diese Wirkung außer Kraft setzen.

Im Falle einer Bebauung des benachbarten Spreeparks, wären unter Berücksichtigung des Wiederaufbaus des Berliner Stadtschlosses folgende städtebauliche Konsequenzen zu (er)tragen: Das Spreeufer wäre sowohl auf der Alt-Cöllner als auch auf der Alt-Berliner Seite bebaut, infolge dessen die Spree mit ihrem Potenzial als Naturraum im Zentrum der Hauptstadt in beträchtlichem Maße aus der Wahrnehmung der Besucher genommen würde. Der Fluss bekäme seine Scheuklappen zurück. Gleichzeitig fiele auch die räumliche Kontrastwirkung weg, die man durch eine einseitige, akzentuierte Bebauung des Westufers mit dem Berliner Stadtschloss hervorrufen könnte. Der für die Öffentlichkeit sensationelle Blick vom Spreepark auf das Humboldtforum, das an dieser Stelle seine einzige modern gestaltete Fassade präsentieren wird, käme dann aus den Fenstern von Privatwohnungen. In diesen stadträumlichen Zusammenhang rückt dieser unterschätzte Park.

Ihre besondere Qualität erfährt die Freifläche aus Rathausforum und Spreepark aber erst in Bezug auf den 368 Meter hohen Fernsehturm. Beide Teilflächen bilden, quasi in Reihe geschaltet, sein stadträumliches Negativ, seinen lebendigen Schatten. Dieser ausgedehnte Freiraum ist die städtebauliche Übersetzung der Höhendominante des Fernsehturms in die Horizontale. Ganz subtil macht sie klar: wenn der Turm jemals kippen sollte, dann hier entlang, in Richtung Spree. Das ist eine Qualität von Städtebau – und im Hinblick auf die Größenordnung der Flächen auch eine Quantität – wie sie an diesem Ort nur unter sozialistischen Planungsverhältnissen entstehen konnte. Und das ist gut so.

Dem höchsten Bauwerk Deutschlands liegt mit diesem Stadtraum ein riesiges Potenzial zu Füßen. Über 500 Meter blicken wir heute vom Fuß des Fernsehturms über Wasserspiele und Neptunbrunnen ins Grüne hinein Richtung Westen. Mit dem Humboldforum erscheint am Horizont dann auch der fehlende Fixpunkt. Dieses Potenzial gilt es zu gestalten.

… im Rhythmus der Stadt

Auf größerer Maßstabsebene arbeiten beide Freiflächen, Rathausforum und Spreepark, mit den bebauten Flächen der Umgebung zusammen. Wie auch die beiden Freiflächen verschiedenartige Räume sind, so ist auch deren städtisches Umfeld durch eine auffallende Heterogenität geprägt. Ein kurzes Panorama soll die clusterhafte Beschaffenheit der City-Ost skizzieren.

Hackescher Markt mit Spandauer Vorstadt, Alexanderplatz mit Alexa, Kloster- und Nikolaiviertel mit zukünftigem Molkenmarkt, Alt-Cölln und Fischerinsel, Friedrichswerder mit Auswärtigem Amt und Townhouses, Schlossplatz mit zukünftigem Humboldtforum, Unter den Linden mit Universität und Deutschem Historischen Museum und schließlich das größte Universalmuseum der Welt: die Museumsinsel mit Lustgarten und Berliner Dom – sie lagern wie Schollen um die Freiflächen herum, sind Wohnstandorte von gestern und von morgen, zeigen Platte und (jetzt schon!) neue Stadthäuser, präsentieren Geschichte und Kultur, sind Platz, Boulevard oder Shopping-Mall.

Ein weiterer Townhouse-Standort im Zentrum dieses Ringes, der im Übrigen z.B. mit der Grunerstraße gegenwärtig auch Brüche aufweist, würde das Areal der City-Ost nicht bereichern, sondern entkräften. Was bereichert das Portfolio dieser Zentrumslage? – Diese Frage müssen wir stellen.

Der Maßstab für deren Beantwortung liefert uns nicht nur der oben dokumentierte Bestand. Vielmehr muss der Zielzustand des Planwerk Innenstadt zu Grunde gelegt werden sowie laufende und planungsrechtlich gesicherte Projekte. Ob am Hackeschen Markt, Alexanderplatz, Molkenmarkt, in Alt-Cölln oder auf Schinkel- und Schlossplatz – die Nachbarschaften von Spreepark und Rathausforum werden baulich verdichtet. Auch das ist gut so. Aber hüten wir uns doch davor, eine dritte Niere zu verpflanzen, an der Stelle, wo ein Herz zu schlagen hat.

Grün ist dieses Herz und Berliner Domöffentlicher Raum, ein direkter Zugang zum wahren Ursprung Berlins: der Spree. Dabei gehen die Aufgaben des Freiraums über eine lediglich funktionale Ergänzung zur bebauten Umgebung hinaus. In einem derartig facettenreichen Zentrum wie die City-Ost fördern Freiflächen wie Spreepark und Rathausforum die Orientierung und motivieren Mobilität; sie rhythmisieren die Wegebeziehungen zwischen den o.g. City-Bausteinen und sind darüberhinaus selbst Anziehungspunkte, denn eine wesentliche Qualität von Freiräumen, ob Grünfläche oder Stadtplatz, besteht in ihrem Vermögen, den bebauten Raum zu öffnen, den Passanten aus seiner Führung durch Straße und Block stadträumlich und mental zu befreien. Der Akt der Bebauung bedeutet an diesem Ort mehr als einen Wiederaufbau der historischen Altstadt; er ist ein Machtspruch, mit dem wir zukünftigen Berliner Besuchern und Einwohnern vorschreiben, auf welche Weise sie sich in der Stadt zu bewegen haben. Aber sind mit Lustgarten und Alexanderplatz nicht bereits genügend Freiräume bzw. Plätze vorhanden?

Gerade die Bedeutung des Marx-Engels-Forums als Park mit hochgewachsenen, voluminösen Bäumen darf nicht unterschätzt werden. So beschaulich und provinziell dieser grüne Stadtbaustein auf den ersten Blick – vielleicht aus den Fenstern des Roten Rathauses – wirken mag, so unschlagbar ist sein naturräumlicher, klimatischer Effekt im Großstadt-Sommer, inbesondere in Kombination mit der Spree. Weder Lustgarten noch Alexanderplatz, auch nicht das Rathausforum allein, können eine derartige Oasenwirkung ersetzen. Der belebte Lustgarten hat in der Tat Garten-Charakter, ist eine urbane Liegewiese, belebter Vorhof der Museumsinsel, aber wir finden keinen Schatten und hören auch keine Vögel zwitschern, denn es wachsen dort keine Bäume wie drüben im Park. Der Alexanderplatz dagegen ist ein urbaner Großstadtplatz, überregionaler Verkehrsknotenpunkt und Einkaufszentrum. Kurz gesagt: Hier kommt man an und geht Shoppen, auf dem Rathausforum entfaltet sich das Berliner Stadtbild, im Spreepark findet man sowohl Schatten als auch den Anschluss ans kühle Nass der Spree, und im Lustgarten sonnt man sich in Angesicht eines Weltkulturerbes. Es ist gerade dieser ausgewogene Freiflächen-Mix – und der Spreepark liefert einen außergewöhnlich originellen Beitrag dazu – der die Mitte Berlins so erlebbar macht.

… die nicht existiert?

Was keinen Namen hat, existiert nicht. Was den Namen eines untergegangenen Staates trägt, wird zur Brache erklärt. Das ist für den Platz vor dem Roten Rathaus und das Marx-Engels-Forum die real-kapitalistische Ausgangslage. Es ist vor allem das Image der Flächen, das unter den Hammer kommt – bei Ausklammerung ihrer wertvollen Funktion. Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hat sich für den Erhalt der Freiflächen ausgesprochen, aber auch deutlich gemacht, dass eine Umgestaltung notwendig sei, insbesondere an den Rändern zur angrenzenden Bebauung. Gleichzeitig scheut sie nicht den Vergleich des Areals mit dem Central Park in New York und hat angekündigt, ihre Verwaltung werde Vergleiche mit ähnlichen Metropolräumen anstellen. Das neue Image, das dieser Ort benötigt, muss also kein altes, historisches sein, und die „Marzipan-Altstadt“, vor der sich die Berliner fürchten (tip), bleibt hoffentlich nur ein Traum.

Die Stadt mit der neuen Altstadt – diesen Ruf könnte sich Berlin in der Zukunft aufhalsen und verlöre damit gleichzeitig eines seiner wichtigsten Alleinstellungsmerkmale gegenüber anderen europäischen Metropolen. Internationale Gäste sind fasziniert von den großzügigen Dimensionen der Stadt und schätzen das Image Berlins als weitläufige, offene und freiräumige Stadt – oder kommen sie am Ende etwa wegen der Brachen?

(Der Text entstand als Beitrag für die Planerin (Ausgabe Dezember 2009). Er ist ein Plädoyer für eine offene Gestaltung des sogenannten, neuen „Rathausforums“ und beschreibt die städtebaulichen Qualitäten „im Schatten des Fernsehturms“)