Annemieke sucht die Freiräume Berlins und landet im „Open Space“ des Tempelhofer Feldes

Mitten im Winter fahr ich selten aufs Feld. Aber Annemieke Bosschaart hat mir dafür einen Grund gegeben. Die Journalistik-Studentin aus den Niederlanden suchte nach den Freiräumen Berlins und nach Erklärungen, warum es sie gibt. In ihrer Radio-Reportage „Open Spaces in Berlin“ macht sie eine Tour mit mir, die auf dem offensten, freiesten, negativsten, wildesten, unberechenbarsten und unstädtischsten Flecken Berlins endete. Sie hätte vielleicht hier, auf dem Tempelhofer Feld, beginnen sollen …

Wir trafen uns aber am Alexanderplatz. Ich wollte Annemieke zuerst das riesige Rathausforum zeigen. Kein Freiraum liegt zentraler und keiner ist trügerischer in dem Sinne, dass Berlins Historie drunterliegt. Auf dem Weg zu den Stadtmodellen am Köllnischen Park kamen wir am Schloss vorbei. Ich hatte es nicht als Tourinhalt geplant, doch es drängte sich uns ganz von selber auf, und Annemieke fand Interesse an dessen Geschichte, obwohl der Schlossplatz ja kein klassischer Freiraum (mehr) ist. Jede Baustelle steht für einen vergangenen Freiraum.

Eine Freiraum-Tour startet am Rathausforum, das die Presse wegen seiner Ausmaße gerne mal mit Pjöngjang vergleicht

Das ließ sich gut erkennen als wir wenig später vor dem Stadtmodell standen, das im Maßstab 1:500 zeigt, was wo in Berlins City Ost seit 1990 gebaut und geplant wurde. Aber hier, im Foyer der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung, sprachen wir besonders über die Ursachen, warum Berlin heute immer noch so frei, grün und bunt ist. Und dieser Fokus war auch für mich selbst bereichernd. Denn bis auf die Konversion ehemaliger Bahnflächen lässt sich die Existenz der Freiräume letztlich auf die Kriegszerstörungen und die spezielle Teilungsgeschichte der Stadt zurückführen.

Vielfältige Ursachen

Die Europacity, das RAW-Gelände, die Güterbahnhöfe Wilmersdorf und Greifwalder Straße, der Park am Gleisdreieck oder das „Pankower Tor“ sind allesamt Areale der Bahn gewesen. Die Prinzessinnengärten (hiermal stellvertretend für zahlreiche Berliner Kreativ-Oasen) haben sich auf einer kriegsproduzierten Baulücke am Moritzplatz entwickelt. Der Mauerpark, der teilweise auch eine Bahngeschichte hat, und die Wagenburg Lohmühle in Treptow sind auf dem 1990 frei gewordenen Grenzgelände der Mauer entstanden. Und Tempelhofer Feld wie Noch-Flughafen Tegel, Projekte der Extraklasse in der Berliner Stadtentwicklung, sind ein Segen der Sektorenstadt Berlin aus dem Kalten Krieg (und ihrem Ende selbstverständlich).

Pony-Reiten durch den Mauerpark. Nur im Freiraum möglich (Foto: André Franke)

Pony-Reiten durch den Mauerpark. Nur im Freiraum möglich (Foto: André Franke)

Gerade Tegel und Tempelhof als erlöste, zu erlösende Flughafenstandorte sprangen uns ins Auge als Annemieke und ich vor den Berlin-Karten standen. Das sind die „Open Spaces“ Berlins vom größten Kaliber. In diesem Moment schwant es Annemieke, dass ihr Wunschprojekt „RAW“, zu dem ich sie entlang der Spree führen wollte, an ihrem eigentlichen Thema vorbeizuschlittern drohte. So fragte sie mich unterwegs, ob wir raus aufs Feld fahren könnten. Und das taten wir, bogen zum S-Bahnhof Jannowitzbrücke ab, anstatt die Holzmarktstraße zur East Side Gallery rauszulaufen, und nahmen am Ostkreuz die Ringbahn.

Fenster zum Feld gibt es viele. Die S-Bahn bugsiert jeden Tag tausende auf der Ringbahn am größten Freiraum Berlins vorbei. Einsteigen lohnt sich

Treptower Park … Sonnenallee … Neukölln … Hermannstraße … und dann kam auf dem Weg zum S-Bahnhof Tempelhof endlich das „Fenster zum Feld“. Annemieke sah einen Freiraum wie sie ihn in einer Stadt noch niemals gesehen hatte. Diese halbe Minute Feld ist das dynamischste Stadtbild Berlins. Man fährt in hoher Geschwindigkeit (alternativ mit dem Auto auf der A100), doch nur langsam ändert sich, was man sieht. Fast statisch bleibt das Bild. Das macht einem die Größe dieses Ortes klar. Dann stiegen wir aus, überquerten den Tempelhofer Damm, gingen aufs Feld.

Freiraum der Extraklasse: das Tempelhofer Feld. Blick vom Neuköllner Schillerkiez nach Westen (Foto: André Franke)

Freiraum der Extraklasse: das Tempelhofer Feld. Blick vom Neuköllner Schillerkiez nach Westen (Foto: André Franke)

Schritt für Schritt wurde es leiser. Wir ließen den Straßenlärm hinter uns. Es war Montag, früher Nachmittag und kalt. Kaum Menschen. Alles ruhig. Alles offen. Wir liefen bis wir den Taxi-Way erreichten, und ich bestand darauf, weiter bis zur nördlichen Rollbahn zu gehen. Noch weiter weg von der Straße, noch weiter ins Zentrum rein. Von hier aus sahen wir bis zum Fernsehturm. Da hatte unsere Tour begonnen. Auf merkwürdige Weise hatten wir zwei Berliner Freiräume miteinander verbunden, der eine zentral, der andere peripher (zur Innenstadt). Allein der Blick zurück verband beide Orte.

Dann trennten sich unsere Wege. Ich lief zurück zur Ringbahn, fuhr in die Gegenrichtung, nochmal durchs Feldfenster gucken. Annemieke Bosschaart ging über die zwei Kilometer lange Rollbahn nach Neukölln. Ihre Suche nach dem Berliner Freiraum war zu Ende. Jetzt suchte sie wieder die Stadt.


Radio-Reportage „Open Spaces Berlin“ auf soundcloud.com

Artikel von Annemieke Bosschaart auf Campus-Blog (in Niederländisch)

Stadtkern im Uhrzeigersinn

Eine Nachlese zum Stadtkern-Walk vom 25. Januar …

Zu sechst waren wir am Mittwoch beim Stadtkern-Walk, dem ersten eigentlich, wenn man den letzten nicht zählt, was ja auch irrig wäre, weil er im Dezember mangels Anmeldungen ausfiel (acht Gäste warteten damals trotzdem spontan auf den Tourstart, nur der Guide kam nicht, weil er in der Kita war. Drum sag ich: Anmelden Leute, bitte regt Euch, auch wenn´s spontan ist). Danke an die Fünfe, die es diesmal tatsächlich taten!

Viadukt im Längsschnitt

Drei Stunden waren wir unterwegs, liefen ziemlich zügig, wenn ich das rekapituliere. Warmen Aufenthalt, vielmehr Durchgang, bot uns der Bahnhof Alexanderplatz. Das war ganz schön (nicht nur, weil es warm war), nachdem wir vorher nur entlang des Viadukts, auf dem die Bahn fährt, gegangen waren, entweder außen entlang oder innen. Auf einmal hatten wir hier die Möglichkeit, (was ich so auch nicht geplant hatte) nicht nur den Viadukt durch einen seiner Bögen zu queren, sondern sogar längs zu durchwandern.

Volle Kanne das Gegenteil wartete auf uns, als wir wieder rauskamen. Ein einziger Weg bleibt, um die Grunerstraße, hier: den Alexandertunnel zu überqueren. Wir mischen uns in den Menschenstrom, der sich in das Alexa ergießt. Hätten wir gleich drin bleiben können und folgen, in das Ding hinein und hinten wieder raus – wäre noch ein warmer Indoor-Streifzug geworden. Aber so kalt war´s nun auch wieder nicht am Mittwoch Abend. Und: der Bogen zwischen Viadukt und Alexa ist sehr anziehend, man sieht ihn ja schon, wenn man noch drüben auf der anderen Seite des Tunnels steht und sich nur fragt, wie man da rüber soll. Auch die Soundkulisse läuft auf dem Abschnitt mit: Riesenlärm beim Rübermachen zum Alexa, aber je weiter man die südliche Dircksenstraße abläuft, desto leiser wird´s. Bis hin zur Totenstille am Parochialkirchhof.

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Der (Alexander-)Tunnel der Tonner (Foto: André Franke)

Parochialkirche kurz vor Spiel

Da stehen wir an der Ecke Littenstraße und warten auf das 18-Uhr-Glockenspiel. Doch der neue Kupferturm der Parochialkirche tut uns den Gefallen nicht. Wir quatschen uns die Zwischenzeit rum, denn es sah so aus, als stünde die Turmuhr auf 17:58 Uhr. Doch es war dunkel, und wir hatten es falsch gesehen. Erst zehn vor Um war´s. Zu lange Warten für den Stadtkern-Walk. Immerhin waren wir noch nicht mal Dreiviertel der Strecke rum.

Was an der Parochialkirche zu früh war, war am Märkischen Museum zu spät. Hier schließen die Stadtmodelle der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung gegenüber um 18 Uhr. Sechs Minuten später war es, als wir ankamen. Diesen Indoor-Stopp hatte ich allerdings auf dem Plan. Schade, denn Martina, die schon lange im Stadtkern wohnt, kannte diese Ausstellung der Stadtmodelle noch nicht.

Und was sagt uns das? – Den nächsten Stadtkern-Walk andersherum laufen!

Friedrichstraße? Nee, nee

Ich springe zurück. Zur Strecke zwischen Hackescher Markt und Alexanderplatz. Dort liefen wir die äußere, durchaus belebte und mit Geschäften und Kneipen besetzte Viaduktstraße (auch Dircksenstraße) ab, dann bogen wir durch eine Unterführung in die Rochstraße auf die innere Seite ein. – Sowas von tote Hose. Dunkel und still. Hier im Hinterland der Wohnscheiben der Liebknechtstraße, wo es auch eine Schule gibt, ist der Stadtraum am Bahnviadukt gewerblich genutzt, stehen Lieferwagen vor Lagerräumen zwischen Büschen rum. Ein Zaun trennt das Gelände von der Rochstraße ab, aber die Türe steht offen. Da stehen wir, gucken das an, als eine Touristin kommt, sie mag italienisch gewesen sein, die fragte mich, ob es hier zur Friedrichstraße geht (und zeigte in Richtung Gewerbebüsche!). Sie hatte Glück, ich bewahrte sie vor der Sackgasse. Wer hier reingeht (und das geht), steht nach 150 Metern erneut vor einem Zaun und muss umkehren.

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das ist nicht die Friedrichstraße und man gelangt auch nicht zu ihr, wenn man hier durchgeht (Foto: André Franke)

Das Verbrechen am Kupfergraben

Noch vorher, als wir an der Museumsinsel waren, mogelte sich das Magnus-Haus in die Tour. Wie in den Notizen zum Stadtkern-Walk beschrieben, geht es ja nicht unbedingt um die Bauskandale und Bauprojekte am Wegesrand, sondern um Defizite und Potenziale der Stadträume am Stadtkern. Da aber alle Gäste an diesem barocken Stadtpalais und seinem Garten interessiert waren, bogen wir spontan (vor Merkels Haustür) in die Bauhofstraße ab. Gegenüber vom Collegium Hungaricum warfen wir einen Blick über den Gartenzaun des denkmalgeschützen Areals, auf dem Siemens seine Hauptstadtrepräsentanz bauen will. Beim Anblick des Gartens fragten wir uns alle gemeinsam, wo genau das Gebäude hier eigentlich stehen soll? Überall Garten, Bäume, Grün. Wer sich traut, an diesem verträumten Ort auch nur einen Baukran aufzustellen, dem müssen die Sinne einen makabren Streich spielen (bitte nach Hause fahren und mal kräftig ausschlafen!)

Barocker Stadtgarten - es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Barocker Stadtgarten – es gibt ja sonst keine Bauflächen in Berlin (Foto: André Franke)

Ich belasse diese Nachlese mit dieser Handlungsempfehlung – und stelle nur noch fest: Die komplette Umrundung haben wir nicht geschafft, weil die Zeit fehlte. Kurz vor sieben Uhr, pünktlich zum Lichtbilderabend in der Stadtbibliothek, war der Stadtkern-Walk zu Ende. Die schöne Wallstraße (ein Potenzial), wäre es wert gewesen abzulaufen. Dann beim nächsten Mal wahrscheinlich, wenn es heißt: gegen den Uhrzeigersinn.

Nachlese zum #NewsRide 02/17

Am Mittwoch Schneegestöber, am Freitag Schneeregen – keine idealen Bedingungen für eine Radtour. Aber ich mache die Verwirklichung meiner Ideen nicht vom Wetter abhängig. Für alle, die mehr über die NewsRide-Orte von letzter Woche wissen wollen, ohne selbst mitgeradelt zu sein, habe ich diese „Nachlese“ geschrieben. Sie könnte in Zukunft standardmäßig in der Woche nach dem NewsRide kommen, besonders, wenn sich auf der Tour Fragen ergeben. Die Antworten „liefere“ ich dann zum Nachlesen nach.

Kröten am Pankower Tor

Was ist hier los? – Auf dem Areal zwischen Berliner Allee im Westen und Prenzlauer Promenade im Osten ist eine Grundschule mit 400 Schülern, ein Einkaufszentrum, etwa 1.000 Wohnungen, einen Stadtpark, einen Höffner-Fachmarkt und eine Gemeinschafts- und Sekundarschule geplant. Außerdem befindet sich östlich die Ruine des Rundlokschuppens, der unter Denkmalschutz steht. Eine neue Nutzung für diesen zu finden, erweist sich als schwierig, weil die Wiederherstellung des Gebäudes teuer ist. Die Zukunftswerkstatt Heinersdorf hat die Idee, aus dem Schuppen die Mensa der geplanten Schule zu machen.

Ein grauer Riese - das Gelände "Pankower Tor“ (Pankow-Karte der Kindergärten NordOst)

Ein grauer Riese – das Gelände „Pankower Tor“ (Pankow-Karte der Kindergärten NordOst)

Was gibt´s Neues? – Im Januar baggert man auf dem Gelände Krötenteiche aus. Die letzten Berliner Kreuzkröten müssen umgesiedelt werden, bevor der Stadtteil gebaut wird.

Links und Infos:

  • Pankows Bürgermeister und vorübergehender Stadtrat für Stadtentwicklung Sören Benn (Linke) im Interview mit der Berliner Woche, 02.01.2017
  • Die Krieger Grundstück GmbH (KGG) dokumentiert ihr Projekt (allerdings nicht akualisiert) auf pankower-tor.de
  • Der Tagesspiegel zum Rundlokschuppen und einer möglichen Integration der Ruine in die geplante Schule (als Mensa), 19.12.2016

Ideen für den Bürgerpark

Was ist hier los? – Eine Bürgerpark-Initiative hat sich gegründet (August 2016) mit dem Ziel, ein einheitliches Gestaltungs- und Denkmalschutzkonzept für den Park zu erarbeiten, da es ein solches im Moment nicht gibt. Sie kritisiert das Senatsprojekt „Panke 2015“, mit dem die Panke renaturiert werden soll (Projekt ruht derzeit) und ist nicht einverstanden mit den damit verbundenen „verheerenden Eingriffen“ in den Bürgerpark. Außerdem gefällt ihr die Idee eines Tierschutzvereines nicht, im Bürgerpark einen „Vogelgnadenhof“ und ein Altenheim für Tiere anzusiedeln; das Bezirksamt setzt sich aber für es sein. Die Initiative fordert auch eine bessere Parkpflege. Es geht es bei der aktuellen Diskussion um die Neugestaltung auch um die Zukunft der alten Meierei, die Einrichtung einer Skater-Anlage und ein gastronomisches Gesamtkonzept im Park.

Märchenstunde im Bürgerpark. Mimachen ist angesagt - bis 31. Januar (Foto: André Franke)

Märchenstunde im Bürgerpark. Mimachen ist angesagt – bis 31. Januar (Foto: André Franke)

Was gibt´s Neues? – Die Initiative hat einen alle Bürger gerichteten Ideenwettbewerb zur Umgestaltung des Bürgerparks ausgelobt. Er läuft noch bis zum 31. Januar. Insbesondere können Kinder mitmachen.

Links und Infos:


Holm und die Humboldt-Uni

Was ist hier los? – Hier forschte und lehrte der umstrittene Berliner Staatssekretär Andrej Holm ab 2005. Er war am Institut für Sozialwissenschaften, im Lehrbereich Stadt- und Regionalsoziologie tätig und beschäftigte sich mit Gentrifizierung, partizipativer Stadtentwicklung und Wohnungs- und Mietenpolitik. Holm betrieb nebenbei den Gentrification-Blog, auf dem er gegen die Spekulation mit Immobilien anschrieb.

Was gibt´s Neues? – Letzten Donnerstag, am 12. Januar, endete die Frist, die die Universität dem umstrittenen Staatssekretär Andrej Holm gesetzt hatte, eine Stellungnahme zu sein falsch gesetztes „Stasi-Kreuz“ abzugeben. Der Uni-Briefkasten soll bis zum Nachmittag leer geblieben sein, wie Tagesspiegel-Autor Björn Seeling am Freitag im „Checkpoint“-Newsletter schrieb.

Links und Infos:

  • Rechtsanwalt Johannes Eisenberg schreibt in der taz, dass die Humboldt-Uni sich aus Sicht des Arbeitsrechts für Holm entscheiden müsse. Er vergleicht den Fall Holm mit den Geschichten eines Gefängniswärters und eines NPD-Aktivisten, die, beide im öffentlichen Dienst tätig, Falschangaben gegenüber ihren Arbeitgebern machten. Das Bundesarbeitsgericht urteilte gegen die Arbeitgeber. Holm durfte sogar Lügen, so Eisenberg. Und die Uni hätte 2005 gar nicht nach seiner hauptamtlichen Tätigkeit bei der Stasi fragen dürfen., 09.01.2017

Tempohomes Alte Jakobstraße

Was ist hier los? – Auf der Brachfläche ist ein Tempohome geplant, ein Containerdorf für Geflüchtete. Die bis zu 500 Personen, die hier untergebracht werden, leben im Moment noch in Berliner Turnhallen. Die Tempohomes, von denen in Berlin etwa 30 entstehen, sollen die Turnhallen als Notunterkünfte ablösen. Die Container werden nicht übereinander gestapelt. Im Gegensatz zum Studentendorf Plänterwald, das auch aus Containern besteht, gibt es nur ein Erdgeschoss für alle Gebäude. Den Standort, wie auch die anderen Standorte der Tempohomes und MUFs, hat die Senatsverwaltung für Finanzen ausgewählt. Sie hat mit einer Expertenkommission über 1.500 Grundstücke in Berlin auf ihre Eignung hin untersucht. Ursprünglich war der 16.000 Quadratmeter große Standort an der Alten Jakobstraße für eine MUF geplant („Modulare Unterkunft für Flüchtlinge“). Das Tempohome soll laut Berliner Immobilienmanagement GmbH (BIM) Ende März 2017 fertiggestellt sein.

3 Container in einem Tempohome mit Küche und Bad bilden eine Wohnung für 4-8 Personen

Eine Wohnung in einem Tempohome mit Küche und Bad (Quelle: LAF, Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten)

Eine Wohnung (gelb) in einem „Gebäude“. Äußere Erschließung (Quelle: LAF)

Eine Wohnung (gelb) in einem „Gebäude“. Äußere Erschließung (Quelle: LAF)

Was gibt´s Neues? – Die Alte Jakobstraße ist eines von elf Tempohomes, für die gerade Betreiber gesucht werden. Es läuft eine Ausschreibung, zu deren Stand die SPD-Abgeordnete Clara West Ende letzten Jahres beim Senat angefragt hatte.

Links und Infos:

  • Übersichtskarte zu Tempohomes und MUFs in Berlin auf rbb-online, 07.01.2017
  • FAQ zu Tempohomes auf berlin.de (vom Landesamt für Flüchtlingsangelegenheiten)
  • Schriftliche Anfrage von Clara West, 17. November 2016

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

„Und plötzlich begann der Bauwahnsinn“

Bausinn, Bauwahn, Bauwahnsinn? Ja, Bauen kann Sinn machen, und wahnsinnig machen vielleicht auch (siehe „Germania“). Oder muss man andersherum zuerst wahnsinnig sein, um zu bauen?

Senator Geisel lebe in einer Parallelwelt, die neue Liegenschaftspolitik sei eine Farce, und es gebe ein Kartell von Akteuren, die kleinteilige Nutzungsmischung auf Gebäudeebene verhindere. Das war gestern beim öffentlichen Stadtgespräch im Charlottenburger Stadtbüro von Katrin Lompscher zu hören – Sätze, die nicht von ihr kamen, sondern von den Gästen, dem Publikum.

Eventnotizen, quer durch den Gemüsegarten

Das Gelände des ehemaligen Güterbahnhofs Wilmersdorf, das mit mehr als 900 Wohnungen bebaut werden soll, hieße jetzt „Friedenauer Höhe“, sagt jemand mit einem Lächeln auf den Lippen.

Es wurde kritisiert, dass das Land Berlin beim Projekt Elisabeth-Aue in Pankow weiterhin Grundstücke an Private verkauft (etwa 50 Prozent, wie ich hier neulich gelesen habe), anstatt sie zu behalten und ausschließlich in Erbbaupacht zu vergeben.

Es wurde erwähnt, dass ein Investor eine (billige) Bahnfläche am Westkreuz kaufen will, um sie zu bebauen und dass der Bezirk ihm das leicht mache.

Es wurde über die zwei Volksentscheide „Fahrrad“ und „Volksentscheide retten“ gesprochen, die beide für die Bundestagswahl 2017 zu spät kämen, weil sie von der Verwaltung torpediert würden (dazu ein Interview des Tagesspiegel mit Heinrich Strößenreuther vom Fahrradvolksentscheid). Es gäbe für die Verwaltung für die Bearbeitung keine Frist, was der „Retten“-Entscheid eben auch ändern wolle.

Berlin, die „Samsung-Stadt“

Katalin Gennburg, früher Stadtbüro-Mitarbeiterin von Katrin Lompscher, jetzt gewählte Abgeordnete aus Treptow, nannte in ihrer Agenda unter anderem, sie wolle großflächige Fassadenwerbung an Baustellen verhindern. Finde ich sehr symphatisch! Zwei Beispiele fallen mir sofort dazu ein: Beim Festival of Lights vorm mal wieder phänomenal-illuminierten Berliner Dom störte vor zwei Wochen nichts den Farbton des Abends mehr als das grelle Samsungschloss. Wenigstens für das Festival hätte die Stiftung Humboldtforum das Licht ausmachen können. Genauso bezeichnend für die Unsensibilität gegenüber seiner Umwelt ist der Standort „Samsungplatz“ … Na, wo ist der? Samsung-Großbildwerbung hängt auch an der Planfassade des Skandalgrundstücks Leipziger Platz 18/19, wo der „Samsunginvestor“ F100 aus Luxemburg für die erklärte Europäische, nutzungsgemischte Stadt Berlin keine „Samsungwohnungen“ bauen braucht, weil ein „S-Senator“ („S-“ wie Stadtentwicklung) ihm eine Ausnahme erteilt (die Presse berichtete umfangreich). Neben dem Berliner Bauwahnsinn existiert also auch ein Berliner Schauwahnsinn.

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Samsungschloss beim Festival of Lights. Tausende Menschen geblendet (Foto: André Franke)

Apropos Umwelt … Ein Bausenator könne nicht gleichzeitig auch Umweltsenator sein, sagte gestern auch jemand und kritisierte die Ämterhäufung in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umwelt. Das widerspräche sich und ermögliche Amtsmissbrauch.

ICC Berlin: Das ist der Palast des Westens, ohne Asbest

Es braucht nicht viel, um sich ins ICC zu verlieben. Bei mir waren es zwölf Seiten in der werkorientierten Biografie von Ursulina Schüler-Witte, die das Internationale Congress Centrum mit ihrem Mann und Architektenkollegen Ralf Schüler gebaut hat. Zwölf von siebzig Seiten. Ursulina Schüler-Witte schreibt in dem Buch, das vor einiger Zeit im Lukas Verlag erschien, auch von den alltäglichen Umständen, unter denen das Architektenpaar arbeitete. Sie erzählt auch die ein oder andere Anekdote: So haben sie und er den Entwurf für den Messehallen-Wettbewerb nur zehn Minuten vor Fristende abgegeben, am 30. September 1965 um 23:50 Uhr.

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der "lange Lulatsch" legitimiert es (Foto: André Franke)

Ohne den Funkturm wäre das ICC brutal. Der „lange Lulatsch“ legitimiert es (Foto: André Franke)

Was wäre passiert, wenn die „Ente“, auf deren Dach sie das Modell transportierten, in dieser Herbstnacht schlappgemacht hätte, nicht getankt gewesen wäre, oder aus anderen Gründen den Weg zu den Berliner Austellungen nicht gefunden hätte? – Die historische Folge wäre gewesen: Die DDR hätte den Palast der Republik nicht gebaut!

Kommunisten schlagen Kapital aus Entwürfen

Die Architekten gewannen als Außenseiter den Wettbewerb. Sie bauten später das Kongresszentrum an anderer Stelle als 1965 vorgesehen. Deshalb steht das ICC heute an der Autobahn und ist wegen der Längsform des Grundstücks 320 Meter lang (ursprünglich dachten sie an ein sechseckiges Kongressgebäude, das von dreizehn Messehallen umgeben war). Die DDR hatte bis dahin im „Schaufenster Ost“ dem geplanten Koloss nichts Vergleichbares entgegenzusetzen. Deshalb machte sie für die international ausgeschriebene Sichtlinienanalyse, die für den Riesensaal des ICC erarbeitet werden musste (5.000 Gäste wollen die Bühne sehen!), ein Angebot, das niemand ausschlagen wollte: 9.500 DM, schreibt Schüler-Witte. Ein belgisches Büro hätte es für 95.000 DM gemacht, die USA für 250.000 DM. Die DDR wollte den Auftrag unbedingt, um das Kongresszentrum zu kopieren.

Die ICC-Pläne verschwanden bereits einen Tag nachdem die Westberliner Architekten das Projekt im Ost-Berliner „Institut für die Technologie kultureller Einrichtungen“ vorgestellt und dort hinterlassen hatten. Das war 1971. Der Institutsleiter telefonierte panisch mit den Architekten, hatte offenbar keine Ahnung von dem Vorgang. (Er verließ die DDR 1977 mit Hilfe des Architektenpaars; bitte selber nachlesen, auf welche Weise!). 1973 begann der Bau des Palasts der Republik und 1976 fertig, also bevor 1979 das ICC Berlin eröffnete. Der Gehirnschmalz von Schüler und Schüler-Witte, der die enorme Nutzungsvielfalt und Raumflexibilität im ICC ersann, wurde also auch für die Volkskammer verbraten.

Der asbestfreie Palast

Als wir am Sonntagnachmittag am Ende der Vivantes-Tour auf das ICC trafen, war die erste Bemerkung eines Gastes: „asbest-verseucht“. Dass das für den Palast der Republik galt, wird jeder wissen. Das ICC … Ich überlegte und sagte nichts. Weil ich nicht wusste, ob das zutraf. Später las ich im Buch weiter, wo steht:

„dass das ICC von Spritzasbest durch einen glücklichen Zufall verschont geblieben ist, weil es inzwischen das asbestfreie Material Kafko zur feuerhemmenden Ummantelung von Stahlbauelementen gab (…).“

Na bitte, meiner kleinen Liebesgeschichte steht also auch DAS nicht im Wege. Was freue ich mich, dass ich nächsten Sonntag um 11 Uhr wieder am S-Bahnhof Messe-Nord stehe, zusammen mit Vivantes. Am Treffpunkt der Etappe 14, der vorletzten von „Vivantes erradeln“ mit Berlin on Bike, blicken wir auf das ICC. Geht gar nicht anders. Wenn man hier ist, muss man es ansehen. Wie es da liegt an der Autobahn … Wer könnte das Stahlschiff anheben? – Auch interessant, dass Ralf Schüler und Ursulina Schüler-Witte das „Raumschiff- und Weltraumdesign“ nicht bewusst als Stil entwarfen. Es war mehr ein Ergebnis von „Form follows function“, berichtet die Architektin. Die Devise hätten sich viele für den Nachfolgebau des Palasts der Republik gewünscht.


Das Buch … im Lukas Verlag

Schloss in pink

„Hinter“ dem Schloss

Hinter dem Schloss, wo die Container stehen und Franco Stella öfter über die Straße geht, um nach seiner Baustelle zu sehen, wo auch die Busse, steif wie Bock, in die Breite Straße eindrehen und dabei den Radweg mit den todbringenden Doppelreifen der Hinterachse überrollen, und wo, im Gegensatz zur Nordseite, auch kein Weltkulturerbe anzutreffen ist (es würde sich wohl schnell aus dem Staub machen …), – hier ist nicht „hinten“!

Schloss in pink

Pink am Schlossplatz, 2015: In Berlin ein Zeichen für Temporäres, nicht Dauerhaftes. Dafür aber ein „Störer“, der die Aufmerksamkeit von Berlin-Besuchern auf sich zieht. Hier ist bald wieder „vorne“.

„Hier ist vorne“, erkläre ich am Sonntag auf einer Zukunft Berlin Tour, da bei Ulla, die aus Erftstadt bei Köln kommt, der erste Eindruck beim Stoppen vorm alten Staatsratsgebäude folgender war: „Ich war bisher immer nur vorne gewesen, auf der anderen Seite … Aahh, so sieht´s also hinter dem Schloss aus!“

Ich freue mich über solche Steilvorlagen sehr. Man kommt sofort auf das Wichtige zu sprechen, auf das Positive. Was ist das Positive am Schloss? Es bringt die Grundordnung auf der Spreeinsel zurück: einen Lustgarten im Norden, einen Schlossplatz im Süden. Wir können wieder zeigen, wo die Stechbahn war, wo Ritter sich mit Lanzen die Rüstungen durchbohrten, vom Pferd fielen.

Erkennbar wird dadurch auch eine weitere Geschichte: Berlin war nicht das Schloss. Nicht immer jedenfalls. Das Schloss kam erst in der zweiten Welle der Berliner Stadtentwicklung. Mehr als 200 Jahre kam Berlin-Cölln ohne es aus, und Kurfürst Friedrich II., genannt „Eisenzahn“, positionierte seine Residenz am Rande der Stadt. Fortan musste Berlin mit dieser … „Unwucht“ leben. Oh, dieses Bild gefällt mir auch sehr. Und man könnte hinzufügen, dass die Unwucht später ein ganzes Land ins Schleudern brachte und ins Desaster katapultierte, wo die Menschen nicht wussten, wo oben und unten ist.

Meininger, was Du auf dem Kerbholz hast!

Das viel bemängelte, geschasste, gehasste und aus den Betonmischern ausgeschiedene Hotel Meininger am Washingtonplatz unserer Stadt hat Nachbarn gekriegt, die Gott sei Dank einige Aufmerksamkeit von ihm nehmen. Dennoch ergab sich heute morgen, Gästen, die ich zu einem Welcome Walk vom Aman Grand Central abholte (Invalidenstraße), bei einem „Rundumschlag“ im Spreebogenpark die neu entstandenen Hotels, inklusive eben auch des Hotels Meininger, zu zeigen, wobei ich dann nicht drumherum kam, das Hotel M. besonders schlecht zu machen. So blieb es uns in Erinnerung, den Gästen und mir, und kam, wie das manchmal so ist, gegen Ende der Tour mir noch mal hoch (das ist fast schon die Phase des Ausscheidens) als wir vor den Stadtmodellen Am Köllnischen Park standen. Ich stellte fest, das Hotel Aman, obwohl schon fertiggebaut, sei gar nicht im Detail ausgefertigt (so sollte es mit realisierten Baukörpern sein, die im Modell auftauchen; nur die noch nicht gebauten erscheinen als grober Holzklotz). Das kann man an einigen Modellgebäuden sehen, dass das nicht so richtig hinhaut, und das Stadtmodell nicht auf der Höhe der (rasenden) Zeit ist. Nur bei einem Gebäude, das ebenfalls nur grob modelliert ist, macht alles Sinn: Mein Blick und Zeigestock fiel auf das Hotel Meininger auf der anderen Seite des Hauptbahnhofs. Zwar ist es fertiggebaut – aber irgendwie ja auch nicht, wenn man den Qualitätsmangel bemisst! Und außerdem, so in etwa hab ich´s gesagt, verdiene das Haus das hübsche Geschnitze nicht. Was will man dem Meininger auch ins Kerbholz ritzen? Es gibt keine Form, keine Deko, was den Kotzkubus irgendwie nicht als bloßen Schuhkarton dastehen lässt. Kratzputz wäre ein kleiner Schritt für den Maurer, aber ein großer Schritt für´s Hotel M.

Nur eine Ecke ist vom Hotel Meininger zu sehen. Ist auch besser so.

Ballhaus Ost: Frag den Futurberliner im Hotel Berlin

Dienstag Abend um 22:45 Uhr läuft in der ARD die romantische Komödie Grand Hotel Budapest. Die sollte man mal gesehen haben. Aber vielleicht geht das auch später. Es gibt was besseres. Ein besseres Hotel, gleich um die Ecke oder sagen wir: hier in Berlin.

Im Ballhaus Ost in der Pappelallee in Prenzlauer Berg ist noch bis Sonntag ein temporäres Hotel eingerichtet, eine Schlafstätte mit 75 Betten, die überall in dem Gebäude zu finden sind. Auf sechs Stockwerken verteilt stehen sie auf dem Boden, liegen auf Podesten, auf Balkonen, in aufgebauten Hütten. Sogar in der Waschküsche steht eine Liege. Und unten im großen Saal.

Doppelbett in der Feierhalle des Ballhaus Ost (© David Baltzer)

Doppelbett in der Feierhalle des Ballhaus Ost (© David Baltzer)

Das Ballhaus Ost feiert sein 10-jähriges Jubiläum mit diesem Performanceprojekt. Bevor es in die Heiha geht, werden dem Hotelgast Führungen und Vorführungen geboten. Auf dem Handrücken trägt man eine Schildkröte, eine Erdbeere oder ein Schwert. Die Stempel, die einen beim Einchecken gegen 20 Uhr aufgedrückt werden, dienen der Gruppenzugehörigkeit. „Die Schwerter bitte zu Ali, raus auf den Friedhof“. Ja, das Ballhaus ist aus dem Friedhof und der später gebauten Feierhalle der Freireligiösen Gemeinde Berlin hervorgegangen, ab 1848. Ali erzählt aus dem Leben von Verstorbenen, die hier begraben sind.

Hotel für die Heimatlosen

Währenddessen gehen einige Erdbeeren in den sechsten Stock rauf zu Fernanda, hören sie erzählen von ihrer Suche nach einer Wohnung in Berlin. Dreizehn Schlüssel legt sie einem vor, jeder verbunden mit einer Geschichte, die am Ende jedesmal erfolglos bleibt. Geschichten aus dem Berlin-Boom, der viele zu Großstadtwanderern, Heimatlosen macht. Deshalb ist sie ja hier, Fernanda. Im Hotel Berlin. Ein fiktiver Dauergast.

Dann ist da noch Herr Diano. Er hat sich im Hotel Berlin sein Notquartier eingerichtet, sitzt auf dem Sofa und spielt auf einer bunten Gitarre aus Plaste, die Kinderzimmertöne von sich gibt. Herr Diano war Akrobat. Ein Leben lang. Jetzt wird er aus seiner Wohnung verdrängt, entmietet. Alle paar Minuten macht er eine Pause und stellt die Gitarre ans Sofa. Dann erzählt er eine Geschichte aus seinem Leben, zum Beispiel wie er im (alten!) Friedrichstadtpalast auftrat oder wie er mit Kumpels als Junge über die Dächer am Koppenplatz lief und sich einer einen Stock durch den Körper rammte, beim Klettern, aus Versehen, ein Unfall. Der Kumpel starb im Hedwigs-Krankenhaus. Dann sagt Diano von ganzem Herzen: „Danke“ und spielt weiter. Parallel wird das Entmietungsprotokoll verlesen.

Herr Diano in seinem Notquartier im Hotel Berlin (© David Baltzer)

Herr Diano in seinem Notquartier im Hotel Berlin (© David Baltzer)

Dinner in der Feierhalle

Nach drei Stunden Führungen, Workshops und Hauptperformance im Feiersaal gibt es einen Vortrag der Architektin Anna Baltschun, die ein Zukunftsvision für das Ballhaus Ost entworfen hat, eine Mischung aus Theater und Hotel, vereinfacht gesagt. Dann kommt das „diskursive Dinner“, für das eine Tafel aufgebaut wird, die auf ganzer Länge den Feiersaal durchzieht, und dann ist Schluss. Man kann schlafen gehen. Natürlich gibt es eine Bar. Und manchmal (wieder am Freitag, gegen 23:30 Uhr) gibt es auch das:

Oben im zweiten Stock, wo die Betten der Sozialschläfer sind (sieben), steht eine Art kleiner Tisch, mit Wasser gefüllt, das leuchtet, gespiegelt durch gebrochenes Glas, das drin liegt. Stühle stehen rundherum. Hier sitzt der Futurberliner, das Orakel der Stadt, im Bademantel, rasiert sich, putzt sich die Zähne, hat gerade noch ein bisschen Zeit, wenn man sich beeilt, um die Fragen der Hotelgäste zur Zukunft Berlins zu beantworten, bevor er schlafen geht.

Amtlich: Stadtschloss fällt 2048

Kommt eine Frage, bürstet sich der Futurberliner (der übrigens immer im Werden ist, wie ja Berlin) die Weisheit vom Zahn und rührt die Spurenelemente in den Zahnputzbecher ein. Dann kippt er die Suppe ins Wasser-Orakel und leuchtet mit dem Flackerlicht der Halogen-Taschenlampe hinein, wiederholt die Frage und … spricht aus, was das Orakel ihm zurückgibt. Das wird nicht immer das sein, was Ihr hören wollt. Letzten Freitag fragte einer nach seinem künftigen Wohnort in 2022. Und das Orakel sagte offen und ehrlich „Dortmund“. In einem andern Fall „Essen“. Das Stadtschloss würde 2048 abgerissen, 600 Jahre nach dem Berliner Unwillen. Neukölln wird nicht das zweite Prenzlauer Berg in Sachen Gentrifizierung, sagt es. Und im Flughafengebäude in Tempelhof werden 2020 keine Flüchtlinge mehr sein. Nach dem Ausgang der Wahlen am 18. September fragte übrigens niemand. Wohl aber nach der Zusammensetzung des Abgeordnetenhauses im Jahre 2026 (an dieser Stelle: kein Kommentar).

Am Morgen gibt´s ab acht Uhr Frühstück. Dann wird ausgecheckt aus dem „Grand“ Hotel Berlin in der Pappelallee.


Für alle, die Lust haben, eine Nacht dort zu leben, gilt der Spezialpreis von 5 EURO (für Performance und Hotelübernachtung!), wenn Ihr Euch an mich wendet: info@futurberlin.de Ich melde Euch an. Der Spezialpreis gilt für die nächsten drei Tage, also Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Hotel Berlin läuft noch bis Sonntag. Freitag mit dem Orakel, wie gesagt. 

Tickets und Reservierungen für die anderen Tage (Fr., Sa., So.) unter 030 440 391 68 oder karten @ ballhausost.de und an der Abendkasse

Man kann sich auch nur die Performance anschauen, ohne zu übernachten.

Waisenbrücke mit Verstärkung aus Amerika – Golden Gate Bridge erreicht die Spree

Den Ort der alten und vielleicht neuen Waisenbrücke in Berlin haben dank meiner „Sieben Brücken“-Tour Menschen gesehen, die normalerweise, weil in San Francisco lebend, die Golden Gate Bridge überqueren. Greta und John waren gerade erst in Berlin gelandet und ließen sich letzten Samstag trotz Jet-Lag und angekündigter deutscher Toursprache zusammen mit sechs weiteren Gästen auf die erste öffentliche Futurberlin-Radtour ein. Herzlichen Dank! Als wir nach vier Stunden am Waisenbrückenbalkon endeten, fühlte sich die Ankunft wegen der bunten Ballonbögen, die auf beiden Spreeufern diesseits und jenseits des Flusses aufgestellt waren, wirklich wie eine Zieleinfahrt an (es gab den Abschluss der Sommerakademie samt Museums- und Hafenfest). Fehlte tatsächlich nur noch die Brücke! Wenn sie einmal wiederaufgebaut werden sollte, werde ich diese Tour hundertprozentig wiederholen. Und vielleicht fliegen beide Amerikaner zu diesem Anlass noch einmal ein. Dann werden sie zu Hause am Pazifik nicht zuletzt sagen können: „Wir sind über die Berliner Waisenbrücke gefahren … – Was, Du kennst die Waisenbrücke nicht?“ Das erforderte natürlich eine herausragende Architektur. Mehr zu deren Wiederaufbauprojekt später, in einem anderen Blogpost. Nach dem Foto mit den Ufertrommlern der Sommerakademie, dem „Sieben-Brücken“-Tourziel-Event, folgen hier ein paar Infos zu den sechs Brücken, die wir im Vorfeld der siebten (der Waisenbrücke) auf der Tour angesteuert haben:

Trommler-Gruppen beim Museumsfest im Juli 2016, um die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits zu zelebrieren (Foto: André Franke)

Trommler-Gruppen beim Museumsfest im Juli 2016, um die Kommunikation zwischen Diesseits und Jenseits zu zelebrieren. Im Hintergrund: die Trommler auf dem anderen Ufer (Foto: André Franke)

Radbahn-Brücke

Hier über den Landwehrkanal führt bereits die Brücke der U-Bahnlinie U1. Doch passierbar ist diese nur für Bahnfahrende. Ein spanndendes Projekt verbindet sich mit dem Vorhandenen: die Radbahn-Berlin. Auf einer Strecke von insgesamt acht Kilometern möchte eine Initiative einen überdachten Radweg entwickeln, der vom Bahnhof Zoo bis zur Spree verläuft. Radler benutzen den U-Bahn-Viadukt also als Überdachung und Schattenspender. 80 Prozent der Strecke, sagt die Initiative, seien im Grunde heute schon verfügbar und beradelbar. Nur an 20 Prozent des Weges müsse gearbeitet werden. (radbahn.berlin)

Eine Herausforderung, rot markiert im Streckenplan, ist die Überquerung des Landwehrkanals. Die Radbahn kommt von Westen aus dem Park am Gleisdreieck und muss hinübergebracht werden auf das andere Ufer. Was liegt näher, als die vorhandene Brücke als Aufhänger zu benutzen und die Radbrücke einfach drunterzuklemmen? Genau das plant die Initiative.

Ob es wirklich soweit kommt, ist noch unsicher. Im Moment läuft gerade eine Machbarkeitsstudie, die zwei Jahre dauert. Auch wird abzuwarten sein, wie sich der Volksentscheid Fahrrad weiterentwickelt, er unterstützt das Radbahn-Projekt. Es scheint aber, dass der Senat dem Radbahnprojekt zuvorkommen möchte (Morgenpost). Er plant reguläre Radwege entlang der Uferstraßen. Die heutigen Kfz-Parkplätze sollen dafür unter das Viadukt wandern. Damit wäre sowohl der Viaduktweg funktional blockiert, als auch die Notwendigkeit für eine Radstrecke entlang des Kanals genommen, die heute komplett, auf weiter Strecke fehlt.

Neue Landwehrkanalbrücke

Der Senat plant eine Fußgängerbrücke über den Landwehrkanal. Sie soll in Verlängerung der Flottwellstraße entstehen und auf der anderen Seite in die Gabriele-Tergit-Promenade hinüberführen. Zu dieser Brücke fand offenbar ein Wettbewerb im Jahre 2006 statt. Architekt Max Dudler und Landschaftsarchitekt N. Koehler (Potsdam) haben ihn gewonnen (competitionline.com). Die Fußgängerbrücke ist barrierefrei und auch für Radfahrer benutzbar. Mit ihr würde man von den 280 Meter Umweg über die heutige Köthener Brücke (einzige Möglichkeit bislang) ca. 50 Meter einsparen. Sie soll 2,5 Millionen Euro kosten und ist eine Ausgleichs- und Ersatzmaßnahme der Potsdamer Platz-Bebauung.

Aufmerksam geworden auf diese Planung bin ich über den Gleisdreieckblog. Im Zusammenhang mit dem Radschnellweg auf der Berlin-Potsdamer-Stammbahn kritisiert der Blog diese Brückenpläne und schlägt stattdessen eine ampelfreie Überquerung nach dem Kopenhagener Vorbild der sogenannten „Cycleslangen“ vor. Der Park am Gleisdreieck würde mit dem Tilla-Durieux-Park direkt verbunden werden. Die Brücke würde im Park am Gleisdreieck auf Höhe der Lützowstraße über eine lange Rampe langsam ansteigen und in einem Schwung über den Kanal führen, also anders als die Senatsbrücke, die ja im rechten Winkel den kürzesten Weg über das Wasser nimmt.

Vor dem Hintergrund betrachtet der Blog auch den Durieux-Platz und seine Umgestaltung inklusive guter Radwege zum Potsdamer Platz. Die Schräge solle weg, was offenbar auch schon Mittes Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) einfordert hat.

Yorckbrücken

Ingesamt 30 Yorckbrücken gibt es heute noch. Sie sind alle denkmalgeschützt. Eine einzige verbindet den Ostpark des Gleisdreickparks mit dem Flaschenhalspark im Süden und garantiert den überregionalen Radwanderweg Berlin-Leipzig. Doch diese Brücke, es handelt sich um die Yorckbrücke Nr. 10, ist nur ein Provisorium. Sie wurde auf öffentlichen Druck von Anwohnern, des Bezirks Tempelhof-Schöneberg und der Medien im April 2014 kurzfristig vom Senat und der Bahn reaktiviert. Absturzgitter und Asphalt waren das einzige, was nötig dafür war.

Warten auf Sanierung und Reaktivierung: rostende Yorckbrücke auf Brachfläche Nähe Hellweg-Baumarkt (Foto: André Franke)

Warten auf Sanierung und Reaktivierung: rostende Yorckbrücke auf Brachfläche Nähe Hellweg-Baumarkt (Foto: André Franke)

Grund für die Aufregung war die kurz zuvor stattgefundene Eröffnung des neuen Flaschenhalsparks. Die Berliner strömten vom Ostpark in den Flaschenhalspark und umgekehrt, doch an der Yorckstraße trafen sie auf eine gefährliche Blockade: die stark befahrene Straße. Fußgänger wie Radfahrer kletterten über die Absperrungen, um sich den 200 Meter langen Umweg zu ersparen. Eine Ampel gab es nicht. Weil Ostern vor der Tür stand, befürchtete Staatssekretär Christian Gaebler (SPD) „schlechte Stimmung“ (Tagesspiegel). Und Senat und Deutsche Bahn erreichten das Menschenmögliche.

Ursprünglich wollte der Senat diese Yorckbrücke zusammen mit den anderen sanieren. Fünf wurden anfang 2016 ausgehängt und kommen nach Sanierung wieder zurück. Auch sie werden die beiden Parks miteinander verbinden. Danach steht die Sanierung auch für Brücke Nr. 10 an. Insgesamt werden sechs Yorckbrücken reaktiviert. Sechs weitere werden bereits heute von der Bahn genutzt, darunter die Brücke Nr. 17, vom Technikmuseum durch die Museumsbahn. Kritiker befürchten, dass für die verbleibenden 18 Yorckbrücken eine in ferner Zukunft liegende Sanierung zu spät kommen könnte. So fordert der Gleisdreieckblog, der ausführlich über die Sanierung der Brücken berichtet, ein Denkmalschutzkonzept (Gleisdreieckblog).

Alfred-Lion-Steg

Der Alfred-Lion-Steg ist die erste ordentliche Brücke auf unserer Tour. Sie überspannt mit ihren 93 Metern die Bahngleise der Anhalter und Dresdner Bahn und verbindet damit die Schöneberger Rote Insel im Westen (Cherusker Park, Gasometer, Euref-Campus) mit der Fliegersiedlung Neu-Tempelhof im Osten, letztlich also auch mit dem Tempelhofer Feld. Es handelt sich um eine Fußgänger- und Radwegbrücke, als Stahlrohrfachwerk kontruiert. Sie wirkt leicht in ihrer Ästhetik und bildet sich besonders vor dem Hintergrund der kaiserlichen Kasernengebäude in der Papestraße kontrastreich ab.

Schlüsselprojekt im Ost-West-Grünzug: Alfred-Lion-Steg (Foto: André Franke)

Schlüsselprojekt im Ost-West-Grünzug: Alfred-Lion-Steg (Foto: André Franke)

Der Steg ist Teil des neuen Ost-West-Grünzugs, der Hertha-Block-Promenade und damit neben der „Schöneberger Schleife“ ein weiteres Element des Stadtumbaus West (stadtentwicklung.berlin.de). Mit diesem Förderprogramm soll der neue Bahnhof Südkreuz mit Wegeverbindungen und Grünanlagen in sein Umfeld integriert werden. Seit November 2012 funktioniert nun das Schlüsselprojekt der Ost-West-Anbindung: der Alfred-Lion-Steg.

Benannt ist die Brücke nach Alfred Löw, der in Schöneberg in der Gotenstraße 7 geboren wurde und hier aufwuchs. Er flüchtete vor den Nazis nach New York und gründete zusammen mit Francis Wolff (der Löwe und der Wolf sozusagen …) das berühmte Jazz-Label „Blue Note Records“. Nach seiner Emigration änderte Löw seinen Nachnamen in Lion. Die Namensgebung der Brücke war aber umstritten. Hertha Block wäre eine Alternative gewesen. Die Bibliothekarin wurde von den Nazis inhaftiert, überlebte und baute nach dem Krieg in Berlin Stadtteilbibliotheken auf. (Tagesspiegel)

Kiehlsteg

Von den legendären „über 1.000 Brücken“, mit denen sich Berlin gegenüber Venedig gerne rühmt und profiliert, sind offenbar auch manche unnütz. So ließ der Senat den Kieler Steg abreißen, der direkt neben der Lohmühlenbrücke über den Neuköllner Schifffahrtskanal führte. Er war ein Relikt aus Mauerzeiten, eine Behelfsbrücke für die Neuköllner, die die Lohmühlenbrücke, weil sie gesperrt war, nicht benutzen konnten, beziehungsweise machte ihre Benutzung keine Sinn, denn sie führte auf die Mauer zu. Doch im Frühjahr 2014 wehrten sich die Anwohner des Weichselplatzes gegen den Abriss. Sie zogen sogar vor Gericht, um eine einstweilige Verfügung zu beantragen, was nichts half. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung bestand auf den Abriss, der mit 42.000 Euro bedeutend geringer ausfiel als die notwendige Instandsetzung mit 260.000 Euro (Tagesspiegel).

Die Anwohner gründeten eine Initiative, wollten den Kiehlsteg sogar auf die Denkmalliste bringen, was so einfach nicht geht. Sie ärgerte, dass die Verwaltung den Abriss der Brücke nicht mit ihnen kommunizierte. In der Sanierungszeitung „Karlson“ (Sanierungsgebiet Karl-Marx-Straße / Sonnenallee) sei der Steg offenbar eingezeichnet geblieben (stadtentwicklung.berlin.de) und damit der vermutbare Erhalt fehlkommuniziert worden, sagen Anwohner (neuköllner.net). Sie hätten zu Gunsten des Stegs auch gerne auf die offenbar geplante Aussichtsplattform verzichtet, die bei der Sanierung des angrenzenden Weichselplatzes entstehen soll. Der Sanierungsträger BSG dokumentiert auf einer website allerdings, dass bei mehreren Bürgerinfoveranstaltungen auf den Abriss des Kiehlstegs hingewiesen worden sei (demokratische-stadtentwicklung.org).

Die Anwohner argumentierten auch mit der historischen Bedeutung der Brücke, schmückten sie in den Tagen vor dem Abriss mit Bildern aus Mauerzeiten. Und sie hatte im Grunde sogar eine ästhetische Bedeutung, auch wenn sie selbst simpel konstruiert war. Der Kiehlsteg war eine praktische, alltagstaugliche Kiezbrücke. Doch er machte den Blick auf die schönere Lohmühlenbrücke erst so richtig möglich. Von hier aus konnten sich die Stegnutzer das auf ihr abgebildete Stadtwappen Neuköllns ansehen – von Angesicht zu Angesicht beider Brücken.

Brommybrücke

Schon vor zehn Jahren berichtete die „Welt“ von einem Entwurf des Architekten Gerhard Spangenbergs, der die Brommybrücke aus Glas bauen wollte und mit zwei Ebenen: eine für den Verkehr und darüber eine Etage für Gewerbe. Was für eine exotische Idee. – Bis heute ist nichts draus geworden (Welt, 2006). Eine Weite von etwa 1,3 Kilometern erstreckt sich zwischen den gebliebenen Spreebrücken, der Schillingbrücke und der Oberbaumbrücke. Das ist nicht nur unattraktiv fürs Stadtbild und unfunktional für die Spreebezirke Friedrichshain und Kreuzberg, sondern natürlich auch unhistorisch, denn es gab sie ja einmal: die alte Brommybrücke, von der heute nur noch eine Pfeilerruine übrig ist und ein Widerlager, auf dem seit 2007 der Kreuzberger Spreebalkon steht.

Pläne für einen Wiederaufbau der Brommybrücke gibt es daher schon seit der Wiedervereinigung. Anfangs vom Senat als Straßenbrücke geplant, ist die Nutzung einer zukünftigen Brücke durch den Bürgerentscheid zu Mediaspree von 2008 verändert worden: nur noch für Fußgänger und Radfahrer soll die Spreeüberquerung eingerichtet werden, also als Steg. (Tagesspiegel)

Blick vom Kreuzberger Spreebalkon: Restpfeiler der Brommybrücke und Wohnsolitär "Living Levels" im alten Todesstreifen (Foto: André Franke)

Blick vom Kreuzberger Spreebalkon: Restpfeiler der Brommybrücke und Wohnsolitär „Living Levels“ im alten Todesstreifen (Foto: André Franke)

Eine Fußgänger- und Radweg-Überquerung (eventuell auch für Busse) favorisierte auch der Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg ein Jahr zuvor. 2007 war eine Verkehrsstudie durchgeführt worden (stadtentwicklung.berlin.de). Nicht nur ein neue Brommybrücke war im Gespräch, sondern auch eine neue Spreebrücke aus der Kreuzberger Manteuffelstraße heraus. Im Vergleich mit den anderen Brücken unserer bisherigen Tour fällt am Beispiel der Brommybrücke als Überquerung der breiten Oberspree die besondere stadtbildprägende Bedeutung eines möglichen Brückenneubaus auf. Hier ginge es nicht nur um die Funktion. Hier geht es vor allem um Perspektive und Bild. Und um Bewegung: Die Fahrgastschiffe mit den aufblickenden Touristenköpfen unten, und die Berliner – womöglich etwas herabblickend – die Brücke querend oben. Eine neue Brommybrücke sollte deshalb auch überdurchschnittlich transparent sein, finde ich.

Der Entwurf von André Hieronimus von der Beuth-Hochschule in Berlin ist das. Auf zwei gegenläufigen Bahnen überqueren Fußgänger und Radfahrer die Brücke getrennt. Wobei hier eigentlich die Idee war, einen Weg für Langsame und einen Weg für Schnelle zur Verfügung zu stellen. Der Entwurf gewann den zweiten Preis beim Förderpreis des Deutschen Stahlbaus 2012 (bauforumstahl.de).

Waisenbrücke

Zu dieser Brücke mehr in einem der nächsten Blogposts …

Fels in der Brandung: Reste des Brückenpfeilers der Brommybrücke in der Spree. Sie soll wieder aufgebaut werden (Foto: André Franke)

Futurberlin-Tour „Sieben Brücken – Neue Brücken für die Stadt!“ am 16. Juli

Wie treffend ist der Name der Waisenbrücke, wenn man in Betracht zieht, für welches Schicksal sie steht. Kriegszerstört, bis heute nicht wieder aufgebaut und zurückgeblieben nur ein Brückenkopf, von dem die auf Bänken sitzenden Leute glauben, es handele sich um eine Spreeterrasse. Verwaist also, baulich und funktional. Und dieses Schicksal teilen mit der alten Waisenbrücke noch andere, zum Beispiel die Brommybrücke, die den mystischen Rest eines Brückenpfeilers hinterließ, auf dem heute Bäumchen wachsen und Vögel leben.

Fels in der Brandung: Reste des Brückenpfeilers der Brommybrücke in der Spree. Sie soll wieder aufgebaut werden (Foto: André Franke)

Fels in der Brandung: Reste des Brückenpfeilers der Brommybrücke in der Spree. Sie soll wieder aufgebaut werden (Foto: André Franke)

Dass vom 8. bis 17. Juli das Stadtmuseum zusammen mit dem Verein Berliner Künstler die Sommerakademie veranstaltet und sich dem Neubau der Waisenbrücke zwischen Märkischem Museum und Littenstraße im alten Berlin widmet, nehme ich als guten Anlass, eine öffentliche Tour anzubieten, auf der wir uns kürzlich gebaute und noch geplante Brückenprojekte Berlins ansehen. Die Waisenbrücke wird dabei den ehrenhaften Schlusspunkt setzen. Denn hier, am Märkischen Ufer, in der Nähe des Historischen Hafens, werden am 16. Juli um 17 Uhr Schüler des Gymnasiums Tiergarten zusammen mit Künstlern ihre Visionen von einer neuen Waisenbrücke vorstellen.

Zuvor fahren wir mit dem Fahrrad zu anderen aktuellen Neubrücken Berlins und beleuchten deren Geschichte und Bedeutung. Es müssen natürlich insgesamt sieben sein! Schon seit Tagen trage ich den Ohrwurm „Über sieben Brücken musst du geh´n“ mit mir rum. Der Karat-Song wird also Programm sein. Auch werden nicht nur stattliche Spreebrücken dabei sein. Manchmal reicht schon ein kleiner „Link“ für Radfahrer und Fußgänger, um die Stadt besser zu machen. Viele davon überbrücken Kanäle, Straßen, Eisenbahnen.

Infos zur Tour:

TOUR „Sieben Brücken“Mitbringen: Fahrrad (falls keins vorhanden, bei mir melden!). Treffpunkt / Startzeit: Potsdamer Platz, Historische Ampel / 13 Uhr. Dauer: ca. 3-4 Stunden. Ende: Märkisches Ufer, Märkisches Museum / 17 Uhr. Kosten: 10 / ermäßigt 5 Euro. Anmeldung: info@futurberlin.de oder Tel. 0163 / 372 6024. Guide: André Franke (Kontakt)

Fanmeile am Brandenburger Tor beschert Berlin eine zweite Begegnungszone: so ganz nebenbei

Berlins zweite Begegnungszone - die Straße des 17. Juni. Da geht noch was (Foto: André Franke)

Berlins zweite Begegnungszone – die Straße des 17. Juni. Da geht noch was (Foto: André Franke)

Berlin hat nach der Maaßenstraße in Schöneberg jetzt eine zweite, unverhoffte Begegnungszone: die Straße des 17. Juni. Allerdings ist sie zeitlich begrenzt bis zum Ende der Fußball-EM, dem 12. Juli. Gemeint ist natürlich die Fanmeile. Und nicht gemeint in diesem Zusammenhang sind die Massen vorm Tor, vorm Brandenburger, die nach der Einlasskontrolle ins Festivalgelände ja ohnehin verschmelzen; hier begegnet man sich nicht, hier lösen sich Körper auf. Aber westlich, jenseits der Yitzhak-Rabin-Straße, wo ein Zaun die Fanmeile vom Rest der Straße des 17. Juni abgrenzt, beginnt Richtung Siegessäule, ich nenne es mal: die „breite Freiheit“.

Meine Beobachtungen vom Sonntag: Es gehen die Fußgänger, es fahren die Radfahrer, es reitet die Polizei und es koten die Vierbeiner. Hier ist die Weltstadt echt in Ordnung, und niemanden stört irgendwas – abgesehen von den Autofahrern, die den Preis zahlen: Staus mit „situativen“ Straßensperrungen kündigt die Verkehrsverwaltung für Unter den Linden, Wilhelmstraße, Tiergartenstraße, Leipziger Straße, Scheidemannstraße und Tiergartentunnel an.

Auf die Meile gekackt, aber der Vierbeiner ist nicht schuld - es waren die Polizeipferde (Foto: André Franke)

Auf die Meile gekackt, aber der Vierbeiner ist nicht schuld – es waren die Polizeipferde (Foto: André Franke)

Die „Freiheit“ (53 Meter breit, 1,3 Kilometer lang) bietet soviel Raum, dass man sich dort wie auf dem Feld fühlt, dem Tempelhofer. Und mit diesen Worten schafft die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung die wohl schnellst-gebaute, kostenfreiste und ungeplanteste Begegnungszone Berlins:

„Fußgänger und Radfahrer dürfen den Bereich in der spielfreien Zeit passieren.“

Sperrzaun im Tiergarten, Bellevue-Allee - dahinter lauert die Hundestaffel (Foto: André Franke)

Sperrzaun im Tiergarten, Bellevue-Allee – dahinter lauert die Hundestaffel (Foto: André Franke)

Das sollte offenbar sogar für den Bereich der Fanmeile selbst gelten, aber die Kontrollposten enttäuschen auf Nachfrage. Die Fanmeile bleibt dicht. Bis zum Schluss. Das garantieren übrigens auch jede Menge Vierbeiner, und diesmal meine ich nicht Pferde, sondern die Hundestaffel. An der Bellevue-Allee lauern sie hinter den Zäunen auf Leute, die trotz der Absperrung spontan rübermachen. Das ist ein bisschen unheimlich. Denn ich fuhr Freitag Abend mit vier Damen vom Volkshochschul-Kongress eine „Oasen-Tour“ und landete mit ihnen überrascht am Innenzaun (wir waren nicht die einzigen), weil (nicht erkennbar) Teile des Zaunes an anderer Stelle herausgenommen waren und wir so ins Sperrgebiet gelangten. Wäre das am Sonntag passiert … wir hätten wohl im wahrsten Sinn des Wortes einen Staffellauf hingelegt.

Patrouille Richtung Siegessäule - Berittene Polizisten begegnen einem Passanten (Foto: André Franke)

Patrouille Richtung Siegessäule – Berittene Polizisten begegnen einem Passanten (Foto: André Franke)

Also, Fußgänger und Radfahrer dürfen den Bereich der Fanmeile auch in der spielfreien Zeit NICHT passieren. Das kann jeder selbst ausprobieren. Aber die „breite Freiheit“ bleibt gewonnen, der beschriebene Abschnitt der Straße des 17. Juni. Und das ist ein echtes Geschenk. – Auch das kann man ausprobieren.

2. Workshop zum Haus der Statistik als Zentrum für Geflüchtete morgen

Zukunft im Haus der Statistik: Kunst und Integration (Initiative Stadtneudenken)

Zukunft im Haus der Statistik: Kunst und Integration (Initiative Stadtneudenken)

Heute ist die Deadline für die Anmeldung zum 2. Vernetzungsratschlag für das Haus der Statistik. Die Initiative Stadt Neudenken und die Initiative Haus der Statistik rufen zu einer „Ideenbörse“ für integrative Strategien und Begegnungen auf. Gesucht sind Leute, die 3-minütige Statements zu Erfahrungen mit Kozepten dieser Art machen – ohne Beamer und zu großem Aufwand, wie die Initiativen in ihrem Newsletter schreiben. Am Mittwoch dreht sich alles um die Frage: Was könnte das HdS zu mehr machen als zur Summe seiner einzelnen Mieter? Die Initiativen wollen aus dem HdS ein Zentrum für Geflüchtete, Soziales, Kunst und Kreative machen. Die Ergebnisse des 1. Vernetzungsratschlags, wie die workshops zur Zukunft des im moment leerstehenden Gebäudes an der Karl-Marx-Allee heißen, findet man hier in einer Kurzdokumentation oder auf der Seite www.hausderstatistik.org. Bevor morgen die Ideenbörse beginnt, begrüßt der Bezirksbürgermeister von Mitte, Christian Hanke (SPD), den Workshop.

Anmeldung: kontakt@hausderstatistik.org

Ort: Zentrum für Kunst und Urbanistik, Siemensstraße 27.

Beginn: 10 Uhr

Skyscraper #13/16 – A100 wird 60, Tacheles wird umbaut, Nicolai-Haus wird eröffnet

Skyscraper #13/16 - A100 wird 60Liebe Futurberliner,

welche ist die wichtigste Straße Berlins? Die A100, meint die Berliner Zeitung und porträtiert die 60-jährige Existenz der Stadtautobahn, deren Verlängerung bis Treptow und Friedrichshain auch eines der umstrittensten Bauprojekte der Stadt ist. 1956 war Baubeginn, und zwei Jahre später wurden die ersten zwei Kilometer eingeweiht, wobei eine BVG-Blaskapelle kein treffenderes Stück für die Willkommensmelodie fand als „Das ist die Berliner Luft, Luft, Luft“. Heute passieren den Rathenautunnel knapp 200.000 Kraftfahrzeuge pro Tag. Für die Erneuerung des Dreiecks Funkturm lässt Berlin jetzt eine Machbarkeitsstudie erarbeiten rbb-online.de. Die Sanierung der Brücken und Straßen sollte längst begonnen haben und wird bei laufendem Verkehr erfolgen – irgendwann in der Zukunft. Zunächst wird der Umbau geplant, auf der Basis der Studie. Wegen der maroden Brücken gilt hier Tempo 60. Rasende Glückwünsche zum Sechzigsten, liebe A100! Mehr Themen rund um die Berliner Stadtentwicklung und Veranstaltungen für die kommende Woche hier im aktuellen Skyscraper …

Skyscraper #08/16 – Monarch

Heute im Futurberlin-Newsletter: Einheitsdenkmal, Museum der Moderne, Pankower Tor, Lutherdenkmal, Rathausforum, Karl-Marx-Alee, Alex-Tower, City-West-Hochhäuser, Kotti, Fischerinsel, Streetart, Mauerpark, Treptow-Köpenick, Fahrradstadt, Tourismusrekord, Wohnungsbau und Flüchtlinge und insgesamt 14 Events für diese Woche!!

Hier zum aktuellen Skyscraper #08/16 – Monarch

 

Skyscraper #07/16 – Trauerspiel

Heute im Newsletter: die Friedrichswerdersche Kirche, die Bergmannstraße, das Berliner Schloss, der BER, die City West, die Ku´Damm-Bühnen, die Siemensbahn, das „Meilenwerk“, der Bundesplatz und Berlins Bevölkerungswachstum. Außerdem: kleiner Schwerpunkt zum Wohnungsbau und zur Flüchtlingspolitik sowie acht Events für diese Woche. Hier der ganze Newsletter …

Brandenburger Tor in Berlin. Auch in Paris gab es Schmucktore

Was hat Paris, das Berlin nicht hat? – Und umgedreht

Schöne arte-Doku …

Leider liefert die Stadt Paris in diesen Tagen Geschichten, die der Horror sind. Und den Terror und die Trauer, die sich mit ihnen verbinden, will man nicht nach Deutschland kommen sehen. Nirgendwohin. Doch aus Paris hat mich am Wochenende auch eine andere Geschichte erreicht, eine positivere. Arte zeigte in einer vierteiligen Dokureihe mit dem Titel „Nachbarschaftsgeschichten“, wie sich Architektur und Stadtentwicklung in Paris und Berlin seit 1650 wechselseitig beeinflussten, vor allem wie grundverschieden sie sind. Sonntag schaltete ich ein, als der vierte Teil lief, ließ mich aber (gerne) stören durch Family & Co., was zur Folge hatte, dass ich mir heute, am Montag, den vierten, den dritten, den zweiten und auch den ersten Teil (in dieser Reihenfolge und in einem Zug) ansah. Sehr zu empfehlen ist das.

Brandenburger Tor in Berlin. Auch in Paris gab es Schmucktore

Brandenburger Tor früh morgens. Kein Napoleon, nirgends. Auch die Idee, Stadttore zu Schmucktore auszubauen, kam von Paris nach Berlin, wenn auch nicht durch N. (Foto: André Franke)

Am spannendsten: das 20. Jahrhundert. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass Albert Speer schon am Zehlendorfer Dächerkrieg in den 20er Jahren beteiligt war. Oder wie „Germania“ konkret mit dem Holocaust zusammenhängt. Auch nicht, dass Florian Hertweck („Der Berliner Architekturstreit“, in Deutsch verfasst) so super französisch spricht. Und nicht, dass das Hansaviertel mit seinen 53 eingeladenen internationalen Architekten und 36 gebauten Häusern im Gegensatz zur Architektur der Karl-Marx-Allee „swingt“, wie es Gabi Dolff-Bonekämper mit den Fingern schnippsend im Film beschreibt.

Mit Schönheitsfehlern

Ein bisschen kurz kommt aus meiner Sicht die Ära der West-Berliner Stadtplanung „Urbanität durch Dichte“. Nach Hansaviertel und Mauerbau macht die Doku dann gleich bei den Hausbesetzungen in Kreuzberg weiter, ohne die Kahlschlagsanierung oder die Entstehung des Märkischen Viertels und der Gropiusstadt zu thematisieren. Auch durfte – begnädigt von arte – die Ruine des Berliner Schlosses zwei Jahre länger stehen bleiben als üblich: nämlich bis 1952. Das will ich nicht auf die Goldwaage legen, aber wenn dort (unter vielen anderen sehenwerten Modellen) auch ein Modell vom zukünftigen Schloss gezeigt wird, an dem der alte Apothekerflügel hängt, dann könnten arte-Zuschauer in ferner Zukunft vielleicht auf die Idee kommen, diesen einzuklagen, denn geplant ist der bekanntlich doch nicht oder?


Teil 1 „Verfeindete Geschwister“ und Teil 2 „Auf in die Moderne!“ sind in der arte-Mediathek zu sehen bis zum 6. Januar 2016

Teil 3 „Gegenüber“ und Teil 4 „Erschütterung“ bis zum 13. Januar 2016

BER: Als Geisterfahrer in Berlins Geisterstadt

Der BER bietet Radtouren am neuen Terminal an. Doch die Anreise ist mehr als ein Abenteuer – nämlich rechtswidrig +++

Wie ich im Newsletter schon berichtete, war ich am Samstag zu Besuch in einer Geisterstadt. Ich war mit dem Rad am BER. Und das war brenzlich. Denn zum neuen Terminalgebäude drüben am Info-Tower führten ausschließlich Kraftfahrstraßen. Radfahren war verboten. Ich fuhr aber trotzdem. Da Wochenende war, gab es so gut wie keine Linienbusse. Ich war allein auf weiter Flur, allein. Das klingt erstmal unspektakulär. Aber die Gefahr, wie sich herausstellte, war weniger, von Autos und Bussen überfahren zu werden, als von der Hochsommerhitze auf dem nicht enden wollenden Asphalt gegrillt zu werden. Auf dem Rückweg vom Terminal verfuhr ich mich, landete auf der falschen Seite der Eisenbahn. Die Brücke musste noch gebaut werden, die an der Stelle, die mich zum Umkehren zwang, die Fußgänger und Radfahrer in Richtung Schönefeld bringen wird. Kilometer umsonst gefahren in der Gewerbegegend, die jetzt „Gatelands“ heißt. Früher war hier das Dorf Kienberg. Ein Haus steht noch.

BER Flughafen

Erschließung des neuen BER-Terminals. Als Radfahrer hat man schlechte Karten, weil keinen Überblick. Dieses Straßenkreuz war allerdings noch eines von der leichteren Sorte. (Foto: André Franke)

Später in diesem Dschungel aus Straßen und Brücken wurde mir auf einmal mulmig, weil ich merkte, ich fuhr auf der Gegenfahrbahn („Gegenstraße“ müsste es wohl eher heißen). Mangels Verkehr war das schwer zu überprüfen. Der Geisterfahrer fuhr erstmal weiter. Dann wurde es offensichtlich und ich stieg rüber, auf die parallel laufende, niegel-nagel-neue, heute nur mir verpflichtete, etwa einen Meter höher liegende Straße nach Schönefeld.

Mittagssonne und nichts zu trinken dabei? – Ich finde noch eine andere Sache brenzlich: Immer sonntags bietet die Flughafengesellschaft geführte Radtouren über das BER-Gelände an. Allerdings müssen die Teilnehmer mit ihren eigenen Rädern kommen. Treffpunkt am Info-Tower. Das heißt, der Veranstalter erwartet von seinen Gästen, dass sie Straßenverkehrsregeln brechen und sich in Lebensgefahr begeben. Aber okay, ist ja sonntags, wenn die Busse spärlich sind.

Der Trick mit Tegel und dem BER

Interessant: Der BER gilt als eröffnet, sobald seine südliche Start- und Landebahn in Betrieb genommen wird. Steht heute im Tagesspiegel. Das Terminal spielt keine Rolle. Allerdings müsste das Starten und Landen „auf voller Länge“ vonstatten gehen. Dieses juristische Detail macht es theoretisch möglich, dass TXL Tegel auch nach der geplanten BER-Eröffnung (2. Jahreshälfte 2017), weiter als Flughafen aktiv bleiben könnte. Was ja überlegt und von manchen gewünscht wird. Man müsste nur auf die Eröffnung des BER verzichten. Und den provisorischen Betriebsstatus auf der Südbahn erhalten wie er ist. Flugzeuge nutzen sie ja schon heute, weil die Nordbahn saniert wird. Doch sie befahren sie nicht auf ganzer Strecke, sondern verkürzt. Und zwar deswegen, weil der BER sonst defacto eröffnet würde (so einfach auf einmal?) und Tegel dann nur ein halbes Jahr bliebe bis zur Schließung. Also, warum nicht den Spieß umdrehen? Die Eröffnung verschieben. Am besten auf alle Zeiten absagen. Das Terminal trotzdem fertigbauen. Dort müssten nur die Türen aufgehen, ganz leise. Ohne Zeremonie. Und schwupps hätten wir zwei intakte Berliner Airports.

Es gibt übrigens auch ein Szenario, in dem es in Berlin überhaupt keinen Flughafen gibt: Das Friedrichstraßen-Kabarett DIE DISTEL beschreibt Berlin im Jahre 2050 …

Das Kreuz mit der Urbanität

Alle wollen sie, aber jeder versteht unter ihr etwas anderes. Auch im Salon von Lea Rosh letzten Montag bemühten die Gäste den Begriff von der Urbanität, als es erneut ums Rathausforum ging.

„Wir glauben, dass man Urbanität nur durch die Rekonstruktion des historischen Stadtgrundrisses herstellen kann“, sagte Gerhard Hoya von der Gesellschaft Historisches Berlin.

Doch Wolf-Dieter Heilmeyer von der Stiftung Zukunft Berlin verwies darauf, dass Urbanität auch soziologisch interpretiert werden kann. Leider wurde die Frage nicht weiter vertieft. Das Thema verdient sogar eine eigene Veranstaltung, finde ich: Was meint wer mit Urbanität?

Ein Buch, die Dissertation von Thomas Wüst, „Urbanität: ein Mythos und sein Potenzial“, auf das ich gestoßen bin, gibt schon mal einige Antworten, wenn auch nicht direkt zum Berliner Rathausforum.

Auch auf einen studentischen Projektbericht zum Thema Nutzungsmischung im Städtebau der TU Berlin bin ich in meinem Archiv gestoßen, bei dem wir im Jahre 1999 die Urbanitätsdebatte zusammenfassten. Hier ein Auszug:

+++

Eine der Zielsetzungen, die oft im Zusammenhang mit Nutzungsmischung diskutiert wird, ist die Erhaltung bzw. die Schaffung von Urbanität. Eine intakte funktionsgemischte Stadtstruktur wird häufig als Voraussetzung für Urbanität angesehen. Dieser Meinung ist z.B. Hunkenschroer, die als eine Vertreterin dieses Leitbildes der Stadtentwicklung bezeichnet werden kann.

”Die Mischung von Wohnen und Arbeiten kann in vielfältiger Weise auch in unserer Gesellschaft dazu beitragen, der Verödung von Stadtquartieren etwas entgegenzusetzen. Durch die Überlagerung mannigfacher Funktionen in dichten Strukturen entsteht Öffentlichkeit, da sich unterschiedliche Personen zu mehreren Tageszeiten im öffentlichen Raum (meist auf der Straße) aufhalten.” (Hunkenschroer, 1995: S.20)

Dabei ist für Hunkenschroer Dichte ein zentrales Merkmal von Urbanität. So sei eine Mindestdichte an Bewohnern in einem Quartier nicht nur die Voraussetzung für die Rentierlichkeit sozialer und technischer Infrastruktur sowie für Kommunikationsprozesse und Informationsflüsse.

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts:  (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Café Bauer Unter den linden in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts: „Lebendigkeit im öffentlichen Raum“. (Foto: wikipedia, gemeinfrei, Autor unbekannt, Library of Congress United States)

Den Dichtebegriff bezieht Hunkenschroer darüberhinaus auch auf das Maß an städtebaulicher Konzentration (vgl. ebd.).

”Die bauliche Dichte ist auch die Voraussetzung für die Lebendigkeit im öffentlichen Raum.” (ebd.: 101)

Der urbane Charakter eines Gebietes werde jedoch endgültig erst durch eine hohe Interaktionsdichte zwischen den Bewohnern erreicht. Das bedeutet, daß unterschiedliche Nutzungstypen, wie z.B. Wohnen und Versorgung, auf einen kleinen Raum konzentriert werden müssen, und auf diese Weise eine fußläufige Erreichbarkeit ermöglicht wird. Die Folge dieser schnellen Erreichbarkeit ist, daß die Nutzung der im Gebiet ansässigen Versorgungs- und Dienstleistungseinrichtungen intensiviert wird, und somit der urbane Charakter des Gebiets zunimmt.

Hoffmann-Axthelm beschäftigt sich insbesondere mit der inszenierten Urbanität, die er als von der eigentlichen Stadt gelöst sieht. Demnach sind urbane Lebensverhältnisse nicht mehr an die Stadt gebunden. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996). Vor dem Hintergrund der Suburbanisierung ist Urbanität für ihn der Stadtrest, …

”den diejenigen mitnehmen wollen, die sich aus dem Sozialvertrag Stadt (…) herausstehlen ins grüne (…) Umland” (Hoffmann-Axthelm 1996:55).

In diesem Zusammenhang unterscheidet er drei Typen von künstlicher Urbanität:

Der erste sei die gewöhnliche Innenstadt mit Einkaufszentren, die im geschützten Innenraum Stadt simulieren. Urbanität bedeutet hier Einkaufs- und Freizeitumgebung, verknüpft mit Kino, Restaurants, Cafés und Warenhaus. Die Mischung beschränkt sich hierbei auf das oben genannte Angebot an Konsumeinrichtungen, klammert jedoch eine Vielzahl an Funktionen, wie z.B. Handwerk, produzierendes Gewerbe und bestimmte Dienstleistungen, aus.

Im Vergleich zu diesem Urbanitätstyp ist der Zweite nur noch auf tourismusorientierte Funktionen beschränkt. Hoffmann-Axthelm beschreibt, daß sich das städtische Geschehen in den historischen Zentren fast ausschließlich auf die Erdgeschoßbereiche konzentriert.

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Altstadt Trier: gefüllte Straßen. Echte römische Historie. Geht sowas in Berlin? (Foto: André Franke)

Die dritte Art von inszenierter Urbanität ist fast vollständig von der Nutzungsmischung losgelöst. Das heißt Lebendigkeit wird durch eine Festivalisierung der Städte erzeugt, wobei sie ausschließlich wegen bestimmter Ereignisse oder Attraktionen besucht werden. Eine wichtige Rolle spielt hierbei der Neubau von Unterhaltungskomplexen, wie z.B. am Potsdamer Platz in Berlin. (vgl. ebd.). Hier gruppieren sich die Investitionen um einen ”unterhaltungsindustriellen Kern”.

”Bei Debis (…) ging es schon sehr früh um ein Musicaltheater. Der Medienkonzern Sony baut im Innern seines Komplexes eine riesige multimediale Bühne, einen Raum, der zugleich Bildschirm und Film, Stadtraum und simulierte Stadt ist.” (ebd.: 60)

Die Typisierung Hoffmann-Axthelms macht deutlich, daß Nutzungsmischung nicht das einzige Instrumentarium ist, um den städtischen Raum zu beleben. Von besonderer Bedeutung für sein Urbanitätsverständnis ist eine ausgewogene soziale Mischung, die zwangsläufig ein erhöhtes Konfliktpotential in sich birgt. Wenn man diese Mischung aus unterschiedlichen ethnischen Bevölkerungsgruppen, sozialen Bevölkerungsschichten sowie mehreren Generationen näher betrachtet, wird deutlich, daß ein hohes Maß an Toleranz und Kompromissbereitschaft bei den Bewohnern erforderlich ist. (vgl. Hoffmann-Axthelm, 1996) Dies kann jedoch nicht vorausgesetzt werden (vgl. Gruen 1975, Schäfers 1997, Hunkenschroer 1995).

Die sich aus der Mischung ergebenden Konflikte sind dagegen ein Hauptpunkt der Kritik am Leitbild der durch Nutzungsmischung erzeugten Urbanität. So schreibt Jakhel, daß die soziale Integration innerhalb eines gemischten Viertels nicht überschätzt werden sollte (Jakhel, 1976: S.83). Er bezweifelt, daß räumliche Planung Lebendigkeit im Stadtgebiet hervorrufen und die Integration des Stadtbürgers in das Stadtgeschehen bzw. in das Marktgeschehen fördern kann. Auch die Tendenz zur sozialen Segregation kann seiner Meinung nach nicht allein durch die Gestaltung des Raumes aufgehoben werden.

Eine ähnliche Haltung vertrat bereits Anfang der 60er Jahren SalinEr bezweifelt, daß Raumplanung tatsächlich urbane Verhältnisse erzeugen könne. Salin definiert Urbanität als …

”kulturell – gesellschaftliche Lebensform, weltoffene Haltung der Bewohner zueinander und gegenüber Fremden, aber nicht (als) die Qualität einer besonderen städtebaulich – räumlichen Struktur.” (in: Sieverts, 1998)

Literaturliste:

  • Hoffmann-Axthelm, Dieter 1996: Anleitung zum Stadtumbau. Frankfurt/M. New York
  • Hunkenschroer, Birgit 1995: Mischung von Wohnen und Arbeit als Potential für eine stadtverträgliche Gewerbentwicklung. Diplomarbeit. Berlin
  • Jakhel, Rudolf 1976: Illusion und Realität der ‚urbanen‘ City: Ein Beitrag zur Kritik der urbanistischen Ideologie, Aachen
  • Sieverts, T. 1998: Zwischenstadt, Braunschweig u.a.

+++

Ich bin mal gespannt, wie weit man sich bei der anstehenden Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ mit diesem Thema befassen wird. Die Auftaktveranstaltung dazu findet am 18. April statt.

Zum Thema Rathausforum und Urbanität siehe auch: „Hingehen, sehen lernen“ – Ein Interview mit Verena Pfeiffer-Kloss von Urbanophil e.V. auf Futurberlin.de

Partizipation des Vergessens

Es ist schon ganz schön viel verlangt, was Stefan Evers sich da wünscht. “Mit einem weißen Blatt Papier” sollten wir in den Stadtdialog ums Rathausforum gehen. Der stadtentwicklungs-politische Sprecher der CDU im Abgeordnetenhaus hat da schlichtweg eine Unmöglichkeit geäußert. Oder eben einen Wunsch.

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Rathausforum, Design der website www.stadtdebatte.berlin.de (zebralog). Um diesen Stadtraum geht´s

Die Veranstaltung der Friedrich-Ebert-Stiftung zur “Berliner Mitte” vom letzten Montag hatte Ausnahmecharakter. Es wirkte, als fände sie in einem geschützten Raum statt. Und dieser Raum kam zustande, weil jedem klar war, dass es heute nicht um Inhalte ging, sondern um die Form. Zebralog, Agentur für crossmediale Bürgerbeteiligung, stellte das “Prozessdesign” für das Debattenprojekt ums Rathausforum vor. Heute wurde nicht geboxt, sondern der Boxkampf verabredet.

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: "Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen."

Maria Brückner (links) und Daniela Riedel von zebralog: „Bürgerbeteiligung muss auch Spaß machen.“

Und das ist nicht einmal das falsche Wort. Antje Kapek von den Grünen, wünschte sich ausdrücklich, dass die anstehende Diskussion “knackig und kontrovers” geführt werde. Bisher war es so, dass die Debatte, ob Freiraum oder Bebauung, in den Medien und über Veröffentlichungen ausgetragen wurde. Ein Vorschlag jagte den anderen. Alle waren sie unverbindlich. Und die Giganten der Stadtplanung blieben unter sich, in ihren eigenen Veranstaltungen und übten am Punching Ball. Jetzt sollen sie sich treffen. Jetzt MÜSSEN sie sich treffen. Denn wer bei diesem Partizipationsprojekt, das sich an alle wendet, nicht mitmacht und später meckert, dem wird niemand mehr zuhören. Wenn am 18. April mit der Auftaktveranstaltung im bcc am Alex der Gong zur ersten Runde schlägt, darf es kein Ausweichen mehr geben.

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Dr. Benedikt Goebel, Historiker und Mitglied des Kuratoriums. Dr. Johanna Schlaack (links), von Think Berlin und ebenfalls im Kuratorium

Kommen wir zu den Ringrichtern. Es gibt sie wirklich, nämlich als 14-köpfiges Kuratorium, das aus Experten besteht, die über das Verfahren wachen sollen. Am Montag bekamen wir zumindest acht von ihnen zu sehen, was ich als Veranstaltungselement sehr sympathisch fand. Aber an der Zusammensetzung des Gremiums entzündet sich Kritik. So ist an einer Schreibtafel zu lesen: “Im Kuratorium gibt es nur einen Historiker!” Die Teilnehmer der Veranstaltung konnten hier auf Akteure hinweisen, die ihrer Meinung nach im Stadtdialog noch fehlten.

Daniela Riedel und Maria Brückner von Zebralog erklären vorher Struktur und Ablauf des breitangelegten Stadtdialogs, betitelt mit: “Alte Mitte – neue Liebe?” Nach der Auftaktveranstaltung im April als Aufwärm-Event gibt es eine Online-Beteiligung. Sie wird mit Werkstätten, Spaziergängen, Kolloquien, Ausstellungen, sogar mit Theater kombiniert. Die Ergebnisse gelangen über “entsandte” Bürger ins Halbzeit-Forum. Hier entscheiden die Entsandten über die weiteren Schwerpunkte, die nach der Sommerpause zu vertiefen sind. Im November dann: das Abschluss-Forum mit einem “offenen” Ergebnis.

Prozessdesign der Stadtdebatte "Alte Mitte - neue Liebe?" 2015 (Quelle: zebralog)

Prozessdesign der Stadtdebatte „Alte Mitte – neue Liebe?“ 2015 (Quelle: zebralog)

Diese “Ergebnisoffenheit” hat manchem an diesem Abend zu schaffen gemacht. Eine Frau sagt, sie finde den Prozess nur deshalb ergebnisoffen, weil sie das Beteiligungskonzept für schwammig hält. Riedel erklärt, das Ergebnis müsse inhaltlich offen bleiben, aber ein Ergebnis als solches müsse es auf jeden Fall geben. Empfehlungen, Leitlinien, Vorschläge können das sein. Sie werden dem Abgeordnetenhaus vorgelegt, das 2016 über alles weitere entscheidet. Viele zweifeln daher an der Verbindlichkeit des Ergebnisses. Das ist an einem spontanen Meinungsbild mit Klebepunkten deutlich zu erkennen. Warum dann überhaupt mitmachen?

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Senator für Stadtentwicklung und Umwelt, Andreas Geisel (SPD), Nachfolger von Michael Müller

Weil es ein Experiment ist. So versteht es auch Andreas Geisel. Der neue Stadt-entwicklungssenator will, dass die Kontrahenten aufeinander zugehen, auch die eigene Meinung in Frage stellen und lernen. “Nicht in den Prozess reingehen, um zu gewinnen”, sagt er. Das klingt weniger nach Boxen. Das geht eher in Richtung Capoeira, den brasilianischen Kampftanz. Man setzt sich miteinander auseinander, aber niemand erleidet einen ernsthaften Schaden.

24 Stunden nachdem Geisel dies in seinen Schlussworten sagte, hat einer vorgemacht, wie dieses “Aufeinander Zugehen” aussehen könnte. Benedikt Goebel kommentierte vergangenen Dienstag in einem Vortrag über “Die vergessene Schönheit der Berliner Altstadt” auch ein Bild aus DDR-Zeiten. Abgebildet war der junge Freiraum am Fuße des Fernsehturms (das Rathausforum), ein coloriertes Foto, das die sozialistische Stadt von ihrer Sonnenseite zeigt (es war ein vergleichbares Foto wie unten). Goebel, der Historiker aus dem Kuratorium, gestand dem Ort in seinem damaligen Zustand eine eigene Schönheit zu (die er heute natürlich nicht mehr habe). Zugeständnisse dieser Art sind mir im Bürgerforum Berlin bisher nicht zu Ohren gekommen. Find ich gut.

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin - Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de Alle Bilder stammen aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Freiraum zwischen Fernsehturm und Spree zu DDR-Zeiten. Im Hintergrund: Palast der Republik. Blick in westliche Richtung +++ Foto: John Spooner, „Berlin – Hauptstadt der DDR“, CC-Lizenz (BY 2.0) http://creativecommons.org/licenses/by/2.0/de/deed.de
Bild stammt aus der kostenlosen Bilddatenbank www.piqs.de

Stefan Evers´ Ideal vom “weißen Blatt Papier” bleibt in meinen Augen aber eine absolute Illusion oder erfordert die Kunst des Vergessens. Das gilt zumindest für Fachleute und Initiativen. Bei demselben Vortrag, der zu einer Veranstaltungsreihe in der Volkshochschule Mitte gehört, wurde geboxt. Eine Dame, die sich als Berlin-Gast ausgab, äußerte ihre ganz persönliche Stadtwahrnehmung. Sie deckte sich aber nicht mit der vorherrschenden Meinung im Raum. Eine gestandene Architektin konterte die Touristin in den Boden, dass Ex-IBA-Moderator Hildebrand Machleidt sie mit warmen Worten nach der Veranstaltung wieder auf die Beine zu bringen gedachte. Das zeigt, wie unverrückbar Haltungen sein können, die mit jahrelanger Arbeit und Leidenschaft aufgebaut, gepflegt und in die Welt getragen wurden. (Diese Arbeit verdient nebenbei gesagt auch Respekt.)

Für die Dame, die für eine ganze Interessensgruppe steht, war das “weiße Blatt Papier” allerdings Realität. Sie sieht die Stadt wie sie ist – ohne Bilder. Schade, dass dieser fruchtbare Moment am Dienstag in der Volkshochschule nicht für eine Diskussion genutzt wurde. Ihre Frage war doch eine Steilvorlage für jeden, der sich mit Stadt auskennt: “Dann erklären Sie mir, wie die Stadt funktioniert …” Allein, es blieb keine Zeit mehr dafür. Ein bisschen unglücklich war´s.

Solche Begegnungen zwischen “beschriebenen und unbeschriebenen Blättern” werden sich im Stadtdialog “Alte Mitte – Neue Liebe?” mit Sicherheit wiederholen. Dann wird es darauf ankommen, wie weit Experten Nichtfachleute mitnehmen können. Denn Zebralog hat das Prozessdesign auf eine breite Beteiligung angelegt. “Vergessen” wir also zumindest nicht den 18. April. Drei Tage nachdem die Dialogwebsite Online ging, hatten sich schon 170 Teilnehmer für die Auftaktveranstaltung angemeldet – übers Wochenende.


website des Stadtdialogs „Alte Mitte – neue Liebe?“ unter www.stadtdebatte.berlin.de (mit Anmeldung, Umfrage und Newsletter)

Livestream und Video-Aufzeichnung der Veranstaltung vom 15. Februar im Umspannwerk Alexanderplatz der Friedrich-Ebert-Stiftung unter www.sagwas.net

nächster Vortrag in der Veranstaltungsreihe „Geschichte, Gegenwart und Zukunft des Berliner Stadtkerns“ des Bürgerforums Berlin e.V. in der Volkshochschule Mitte am 3. März, dann das Thema „Totale Transformation – Stadtumbau zwischen 1840 und 1939“, mit Historiker Dr. Benedikt Goebel (kostenfrei, Anmeldung prinzipiell nicht nötig, aber erwünscht, und zwar hier)

Heute im Angebot: Argumente gegen die Groth-Pläne im Mauerpark

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Flyer der Mauerpark-Allianz (Ausschnitt): Schwarze Lkw und Pkw zeigen die Befürchtungen vor erhöhter Verkehrsbelastung, besonders durch den Baustellenbetrieb

Ab heute beginnt für das Prozedere der Pläne im Mauerpark die zweite Stufe der Bürgerbeteiligung, die sogenannte “Öffentliche Auslegung”. Bis zum 16. März kann jeder, der möchte, seine Einwände gegen den Bebauungsplan 1-64a VE hervorbringen – in der Hoffnung, dass das Bezirksamt Mitte die Einwände berücksichtigt.

Der B-Plan soll dem Investor, der Groth Gruppe, Baurecht für ein Wohngebiet mit derzeit 709 Wohnungen nördlich des Gleim-tunnels verschaffen und ist infolge von städtebaulichen Verträgen die Voraussetzung für die Erweiterung des Mauerparks südlich davon.

Eine erste, “frühzeitige” Beteiligung, hat 2010 stattgefunden. Damals gaben Bürger 2.649 Stellungnahmen ab. Die Intitiativen kritisierten das Auswertungs-ergebnis, in dem die Einwände ihrer Ansicht nach kaum Berücksichtigung fanden. Das Bezirksamt, in Person des damaligen Baustadtrats Ephraim Gothe behauptet das Gegenteil (Fazit aus dem 18-seitigen Auswertungsergebnis; ganzes Dokument hier):

“Zusammenfassend ist zu konstatieren, dass nach Abwägung der privaten und öffentlichen Belange zu den Planungszielen, das Verfahren des Bebauungsplans 1-64 unter Beachtung vorgebrachter Hinweise weiter verfolgt wird.”

Die Mauerpark-Allianz, ein Zusammenschluss aus Initiativen, Der Linken und den Piraten, informierte schon letzten Donnerstag über die Pläne und die Auslegung. Sie sieht das Prenzlauer Berger Gleimviertel und das Brunnenviertel im Wedding (Bezirk Mitte) von Gentrifizierung bedroht. Eine 3D-Animation läuft dazu auf youtube. Sie lässt die Baumassen in die Höhe wachsen und zeigt die befürchtete Verschattung der betroffenen Anrainer, wie die Jugendfarm Moritzhof.

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Planzeichnung des offziellen B-Plan-Entwurfs 1-64a VE: rot bedeutet, die Flächen werden als Wohngebiet ausgewiesen. Grün: öffentlicher Spielplatz. Zu dem Plan gibt es eine schriftliche Begründung, die auch eingesehen, gelesen werden kann. Viel Spaß!

Die Allianz bietet einen umfangreichen Service. In ihrem fünfsprachigen Flyer gibt sie den Bürgern, die sich beteiligen wollen, ein Abreißformular an die Hand und bietet auf ihrer website sogar Argumente gegen die Groth-Pläne an. Die Mauerpark-Allianz, zu der auch die mit dem Volksentscheid erfolgreiche Initiative 100% Tempelhofer Feld gehört, bereitet außerdem ein Bürgerbegehren gegen den B-Plan vor.


Die Mauerpark-Geschichte ist äußerst komplex. Man kann sie sich bei Gelegenheit mal erklären lassen – immer montags 19:00 Uhr in der Jugendfarm Moritzhof, Schwedter Straße 90, wo sich die Mauerpark-Aktivisten für Fragen zur Beteiligung zur Verfügung stellen. Mehr Infos zum Plan und zur Auslegung auch auf der website des Bezirksamts Mitte, hier.

Mehr Beiträge auf Futurberlin.de

  • „Der Stadtrat, der aus der Hüfte schießt“ – Wie Mittes Baustadtrat Carsten Spallek weniger Bürgerbeteiligung wagt und mit seinem kuriosen Stil bisher ganz gut fährt (März 2013), im Fokus drei Mitte-Projekte: Mauerpark, Monbijoupark und Marienkirchhof
  • „Ob es klappt, weiß man nicht“ – Interview mit Frank Bertermann (Grüne), Vorsitzender des Stadtentwicklungsausschusses der BVV Mitte, über die damals initierte Bürgerwerkstatt Mauerpark und den aufgstellten Bebauungsplan 1-64 (August 2010)