Eine IBA für alle

Das IBA-Konzept “Draußenstadt ist Drinnenstadt” des Senats überzeugt Grüne und Linke nicht. Das liegt an der fehlenden thematischen Botschaft und am elitären Verfahren.

— Bericht — Es klingt vernünftig, was Katrin Lompscher am Mittwoch Vormittag im Ausschuss für Stadtentwicklung sagt: den Senatsbeschluss für die Internationale Bauausstellung 2020 (IBA) aufschieben, zumindest vorher eine öffentliche Debatte führen. “Wenn wir eine IBA machen”, so die stadtentwicklungspolitische Sprecherin der Linken im Abgeordnetenhaus, “dann muss das eine Angelegenheit der Stadt sein.” Sie findet das Verfahren falsch. Das IBA-Konzept würde bis jetzt nur in der Fachöffentlichkeit diskutiert.

Senatsbaudirektorin Regula Lüscher hatte dem Ausschuss zuvor den Stand des IBA-Konzepts erläutert. Das aktuelle Motto der IBA heißt jetzt “Draußenstadt ist Drinnenstadt”. Mit den drei Schwerpunkten “Gemischte Stadt”, “Wohnen in Vielfalt” und “Stadt selbst machen” will das Konzept der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Orte der Berliner Peripherie behandeln. Auch der “gefühlten” Peripherie, wie Regula Lüscher sagt. Beispielorte könnten monofunktionale Großsiedlungen wie die Gropiusstadt sein, aber auch ein Bezirk wie Lichtenberg, wo Wohnungsbau in oder nahe von Gewerbegebieten das angesagte Thema sei.

Thematisch reicht das Vielen aber nicht, zum Beispiel den Grünen. Antje Kapek war enttäuscht vom Vortrag Lüschers. “Wir haben hier ein bisschen alles und nichts”, sagt sie und erwartet von der Verwaltung, dass sie mit einer IBA ganz klar umreiße, was das drängende, gesellschaftliche Problem sei. Sie bezieht sich dabei auch auf die Kritik der Initiative “Think Berlin plus”, die vor zwei Tagen “sieben kritisch-konstruktive Thesen zu einer IBA in Berlin” veröffentlichte.

Die Stadtforscher, deren Thesen sich auch der TU-Professor Harald Bodenschatz anschließt, befürchten, die IBA könne als Instrument der Stadtplanung “abstumpfen”, wenn es Berlin mit der IBA 2020 nicht gelänge, neue Maßstäbe zu setzen. Wohnen als alleiniges Thema reiche für die IBA nicht aus. Die Debatte sei nicht öffentlich, nicht transparent, nicht ergebnisoffen, und es hätte von der Senatsverwaltung auch kein Dialogangebot mit den konkurrierenden Konzepten gegeben, heißt es in den Thesen. Ein solches Konzept war “Radikal Radial!”, das “Think Berlin” zusammen mit dem Planungsbüro Gruppe DASS und dem Büro für Städtebau Machleidt+Partner vor der Abgeordnetenhauswahl 2011 vorgestellt hatten.

Dabei fand die letzte IBA-Veranstaltung erst am Dienstag statt, aber thematisch war sie sehr detailliert. Regula Lüscher lud mit der IBA 2020 ins Flughafengebäude nach Tempelhof ein, zu einem Werkstattgespräch. Titel des Abends: “Stadt. Quartier. Energie.” Es ging vor allem um bautechnische Fragen, nicht um das große Ganze. Die Gastgeberin selbst sagte dazu: “Technologie kann nicht das zentrale Thema der Berliner IBA sein, aber es wird mitgehen.” Im Publikum waren nur Architekten und Stadtplaner, Leute vom Fach. Was ist also mit der großen, öffentlichen Debatte?

Michael Müller hat für eine IBA 2030 keine Zeit. “Ich will darauf nicht warten”, sagt der Stadtentwicklungssenator (SPD) zu den Einwänden von Katrin Lompscher im Ausschuss. Er hält den Zeitpunkt für eine IBA genau richtig und begründet das mit den dramatischen Entwicklungen in der Stadt. Er sagt auch, die IBA-Ideen anderer würden ins Konzept der Senatsverwaltung einfließen. Dafür spricht, dass das IBA-Konzept der Verwaltung tatsächlich beweglich ist; angefangen hatten die Ideen auf dem Tempelhofer Feld.

Nächster Meilenstein für die IBA in Berlin bleibt also die zu erarbeitende Senatsvorlage, und dann kommt vielleicht der Beschluss. Und vielleicht kommen dann auch die Berliner. Die IBA 2020 lädt wieder ein im Januar nächsten Jahres, dann zum Werkstattgespräch “Gemeinschaftliches Wohnen”.

Innen hui, außen pfui – Der Marienkirche wird der Hof gemacht

— Bericht — Das Bezirksamt Mitte will das Umfeld der Marienkirche neugestalten. Das von ihm beauftragte Landschaftsarchitektur-Büro Levin Monsigny hat am Dienstag ein Konzept vorgestellt. Es soll ein steinerner, rechteckiger Platz entstehen, der die Kirche einfasst und den Marienkirchhof wieder erkennbar macht; auch das Luther-Denkmal soll vor die Kirche zurückkehren, das heute an ihrer schattigen Nordseite steht. Architekt Rob Grotewal möchte, “dass die Kirche wieder Luft zum Atmen hat”.

Damit will der Bezirk der zunehmenden Verwahrlosung vor Ort wieder Herr werden. Roland Stolte, theologischer Referent der evangelischen Kirchengemeinde St. Petri-St. Marien, hält den Zustand für nicht tolerierbar. Er beschwert sich über den Urin, der unter den Türen durchläuft und über Fäkalien an den Außenwänden der Kirche, und spricht von einer “Diskrepanz zwischen der Sorgfalt im Inneren und der Verwahrlosung außen”.

Kritisiert wird das Konzept von der Gesellschaft für Historisches Berlin (GHB) und vom Bürgerforum Historische Mitte. Klaus Krause von der GHB findet die Absenkung des Marienkirchhofs im Grunde gut, fordert aber eine Gesamtplanung des Rathausforums, weil er befürchtet, dass Fakten geschaffen würden, die einer späteren Gesamtplanung im Wege stehen könnten.

Baustadtrat Carsten Spallek (CDU) sieht für einen Masterplan Rathausforum aber wenig Chancen, zumindest “nicht in dieser Wahlperiode”. Er hält das aktuell für nicht realistisch und sieht die Möglichkeit für eine Umgestaltung des Kirchhofs – würde man auf eine Gesamtplanung warten – erst wieder im Jahre 2020.

Das Bürgerforum lobt den guten Willen des Bezirks und des Büros, fordert aber, die historische Figur des Marienkirchhofs besser zu berücksichtigen. Stadtplaner Hildebrand Machleidt fragt: “Warum nicht in historischer Authentizität?” Und für den Historiker Benedikt Goebel steht das Konzept sogar in der radikalen, seit 170 Jahre währenden Modernisierungstradition, die den Stadtraum fortlaufend zerstöre. Er forderte Bezirk und Senat auf, das Konzept zu überdenken und “es anders zu versuchen, es anders zu wollen”, so Goebel.

Nur das Denkmal Martin Luthers wollen alle. Kunsthistoriker Jörg Kuhn vom Arbeitskreis Luther-Denkmal kündigt an, es werde eine moderne Interpretation des

historischen Sockels geben und im Januar 2013 ein Expertentreffen für die Planung stattfinden. Das Denkmal wurde 1895 auf dem Neuen Markt vor der Kirche gebaut, kam zu DDR-Zeiten nach Weißensee und wurde im Oktober 1989 an der Karl-Liebknecht-Straße einzeln, ohne Beifiguren wieder aufgestellt.

Der Umbau solle Mitte 2013 beginnen und 2015 enden, sagte Christoph Katerbau vom Landschaftsplanungsamt Mitte. Bauunterbrechungen seien wegen potenzieller Ausgrabungen einkalkuliert. Im September soll das Bezirksamt einen Beschluss fassen, dann die Kosten für eine Finanzierungszusage vorbereiten. Die Finanzierung sei “das ganz, ganz, große Fragezeichen”, so Katerbau. Es handele sich dabei um einen 7-stelligen Betrag, sagte er.

Das Wort Gottes muss durch den Mund der Menschen

Bürger platzen mit Bannern ins Tempelhofer Feld-Bürgergespräch: "Früh stören" - na, wenn das nicht zur Fußball-EM passt! (Foto: André Franke)Moderatorin Ursula Flecken greift zum Mikro, um es sogleich wieder aus der Hand zu geben. Ohne das vorher gewusst zu haben. Als die Stadtplanerin das Publikum zum Bürgergespräch über die Zukunft des Tempelhofer Feldes begrüßt, ziehen Bürgerinitiativen aus Kreuzberg, Neukölln und Tempelhof mit Bannern vor der Brust vor den Altar der Passionskirche am Marheinekeplatz. Dass man in die Kieze hineingehen wolle, teilt sie mit. Dann kann das Publikum auf den Transparenten lesen: “Kiez wehrt sich” und “Wir wollen keine Spielwiese, wir wollen die Freiheit, wie sie ist!”

Die Bürger fordern das Wort. Ursula Flecken lenkt ein. “Ich gebe das Mikrofon für fünf Minuten aus der Hand”, sagt sie. Doch es wurden mehr als dreißig. Erst liest eine Frau vom “Mieterrat Chamissoplatz” aus einer vorbereiteten Erklärung. Dann fordert ein Mann von “100% Tempelhofer Feld” die Sicherung des gesamten Tempelhofer Feldes als Freiraum und einen direkten Dialog mit der Politik, gefolgt von einem jungen Aktivisten aus Neukölln, dessen Initiative noch in der Gründung sei und noch keinen Namen hätte, wie er sagt. “Es ist eine soziale Frage”, sind seine letzten Worte, als noch schnell eine Piratin nach vorn springt und ihre Unterstützung für “100% Tempelhofer Feld” kund tut. Wer an diesem Donnerstagabend moderieren will, hat ein dickes Brett zu bohren.

So, jetzt sei alles raus, möchte man meinen. Als wäre dieser Fehlstart nicht schwierig genug, bekommt Ursula Flecken auch noch einen nicht bestellten Co-Moderator an die Seite gestellt. Ein Anwohner mit stadtplanerischem Hintergrund erklärt sich selbst dazu und will sie durch die Abend-Veranstaltung begleiten. Er stellt erstmal das Programm um und schlägt eine große Fragestunde vor.

Gegen 18:45 Uhr kommt endlich Ursula Flecken wieder zu Wort. Sie erklärt sich solidarisch und findet den Programmvorschlag und die eigene Themensetzung der Bürger erstmal gut. Gerne würde sie aber erläutern, welches Programm sie und der Veranstalter, die Tempelhof Projekt GmbH, sich für heute Abend ausgedacht haben. “Wir wollen informieren”, stellt sie klar. Über den aktuellen Stand der Planung, auch wären Arbeitsgruppen vorgesehen. – Aber das Publikum lässt sie nicht. Ein Mann ruft dazwischen: “Wir wollen nicht, dass in der Zeitung steht, man hätte die Bürger informiert!” Die Zwischenrufe reißen nicht ab. Es war weiß Gott nicht der erste. Apropos: “Das Wort Gottes hören”, steht an der märchenhaften Backsteinkanzel. Im Rücken von Flecken.

Doch aus der Fragestunde wird nichts. Die Moderatorin erkennt, dass es im Publikum durchaus Interesse daran gibt, was die Veranstalter zu berichten haben. Auf Nachfrage melden sich eine Hand voll Leute. Und als Ursula Flecken die Rebellen geschickt fragt, ob sie es den Neutralinteressierten wirklich verwehren möchten, zu ihrem Recht auf allgemeine Information zu kommen, da können die Lautstarken, so wütend sie auch sind, dann doch nicht anders und stimmen der Quickinfo zu.

Zuvor war schon der Versuch gescheitert, den Landschaftsarchitekten der geplanten Parklandschaft seine Ideen erläutern zu lassen und der Diskussion eine Grundlage zu geben. Der Co-Moderator schritt ein, forderte im Auftrag der Initiativen die Fragerunde ein. Der Architekt von GROSS.MAX. aus Edinburgh kam nicht zu Wort.

Ursula Flecken gibt das Wort also an Martin Pallgen von der Tempelhof Projekt GmbH. Nur kurz. Vorm Altar kommen jetzt Beamer und Leinwand zum Einsatz. Gäste aus dem Publikum hatten schon vor Beginn der Veranstaltung über Pallgens Outfit gelästert: Glänzende Anzüge stünden keinem Mann, urteilten sie auf der Kirchenbank. Pallgen versucht jetzt das Unmögliche: für eine Minderheit das Notwendigste in halber Zeit zu berichten und gleichzeitig die Protestler im Publikum durch vage gehaltene Informationen nicht gegen sich aufzubringen. Er schlägt sich gut. Aber die Fragen und Einwände, die das Publikum Martin Palgen immer wieder entgegenruft, entgegenschreit, lassen den Vortrag nicht allzu lang werden. Es scheint, als lehne die Menge prinzipiell das Format ab. Anzugträger, Powerpoint und die immer willkürlich erscheinende Geometrie der Pläne, mit denen “die da oben” den Berliner Boden abstecken. – “Das Wort Gottes hören”? – Die Bürger wollen selber sprechen. Fordern das jetzt. Ursula Flecken leitet über zur Fragerunde.

Kurz nach 19 Uhr hat sich am Saalmikro eine lange Schlange gebildet. Etwa zehn bis fünfzehn Wortbeiträge gehen in der nächsten knappen Stunde durch das Mikrofon. Die meisten fragen nicht, sie stellen fest. Empören sich. Ein Mann regt sich über die Grün Berlin GmbH auf, weil die Gesellschaft seiner Meinung nach an zu vielen Projekten in Berlin beteiligt ist. “Welches Recht hat Grün Berlin …?”, schimpft er. Die Antwort bekommt er vom Geschäftsführer. “Wir haben einen Auftrag vom Land Berlin, das kann man ganz nüchtern sagen”, so Christoph Schmidt, dem ein Lächeln über die Mundwinkel läuft. Die Pläne wären zum jetzigen Zeitpunkt noch aufhaltbar, mahnt ein anderer Sprecher. Und dann wieder Zwischenrufe. Viele ersparen sich ein Anstehen in der Rednerschlange, posaunen ihre Anliegen quer durch die Kirche. Heute gibt es viel Leidenschaft in der Kreuzberger Passionskirche. “Gänseblümchen sammeln und Brennnessel, mit den Kindern, das ist Bildung!”, ruft ein Vater, der sich auf das von Martin Pallgen erwähnte Bildungsquartier am Tempelhofer Damm bezieht.

Einer der Schreier kommt aus den Bänken hervor und greift zum Mikrofonständer. Ohne sich hinten anzustellen. Es sieht zuerst wie Sabotage aus. Dann erkennt man, dass der Mann das Mikro um 180 Grad drehen will, damit das Publikum die Bürgersprecher besser sehen kann. Die Moderatorin lässt ihn gewähren. Damit ist der Kirchenraum endgültig zur Verlautbarungsbühne der besorgten Initiativen geworden. Die Manager- und Moderatorenriege des Senats ist in die zweite Reihe gerückt.

Ein Berliner Ire, der für das Quartiersmanagement Schillerpromenade arbeitet, beklagt, die Tempelhof Projekt GmbH hätte mehrere seiner Projekte zur Weiterentwicklung des Tempelhofer Feldes als unausgegoren abgelehnt. Ein anderer bezweifelt den grundsätzlichen Ansatz der Parklandschaft: “Landschaft braucht nicht geplant werden, die Landschaft ist schon da!” Der junge Initiativengründer aus Neukölln kontert einen Redebeitrag einer Sachbearbeiterin aus der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung damit, dass Protest marginalisiert würde, und dass das eine große Frechheit sei; seine Vorrednerin hatte die Bürgerbeteiligung erläutert, die sie seit 2007 begleitet hat.

Wenn das Kriterium für ein erfolgreiches Bürgergespräch der Fakt ist, dass Bürger sprechen, dann war die Veranstaltung gelungen, bevor sie zu Ende war. Nach zwei Stunden Kirchenbank sind um 20 Uhr längst nicht alle Messen gesungen. Ursula Flecken und ihr Co-Moderator, der nicht von ihrer Seite wich, drängen jetzt in die Arbeitsgruppen. Der Forderung des Publikums nach eigener Themensetzung wird entsprochen. Aber müde nur rufen die von der Gemeinschaftsmoderation aufgeforderten Bürger nach ihrem Protesteifer die Stichworte aus, mit denen die AG’s betitelt werden sollen. Es stockt. Die Luft ist raus.

Aber es ist auch dem Wechsel der Spielart geschuldet. Der Bürger soll jetzt wieder was. Er soll denken. Er soll diskutieren. Er soll sogar selbst moderieren, alles in den AG’s. Die Passionskirche verwandelt sich in eine Schulbank. Und in jeder Ecke stehen Stühle und Flipcharts bereit, liegen Stifte zum Malen. Zögerlich füllen sich die AG’s. Einer ruft: “Wir brauchen hier noch einen Moderator.” Viele stehen an der Bar. Hier gibt es Brezel und Saft, gesponsert vom Veranstalter. Serviert von Kirchenleuten. Verlässt man zu diesem Zeitpunkt den Ort, kann man draußen vor dem Eingang manchen stehen und frische Luft schnappen sehen. Zum Beispiel den Mann, der mit der Politik sprechen will.

Ein Ort zum Downloaden

— Bericht —

Vor zehn Tagen sollte er die revolutionäre 1. Mai-Demo empfangen, jetzt wird der Bebelplatz “ein Ort zum Lesen”. Diesen Titel gibt der Berliner Urban Curator Jürgen Breiter seinem Kunstprojekt, bei dem er am 10. Mai in Erinnerung an die Bücherverbrennung von 1933 zwischen Staatsoper und alter Bibliothek 50 Stühle mit Büchern darauf platziert. Bücher, die damals verbrannt wurden und heute darauf warten, gelesen zu werden: Erich Kästners “Das fliegende Klassenzimmer”, zum Beispiel.

“Ein Ort zum Lesen” soll auch zum Verweilen einladen. Auf die roten, orangenen und braunen Plastikstühle kann man sich beim Lesen deshalb auch setzen. “Sie assoziieren die Farben des Feuers”, sagt Jürgen Breiter und denkt schon daran, das Projekt unter dem Arbeitstitel “Ein Ort zum Lesen 2.0” in digitaler Form fortzuführen. Für den Platz will er eine IT-basierte Medienskulptur vorschlagen. Per Smartphone soll man sich vor Ort Leseproben und Hörbuchausschnitte aus der Bibliothek der verbrannten Bücher 365 Tage im Jahr herunterladen können. Die Skulptur solle eher unscheinbar aussehen und “sich zurücknehmend in den Platz integrieren, einem Stadtmöbel ähnlich”, sagt Breiter. Er wirbt für die Idee auf der Konferenz für Kultur und Informatik der Hochschule für Technik und Wirtschaft, die am Donnerstag und Freitag im Pergamonmuseum stattfindet.

Das analoge Kunstprojekt findet 2012 das vierte Mal statt. Breiter begann 2009 mit zehn Stühlen und Büchern. Ein Jahr später waren es 50, dann 100. Dann hat er die Erfahrung gemacht, dass zuviele aufgestellte Stühle auf das Publikum hemmend wirken. Deshalb werden es jetzt wieder 50 sein.

Außerdem teilt er sich den Bebelplatz mit der Bundestagsfraktion DIE LINKE. Sie veranstaltet wie jedes Jahr das “Lesen gegen das Vergessen”. Zwei Stunden lang lesen prominente Politiker und Künstler aus den gebrandmarkten Büchern vor, darunter Beate Klarsfeld, Gesine Lötzsch und Katrin Lompscher. Auch die 101-jährige Elfriede Brüning wird an der Gedenkfeier teilnehmen. Die Schriftstellerin hatte die Bücherverbrennung 1933 auf dem Bebelplatz miterlebt.

Erst am Sonntag war auf dem Platz das Salzburger “StadtLesen 2012”-Projekt zu Ende gegangen, das dieses Jahr erstmals in Berlin stattfand. Vier Tage lang konnten Besucher komfortabel auf Kissen und in Hängematten liegend Bücher lesen. Von den verbrannten Büchern stand aber keines in den Regalen. “Ein bisschen enttäuscht von der Promotionshow des Projekts” gab sich Jürgen Breiter. Obwohl er die Idee einer Lesetour durch Deutschland “super charmant” findet, gehörte die Leseförderung besser in die Kieze, statt auf den Bebelplatz, sagt er. “StadtLesen” reist bis Oktober durch insgesamt 23 Städte in Deutschland, Österreich, der Schweiz und Italien.

(verkürzt erschienen in taz vom 10.05.2012, Print)

Pioniere haben es schwer, aber keine Gentrifizierung in Neukölln?

— Bericht —

Den Ort für die Vorstellung der neuen Nordneuköllner Sozialraumstudie hätte man mit dem Rütli-Campus besser kaum wählen können. Zwischen Indoor-Kletterwänden und Schul-Polizeischutz bot die Schulmensa gestern das perfekte Ambiente für eine Diskussion um steigende Mieten, Gentrifizierung und Kiezstrukturen. Darauf lief die Veranstaltung am Ende hinaus, nachdem Sigmar Gude vom Büro Topos Stadtplanung die Ergebnisse der von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung in Auftrag gegebenen Studie präsentiert hatte.

Deutliche soziokulturelle Veränderungstendenzen wären laut Studie nur im Gebiet Reuterplatz zu erkennen, sagt Gude. Hier hätten es selbst „Pioniere“ schwer, ins Gebiet zu kommen, denn der Anteil der „Gentrifier“ an der Bevölkerung erhöht sich nach 2007 von vormals 24 auf 33 Prozent. Gleichzeitig gehen die Anteile der „Normalbevölkerung“ von 44 auf 26 Prozent und der „Alten“ von 12 auf 2 Prozent stark zurück. Die Entwicklungen hier seien vergleichbar mit dem Graefekiez in Kreuzberg, nicht aber mit dem Kollwitzplatz in Prenzlauer Berg, sagt Gude. Im Gebiet Schillerpromenade habe die Gentrifizierung dagegen noch nicht begonnen. Die Anziehungskraft des Kiezes sei aber gewachsen. Der Anteil der „Pioniere“ steigt hier von 24 auf 45 Prozent, der der „Gentrifier“ bleibt mit 16 Prozent gering und hat sich zu vor 2007 kaum verändert. Die übrigen Gebiete im Neukölln innerhalb des S-Bahn-Rings seien mit der Schillerpromenade vergleichbar. In diese drei Gebiete hat die Studie das Untersuchungsgebiet aufgeteilt.

Die Studie untersucht auch die Wohnverhältnisse, Fluktuationen, Einkommensstrukturen und Mieten. Demnach hätten 85 Prozent aller Wohnungen Vollstandard. Die höchste Fluktuation, also kürzeste Wohndauer weist das Gebiet Schillerpromenade auf; hier befinden sich viele Kleinwohnungen. Für das Gebiet Reuterplatz gilt das Gegenteil, hier wäre der Wohnflächenverbrauch entsprechend höher. Zuzügler hätten ein höheres Einkommen als der Neuköllner Durchschnitt, lägen aber deutlich unter dem Berliner Durchschnittseinkommen. „Arme Haushalte werden durch etwas weniger arme ersetzt“, so sagt es Gude. Im gesamten Untersuchungsraum gibt es laut Studie nur 5 Prozent Eigentumswohnungen. Die Mieten liegen laut Studie bei Neuvermietungen in den letzten Jahren deutlich über dem Mietspiegel. Die Mietdifferenz bei Zuzüglern vor und nach 2009 ist mit plus 24 Prozent im Gebiet Schillerpromenade am größten. Doch die höchsten Mieten werden am Reuterplatz gezahlt.

Bezirksbürgermeister Heinz Buschkowsky (SPD) nimmt die Studie ernüchtert zur Kenntnis. „Es ist eine gute Sache, dass Panik in Sachen Gentrifizierung nicht angesagt ist“, sagt er. Gleichzeitig findet er es schade, dass von Neukölln keine Sogwirkung auf Gesamtberlin ausgehe. Buschkowsky selbst warf die Frage auf, wie die Studie denn mit der migrantischen Vielfalt im Bezirk umgegangen sei. Die Antwort von Sigmar Gude fiel dürftig aus; er verwies nur auf den statistischen Migrationsanteil von ca. 50 Prozent in der Neuköllner Bevölkerung.

Staatssekretär für Bauen und Wohnen Ephraim Gothe (SPD) sieht mit Neukölln kein neues Wohlstandsquartier entstehen: „Nein, davon sind wir wohl noch weit entfernt.“ Er verwies bei den steigenden Mieten auf den abnehmenden Wohnungsleerstand in Neukölln und betonte für ganz Berlin, es müsse über Wohnungsneubau geredet werden. „Das ist das einzige Mittel, das Druck vom Kessel nimmt“, sagt er.

Dass das in Neukölln gar nicht so einfach ist, darauf machte Baustadtrat Thomas Blesing (SPD) aufmerksam. 2010 wäre Neukölln mit 13 neugebauten Wohnungen pro 1.000 Einwohner der Bezirk mit der geringsten Neubauaktivität gewesen. Die Neubaupotenziale lägen laut Gothe vor allem in anderen Gebieten Berlins; so führte er in der Diskussion das Tempelhofer Feld als Beispiel an. Das Publikum antwortete mit einem Raunen.

Die Studie „Sozialstrukturentwicklung in Neukölln“ ist online abrufbar unter: http://www.quartiersmanagement-berlin.de/studie-sozialstruktur

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Ernst-Reuter-Platz: „Gepanzert mit Denkmalschutz“

— Bericht —

Die City West nimmt ein neues städtebauliches Projekt in Angriff: den Ernst-Reuter-Platz. Gestern fand dazu eine erste Standortkonferenz statt, bei der Architekten, Stadtplaner, Immobilienhändler, die Senatsverwaltung für Stadtenwicklung, aber vor allem auch Studenten der Technischen Universität (TU) und der Universität der Künste (UdK) sich gegenseitig über den gegenwärtigen Zustand und die potenzielle Zukunft des Platzes informierten. Die öffentliche Veranstaltung wurde vom Regionalmanagement CITY WEST durchgeführt und fand im Architekturgebäude der TU statt, einem der Häuser am Platz. Das Treffen soll der Auftakt für eine Reihe weiterer Strategiegespräche und Konferenzen im nächsten Jahr sein.

Der Ernst-Reuter-Platz wird heute vor allem als Kreisverkehr wahrgenommen. Um auf die Mittelinsel zu gelangen, geht der Fußgänger durch einen unterirdischen Tunnel, ähnlich wie bei der Siegessäule am Großen Stern. Die Gebäude an dem weiträumigen Platz sind in der Nachkriegzeit im Geist der städtebaulichen Moderne errichtet worden. Sie stehen zum Teil als Einzeldenkmale, aber auch als Gesamtanlage unter Denkmalschutz; sogar die Platzfläche ist laut Denkmalkarte der Senatsverwaltung als Gartendenkmal geschützt. Architekturprofessor Harald Bodenschatz von der TU sieht den Ernst-Reuter-Platz deswegen regelrecht „gepanzert mit Denkmalschutz“.

Die Nachkriegsmoderne mache denn auch die Identität des Ortes aus, wie Andreas Schulten, Büroimmobilienanalyst der BulwienGesa AG betont. Sie dürfe auf keinen Fall zerstört werden. Schwierig aus seiner Sicht sei die Konkurrenzsituation zu Berlin-Mitte. Die höchsten Büromieten (22 – 25 Euro pro Quadratmeter) würden aktuell am Sony Center, Unter den Linden/Ecke Friedrichstraße, aber auch in der Spandauer Vorstadt gezahlt, aufgrund von entsprechender Nachfrage. Der Ernst-Reuter-Platz konkurriere insbesondere mit Unter den Linden, „wo die Humboldt-Universität ein Schloss an die Seite gesetzt kriegt“, sagte Schulten.

Studenten der am Platz beheimateten Universitäten verdeutlichten mit ihren präsentierten Projekten, dass die Auseinandersetzung mit dem denkmalgeschützten Ort eher auf künstlerisch-funktionaler, statt auf baulich-räumlicher Ebene stattfinden könnte. Vorgestellt wurden das Projekt „Kreislaufstadt: Loop City“ (TU, Institut für Stadt- und Regionalplanung, Fachgebiet Städtebau und Siedlungswesen), das Projekt „Roundabout“ (TU, Institut für Architektur, Fachgebiet Bildende Kunst) und das Projekt „Klangumwelt Ernst-Reuter-Platz“ von Annette Matthias und Thomas Kusitzky.

Die beiden Studenten forschen an der UdK zum Thema Auditive Architektur und wollen aus dem Verkehrsraum Ernst-Reuter-Platz einen Lebensraum machen. Sie haben die Akustik des Ortes ein Jahr lang erfasst und ausgewertet, dann darauf aufbauend ihre Ideen entworfen: Matthias und Kusitzky verordnen dem Kreisverkehr eine „Generalpause“. Mit direkten Fußwegen in die Mitte des Platzes wollen sie seine „Zirkularität brechen“. Dazu synchronisieren sie die Ampelschaltung für den Autoverkehr auf einen Generalstopp. Eine weitere „Transformationsmaßnahme Ruhewiese“ sieht die topografische Anhebung der Mittelinselränder um ca. einen Meter vor, was den Verkehrslärm abhalten soll. Und transparente Pavillons zum gleichen Zweck stehen vor den Eingangsbereichen der modernen Höchhäuser, senden selbst Klänge aus als Kontrastprogramm.

Für Senatsbaudirektorin Regula Lüscher ist die Standortkonferenz ein voller Erfolg, sie lobt den Entwicklungsprozess. Mit den Leitlinien für die City West und dem Masterplan Universitätscampus City West habe der Senat 2009 einen Schneeball geworfen, den die lokalen Akteure erfolgreich aufgenommen hätten. Sie könne sich auch vorstellen, den Ernst-Reuter-Platz als Ort für die IBA 2020 einzubeziehen. Zuletzt zeigte sie sich sehr beeindruckt von Charlottenburg-Wilmersdorfs stellvertretenden Bezirksbürgermeister Klaus-Dieter Gröhler. So freundlich hätte er sie noch nie begrüßt, sagte sie. (Futurberlin)

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Geschäftige Aussichten für ein Geburtstagskind

— Bericht —

Die City West läutet die Trendwende ein, der Kurfürstendamm kommt. Gerade gingen am 30. Oktober die Feierlichkeiten zum 125-jährigen Jubiläum des traditionsreichen Boulevards zu Ende. Jetzt kamen am Freitag die Bauherren der Projekte rund um den Breitscheidtplatz zusammen und informierten über ihre weiteren Pläne, wie Tagesspiegel und Berliner Zeitung berichten. Demnach investieren sie mehr als eine Milliarde Euro in den Aufbau der City West. Allein der Umbau des Ku’damm-Karrees soll 500 Millionen Euro kosten, es steht zum Verkauf. Sein irischer Eigentümer Ballymore fehlte bei dem Investorentreffen. Die Nachfrage nach Büros und Gewerbeflächen in der City West steigt, in den letzten zwölf Monaten seien elf Hektar neuvermietet worden. Im Europa-Center sind 91 Prozent der Flächen vermietet, im Neuen Kranzler-Eck sind es 93 Prozent. Ein Apple-Store zieht in die leerstehende ehemalige Filmbühne Wien.

Im denkmalgeschützten Haus Cumberland, das gerade umgebaut wird, sind schon alle 186 Wohnungen verkauft, darunter 20 Penthousewohnungen mit Sauna und Kamin, die Quadratmeterpreise lagen zwischen 3.500 bis 7.000 Euro. „Bread & Butter“-Geschäftsführer Karl-Heinz Müller will in dem Haus einen Modeladen aufmachen. Ins ehemalige Bankhaus Löbbecke, in einer Seitenstraße des Ku’damms, zieht die Berggruen-Holding von Karstadt-Eigentümer Nicolas Berggruen.

Das neugebaute Hochhaushotel „Zoofenster“ soll Ende des ersten Quartals nächsten Jahres fertig werden, der Innenausbau verzögert sich. Im gleichen Jahr wird mit dem Bau des benachbarten „Atlas-Tower“ der Strabag Real Estate GmbH begonnen, das mit 119 Meter Höhe das „Zoofenster“ um einen einzigen Meter überragen wird. Das Kino „Zoo-Palast“ und der alte „Zoobogen“ werden gerade saniert und unter dem Namen „Bikini-Berlin“ als Gebäudekomplex Mitte 2013 fertiggestellt, vom Bikini-Haus soll es einen freien Blick in den Zoologischen Garten geben. Daneben werden auch Tauentzienstraße und Gedächtniskirche saniert. (Tagesspiegel, Berliner Zeitung, Futurberlin)

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Politik blind für Altstadt

— Bericht —

„Erst graben, dann planen“, auf diese einfache Formel brachte Historiker und Projektentwickler Willo Göpel die Forderungen des Bürgerforums Historische Mitte, das gestern zum zweiten Mal in der Marienkirche stattfand. In der Vergangenheit wäre das in der Berliner Stadtplanung, so Göpel, genau anders herum gewesen, und diese Praxis dauere bis heute an.

So sollen die Überreste der Gerichtslaube vorm Roten Rathaus erst 2014 ausgegraben werden, während die Planungen für den neuen U-Bahnhof der U55 bereits auf Hochtouren laufen und infolge der Diskussion um eine mögliche Integration der archäologischen Funde zum alten Berliner Rathaus schon modifiziert wurden. BVG und Architekt Oliver Collignon planen eine Galerie in dem Bahnhof, durch eine Fensterwand werden die Gemäuer des alten Rathauses sichtbar gemacht.

Das ist dem Bürgerforum zu wenig. Die Funde wolle das Forum nicht wie im Panzerschrank wegsperren, sondern erlebbar machen, so Göpel. Bürgerforum-Architekt Helmut Maier stellte beispielhaft vor, wie die vier Schiffe des Rathauses mithilfe einer Dachkonstruktion geschützt werden könnten und potenziell begehbar würden. Auch schlug er einen unterirdischen Alternativausgang ins Nikolaiviertel vor, um den in der gegenwärtigen Planung notwendigen Abriss des ausgegrabenen, vierten Gebäudeschiffes zu verhindern. Manfred Kühne von der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hält einen Fußgängertunnel unter der Spandauer Straße für zu teuer und zu riskant. Man stieße dabei womöglich sehr schnell auf weitere unterirdische Gebäudereste Alt-Berlins.

Grundsätzlich sei eine Verschwenkung des Bahnhofs nach Norden, also weg von der Ausgrabungsstelle, nicht möglich wegen der Anschlussstelle des bereits vorhandenen Bahntunnels in Höhe der Jüdenstraße. Dies sei der Zwangspunkt in der Planung, erklärte der Projektleiter der BVG, Jörg Seegers. Der Tunnelabschnitt zwischen Alexanderplatz und Jüdenstraße wurde schon in den 20er Jahren gebaut.

Benedikt Goebel, Historiker und Bürgerforum-Mitglied, verwies darauf, dass es nicht darum ginge, die Verkehrsingenieure zu überzeugen, sondern die Politik. Wie Göpel zuvor mitteilte, habe bis dato keine der Berliner Parteien in ihren Wahlprogrammen zur Thematik der Berliner Altstadt Position bezogen. Das Bürgerforum plant im Herbst, 12 Tage vor der Abgeordnetenhauswahl, eine Veranstaltung, zu der baupolitische Sprecher der Parteien eingeladen werden sollen.

Das Bürgerforum fordert neben der sofortigen und vollständigen Ausgrabung des mittelalterlichen Berliner Rathauses, inklusive Gerichtslaube, auch die Anerkennung des Altstadtbereiches als besonderes Planungsgebiet, ein Moratorium aller weiteren Planungen, eine Grabungskampagne und Bauforschung als zukünftige Planungsgrundlage, ein Informationszentrum Berliner Stadtkern im Sinne einer ständigen öffentlichen Ausstellung und eine weitere Änderung der Bahnhofsplanung am Roten Rathaus. Die zusätzlichen Kosten infolge der bisherigen Umplanung belaufen sich nach Angaben von BVG-Projektleiter Seegers auf eine halbe Million Euro.

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Mauerpark kann scheitern

— Bericht —

Die Planungen für den Mauerpark gehen in eine neue Runde. Der Bezirk Mitte hat das Bebauungsplanverfahren eröffnet. Grundlage ist der Kompromissentwurf aus dem Winter, der eine Bebauung des zukünftigen Parks nach Protesten nur noch im Norden des Gleimtunnels und im Süden an der Bernauer Strasse vorsieht.

Mitte-Baustadtrat Ephraim Gothe (SPD) hatte am Dienstag im Brunnenviertel zu einer Diskussionsveranstaltung eingeladen. “Ich finde es eigentlich ganz schön hier”, sagte er und kündigte eine ganze Reihe von Bürgertreffen an. Die Auftaktveranstaltung für die Öffentlichkeitsbeteiligung soll noch vor dem 7. Juli stattfinden.

Ein B-Planverfahren sei ein sehr langer und schwieriger Prozess, sagte Berlin-Vivico-Chef Henrik Thomson. Wir seien noch nicht an der Machbarkeit angelangt. “Es kann scheitern”, warnte er.

Zum Beispiel an der Frage, wie das Wohngebiet im Norden erschlossen werden soll. Gothe will dazu ein Verkehrsgutachten erstellen lassen. Der Denkmalwert des Gleimtunnels sei aber unbestritten, betonte er.

Keine Bebauung an der Bernauer Strasse und dafür “ein schönes, offenes Entrée in den Mauerpark” fordert der Bürgerverein Gleimviertel. In dem geplanten “Sondergebiet” kann nach Gothes Vorstellung “alles Denkbare, außer Wohnen” entstehen. Sechs- bis siebengeschossige Häuser für Hotels oder die Kreativwirtschaft sollen hier gebaut werden können. Genaueres soll ein städtebauliches Gutachterverfahren klären.

Das Recht, an der Bernauer Strasse zu bauen, wird sich die Vivico nicht ohne weiteres nehmen lassen, schließlich ist der Plan schon ein Kompromiss. “Der Bezirk hat sich bewegt, und wir haben uns bewegt”, sagte Thomson. Der Park wächst um 5,8 Hektar, die Vivico bekommt die gewünschte “Gegenleistung in Form von Bauflächen”, wie es Thomson nennt.

Gothe wünscht sich für das anstehende Beteiligungsverfahren eine konsktruktive Atmosphäre. Mit ihr steht und fällt der Bebauungsplan. Mit zwei Gutachten, zwei beteiligten Bezirken und dem Hype um Flohmarkt und Mauersegler wird der Plan bis Ende des Jahres wohl nicht festgesetzt und der Park damit nicht auf die kritische Größe von 10 Hektar erweitert sein.

Dann könnten die Millionen fließen, um die es eigentlich geht. Die Allianz Umweltstiftung könnte vom Land Berlin Fördermittel in Höhe von 2,3 Millionen Euro zurückfordern, mit denen sie die Errichtung des Mauerparks in den 1990er Jahren finanzierte. Das möchte Gothe nicht verantworten müssen.

Die Vivico dagegen könnte jeder Zeit von dem rasenden Zug abspringen, sollte es ihr zu ungemütlich werden, und ihre Gewerbeflächen gewinnbringend weiterverpachten und warten bis die sich derzeit in Gründung befindliche Stiftung Weltbürgerpark ihr das Gelände mit noch zu sammelnden Geldern abkauft. Laut Stiftung bemisst sich der Verkehrswert der Flächen auf etwa neun Millionen Euro. Aber auch die Stiftung hat – im Unterschied zu Gothe – Zeit.

Platte bezwingt Planwerk – Hintergründe im Fall „Haus der Statistik“

— Bericht —

Es ist ein Sieg für die Ost-Moderne. Platte bezwingt Planwerk. Thomas Flierl (Linke), Stadtentwicklungspolitiker aus dem Berliner Abgeordnetenhaus, spricht vom „geordneten Rückzug des Planwerk Innenstadt.“ Der Ex-Baustadtrat von Mitte hatte zur Abwehr des Planwerks einst B-Pläne aufstellen lassen, um die sozialistischen Großstadtsiedlungen entlang der Karl-Marx-Allee zu schützen, mit Erfolg. Der Senat hatte die Weiterbearbeitung der B-Pläne zwar untersagt, aber es kam zu einem politischen Kompromiss. Die verschollene Landsberger Straße sollte nur noch als Fuß- und Radwegebeziehung ausgebaut werden, anstatt als Erschließungsstraße mit Straßenbahnlinie wiederbelebt zu werden. Das war 1998.

Diese Lösung wird jetzt mit dem prämierten Entwurf von Augustin und Frank Architekten Berlin für das Areal des ehemaligen „Hauses der Statistik“ am Alexanderplatz fortgeschrieben. Mehr noch, die geplanten Blöcke passen sich an die Plattenbauten an. Und, im Hinblick auf die Nutzung, auch die Solitäre, in denen nur gewohnt werden soll.

„Noch vor Jahren hätten wir eine Hochhausdiskussion gehabt und hätten einen Wohnanteil festschreiben müssen“, hieß es von Manfred Kühne bei der Ausstellungseröffnung letzten Donnerstag. Der Städtebauer vom Senat verwies auf die Marktlage und Nutzungsinteressen der Eigentümer. Der Bund und das Land Berlin wollen auf dem Gelände keine Grünfläche errichten, denn die kostet. Das Planwerk Innenstadt hatte ihnen die Nutzung aufgebrummt, verbindlich als städtbebauliches Leitbild seit dem Planwerks-Beschluss des Senats vom 18. Mai 1999.

Gedacht war damals eine extreme Verdichtung an der Karl-Marx-Straße / Ecke Otto-Braun-Straße. Eine dahinterliegende Grünfläche sollte die Verdichtung kompensieren. Jetzt räumt Kühne ein, dass eine Grünfläche an einer Hauptstraße wie der Otto-Braun-Straße keine hohe Aufenthaltsqualität haben könne. Das alte Planwerk ist obsolet geworden.

Zwar sei es nach 1999 verwaltungsintern weiterentwickelt und überarbeitet worden, sagt Flierl. Eine politische Diskussion und ein neuer Senats-Beschluss stünden dagegen noch aus. Noch 2010, kündigte Kühne an, werde ein Beschluss vorbereitet werden. Fehlt nur noch die Debatte. Stadtplaner veranstalten am 28./29. Januar im Center for Metropolitan Studies an der TU Berlin einen Workshop „Beyond Planwerk Innenstadt“ und rufen zum strategischen Weiterdenken auf.

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Rückzug des Planwerk Innenstadt an Karl-Marx-Allee

— Bericht —

Für das Gelände des ehemaligen „Hauses der Statistik“ an der Karl-Marx-Allee Ecke Otto-Braun-Straße in Mitte gibt es eine neue städtebauliche Planung. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung hat ein konkurrierendes städtebauliches Gutachterverfahren durchgeführt und präsentiert die Entwürfe von vier Berliner Architekturbüros im Rahmen einer Ausstellung. Das Areal am Alexanderplatz sei in den vergangenen Jahren „Ort heftigster planungspolitischer Auseinandersetzungen“ gewesen, sagte Manfred Kühne, Leiter der Abteilung Städtebau und Projekte in der Senatsverwaltung. Er eröffnete die Ausstellung am Donnerstag und betonte die Kooperation im Verfahren mit Architekten, dem Bezirk Mitte und den Eigentümern, der Bundesanstalt für Immobilienaufgaben und dem Liegenschaftsfond Berlin.

Der prämierte Entwurf des Büros Augustin und Frank Architekten lieferte die geforderte hohe Bandbreite an Gebäudetypologien und beantwortete die zentrale Wettbewerb-Frage nach der räumlichen Vernetzung des Plangebiets mit dem angrenzenden Wohngebiet an der Karl-Marx-Allee am überzeugendsten. Ausgehend von einer klaren Stadtkante an der Otto-Braun-Straße verjüngen sich drei 9-geschossige Blöcke trapezartig im rückwärtigen Bereich. Der Nutzungsmix aus Einzelhandel, Büros/Hotels und Wohnen variiert zwischen den Geschossen und in Abhängigkeit von der Nähe zum Wohngebiet. Zwei 11- und 15-geschossige Solitäre leiten zur offenen Bauweise über und dienen fast ausschließlich dem Wohnen. Ecke Karl-Marx-Allee schließt ein 13-stöckiges Büro- und Hotelhochhaus das Gebiet an den Alexanderplatz an, es ragt aus einem 4-geschossigen Block-Sockelbau heraus, der die Bauflucht der alten Landsberger Straße wieder aufnimmt.

Entgegen älteren Planungen hat die Landsberger Straße in dem Entwurf keine grundstückserschließende Funktion und wird nur mit landschaftsgestalterischen Mitteln wiederhergestellt. Die Blöcke orientieren sich am rechtwinkligen Straßengrundriss des DDR-Wohngebiets. Der radikale Ansatz des Planwerks Innenstadt von 1998, der eine starke städtebauliche Überformung des Gebiets mit der radialen Struktur der alten Königsstadt vorsah, sei aufgegeben worden, sagte Kühne. Inzwischen hätten sich die Nutzungsinteressen der Eigentümer, wie auch die Lage am Markt geändert, und es gäbe eine höhere Nachfrage nach Wohnen als in den Jahren zuvor.

Der Vorsitzende des Stadtentwicklungsausschusses im Abgeordnetenhaus Thomas Flierl (Linke) findet die Planung richtig und gut. Schon als Baustadtrat von Mitte (1998-2000) hatte er sich für den Erhalt der Ost-Moderne an der Karl-Marx-Allee eingesetzt, heute fordert er die verwaltungsexterne Weiterentwicklung des Planwerks Innenstadt mit politischem Beschluss. Nach Angaben von Kühne soll ein neuer Planwerksbeschluss noch in diesem Jahr gefasst werden. Die Ausstellung der Gutachter-Entwürfe läuft bis 6. Februar im Lichthof der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Am Köllnischen Park 3.

(teilweise veröffentlicht in Neues Deutschland v. 23.01.2010)

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Auferstanden aus Ruinen – Abschied vom „Haus der Statistik“

— Bericht —

Getrost kann man an der Karl-Marx-Allee Ecke Otto-Braun-Straße von einem städtebaulichen Missstand sprechen. Das ehemalige „Haus der Statistik“ am Alexanderplatz verschreckt durch sein ruinöses Erscheinungsbild Autofahrer in den unterirdischen Kreuzungstunnel. Aber das wird sich ändern, das Grundstück wird neu bebaut.

Vier Berliner Architekturbüros haben dazu Entwürfe erarbeitet, Senatsbaudirektorin Regula Lüscher stellt die Pläne am Donnerstag vor. Sie sind das Ergebnis eines konkurrierenden städtebaulichen Gutachterverfahrens, das die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung zusammen mit den Eigentümern und dem Bezirk Mitte durchgeführt hat. Der Siegerentwurf des Büros Augustin und Frank Architekten sieht vor, den baufälligen Gebäudekomplex in drei Blöcke aufzubrechen und im Kreuzungsbereich ein Hochhaus zu errichten. Die Arbeiten werden bis 6. Februar im Lichthof der Senatsverwaltung Am Köllnischen Park 3 ausgestellt.

Der 1970 errichtete Bürobau ist heute abrissreife Bausubstanz. Die Staatliche Zentralverwaltung für Statistik hatte vor der Wende hier ihren Sitz. Bekannt war das Haus auch für den „Natascha-Laden“ und die „Suhler Jagdhütte“. DDR-Bürger konnten hier Erzeugnisse aus der Sowjetunion kaufen oder sich in dem Jägerei-Fachgeschäft mit Ferngläsern, Flinten und Hirschfängern ausrüsten. Mieter nach 1990 waren die Berliner Außenstelle des Statistischen Bundesamtes und die Zentralstelle der „Birthler-Behörde“. Das Gebäude steht heute leer. Eine Zukunft jenseits des 40. Geburtstages wird es für das Bauwerk nicht geben. Auf den Jahrestag genau folgt es dem Staat ins Grab, der es gebaut hat.

Auferstehen wird auf dem Gelände ein Stück Vorkriegs-Berlin. Hier lag einst die historische Georgenvorstadt, später Königstadt genannt, deren Straßen ursprünglich strahlenförmig vom Alexanderplatz wegführten. DDR-Architekten haben den alten Stadtgrundriss an dieser Stelle mit einem 1962 fertiggestellten Plattenbau-Wohngebiet überplant. Die Landsberger Straße verschwand so aus dem Stadtraum. Einzig das 1913 gebaute „Haus der Gesundheit“ steht noch in der alten Straßenflucht. Mit ihrem Entwurf holen die Gewinner-Architekten sie ins Gedächtnis der Stadt zurück – teilweise.

(teilweise veröffentlicht in Neues Deutschland v. 23.01.2010)

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Planschen mit Neptun – neue Pläne für das Rathausforum

— Bericht —

Der römische Gott des fließenden Wassers und der Meere würde das blaue Szenario wohl mit jubelnder Forke willkommen heißen. Weder wird darin vor dem Roten Rathaus die Berliner Altstadt auferstehen, noch der New Yorker Central Park in die deutsche Hauptstadt geholt. Nein, das Areal vor dem Fernsehturm, wo Neptun auf seiner Muschel thront, wird mit Spreewasser geflutet.

Die „Uferterrassen“ sind eins von insgesamt fünf Leitbildern, mit denen Senatsbaudirektorin Regula Lüscher die Diskussion um die Zukunft des Zentrums Historische Mitte anheizen will. Die Entwürfe wurden am 17. Dezember im Rahmen einer Bürgerwerkstatt der Öffentlichkeit vorgestellt. Ähnlich wie schon bei der Bürgerbeteiligung „Parklandschaft Tempelhof“ im Oktober bekamen die Besucher in kleinen Dialoggruppen und mit Stift und Zettel die Möglichkeit, selbst Vorschläge und Ideen einzubringen. An den Präsentationstafeln der „Uferterrassen“ vermerkte auf diese Weise ein Teilnehmer, die Tiefe des Hafenbeckens auf 30 Zentimeter zu beschränken, damit man im Sommer „auf dem Wasser laufen“ könne. – Wir können gespannt sein.

Die von Lüscher beauftragten Architekten kommen aus den verschiedenen Büros Graft, Kiefer und David Chipperfield, aber sie betonen, dass sie sich als eine Planungsgemeinschaft verstehen. Es ging ihnen vor allem darum, kräftige Bilder zu entwerfen und nicht nach dem Baukastenprinzip verschiedene Elemente der einzelnen Entwürfe miteinander zu kombinieren. Gesucht wird zum gegenwärtigen Zeitpunkt des Planungsprozesses nicht nach Kompromissen und Machbarkeit, sondern nach Kreativität.

Bis zum Sommer 2011 sollen die Ideen weiterentwickelt werden und dann in ein Entwicklungskonzept münden. Noch vor der Berlin-Wahl möchte die Senatsbaudirektorin das Konzept von Senat und Abgeordnetenhaus beschließen lassen. 2012 wird ein internationaler Gestaltungswettbewerb ausgeschrieben. Vorerst bleibt das Gelände bis voraussichtlich 2017 teilweise von einer Baustelle für die Verlängerung der U-Bahnlinie U5 besetzt.

Neben den „Uferterrassen“ eröffnen die neuen Lüscher-Entwürfe die weiteren Entwicklungsperspektiven „Stadtpark“, „Städtische Bühne“, „Esplanade“ und „Archäologischer Garten“. Keine der Varianten verfolgte die historische Rekonstruktion des Alt-Berliner Marienviertels. Konzepte mit dieser Ausrichtung sind im Rahmen eines Workshops erst vor kurzem, am 27. November, im Neuen Stadthaus präsentiert worden. Unter ihnen war auch der Entwurf des Architekten Bernd Albers, der das Gebiet im Sinne des ehemaligen Senatsbaudirektors Hans Stimmann flächendeckend mit Berliner Blöcken bebauuen will.

Im Altstadt-Szenario würde Neptun samt Brunnen freilich auf den alten Schlossplatz versetzt, wo er 1891 eingeweiht worden war. Er würde dem historisch mit dem Ort verbundenen Martin-Luther-Denkmal Platz machen. Aber wie historisch verbunden ist der Neptunbrunnen eigentlich mit dem Standort südlich vor dem Berliner Stadtschloss? Der Legende nach hat Kaiser Wilhelm II. die gesamte Brunnenanlage aufwendig drehen lassen. Er fühlte sich durch die finsteren Blicke Neptuns gestört. Offenbar hat der Herr der Meere dort relativ locker im Sattel gesessen. Und wenn man sich heute überlegt, von wem die Altstadt-Pläne politisch unterstützt werden, dann könnte man meinen, der Neptun habe seitdem kein Auge zugeschlagen. Kulturstaatssekretär André Schmitz und sogar der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wollen sich mit Vergnügen die Sicht aus dem Roten Rathaus verbauen lassen. In der Tat schaut Neptun auf den Arbeitsplatz der Senatspolitiker. Unter seinen Blicken verrichten sie ihre Amtsgeschäfte. Doch wielange noch?