Kahlfeldts Kiez

„Baudamen“ … Jemand sagte, man solle doch von „Baudamen“ sprechen statt von „Bauherren“. Das ist wirklich eine gute Idee. Beim Fest von Mitte an einem Septembersonntag in der Berliner Klosterstraße drängt der Bauwille durch die Stimmen von Brigitte Thies-Böttcher, Petra Kahlfeldt und Marie-Luise Schwarz-Schilling und breitet sich in der warmen Kulisse der Parochialkirche aus. Die Damen wollen eine Schule bauen. Nicht irgendeine, nicht irgendwo. Sie setzen sich dafür ein, dass das Evangelische Gymnasium zum Grauen Kloster in die Klosterstraße nach Mitte zurückkehrt.

Podiumsdiskussion in Parochialkirche: Matthias Wemhoff, Alexander Pellnitz, Brigitte Thies-Böttcher, Petra Kahlfeldt, Christoph Rauhut (v.l.n.r.)

Es ist ein Gymnasium, das 1574 im Zuge der Reformation im aufgegebenen Kloster der Franziskaner gegründet wird. Berühmte Schüler wie Schadow, Schinkel und Bismarck besuchen im 18. und 19. Jahrhundert die Schule. Nach dem Zweiten Weltkrieg verlässt sie den Ort und tritt eine Odyssee in den Westen an. Über die Weinmeisterstraße und Niederwallstraße (beide noch in Mitte) gelangt sie nach Tempelhof und landet nach einem weiteren Umzug 1954 in der Nähe des Hohenzollerndamms in Wilmersdorf. Neun Jahre später, da steht in der Stadt die Mauer schon, übernimmt die Schule die Traditionen des Berlinischen Gymnasiums zum Grauen Kloster und führt diesen Namen wieder offiziell. Heute noch werden Sprachen wie Alt-Griechisch, Hebräisch und Lateinisch gelehrt. Heute noch unternehmen die Schüler und Schülerinnen Exkursionen zum Ursprungsort – quer durch die Großstadt.

Ein Ort der Askanier

Das Graue Kloster befindet sich zu seiner Entstehungszeit im 13. Jahrhundert am Rande Berlins. Die Stadtmauer begrenzt das Gebäude an der östlichen Seite. In nördlicher Richtung liegt das Hohe Haus der brandenburgischen Markgrafen, die den Franziskanern das Grundstück zur Verfügung stellen, damit diese für sie die Grablege organisieren – so wird es auf einer der im Festprogramm angebotenen Führungen erklärt. Die Gegend um das Graue Kloster ist somit das älteste Regierungsviertel Berlins.

Führung mit Dirk Schumann zur Architektur der Klosterkirche beim Mitte-Fest 2023

Heute liegt der Ort mitten im Zentrum. Erkennbar ist er nur durch die weithin sichtbare, dach-, tür- und fensterlose Ruine der Klosterkirche. Vom Kloster selbst zeugt nur eine halb im Boden versunkene Feldsteinmauer des früheren Kreuzgangs. Von hier aus verläuft sich die Fläche bis zur Grunerstraße in Abstandsgrün und einer Baustelle.

Es ist die Baustelle des Mammutprojekts „Molkenmarkt“, ein Titel, der Uneingeweihte vermuten lässt, es würde nur ein romantischer alter Marktplatz wiederaufgebaut. Tatsächlich ist der Molkenmarkt, nur der Ansatz eines neuen Stadtquartiers, das sich von der Alten Münze beinahe bis zum Alexanderplatz erstreckt. Vier Berliner Blöcke werden neugebaut. Weil dafür die Grunerstraße nach Norden verschwenkt wird, entsteht auch neben der Klosterkirchenruine ein Baufeld. Es ist im Bebauungsplan für den Bau einer Schule reserviert. Die Stadtplaner nennen die Fläche fachmännisch-technisch: Block D.

Blick auf das Alte Stadthaus von Alter Münze über den Molkenmarkt. Block A wird in Zukunft die Sicht verstellen

Areal des Jüdenhofs in Block C (hinter dem Bauzaun); im Hintergrund Theaterdiscounter (TD)

Theaterdiscounter im Ex-Fernmeldeamt (Ost), links davon Ruine der Klosterkirche und dahinter das Amtsgericht Mitte

Als Marie-Luise Schwarz-Schilling 91-jährig und im roten Mantel für ihr Grußwort auf das Podium steigt, erzählt sie von Odysseus. Wie seine Männer beim Volk der Lotophagen von den Früchten des Lotos essen. Wie sie vergessen, woher sie kommen. Wie sie vergessen, wohin sie gehen. Nach der Geschichte ruft die Stifterin den Gästen des Mitte-Festes „Vergesst nicht!“ zu und lässt sich auf einer der harten hölzernen Bänke in der Parochialkirche nieder.

Neulich stand in der Zeitung, es gäbe für den „Molkenmarkt“ keinen Baubeginn vor 2026. Da bekommt man eine Ahnung davon, wieviel hier auszugraben ist. Wenn Block D des Grauen Klosters an die Reihe kommt, wird die benebelnde Wirkung des Lotos auf die irrfahrenden Köpfe der Stadt nachlassen? Werden die Berliner zu sich kommen? Die Klostergeschichte könnte ihnen ins Gehirn springen und einen – durchaus angenehmen – Schock auslösen. Womöglich schiebt die Klostergeschichte die Kirchenruine etwas in den Hintergrund des öffentlichen Interesses.

Das ist ein wenig aus den Worten von Landeskonservator Christoph Rauhut herauszuhören. Ihm gefällt die Idee von Architekt Alexander Pellnitz nicht, aus der Klosterkirchenruine die Aula des neuen Gymnasiums zu machen – eine 25 Jahre alte Idee, wie Pellnitz gesteht. Damals hatte er seine Diplomarbeit darüber geschrieben. Aber erst war das Kloster. Dann kam die Kirche. Nur weil die Kirche als Ruine und Höhendenkmal greifbar ist, muss sie deshalb auch Ansatzpunkt für die geplante Schule sein? Das Bodendenkmal der Klosteranlage, und alles was wir durch die Grabungen erfahren werden, könnte potenziell richtungsweisender für die Blockentwicklung sein.

Die Schule, die die Mitte feiert

Schwarz-Schilling auf der Holzbank winkt ab, als es auf dem Podium um archäologische Fenster geht. Das mag ihr zu passiv sein. Für die Unternehmerin zählt der aktive Zug. So lese ich ihre Geste. Und dieser aktive Zug wäre nicht, der Archäologie die stille Bühne zu überlassen. Muss hier nicht vor allem Leben in die Bude?

Schautafel mit Architekturentwurf Klosterstraße

Imaginiertes Klosterareal auf Schautafel in Parochialkirche (Stiftung Mitte Berlin)

Dass eine Schule gebaut wird, steht im B-Plan. Dass das Traditionsgymnasium nach Mitte zurückkehrt, ist keine ausgemachte Sache. Brigitte Thies-Böttcher arbeitet im Förderverein seit Jahren daran, dass das passiert. Von dieser Mission wird im kommenden Jahr sicher viel zu hören sein, wenn das Gymnasium zum Grauen Kloster 450-jähriges Jubiläum feiert. Auch dann wird wieder ein Mitte-Fest stattfinden, bestimmt. Die Veranstalter werden vermutlich bemüht sein, Thies-Böttcher im Programm den Raum zu bieten, der ihrem Anliegen gebührt. Diesmal hatte sie ihren Vortrag extrem eindampfen müssen, nachdem ihr Vorredner extrem überzogen hatte. Sicher wollte sie mehr erzählen – von der Schule, die im Stande wäre, die Mitte zu feiern.

Ehrlich, aber es hilft nicht

Das ist der Standortvorteil der Wilmersdorfer. Sie sind die geistigen Erben des Ortes, der berühmten Berliner Geist hervorgebracht hat. Sie haben den Draht zu Schadow, Schinkel, Schleiermacher. Und sie haben den Draht zu Petra Kahlfeldt. Die Architektin und Berliner Senatsbaudirektorin erzählt auf dem Podium, zu den Schülern des Gymnasiums gehörten auch ihre eigenen Kinder. Außerdem habe sie an der Schule das Café mitaufgebaut.

Man kennt sich also. Die Baudamen kennen sich. Natürlich dürfen sie das. Sie dürfen sich kennen. Und sie dürfen auch miteinander feiern. Ich fürchte aber, Kahlfeldt hat mit ihrer Offenheit dem Rückkehrprojekt ganz lautlos den Riegel vorgeschoben – ohne es selbst zu wollen. Denn von nun an wäre die Legende vom heimkehrenden Gymnasium zum Grauen Kloster immer auch mit der Nebengeschichte versehen, die Senatsbaudirektorin installiere ihren eigenen Kiez im geliebten Berliner Stadtkern. Werden die Berliner jemals genug Lotos fressen können, dass sie diesen Privatstreich übersehen?

Obdachlose leben in Zelten im Umfeld der Klosterkirchenruine

Was ich mich sonst noch so frage:

  1. Ist das tapfere Gymnasium also dazu verdammt, nicht zum Grauen Kloster zurückkehren zu können, solange Petra Kahlfeldt im Amt der Berliner Senatsbaudirektion bleibt?
  2. Welchen Stellenwert besitzt die Rückkehr des Gymnasiums zum Grauen Kloster auf der Agenda Kahlfeldts gegenüber anderen Projekten im Berliner Stadtkern? Taugt sie (die Rückkehr) als potenzielles Lebenswerk der Architektin? (Das wäre schon eine starke Geschichte, finde ich.)
  3. Wäre die Senatsbaudirektorin ggf. dazu zu bewegen, ihr Amt aufzugeben, wenn Berlin die Rückkehr des Gymnasiums zum Grauen Kloster proaktiv und verbindlich zusagen würde?
  4. Welche anderen Schulen kämen für den Standort infrage, wollte man an die Geschichte der Franziskaner als Bettelorden anknüpfen?
  5. Kommt nicht sogar eine andere soziale Nutzung infrage?

Botschaften aus dem Bezirk Spandau

Auch wenn Serien schön sind, wem gelingt es schon, einer vom ersten Teil bis zum letzten zu folgen, wenn man nicht entschieden immer zur selben Zeitung greift, immer im richtigen Moment, am richtigen Tag – oder überhaupt nicht? Es ist immer noch „Groß-Berlin“-Jahr, und die B.Z. macht eine Serie dazu, die Morgenpost ebenso. Und weil ich am Sonntag in einen anderen Bäcker ging als sonst, einen, der tatsächlich nur Morgenpost im Ständer hatte, erwischte ich die Sonntagsbeilage der Mopo, die „Berliner Illustrirte Zeitung“, in der Groß-Berlin jede Woche Thema ist. Eine Reihe von Zitaten lässt Felix Müller in dem Artikel über „Spandaus Sonderweg“ aus der Feder fließen (im Falle der Zitadellenstadt Spandau könnte man auch sagen, der Autor feuert aus allen Rohren), um den Widerstandsgeist der Nicht-Wahlberliner vor und nach der Eingemeindung zu Groß-Berlin 1920 darzustellen. Wie im „Skyscraper“ angekündigt, folgt hier das, was die sechs zitierten Herren im Einzelnen von sich gaben:

Eine Stadt mit Zitadelle wird immer ein Bollwerk sein

Emil Müller, Spandauer Stadtrat und Maurermeister, bei der Grundsteinlegung des Rathauses am 3. April 1911:

Mög´schützen uns des Kaisers Hand vor Groß-Berlin und Zweckverband.

Hermann Kantorowicz, Spandauer Armenarzt und Kommunalpolitiker, 1913:

Dass wir vom Zweckverband an der Nase herumgeführt werden, muss doch jeder sehen.

Heinrich Jenne, Spandauer Stadtverordneter, 1918:

Was Spandau bei Groß-Berlin soll, ist nicht recht klar.

Kurt Woelck, letzter Spandauer Bürgermeister, 1919:

Wir stehen hier auf dem Standpunkt, dass diese restlose Eingemeindung nur Nachteile für uns bringt und ein Unglück für Spandau darstellen wird.

Martin Stritte, Spandauer Bezirksbürgermeister, 1923:

Die Spandauer haben es nicht gelernt, sich als Berliner zu fühlen und sie werden es in absehbarer Zeit nicht lernen.

Stritte, nochmals:

Die Spandauer sind stolz auf ihre eigene Geschichte und Entwicklung, die älter sind als diejenigen Berlins, und sie werden den Raub ihrer Selbständigkeit immer als Vergewaltigung empfinden.

Günter Matthes, Redakteur des Tagesspiegels, bei der 750-Jahrfeier von Spandau, 1982:

Als die Berliner noch Kaulquappen fingen, waren die Spandauer schon Patrizier.

Blick vom Ufer der Havel auf den Rathausturm

Was folgern wir aus diesen Sätzen und wie lesen sie sich aus der Perspektive von heute? Die Hand Wilhelms II. konnte die Berliner nicht abhalten, über die Havel zu setzen; der Arm, an dem sie hing, war schlichtweg zu kurz, dass er hätte von Utrecht in die Deutsche Republik gereicht. Spandauer und Berliner dürften wohl quitt sein, nachdem Eberhard Diepgen, Ur-Spandauer, als Regierender Bürgermeister eine Zeit lang die Berliner an der Nase herumführen durfte. Heinrich Jenne scheint damals offenbar der Blick auf die regionale Landschaft verstellt gewesen zu sein; was Spandau bei Berlin soll, das ist doch ganz klar: das Wasser der Spree in die Havel aufnehmen. Auch würde wohl jeder Spandauer es als Glück begreifen, nicht als Unglück, nach 1945 nur von Franzosen besetzt worden zu sein, und nicht von den Sowjets; krasse Vorstellung, der Mauerweg verliefe dann auf der anderen Seite, entlang Charlottenburgs. Stritte kann hingegen nicht bestritten werden, denn in drei Jahren Zeit (1920-23) wechselt kein Mensch seine Identität; dankbar muss man ihm für die harten Worte sein, die doch daran erinnern, dass es politische Gewalt auch in parlamentarischen Systemen gibt, und die Schwächeren die exekutiven Folgen womöglich als Unrecht wahrnehmen. Und aus dem Matthes-Spruch, auch wenn er aufgrund seiner Überzogenheit einen gewissen Reiz hat, quilt eine etwas verzweifelt wirkende Überheblichkeit heraus, in die sich bestimmt nur jemand hineinbegeben konnte, der zwischen sich und den Berlin-Cöllnern die Mauer zu verorten wusste. Die Botschaft von der durch und durch zivilisierten Stadtgründung (es waren ja sogar zwei, gleichzeitig) ließe sich heutzutage ganz barrierefrei in den Bezirk Spandau tragen.

 

Pop Up and Go!

Futurberlin freut sich mit allen Berliner Autofahrern und Autofahrerinnen auf die Eröffnung der Pop-Up-Radwege an den Ufern des Landwehrkanals in Kreuzberg! Ich formuliere das in dieser Art, um daran zu erinnern, wie dreist Audi im Jahre 2011 die Eröffnung der Humboldt-Box begrüßte: Audi freue sich mit allen Berlinern und Berlinerinnen, behauptete der Autobauer damals und ließ es auf die Wände der Box drucken. Ich stand davor und wollte schreien: Nicht mit mir!

Meckern vom Pop-Sofa

Jetzt „poppt“ am Tempelhofer Ufer fast zehn Jahre später die bessere Seite der Stadt auf, und Audi & Co. schreien. Der ADAC beschwört Weltuntergangsstimmung in Kreuzberg und Friedrichshain, weil die Exekutive Gesetze umsetzt, weil Felix Weisbrichs Straßenamt die Radwege baut, die das Mobilitätsgesetz verlangt. Der Autoclub stellt sich an die Straßen, zählt auf eigene Faust den Verkehr und schreit zum Himmel, das Handeln der Verwaltung sei nicht repräsentativ. Hat der Club die Verkehrswende verschlafen? Sie ist längst legitimiert. Oder will er bloß ordentlich Stimmung machen? Dabei zieht er auch das Thema der Zeit an den Haaren herbei. Der Bezirk nutze die Gelegenheit, weil jetzt, in Zeiten von Corona, alle Straßen frei wären. Der ADAC sollte Xhains Radwegehelden dankbar sein, dass sie den Autofahrern die Möglichkeit lassen, aus der Distanz heraus nachzudenken, welche Wege sie mit welchen Verkehrsmitteln nehmen, wenn auf Berlins Straßen wieder Normalität einkehrt. Der Bezirk könnte die Radwege auch bauen, während die Blechlawine rollt und unter den Live-Schmerzen der alternativlosen Verhinderung vor Ort zum Erliegen kommt.

Unter dem Viadukt der U-Bahn soll der acht Kilometer lange Radschnellweg entstehen.

Im Übrigen verlaufen am Halleschen (siehe Bild) und Tempelhofer Ufer der Europawanderweg Nr. 11 und der Grüne Hauptweg Nr. 19 – Elemente eines regionalen und überregionalen Netzwerks, das eben die bessere Seite der Stadt bedient, aber an dieser Stelle wegen des starken Kfz-Verkehrs total unattraktiv ist. Am Landwehrkanal begegnet der Berliner dem Wasser. Und die Wasser in Berlin fließen ruhig. Kommt also mal runter am Kanal! Runter von Euren Rossen mit Motor! Runter vom Gaspedal und runter mit der Geschwindigkeit. 1930 gab es an der Stelle sogar einen Unfall. Ein Automobil war mit Karacho gegen die Uferbegrenzung gekracht, im Inneren ein Toter. Allerdings hatte man Boris aus dem Leben gedrängt, bereits bevor sein Mörder den Zündschlüssel umdrehte und den Unfall umständlich vortäuschte. Nachzulesen in: „Der nasse Fisch“. Das ist bestimmt bloß ein komischer Zufall. Oder ist Volker Kutscher ein Fan autofreier Straßenräume? Allenfalls die Radbahn Berlin sollte hier aufdrehen können. Aber um die mache ich mir jetzt wirklich Sorgen. Sie gerät mehr und mehr zum Prestigeprojekt, wenn sie real keiner mehr braucht, um mit dem Fahrrad von Schöneberg bis zur Oberbaumbrücke zu rollen. Soll sich der ADAC freuen, dass die Radbahn vielleicht deshalb „auf der Strecke bleibt“ (im Sinne von: sich erübrigt). Dann bleiben vielleicht die Parkplätze unter dem U-Bahnviadukt. Gute Fahrt! – Ach nee, bleiben Sie besser zu Hause!

LINKS

Artikel in der Morgenpost v. 23. April 2020: „Pop-up-Radwege sollen dauerhaft bleiben“

Artikel im Tagesspiegel v. 24. April 2020: „Der Mann hinter den Pop-Up-Radwegen“

Mit dieser Überdosis landet die AGB auf der Intensivstation

Er ist machbar, aber schädlich und sinnlos. Die Amerika-Gedenkbibliothek am Blücherplatz in Kreuzberg bekommt einen schwergewichtigen, neuen Nachbarn. Das hat die Abschlussveranstaltung zum Beteiligungsprozess „Bibliothek findet Stadt“ letzten Freitag klargemacht. In drei Varianten wird die Baumasse des notwendigen Neubaus mit 38.000 Quadratmetern Nutzfläche auf verschiedene Teilflächen des Standorts, mal hinter, mal neben und mal seitlich vor der AGB verteilt, und in größerer oder geringerer Höhe. Gemeinsamer Nenner aller drei Varianten ist allerdings eine Maßstabslosigkeit, über die man sich nur wundern kann.

Das Bestandsgebäude der AGB, dieser leichte, fast fragile „Freiheitsbau“ im Grünen, geht in den Baumassen unter (Variante 1) oder wird von ihnen vom Platz gedrückt (Variante 2 und 3); nicht die Spur einer Balance ist zu erkennen. Schlimmer noch, dass auch ein zweites „identitätstiftendes“ Bauwerk dieselbe Wirkung erfährt, dass man auch ihm das sinnvolle Maß verwehrt, das ihm gebührt: die Heiligkreuz-Kirche jenseits der Zossener Straße. Das ist Städtebau mit dem Vorschlaghammer. Aus Berlins Historie kennt man das: Der Dom des Kaisers, der das Alte Museum erschlägt, die „Große Halle des Volkes“, die Reichstag und Brandenburger Törchen erschlägt.

Das nennt man wohl: „Klotzen“, Variante 1 der Machbarkeitsstudie (Modellfoto: André Franke)

Modelle zeigen uns die Fehldosierungen im Städtebau auf den ersten Blick. So war auch der Fehler im Bild am Freitag sofort zu finden. Die riesige Baumasse rund um den Blücherplatz abladen zu müssen, und zu kieken, ob ditt überhaupt machbar is, ist aber nur die Folge eines anderen Fehlers. Was die städtebauliche Machbarkeitsstudie zeigt, ist ja: der Standort verträgt das gewollte, politisch beschlossene Bauprogramm nicht. Also ist der Standort falsch, jedenfalls wenn man auf der Suche nach einem Städtebau ist, der Sinn macht. Und wahrscheinlich ist noch mehr falsch: Auch der Zentralisierungwahn der heute dezentralen Landesbibliothek riecht nach der falschen Antwort auf die Zukunftsfragen der polyzentralen Großstadt Berlin.

Hier berichtet die Morgenpost… mit Bildern von allen 3 Varianten

Der Retter der Bauakademie

Die merkwürdigste Figur in dem spärlich besetzten Gerichtssaal war die Richterin. Und damit meine ich, dass ich ihre Erscheinung, Ausdrucksweise, ihre Gesten und ihr Geschick, das Gespräch zu führen, als würdig erachte, in Erinnerung zu bleiben und nicht: dass sie „schräg“ war. Sie redete recht leise, für meinen Geschmack etwas zu leise, konnte aber auch (und das tat sie) laut werden, wenn sie Wert darauf legte, einen Gedanken, eine Ausführung, ein Argument zu Ende zu bringen. Sie redete streckenweise auch recht lange, als dachte sie für sich selbst laut nach, als säße sie zu Hause über den Akten und bereitete sich noch auf den Fall am kommenden Tage vor. Sehr sympathisch, wenn Juristen nicht immer sprechen wie gedruckt. Nahm sie die Brille ab und lehnte sich in den Stuhl zurück, so wusste man: Gleich kommt sie ans Ende und übergibt den Ball an die Gesprächspartner, an den „Verfügungskläger“ oder an den „Verfügungsbeklagten“.

Bauakademie im Januar 2020: Alle warten auf Form und Inhalt des proklamierten Architekturzentrums (Foto: André Franke)

Der Name des (gefühlt) Beklagten war im Vorfeld bekannt geworden: Florian Pronold, der ausgewählte Gründungsdirektor der Berliner Bauakademie. Er sollte von dem Posten wieder herunter geholt werden, war im Saal selber aber nicht anwesend, nur durch einen Anwalt vertreten. Wo er hätte sitzen sollen, da stellte der Anwalt bequem die Tasche ab. Da Gefühle im Gerichtssaal aber fehl am Platze sind, sei hier richtiggestellt: Beklagt wurde die Stiftung Bauakademie, nicht Pronold selbst, für den sie sich bei der Vergabe des Postens entschieden hatte. Der Morgenpost, die heute über den Prozess berichtet, sagte Pronold entsprechend, er sei „Gegenstand des Prozesses, nicht Teil des Prozesses“. Also, Platz frei für eine Tasche.

Auf der Klägerbank saß dagegen ein anderes Rätsel. Wer genau klagte hier eigentlich? Aus der Zeitung erfuhr man es im Vorfeld nicht. Von einem Architekten und einem Professor war nur die Rede. Nicht zuletzt diese Frage brachte mich am Dienstag dazu, mich zum Magdeburger Platz ins Landesarbeitsgericht zu bewegen. Es war doch eine öffentliche Verhandlung, bei der sich niemand verstecken konnte. Hier saß zunächst der Professor; der Architekt kommt morgen, am Donnnerstag um 12:30 Uhr mit demselben Anliegen ins Gericht. Der Professor war im Gegensatz zu Pronold präsent und erkennbar. Aha. – Aber als sich das eine Rätsel löste, kam bereits ein anderes in die Welt.

Was aussieht wie Kollegenschelte

Der Verfügungskläger (es ging um eine einstweilige Verfügung) war nicht in die Endrunde des Auswahlverfahrens gelangt, bekam nach einem ersten Vorstellungsgespräch eine Absage. Vor Gericht stellte sich jetzt heraus, dass der Professor mit der Klage nicht nur erreichen wollte, Pronold den Direktorposten an der Bauakademie abzusprechen. Der Professor klagte direkt darauf, selber die Stelle zu bekommen; diesen Sachverhalt hat die Richterin feinsäuberlich abgeklopft. Merkwürdig! Sie sollte den verhinderten Mitbewerber über den Rechtsweg des Konkurrentenschutzes und vorbei an allen ebenfalls gescheiterten (aber immerhin Endrundenkandidaten) in die Bauakademie bugsieren. Das ist mehr als merkwürdig. Das ist schräg.

Warum macht einer das? So einen vermessenen Anspruch eingelöst zu bekommen, ist doch aussichtslos. Deshalb muss man dem Professor unterstellen, es ginge ihm darum, seinen Namen ins Spiel zu bringen, ihm eine kleine, nette, unvergessliche Geschichte anzuhängen. Die Wiederaufbaugeschichte der Berliner Bauakademie würde nach dem Prozess – egal wie er ausginge – nicht mehr erzählt werden können, ohne den Schlenker über den Magdeburger Platz einzubauen. Wenn der Verfügungskläger aus solch egoistischen Gründen das Gericht bemüht haben sollte, will ich seinem Namen hier keine Bühne bereiten. Mein Verfügungskläger bleibt bis auf weiteres anonym.

Im Zentrum des Architekturzentrums ein Staatssekretär?

Das Motiv des Professors könnte aber auch ein anderes gewesen sein. Deshalb fällt sein Name im Folgenden schließlich doch. Er könnte, ganz uneigennützig, die Bauakademie retten wollen. So ein Gründungsdirektor ist ja keine Tresenkraft, sondern die Hauptfigur des Projekts. Man stelle sich das Humboldtforum ohne Neil MacGregor vor (auch wenn er längst wieder weg ist) oder das Berliner Ensemble ohne Bertolt Brecht (auch schon weg). Gründer sind Lokomotiven. Sie müssen sich mit Dampf auskennen. Florian Pronold, Politiker, kennt sich mit dem Dampf der Architektur wohl eher nicht so gut aus wie unser klagender Professor; das beweisen die Biografien. Darüber, wer dem Anforderungsprofil des Bauakademie-Direktors besser entspricht, wird bald in einem Hauptverfahren verhandelt, so entschied das Gericht am Dienstag. Es hat die Postenvergabe tatsächlich gestoppt. So hat Philipp Oswalt – Professor für Architekturtheorie an der Uni Kassel, Ex-Stiftungsleiter am Bauhaus Dessau, Kurator und Publizist – die Bauakademie womöglich vor einem größeren Fehlstart bewahrt (wenn man sich diese kleine Personaldebatte mal kurz aus dem Auge wischt).

Und vermutlich wird diese Weichenstellung auch einen Einfluss auf die Sterne haben. Denn dort, in den Sternen, steht ja der Architekturwettbewerb und die Frage, die alle beantwortet haben wollen: In welcher Architektur kommt die Bauakademie zurück?

Der Mann und der Turm

Hinter der Kapelle gehen wir rechts, dann links. Fast am Ende des Weges, wo der Friedhof auf die Mietshäuser der Pflugstraße trifft, liegt rechts eine Reihe von Urnengräbern. Auf einem davon sitzt ein runder Findling, der Grabstein von Jürgen Litfin. Zwei Fußsohlen sind auf der grauen Oberfläche in Violett gemalt. Zwei Jahreszahlen grenzen sein Leben ein: 1940, 2018. Wann genau war er eigentlich gestorben? Eine Meldung der Berliner Woche verrät, dass es der 19. Oktober war. Ich wechsle die Blumen, bringe frisches Wasser. Auf der Bank sitzen die Gäste und reichen sich Jürgens Buch durch die Hände „Tod durch fremde Hand“. Ich hatte es für sie aus dem Rucksack geholt. Jürgen Litfin beschreibt darin, wie er aus dem Grenzturm am Spandauer Schifffahrtskanal eine Gedenkstätte machte. Ein Gast, der Jürgen kannte, weil er oft zum Bundeswehrkrankenhaus in die Scharnhorststraße ging, ist überrascht, dass der Mann vom Turm jetzt tot ist. Er hat es nicht erfahren. Dabei ist fast ein Jahr vergangen.

Der Besuch des Friedhofs war eine Station auf einem Spaziergang, den ich am Sonnabend für die Stadtteilkoordination Brunnenstraße Süd führte. Die Tour musste ohne den Turm auskommen, denn er lag zu weit von der Strecke entfernt, Jürgens Grab dagegen nicht.

Der Grabstein Jürgen Litfins auf dem Domfriedhof an der Liesenstraße am 10. August 2019 (Foto: André Franke)

Und das war unser Weg: Durch den (1) Park am Nordbahnhof, zu den (2) Liesenbrücken, über die (3) Dom-Friedhöfe, von hinten an (4) „The Garden Living“ vorbei (hier hatte mich vor Jahren beinahe ein Hund ins Bein gebissen: lies hier), durch das (5) „Kaninchenfeld“ an der Chausseestraße, über die Wöhlert- und Pflugstraße in die (6) „Feuerlandhöfe“, auf die Chausseestraße raus zum (7) BND, (8) Libeskinds „Sapphire“ im Rücken, vorbei am (9) besetzten Haus in der Habersaathstraße, vorbei am (10) Ballhaus mit dem „Alt-Berlin“, rein in die Zinnowitzer Straße, vorbei am Holzhaus der neuen (11) Schauspielschule „Ernst Busch“, vorbei am (12) „Kleinen Stettiner“, dem backsteinernen Vorortbahnhof und rüber auf den Platz am alten (13) Stettiner Bahnhof an der Invalidenstraße.

Das Kuppelkreuz des Berliner Doms steht hier. Rechts: The Garden Living (Foto: André Franke)

Action im Tunnel

Als wir an die schrottreifen Liesenbrücken kamen, war die Treppe runter zur Gartenstraße gesperrt. Ein laminiertes A4-Blatt ohne irgendwelche Zeichen von Behördenautorität hing schief an einem hüfthohen, festgeketteten Gitter. Aber einen Schreibfehler wies das Schild auf: „Dieser Eingang ist wegen einer Unfallgefahr vorübergehend gesperrt!“ Wer hat sich den Scherz erlaubt? Wir waren nicht die einzigen, die den Weg zurück bis zur Rampe gehen mussten. Wie oft im Leben, entpuppte sich das Ärgernis aber als Bereicherung: Am Ausgang des Parks befindet sich der Eingang zum Fußgängertunnel, der früher unter dem Bahnhofsgelände hindurchführte. Ein Metalltor versperrte den Leuten den Weg hinein. Hier tummelten sich ein paar Jugendliche. „Wir waren drin“, sagten sie. Glaubten wir nicht. Da zeigten sie uns, wie sie sich zwischen Tor und Backsteinportal durchzwängten. Und auf einmal war am Tunnel richtig viel los. Mal sehen wielange das Bezirksamt braucht, um „eine“ Unfallgefahr auch hier erfolgreich zu unterbinden. Eine schöne Überraschung war das jedenfalls! Ohne die gesperrte Treppe hätten wir den Tunnel nicht gesehen, und die Tunnelgeschichten der Kids nicht gehört.

Die Ganzschlauen von der Torstraße – Eine Spezie zerfleischt sich selbst

Es fuhren einmal Blinde auf Rädern vom Prenzlauer Berg herab. Man wollte meinen, sie wollten ins Blindenrestaurant in der Gormannstraße. Ja, in die Gormannstraße wollten sie schon. Aber war ihnen nicht hungrig zu Mute. Eilig hatten sie´s, wohin zu kommen. Wohin auch immer. Da nahm ein jeder die falsche Radspur. Quer schossen die Blinden über die Torstraße. Geradeaus hätten sie fahren können. Geradeaus hätten sie fahren müssen! Doch sahen sie nicht den Überweg, den schnellsten über die Gleise. Nein, sie preschten durch das Nadelöhr, die Narren aus dem Norden. So rammten die blinden Nordradler gegen die sehenden Südradler. Und einem Südradler, dem Armen, fiel nach dem Zusammenstoß das Auge heraus… Bis der Blinden immer mehr wurden.

Die Mär vom Radeln mit Köpfchen

Ich hoffe, in 200 Jahren schreibt keiner so ein Märchen. Warum benutzen die Leute, die aus der Choriner Straße kommen, die Fahrradschleuse auf der Torstraße nicht? Sehen sie die Anlage nicht? Oder ignorieren sie sie? Jemand müsste sie mal fragen. Vielleicht mache ich das.

Ich meine, die Torstraße braucht einen Fahrradschleuser: Eine offizielle Figur, warum nicht einen Mitarbeiter aus dem Ordnungsamt, der die Nordradler (aus dem Norden kommend) daraufhinweist, dass sie den falschen Weg nehmen. Das Ordnungsamt, das nur den ruhenden Verkehr beaufsichtigt, könnte das machen, weil die Radfahrer, wenn die (Fußgänger-)Ampel auf rot steht, sich mit den wartenden Fußgängern auf den Gehweg stellen (nördliche Seite der Torstraße).

Ich kenne keine vergleichbare Straßensituation in Berlin. Das Schlimmste an der Torstraße ist: Radfahrer behindern Radfahrer. Das hat etwas Kanibalistisches, eine Spezie zerfleischt sich selbst.

Und dann Prenzlauer Berg! Wohnen dort nicht schlaue Menschen? Bestimmt. Rasen sie runter an die Torstraße, halten sie es für das Schlaueste, die schlaue Wegeführung auszutricksen. Das sind die Ganzschlauen.

Torstraße „at its best“: Ein „Ganzschlauer“ aus dem Norden (im Bild jenseits der Gleise) will an 4 Radlern und 5 Fußgängern vorbei (Foto: André Franke)

Nordradler! Das gewinnst du, wenn du es richtig machst:

  1. Du überquerst die Torstraße (zunächst) ohne Ampel sowie keine Autos kommen, während die Fußgänger (Nord- und Südseite) und die Radfahrer (Südseite) noch bei rot warten.
  2. Fährst du gemeinsam mit Partnern bietet die langgezogene Fahrradschleuse genug Platz für alle.
  3. Du brauchst in der Fahrradschleuse nicht von deinem Rad abzusteigen, wenn die Fahrradampel auf rot steht; bleib auf dem Sattel und stütze dich mit den Füßen am Tramgeländer ab.
  4. Auf der anderen Seite der Tramgleise entlässt dich eine gelb-blinkende Ampel auf die Südseite der Torstraße. Auch hier sind die Fußgängerampeln irrelevant für dein Weiterkommen in die Gormannstraße. Du fährst, wenn kein Auto kommt. Und du fährst, wenn kein Auto dir den Weg versperrt. Das kommt manchmal vor. Aber selbst wenn, hätte die Selbstzerfleischung der Radfahrer auf der Torstraße ihr Ende gefunden.

Falschparker fürchtet die Findlinge nicht: „Ich bin dann mal weg…“

Das war der News Ride #27/19 am Sonnabend, den 6. Juli 2019, mit dem Dragoner-Areal, der Begegnungszone Bergmannstraße, dem Karstadt am Hermannplatz und den Hausbooten auf dem Rummelsburger See (Strecke: 9 Kilometer)

Götterbäume bei den Dragonern

Wir starteten am Willy-Brandt-Haus um 12 Uhr. Den ersten Stopp machten wir im nur fünf Minuten entfernt liegenden Dragoner-Areal. Das knapp fünf Hektar große, gewerblich geprägte Gelände (mit Autowerkstätten u.a.) gehört jetzt dem Land Berlin. Das hatte der Bundesrat im Juni endgültig bestätigt. Der seit 2015 währende Grundstücksstreit ist damit beendet. Auch wurde gerade die Kooperationsvereinbarung unterzeichnet, die u.a. das Bezirksamt Kreuzberg und die Vor-Ort-Initiativen getroffen haben, um das Sanierungsgebiet zu bebauen und weiterzuentwickeln. Schautafeln mit Infos zu den Bürgerwerkstätten, die im April und Mai stattgefunden haben, hängen an zwei Stellen aus: so z.B. am Haupteingang in der Obentrautstraße, in einem Gebäudeteil des LPG-Biomarktes. Wir sind alle Wege, die es zwischen den Baracken gibt, abgefahren, was man ja selten macht, und was auch ein bisschen tricky ist, angesichts der chaotischen Erschließung. Die schöne Gasse am Mamorwerk mit den spontan gewachsenen Götterbäumen hat mich am meisten beeindruckt.

Über den Mehringdamm ging es weiter zur Bergmannstraße. Hier war die Begegnungszone Thema, und wir radelten die von den orange-gelben Parkletts gesäumte Straße komplett bis zur Marheineke-Markthalle ab. Neben den grün-gepunkteten Kreuzungsflächen sind das Neueste in der Zone die fetten Findlinge, die der ehemalige Förster und Leiter des Kreuzberger Straßenbauamts Felix Weisbrich auf die Kreuzung zur Zossener Straße legen ließ, um Falschparker daran zu hindern, die Baustelle zu blockieren. Was für eine Schnaps-Idee! Ich finde sie genial. Selbst die Kreuzberger reagieren mit Goethe: Auch aus den Steinen, die einem in den Weg gelegt werden, kann man etwas Schönes bauen“, schreiben sie mit Kreide auf die Fahrbahn. Auf diesem „Begegnungsplatz“ (das soll er laut Bezirksamt wohl mal werden) standen wir eine ganze Weile, bestimmt zwanzig Minuten. Und es wurde umso gemütlicher, je mehr Zeit verging. Wir beobachteten auch live einen Falschparker, der sein Auto, quer geparkt, einfach stehen ließ. Allerdings kam er nach zehn Minuten wieder und entpuppte sich als Musiker, trug zwei Gitarrenkoffer unterm Arm. Auch Falschparker können also gute Menschen sein. Findlinge am Fuße des Teltow… Ich hätte schon eine Idee für einen Findlingsstandort am Fuße des Barnim, aber das steht auf einem anderen Blatt.

Falschparker in der Bergmannstraße: „Ich bin dann mal weg…“

„Nasser Fisch“ grüßt Chipperfield

Zum nächsten Halt am Hermannplatz radelten wir über den neuen geschützten Radweg in der Hasenheide (ein spannender Nebeneffekt, denn die rot-weißen Poller sind mehr als gewöhnungsbedürftig, sie reizen zum Schreien). Aus der Karl-Marx-Allee Karl-Marx-Straße (dass mir dieser Fehler mal passiert, hätte ich nicht gedacht) blickten wir später auf das Karstadtgebäude, das ja abgerissen und durch die originale Kaufhausfassade der 20er Jahre ersetzt werden soll. Chipperfield will neue Leuchttürme bauen. Diese Nachricht hatte mich vor ein paar Wochen aus den Socken gehauen, da ich grade „Nasser Fisch“ von Volker Kutscher gelesen hatte. In der ersten Szene des Romans jagen die Kommissare den „Pornokaiser“ die Hermannstraße runter. Er flüchtet über den Bauzaun in die Baustelle am Hermannplatz, wo gerade der alte, originale Karstadt-Bau hochgezogen wurde, 1929, mit den legendären, 55 Meter hohen Leuchttürmen. Ob ein Abriss nötig ist, fragten wir uns, als wir länger auf das Gebäude sahen. Es gibt ja schon zwei Türme über dem Dach! Und es gibt auch schon eine Dachterrasse, auch wenn sie im Moment nur unter „Konsumzwang“ begehbar ist. Ein Umbau tut´s vielleicht auch.

Die letzte Etappe führte uns durch Neuköllns neue Fahrradstraße, die Weserstraße. Über die Wildenbruchstraße und die Elsenbrücke erreichten wir die Stralauer Halbinsel und schließlich den Rummelsburger See. Erste Bemerkung eines Gastes: „Das werden ja immer mehr Boote hier.“ Und genau darum ging es. Waren 2016 noch 24 ankernde Boote auf dem See zu zählen, stieg die Zahl 2018 auf 101, berichtete der Tagesspiegel in einem lesenwerten, 19 Absätze umfassenden Artikel. Die Autorin beschreibt darin einen Fotografen, der von seiner Friedrichshainer Wohnung vom Ufer „der“ Rummelsburger See zu seinem Atelierboot pendelt. Wie geil, Berlin liegt jetzt am Meer! Sein Boot, dessen Bau vom Auswärtigen Amt und von visit-Berlin gefördert wurde, konnten wir nicht zweifelsfrei ausfindig machen, aber das „Lummerland“ mit der Sauna haben wir vom Ufer aus erkannt. Die Senatsverwaltung für Umwelt will beim Bund ein Ankerverbot für die Boote herbeiführen, bisher hat sie damit keinen Erfolg gehabt. Bewohner der „Wasserstadt“ in Stralau und Rummelsburg hatten wegen Lärm geklagt, und der schadstoffbelastete Seegrund soll bald saniert werden. Deshalb sollen die Boote weg. Krass überrascht hat uns der lange Bürobau, der gerade an der Ringbahn gebaut wird, das B:HUB (das Abendblatt berichtete im März 2018).

Route des News Ride vom 6. Juli 2019: Vom Will-Brandt-Haus zum Rummelsburger See (9 km)

Nächster News Ride folgt…

Das Aschenputtel der Weltstadt

Es ist gar nicht selbstverständlich, aber möglich, dass man Professoren auch außerhalb von Universitäten reden hört. So betrachte ich Harald Bodenschatz´s Vortrag vom Freitag als Geschenk. In der Parochialkirche sprach der Architektursoziologe der TU Berlin davon, wie die Zeichen für die Berliner Altstadt schon immer auf Abriss standen. Die Mitte sei durch die Großstadtwerdung schrittweise Richtung Westen gewandert, der Berliner Stadtkern dagegen als zweitklassig (ja sogar „zurückgeblieben“) betrachtet, und von den Stadtvätern und Planern stiefmütterlich behandelt worden, wie „Aschenputtel“. Als solches blieb der Kern Berlins im Osten liegen, der in der Weimarer Republik, im Dritten Reich und in der DDR konsequent ausgelöscht werden sollte. Und der Professor zeigte die passenden Bilder, welche, die zum Großteil niemals verwirklicht wurden. Das ist das Erschreckende: die Planungsgeschichte, der Alltag des Aschenputtels.

„City West – ein schrecklicher Begriff“

Das mag der Grund sein, warum baukulturell anspruchsvolle Reurbanisierungsprojekte in Dresden, Frankfurt am Main und Potsdam Erfolg haben, aber die Berliner Ambitionen in diese Richtung der breiten Öffentlichkeit als unzeitgemäß erscheinen: Berlin ist eine Großstadt, die eben größer ist als andere. Berlin ist eine Stadtregion, geboren 1920. Selbst Potsdam zählt für Bodenschatz noch zu Berlin. Nach Mitte (die auch die Altstadt enthält) und der City West („ein schrecklicher Begriff“, wie der Professor klagt) sei Potsdam das dritte Zentrum der Großstadtregion. Die Berliner Altstadt hat einfach zu starke Nachbarn gekriegt, gegen die sie sich nicht behaupten konnte. Helfen jetzt nur noch Haselnüsse und der nackte Wunsch nach aufblühenden Ballkleidern?

Ausstellung „Molkenmarkt und Klosterviertel – Ein lebenswerter Ort?“ im Oktober 2018 (Foto: André Franke)

Wir wissen alle, dass Aschenputtel aus der Geschichte als Gewinnerin hervorgeht. Es braucht die Chance, zu tanzen. Erst als sie auf dem Balle des Prinzen erscheint, bahnt sich ein Weg aus der Misere. Wir wissen auch, dass das Mädchen drei Anläufe braucht, bis sie den Retter mit dem verlorenen Schuh aus dem Schloss ködert. Als so einen Anlauf muss man das Molkenmarkt-Projekt erkennen, von allen Seiten: aus Sicht der Verwaltung, der Bauherren, der aktiven Vereine. Man muss der Altstadt Berlins eine Rolle zuweisen (den Schuh anziehen), die sie klar und deutlich von den Stiefschwestern, also allen anderen Berliner Zentren, Bezirken unterscheidet. Und da es sich bei Aschenputtel nicht um eine alte Dame, sondern einen jungen Geist handelt, sollten alle Akteure, die die Zukunft des Ortes jetzt mitgestalten, es wagen, viel zu experimentieren. Ohne Hacken, ohne Schneiden.


Links

Projektseite des Forums Stadtbild Berlin e.V. (Ausstellung und Vortragsprogramm 10.-14. Oktober 2018): molkenmarkt-berlin.de

Projektseite der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen: stadtentwicklung.berlin.de

Berlin Mitte Archiv. Dokumentation und Recherchen zur Geschichte von Berlin-Mitte: berlin-mitte-archiv.com

Nathaniel, der Weise

Nathaniel, so heißt der Investor, der den Checkpoint Charlie bebaut. Wir könnten uns keinen besseren wünschen, denn der Mann ist sich seiner historischen Aufgabe bewusst. Er zeigt sich willens, mit Berlin zusammenzuarbeiten, ja er macht den Berlinern sogar Geschenke: eine Freifläche ist im Gespräch, die eine Art Stadtplatz bedeuten würde (aber privat ist) und die das erhalten würde, wovon die Massen vor Ort schon heute profitieren: Raum, sich zu bewegen.

Viel Platz drumherum und dahinter: Das Haus der Stiftungen steht frei auf dem Grundstück (Foto: André Franke)

Zwanzig Jahre lang war von so was nicht die Rede gewesen. Die verbliebenen freien Grundstücke sollten mit der Berlin-typischen Blockrandbebauung „gefüllt“ werden. Kein Platz, keine Auffälligkeiten, nichts Besonderes. Die Baulücke sollte nach der „Einfügungsklausel“ des Paragrafen §34 des Baugesetzbuches geschlossen werden und das Leitbild von der Europäischen Stadt konsequent weiterverfolgt werden.

Applaus für die aufgebrochene Europäische Stadt!

Jetzt kehrt die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung sich davon ab! Ein Fachkolloquium erwägt, die in der Friedrichstadt bereits wieder aufgebaute Rasterstruktur der Blöcke an der Stelle des Checkpoint Charlie „aufzubrechen“ und mit städtebaulichen Mitteln an die Zeit der Berliner Mauer zu erinnern. Zwar soll ein Großteil der bis heute verbliebenen Freiräume bebaut werden, aber neben der geplanten 1.000 Quadratmeter großen Freifläche direkt an der Friedrich- /Ecke Zimmerstraße könnte auch eine Freifläche östlich der Friedrichstraße entstehen. Sie würde die Raumwirkung vergrößern, und ein Hochhaus würde sie flankieren, das bei der Präsentation der aktuellen Planung am Montag auf einer Abbildung zu sehen war. — Applaus! Ich war (fast) der Einzige, der klatschte. Genau das wünschte ich mir für die Zukunft des Checkpoint Charlie in einem Blogartikel, den ich vor zwei Jahren schrieb (siehe hier) … Ein Platz, einen Tower, eine Begegnungszone, bessere Busrouten.

Es läuft die Beteiligung der Öffentlichkeit. Die Ergebnisse beeinflussen den Bebauungsplan, den die Verwaltung jetzt aufstellt und der (jetzt noch) formbar ist, wie Manfred Kühne klar macht. Er arbeitet in der Abteilung städtebauliche Projekte (bei SenStadt) und zwar schon Jahrzehnte lang. Am Montagabend steht er im Rampenlicht des Asisi-Panoramas (wo die Veranstaltung stattfindet) und sagt, weil es ihn blendet, dass nicht er (und ein Mitarbeiter aus der Kulturverwaltung) die Stars seien, sondern das Projekt. Eine weise Attitüde!

Areal am Checkpoint Charlie beiderseits der Friedrichstraße (Bild: URBAN CATALYST GmbH)

Kühne und Nathaniel machen dieses Projekt. Sie bauen den Checkpoint Charlie von morgen, auf der Grundlage UNSERER Wünsche. Kühne betont: „Empfehlen Sie uns …!“ Damit ruft er im Namen seiner Verwaltung die Anwohner, Gewerbetreibenden, die Touristenführer auf, ihre Erfahrungen in die Neugestaltung einzubringen. Deutlicher kann man das nicht tun.

Ein gnädiger Investor, eine offensive Verwaltung (die auf Nathaniel in den letzten Jahren zuging), aber wo ist der Haken? Nathaniel, der Kluge, kann jederzeit die Reißleine ziehen. Wie der Investor auf Nachfrage aus dem Publikum erklärt, hat seine Firma, die Trockland Management GmbH, die Grundschuld der Grundstücke gekauft. Die Grundstücke selbst verbleiben aber beim Land Berlin. Sollte die Annäherung zwischen Investor, Verwaltung und der Öffentlichkeit platzen, dann kann Nathaniel von heute auf morgen den Joker ziehen. Das heißt, die Grundstücke gehen an ihn, er kann die Flächen ohne Bebauungsplan nach §34 bebauuen (ohne die Interessen Berlins zu berücksichtigen) und wir bekommen die für den Checkpoint Charlie so wichtige Freifläche nicht.

Ein Gönner am Checkpoint Charlie, ein Nutznießer an der Spree

Nathaniel ist ein symphatischer Investor. Er tritt von selbst auf die Bühne im Asisi-Panorama und antwortet auf die Fragen des Publikums. Aber eine ist dabei, die mit dem Checkpoint Charlie nichts zu tun hat, eine Frage, die Berlin als Ganzes tangiert: Die Trockland baut eben auch woanders an der Mauer. Sie baut an der East Side Gallery. Dort wird mit dem Projekt Pier 61/63 bekanntlich ein langer Hotelriegel in den Sand gesetzt, der in direkte Konkurrenz zur East Side Gallery tritt. Bei den Künstlern der East Side Gallery hat Nathaniel, der Weise, keinen guten Stand. Sie misstrauen ihm. Wieder wurden Gemälde der Gallery für eine Baustellen-Zufahrt herausgerissen und aus dem zusammenhängenden Mauerverlauf entfernt – wie damals 2013 beim Bau von Living Levels, gleich nebenan. Der kluge und weise Nathaniel wird hier zum Pragmatiker, Opportunisten. Er antwortet einem empörten Künstler sachlich und kurz. Die Trockland habe das Projekt mit einem Bauvorbescheid übernommen.

Damit ist Nathaniel aus dem Schneider. Das Karussel dreht sich weiter, und Manfred Kühne muss ran. Er schiebt die Schuld (hart ausgedrückt) auf … einen vormaligen Senatsbaudirektor „unseres Hauses“, der seinerzeit die Bebauung des Spreeufers konsequent vorangetrieben habe. Was wird mir doch im Laufe der Zeit der Verwaltungsmensch Kühne verständlich. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber ich sehe einen Handwerker, der aufrichtig, mit den beschränkten Mitteln der Stadtplanung, im Angesicht der Gesetze (das darf man bei der Betrachtung von Amtsarbeit nicht aus den Augen verlieren!) am Schicksal der Stadt Berlin feilt. Und von oben überfällt ihn das politische Wetter.

Das „Pier 61/63“ ist der „böse“ Bau an der East Side Gallery. Der Living Levels Tower geht bei mir tatsächlich als „guter“ durch. (Muss ich erklären, aber nicht hier…)

Beim Pier 61/63 wäscht sich Nathaniel die Hände im Becken von Politik und Verwaltung, und wir müssen die Schuldigen an der Misere von Mediaspree bei den Politikern von gestern suchen. Das ist relativ reizlos und eine Schwäche der Demokratie. Es können keine Köpfe mehr rollen, wenn die Köpfe schon auf dem Sofakissen ruhen.

Adressat für Veränderung, fürs Bessermachen, fürs Ruder-Rumreißen bleibt immer die Politik von heute (nicht die Verwaltung, der die zweifelhaft-glorreiche Aufgabe obliegt, die Ergebnisse politischer Gesten zu kommunizieren, und diese Aufgabe, diesen Spagat zwischen Gestern und Heute, hat Manfred Kühne mittlerweile eben zur Perfektion gebracht). Deshalb rufe ich den Vorschlag von Annette Ahme hier ab: für das Pier-Projekt an der East Side Gallery der Trockland ein Ersatzgrundstück anzubieten. Möge sich ein weiser Politiker dafür finden.

Bald Berlins dritte Begegnungszone? Hoffentlich! (Foto: André Franke)

Ginge es nach mir, Herr Nathaniel, dann nähmen Sie bitte das amtlich garantierte Bauvolumen vom Spreeufer und packten es auf den Checkpoint Charlie oben drauf!!! – Mit der einzigen Anmerkung, ja Bedingung, es in die Vertikale zu bringen, damit uns die Freifläche bleibt. Wenn in Berlin nämlich ein Hochhaus von 150 Meter Höhe (und mehr) gebaut würde, dann sollte es nicht der Hardenbergplatz, nicht das Estrel in Neukölln, nicht einmal der Alexanderplatz sein, der als Standort dafür diskutiert wird. Der Checkpoint Charlie erzählt die stärkste Geschichte Berlins. Genau hier brauchen wir die ambitionierteste Architekturmarke der früheren Frontstadt.


NÄCHSTE VERANSTALTUNGEN

  • Mo, 4. Juni, 18 Uhr: Themenabend: Städtebau, Verkehr, Freiraum, Ort: FORUM Factory, Besselstraße 13-14
  • Mi, 4. Juli, 18 Uhr: Diskusion der Ergebnisse, Ort: tba (siehe auch unter: berlin.de)

Moabit: Die Insel umrunden!

Als ich vor ein paar Wochen bei der Jahrespressekonferenz des Zentrums für Kunst und Urbanistik in Moabit war, führte man uns durch das Gebäude und durch einen langen Flur im Obergeschoss, von dem die Studios der Künstler abgingen, die zeitweise dort als sogenannte „Residents“ leben. Dort sah ich im Flur eine selbst gemalte Karte von Moabit hängen, überschrieben mit „Die Insel“. In dem Moment wurde mir zum ersten Mal klar, dass dieser Berliner Stadtteil von ALLEN Seiten von Wasser umgeben ist. Auf welchen anderen trifft das noch zu? Ich glaube, keinen. (Doch, die Mierendorff-Insel, gleich nebenan in Charlottenburg. Aber vergessen wir die mal gerade.)

INSEL TO GO

Von einer Sekunde auf die andere gewann Moabit für mich eine Art neue Farbe. Sagen wir, blau. Denn mit der Spree im Süden, dem Charlottenburger Verbindungskanal im Westen, dem Westhafenkanal im Norden und dem Spandauer Schifffahrtskanal im Osten könnte man Moabit auf seinen Gewässergrenzen potenziell umschwimmen. Leider verboten. Ein Stadtteil, der sich über das Wasser definiert, müsste aber eines unbedingt haben: offene Ufer. Kann man Moabit an den Ufern umrunden? Die Frage wird mein Leitmotiv für eine Tour, die ich am Sonntag für A. und O. aus München mache.

Blick vom Nordhafen nach Süden in den Spandauer Schifffahrtskanal (Foto: André Franke)

Da wir im östlichen Bereich der Perleberger Straße starten, ginge es erstmal in Richtung Nordhafen und Spandauer Schifffahrtskanal. Hier begegnet und das Dilemma, dass die Europacity ja noch nicht fertig ist und mit ihr der Uferweg entlang der Westseite des Kanals nicht (der kommt aber!). Das heißt, wir müssten „die Insel“ schon zu Beginn verlassen, über die Kieler Brücke (von der das Foto aufgenommen ist, siehe oben) aufs „Festland“ (Alt-Bezirk Mitte) rüber und den Mauerweg runter bis zum Humboldthafen fahren. Kann man natürlich machen, aber O. und A. kennen die Strecke wohl schon. Deshalb wäre es spannender, von der Perleberger in die Lehrter Straße einzubiegen und mal zu gucken, wie das dort neugebaute, gleichnamige Stadtquartier aus direkter Nähe aussieht. Man sieht es ja sonst nur von der anderen Seite, von der Gedenkstätte Günter Litfin und dem Invalidenfriedhof aus.

Die Lehrter Straße hat aber seit letzter Woche auch den (1) neuen, nachgemalten „Weltbaum“, das Wandbild, dessen Original von Ben Wagin am S-Bahnhof Tiergarten bald durch einen Neubau aus dem Stadtbild gedrückt wird. Das (2) Zellengefängnis mit seinem Geschichtspark am Ende der Lehrter ist auch ein schönes, besinnliches Etappenziel, bevor wir an der Moltkebrücke zur „Hauptstadtspree“ gelangen.

Moabit heißt auch Hauptstadt

Entlang der Spree gäbe es natürlich viel zu zeigen, oft zu stoppen, aber da muss eine Auswahl erfolgen. Die Sachen, die mich hier reizen, sind: das (3) Moabiter Werder mit historischer Pulvermühle, Bundesschlange und vom tiergarten-inspirierten Eibenbüschen, die (4) Gedenkpromenade am verglasten „Spreebogen“-Bürokomplex, den Pizzakönig Ernst Freiberger erschuf, das auf der dem anderen Ufer liegende (5) Hansaviertel und die (6) Erlöserkirche in ihrer märkischen Backsteingotik und dem ihr eigenes Kirchenschiff überragenden, benachbarten Gemeindehaus.

Jenseits der Gotzkowskybrücke ist der Uferweg unterbrochen. Jetzt könnten wir a) über die Brücke auf das Südufer wechseln (wieder „die Insel“ verlassend), müssten dann aber großräumig das Spreekreuz umfahren, was bedeuten würde, Moabit für – aus meiner Sicht – zu lange Zeit zu verlassen; oder wir könnten b) auf der Nordseite der Spree bleiben und ein paar Hundert Meter über die Kaiserin-Augusta-Allee radeln, dann zurück zum Ufer kommen, ein kurzes Stück weiter am Wasser entlangfahren, um dann aber einen ABSTECHER NACH NORDEN (und damit ins „Inselinnere“) in die Reuchlinstraße zu machen (mit dem Ziel, die (7) Turbinenhalle in der Huttenstraße zu besuchen). Damit weichen wir zwar von der konsequenten Inselumrundung ab. Aber den Gebäudekomplex mit den alten Spreespeichern müsste man sowieso umfahren. Warum also nicht einen Block mehr Strecke machen, um Peter Behrens zu huldigen? Architektur verpflichtet.

Die Ausnahme bestätigt die Regel. Über die Wiebestraße gelangen wir nach Süden zum Wasser zurück, in den Fitnesspark an der Spree. Von hier aus werfen wir einen weiten Blick auf die andere Spreeseite, wo Kleihues+Kleihues Architekten sich in die (8) alte Müllverladestation eingemietet haben. Wir fahren die „Moabiter Landzunge“ aus (eigene Namensschöpfung) und folgen von hier an dem Charlottenburger Verbindungskanal nach Norden, wo nach ein paar hundert Metern eine (9) urst lange Rampe erscheint. Sie steigt aus dem Kanal heraus und führt aufwärts zur Huttenstraße oder eben umgekehrt, der Verkehr rollt die Rampe hinab. Die Gasturbinen aus dem nahe gelegenen Siemenswerk werden hier auf die Wasserstraße verladen, nachdem sie nur eine sehr kurze Strecke auf der Straße transportiert werden müssen. Auch wegen dieser Rampe macht der Besuch bei Behrens Sinn.

Wasser heißt „Happy City!“

Es geht weiter nach Norden. Der (10) Berliner Großmarkt kommt. Das Riesen-Areal tangiert sowohl den Verbindungskanal, als auch den Westhafenkanal. Ein interner Gehweg führt am äußeren Rand des Geländes entlang. Der News Ride #16/18 hat bewiesen, dass man ihn radeln kann. Man muss nur wissen, wo man ins Gelände „einsteigt“. Das heißt, wir radeln und blicken weiterhin aufs Wasser! An dieser Stelle möchte ich eine Anmerkung von Annette Ahme einflechten, der Vorsitzenden des Vereins Berliner Historische Mitte. Im März verwies sie in einer Mitteilung auf das Potenzial der Wasserlagen in Berlin. Es gäbe Studien, sagt sie, die bewiesen, dass allein der Blick auf das Wasser für den Menschen heilsam sei, und die Gewässer böten allgemeine, automatische Orientierung, ganz nebenbei. Sie schreibt:

Wenn alle Ufer für Fußgänger und Fahrradfahrer tauglich ausgebaut wären, bräuchte man fast keine zusätzlichen überörtlichen Verbindungen. Und nutzt dabei den Sondervorteil, dass der Wegenutzer vom Gewässer eigenständig geführt wird, also wenig weitere Orientierungs-Hilfsmittel braucht. Der Lohn ist eine auf breiter Front wachsende Gesundheit der Bewohner – das könnte man jetzt in Geld umrechnen, wenn man Volkswirtschaftler wäre.

Oben, auf der Brücke, kommen wir mit einem mächtigen Blick auf den (11) Westhafen an der Beusselstraße raus und überqueren die Brücke über den Westhafenkanal. Dann geht´s nach rechts über die Seestraße, plus Brücke (es gibt einen Radweg parallel) zum: Nordufer, das ja auch einer der „20 Hauptwege durch Berlin“ ist, nämlich der 3er. Radeltechnisch ist das ein Sahnehäubchen. Die Alternative (auf der „Insel“ bleibend) wäre hier der Ritt durch das Hafengelände, wenn man´s mal intensiver wissen will. Wir BEgnügen uns und VERgnügen uns mit der großräumigen, bewegten Ansicht von außen (Container, Wasser, Speichergebäude) bis uns das Nordufer an die Fennbrücke bringt, wo wir drüber fahren, wieder rein „auf die Insel“.

Die Insel, Asha Bee Abraham in Zusammenarbeit mit Ana Tiquia (ZK/U)

Über die Quitzowstraße und Ellen-Epstein-Straße nehmen wir noch den (12) Gedenkort Güterbahnhof Moabit mit und, wenn Zeit bleibt, das (13) Zentrum für Kunst und Urbanistik in der Siemensstraße. Beides liegt auf dem Weg ins Café „Arema“, unserer geplanten Destination.


Links

Eine Brache, wo sich Hund und Hund gute Nacht sagen

Ich will mal anfangen, über die News Rides zu berichten. Heute über den 9. Mai, einem warmen, sonnigen (es fühlte sich an wie ein) Sommerabend …

Zu Sechst, wenn man F. mitzählt, der vier Beine hat (und wer würde es wagen, ihn zu übersehen!), starteten wir von der holprigen „Frühlingswiese“ des Dong Xuan Centers, wo ein Unbekannter vor unseren Augen in die Büsche pinkelte, nach Osten in die Herzbergstraße zum Kunstquartier von Axel und Barbara Haubrok. Es tat gut, Lichtenberg jenseits von Stasi-Knast, Stasi-Museum, Sportforum und Dong Xuan Center zu sehen. Ich wollte schon immer mal wissen, wo genau die ehemalige Fahrbereitschaft des DDR-Ministerrats liegt, von der man seit ein paar Jahren hört – eben weil da jetzt Kunst gemacht wird. Sie befindet sich gleich um die Ecke.

Mit freundlichen Grüßen, Bezirksamt

Wir drehten eine Runde über das Gelände, konnten in die offenstehende 100 Meter lange, von Arno Brandlhuber entworfene Halle reinschauen, wo sogar jemand rumsaß und die ein Bilderrahmenbauer zu über die Hälfte der Fläche nutzt, wie es heißt. Den Haubroks hatte vor kurzem Stadträtin Birgit Monteiro (SPD) untersagt, weitere Ausstellungen durchzuführen. Im Moment läuft noch „Paper Works“, aber ab 7. Juli soll nach den Worten von Axel Haubrok „Schluss sein“. Monteiro will das in der Herzbergstraße ansässige Gewerbe schützen, 800 Unternehmen mit bis zu 10.000 Arbeitsplätzen. Die B.Z. hatte berichtet. Auch die Künstler des alten Tacheles gründeten vor ein paar Wochen in der Nachbarschaft einen neuen Kunststandort, die „Kulturbotschaft“. Das hat möglicherweise zu der harten Haltung des Bezirks beigetragen. Erst als wir das Gelände verließen, bemerkten wir das Riesenplakat am Eingang. Es war das Behördenverbot in Form der originalen Email an Haubrok. Hängt dort, kann jeder lesen.

Baurechtliche Untersagung von Kunst im Gewerbegebiet per Email (Foto: Andrea Künstle)

Dann ging´s über Herzbergstraße, Vulkanstraße (hier für ein paar Meter von M. begleitet, der uns auf dem Nachhauseweg von Küstrin nach Pankow durch Zufall traf), Ruschestraße und Schulze-Boysen-Straße (…) westlich an der Viktoriastadt vorbei, ziemlich straight nach Alt-Stralau. Die Kynaststraße bleibt Radfahrern ein Rätsel. Man ist gezwungen, auf der Straße (ohne Radweg) zu fahren. Tut man es nicht und benutzt den Gehweg, fährt man bald gegen eine Straßenlaterne, weil der Gehweg immer schmaler wird, auf dem sie steht. Umgekehrt entwächst der Fahrbahn, hat man die Brücke im Scheitel überquert, unverhofft ein Radweg, über den man sich wundert: Warum tauchst Du erst jetzt auf?

Teppichfabrik à la Baukademie

Von der Alten Teppichfabrik in Alt-Stralau war letzte Woche zu lesen, dass es mehrere Bauanfragen gab. Nach der Besetzung im Sommer 2017 steht sie leer (und unter Denkmalschutz). Völlig offen, ob Wohnungen oder Gewerbe einzieht. Jedenfalls hat sie einen neuen Eigentümer, „s.Oliver“, die Bekleidungsfirma. Die B.Z. berichtete darüber (man muss es wegen der spärlichen Infos wohl eher „erwähnen“ nennen). Das Backsteingebäude, das auf der Stralauer Halbinsel die Industrialisierung einleitete, erinnert voll an die Bauakademie, die in der nächsten Woche wohl mit in den News Ride kommt.

Über die Elsenbrücke ging´s weiter durch den Treptower Park. In Höhe des Sowjetischen Ehrenmals war ganz schön was los: Uns fiel ein, dass ja „Tag der Befreiung“ war, und in sich die „Nachtwölfe“ in Berlin angekündigt hatten. Am Karpfenteich vorbei, folgten wir von da an dem Heidekampgraben, durch zahlreiche Kleingartenkolonien in Treptow, kamen an dem Denkmal für die Trepower Mauertoten vorbei, kamen in den Regen. Tja.

Herzbergstraße in der Abendsonne (Foto: Andrea Künstle)

Als es wieder aufgehört hatte, überquerten wir den Britzer Verbindungskanal und folgten ihm (immer noch auf dem Mauerweg unterwegs) bis zum Denkmal für Chris Gueffroy. Auf Treptower Seite erstrecken sich hier vier Kleingartenkolonien, die ich zum Anlass nahm, über die Vision von Arne Piepgras zu berichten, der die Gärten alle nach Brandenburg auslagern möchte, um die Flächen mit Wohnungen zu bebauuen. Die Schrebergärten Berlins haben seinen Angaben zufolge ein Potenzial von 3.000 Hektar. Das ist 15 mal der Tiergarten. 400.000 Wohnungen fänden darauf Platz, so Piepgras, der als Investor in Berlin auch am Dragoner-Areal tätig war und jetzt vor Gericht gegen die Übertragung des Grundstücks an Berlin streitet. Der Tagesspiegel hatte den offenen Brief als Anzeige gedruckt und u.a. infolge dessen eine interaktive Karte mit Berlins Kleingärten erstellt, in der man sogar Infos darüber erhält, wieviele Dauerbewohner in der jeweiligen Anlage leben (sehr zu empfehlen, sich da mal durchzuklicken).

Es folgen noch ein paar Kilometer entlang des Teltowkanals. Langsam wurde es dunkler. In Johannesthal wechselten wir auf die andere Seite der Autobahn und gelangten in den Eisenhutweg, eine Straße, die die Wissenschaftsstadt Adlershof westlich begrenzt und an der lauter Einfamilienhäuser stehen, manche mit Säulenportalen oder anderem Schnickschnack, angesichts der vorstädtischen Lage so affig, dass man drüber lachen muss. Ein Hochspannungsmast markiert das Ende der Stromleitung. Die Siedlungsmasse rechts reißt ab, und wir radeln entlang einer Brache. Einer großen Brache. Nach einer Weile biegen wir rechts rein und fahren einfach drauf. Hinter uns der Eisenhutweg, vorne die Autobahn. Dazwischen Gras und Büsche. Und Hunde. Die bellen, weil wir ihr Revier betreten. Und die bellen wohl auch wegen F., der seit drei Kilometern im Lenkerkorb sitzt und nicht mehr selbst rennt.

Im Airport-Korridor

In Adlershof gibt es also noch Brachen. Die hier soll mit 600 Wohnungen bebaut werden, von den Architekten, die auch im Mauerpark bauen. Nach Fertigstellung sollen die Wohnungen – voraussichtlich – an eine städtische Wohnungsbaugesellschaft übergeben werden, um sozialverträgliche Mieten zu gewährleisten. Die B.Z. berichtete, wenn auch nur kurz. Allerdings fand ich bei der Recherche noch ein weiteres Bauprojekt, das gleich daneben entsteht: die „BRAIN BOX BERLIN“. Klingt krass. Sieht auch spektakulär aus, ein Bürokomplex mit flexiblen Raumstrukturen und Marktplatz im Gebäude, langgezogen über die Riesenbrache, von der hier draußen kein Ende zu sehen ist. Wir befanden uns trotzdem nicht „draußen“. Der News Ride endete im „in Entstehung befindlichen“ Airportkorridor. Betonung auf: in Entstehung befindlich … (wie man auf der website der Wissenschaftsstadt Adlershof liest). Und weil wir dabei auf den aktuellen BER-Eröffnungstermin zu sprechen kamen, hier noch mal der Stand der Dinge: Herbst 2020, wie die Berliner Zeitung im März schrieb.

 

Las Vegas Benz, die East Side Mall und das Vier-Millionen-Zimmer

Die Morgenpost schreibt zweimal (zwei Richtfeste in eine Woche) über das Entertainment-Viertel rund um die Mercedes-Benz-Arena. In „So sieht das Viertel rund um den Mercedes Platz aus“ spricht sie mit:

  1. Katharina Dinovski, die ihr Büro im S-Bahnbogen hat,
  2. Moritz Hillebrand, der seit 18 Jahren für die Anschutz Entertainment Group (AEG) arbeitet,
  3. Marcin Markovski, der dort wohnt (!), aber bald nach Amsterdam weiterzieht.

East Side Mall mit Hochhaus (Bild: FREO Group)

In dem Artikel „Am Donnerstag feiert die East Side Mall Richtfest“ erfährt man, dass von der Warschauer Brücke eine 60 Meter lange Brücke (Baubeginn 13. November) in das 68. Einkaufszentrum Berlins rüberführen soll, eine Verbindung, auf der auch die Besucher der East Side Gallery entlang geführt werden, direkt durch die Mall. Daneben entsteht ein Bürohochhaus von 140 Metern Höhe. Zitiert werden der Mall-Projektleiter, Martin Sänger, und der Vice President von AEG, Michael Kötter. Letzterer mit der Größe des Mercedes-Platzes: 13.000 Quadratmeter. Im ersten Artikel war er noch halb so groß. Kötter beschwört Las Vegas herauf: Multiplex-Kino, Music-Hall, Bowling-Bahn, acht Medientürme mit Lichtshows …


Die B.Z. hat Berlins teuerste Einraumwohnung ausfindig gemacht: Sie kostet 3.950.000 Euro. Erster Haken: Das ist der Preis für den Rohbau. Einrichtung kostet extra. Zweiter Haken: Die Wohnung ist sehr groß (329 Quadratmeter), was den Preis erklärt. Der Quadratmeter kostet also nur noch ca. 12.000 Euro, was in Berlin angesichts von „The Wilhelm“ (31.880 Euro pro Quadratmeter) keine weltbewegende Größenordnung mehr ist. Das Fundstück der B.Z. befindet sich im „Metropolpark“ (Projektname), gegenüber vom ehemaligen Bärenzwinger. Ganzer Artikel: „Vier Millionen Euro – das ist Berlins teuerste Einzimmer-Wohnung“…

Nachlese – Das war der #NewsRide vom 4. Oktober 2017

Der Tunnel 71

Ein Blick durchs Schaufenster des um 19:15 Uhr schon geschlossenen Ladens… Man kann sich die Baupläne für den 30 Meter langen, neu zu grabenden Tunnel, mit dem der ehemalige Fluchttunnel 71 „angegraben“ wird, im Laden des Vereins Berliner Unterwelten in der Brunnenstraße 141/143 ansehen. Einblick in den echten Fluchttunnel soll es erst nächsten Sommer 2018 geben. Das Tunnelprojekt kostet 200.000 Euro und bereichert die Gedenkstätte Berliner Mauer in der Bernauer Straße. tagesspiegel.de

Route durch Mitte: 7 Kilometer

Route durch Mitte: 7 Kilometer

Die Alliiertenorgel

An der Kapelle der Versöhnung ist im Dunkeln natürlich niemand. Aber die Holzlamellen, die eine nahe stehende Laterne belichtet, machen im Vorbeifahren eine schöne Erscheinung. Die nächsten Konzerte mit der letzte Woche neu eröffneten Schuke-Orgel, die mit vier landestypischen Klangfarben der Siegermächte aus dem Kalten Krieg ausgestattet ist, sind am 14. (17 Uhr, Romantische Musik) und 28. Oktober (15 Uhr, Luther-Lieder). Gespielt wird das Instrument von Annette Diening. weddingweiser.de

Die Europacity

Der Weg dorthin ist fast interessanter als die Europacity selbst. Im Libeskind-Bau Sapphire brennt im 1. OG hinter Gardinen Licht. Wohnt da schon jemand drin? Die Chausseestraße ist auf der einen Hälfte Baustelle, aber über den Bürgersteig am BND-Bau lässt sich locker langfahren. Ins Glasfoyer blickend ist eine graue Wand erkennbar, hinter der die Mitarbeiter nach Eintreten durch die Tür verschwinden werden. Das sieht äußerst merkwürdig aus. An der Nordseite sitzt ein normaler Pförtner im großzügigen Empfangsbereich, hier gibt es die Schutzwände komischerweise nicht.

Jenseits des Kanals liegt die Heidestraße, rechts und links von ihr liegen Brachflächen, Bauflächen. Vom konzipierten Boulevard ist nichts zu spüren. Klar, die Straße ist fertig. Mittig wächst eine Hecke. Aber was passiert eigentlich mit der Tankstelle? Auf den Flächen westlich der Heidestraße kommen also die vier Blöcke des Quartiers Heidestraße. Der Spaß besteht darin, sich das vorzustellen. Auch als Nicht-Architekten. Das kann gewissermaßen schwerfallen. Leichter fällts den Profis. Frau Lüscher: „In unseren Köpfen ist die Europacity vollendet“ (morgenpost.de). Aber wie es hier aussieht! Ein schäbiger Zweckbau, in dem die Deutsche Bahn sitzt, allein auf weiter Flur … Container. Ein neuer Wohnblock links, ein paar schöne Altbauten rechts. Die haben sogar kleine Vorgärten. In dem einen wohnen Leute. — Hier wohnen Leute!

Doch je weiter man von Norden Richtung Hauptbahnhof gelangt, desto mehr kommt einem die Zukunft entgegen. Die 50Hertz-Zentrale leuchtet. Aus dem Total Tower kommen Leute raus, wieder Leute. Feierabend. Total interessante Lamellenfassade neben dem Tower… Aber alles Gebaute hier kommt mächtig kalt rüber.

Die Staatsoper

Im Licht des Maxim-Gorki-Theaters spielen ein paar Leute Boule. Kurzer Stopp bei Heine, der Spruch ist zu schön: „Wir ergreifen keine Idee, die Idee ergreift uns und knechtet uns und peitscht uns in die Arena, wo wir wie gezwungene Gladiatoren für sie kämpfen.“ Genau, lauter Gladiatoren und keiner kann so richtig zurück.

Vor der Oper Unter den Linden liegt der rote Teppich noch. MDCCXLIII steht weit oben. Ich habe Schwierigkeiten mit dem XL und es dauert eine Weile bis ich drauf komme, dass es die gleiche Logik ist wie bei IV. Hab ich selten so gesehen. Ziehe 10 von 50 ab, und das Ganze macht Sinn: 1743. Hinter der Oper rum zur Barenboim-Said-Akademie, wo massenhaft Fahrräder vor der Tür stehen. Hinter dem Fenster lassen sich die Schauspieler und Sänger schminken. Kann man alles mitansehen. Vorm Haupteingang in der Französischen Straße rauchen Mitarbeiter. Im Foyer: Kostümierte, die sich in einer Schlange langsam Richtung Auftritt schieben. Oh Gott, die müssen durch den Tunnel, der rüber ins Opernhaus führt – noch so ein Tunnel. morgenpost.de

Dann kamen noch das Freiheits- und Einheitsdenkmal, für dessen Standortverlagerung sich jetzt auch Eva Högl (SPD) stark macht (focus.de), und auf der anderen Seite des neuen Schlosses die Spreeterrassen, deren Bau noch im Oktober beginnen soll (morgenpost.de)

Mauerfall am Ersten: Sind wir nicht alle ein bisschen Schabowski?

Vor genau einem Jahr, am 10. Oktober 2016, schrieb ich über Fehlinfos im öffentlichen Raum … über den „verminten Todesstreifen“, verrutschte Lagekarten und falsche Bevölkerungszahlen, die uns auf Berliner Straßen von den Behörden vor die Nase gehalten werden. Jetzt hab ich noch eine gefunden. An der Heinrich-Heine-Straße.

Postsozialistische Infotafel am ehemaligen Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. Mauerfall. Acht Tage vor Schabowskis „Sofort“?

Postsozialistische Infotafel am ehemaligen Grenzübergang Heinrich-Heine-Straße. Mauerfall. Acht Tage vor Schabowskis „Sofort“?

Entweder ich übersehe da etwas ganz Simples oder ein Detail. Oder jemand Verantwortliches hat den Mauerfall (Mittwoch, Merkel in der Sauna) mit seinem eigenen Sauna-Termin durcheinander gebracht.

Der Schock beim Lesen

An der Heine-Straße steht eine Infotafel. Ein Trabi und ein Moskwitsch fahren vom Westen in den Osten. Drumherum stehen Menschen in einer dichten, langen Schlange (nach Ost) und andere flanieren Richtung Freiheit. Da es hell ist, muss es sich um den 10. November 1989 handeln. Wir lesen: 1.11.1989.

Wie kann so was passieren? Wahrscheinlich hat man hier einfach die Null hinter der ersten Eins vergessen. Wer ist „man“, der oder die sich so einen Flüchtigkeitsfehler erlaubt? Geschichte durcheinander bringt. Einem Guide in Berlin potenziell die Nerven raubt, wenn er irgendwann mal behaupten wird, die Mauer fiel an einem Dienstag. Den 1. November.

Schusselig ist menschlich – Sind wir nicht alle ein bisschen Schabowski?

Darf so was passieren? – Ja. Irgendwie ja. Denn mir fällt sofort – sofort – ein eigener Flüchtigkeitsfehler ein, den ich hier mal nicht ausbreiten möchte. Flüchtigkeitsfehler sind meistens die Sorte Fehler, die andere ausbaden müssen. In dem Falle: ich. So kommt mein eigener also endlich zurück. Die Dinger kommen immer zurück …

In der 44. und 45. Kalenderwoche bitte aufpassen! Wenn die Tafel an der Heine-Straße nur den Bruchteil ihrer möglichen Wirkung entfaltet hat, könnte es nämlich sein, dass sich einer hinstellt und drauf beharrt: „Nee, det war ´n Mittwoch. Heute ist Mauerfall.“ Obwohl noch nicht der Neunte ist. Der fällt diesjahr nämlich auf einen Donnerstag. Der Erste auf einen Mittwoch. Im Zweifel: in die Sauna gehen.

Hier der Artikel vom 10. Oktober 2016: „Berliner Fehlinfos für alle und frei zugänglich im öffentlichen Raum“

Die Oberwallstraße ist ein starker Zug!

Dass die Staatsoper eröffnet, bedeutet nicht nur das Ende eines Bauskandals. Mehr als das Haus selbst kriegen wir einen Platz zurück und eine völlig unterschätzte Straße. Was freue ich mich auf den Bebelplatz! Den ganzen. Er hat wieder Micha Ullmanns Mittelpunkt, die Kellerbibliothek. Er atmet wieder auf zwei Lungenflügeln, anstatt auf nur einem. Die Leute werden wieder Kreise um das Denkmal ziehen, anstatt Halbkreise am Bauzaun. Jeder wird wissen, wo er hier hin muss. Und die Hedwigskirche strahlt bis Unter den Linden.

Comeback eines Straßenzugs

Die Baustellen gehen, Berlin kommt! Das gilt auch für die andere Seite der Staatsoper. Hinter dem Opernpalais rappelt sich die Oberwallstraße wieder auf. Hoffentlich nicht nur, um im Dezember zum Weihnachtsmarkt zu mutieren. Nachdem die „Kronprinzengärten“ jetzt fertig sind, kann man hier zu Fuß schon wieder langgehen. Mehr schleichen eigentlich, an den Containern vorbei und an den Baufahrzeugen. Es kann nicht mehr lange dauern, und die ganze Straße wird frei. Befahrbar. Seit ich den Stadtkern-Ride mache, warte ich auf das Comeback dieses Straßenzugs.

Oberwallstraße nach Süden. Blickpunkt Hausvogteiplatz-Fassade. Links: Friedrichswerdersche Kirche und achteckiger Schinkel-Pavillon (Foto: André Franke)

Oberwallstraße nach Süden. Blickpunkt Hausvogteiplatz-Fassade. Links: Friedrichswerdersche Kirche und achteckiger Schinkel-Pavillon (Foto: André Franke)

Warum denn? 

Weil er so schön vom Hausvogteiplatz durch die Brückenbogen des Opernpalais Über die Linden zur Ecke „Hinterm Gießhaus“ führt. Die Oberwallstraße ist wörtlich: ein guter Zug. Das Beste an ihm: Er ist absehbar (wieder wörtlich zu nehmen): Man blickt von einem Ende zum andern …

Die visuelle Qualität der Oberwallstraße ist aber nicht ihre einzige. Sie hat auch historische (Nicht gleich gähnen!), dramaturgische und überlokale Fähigkeiten. Was die so alles kann …

  1. Sie erzählt an drei Stellen (Hausvogteiplatz, Hedwigskirche, „Hinterm Gießhaus“) die Geschichte der Festungsstadt.
  2. Sie inszeniert Unter den Linden dadurch, dass sie beim Durchqueren des nördlichen Brückenbogens das Panorama des Boulevards aufmacht: Humboldt-Universität, Neue Wache, Zeughaus, Berliner Dom, Fernsehturm, Schloss.
  3. Sie verbindet als Segment eines potenziellen Stadtkern-Rundwegs das Märkische Museum mit der Museumsinsel.
Oberwallstraße, Blick durch Brückenbogen zum Palais am Festungsgraben. Zuviel Blech im Stadtraum, inklusive Parkscheinautomat (Foto: André Franke)

Oberwallstraße, Blick durch Brückenbogen zum Palais am Festungsgraben. Zuviel Blech im Stadtraum, inklusive Parkscheinautomat (Foto: André Franke)

Eine Offenbarung erfährt, wer hier weitergeht. Aus der Enge heraus entfaltet sich das Panorama von Unter den Linden: 180 Grad Berlin (Foto: André Franke)

Eine Offenbarung erfährt, wer hier weitergeht. Aus der Enge heraus entfaltet sich das Panorama von Unter den Linden: 180 Grad Berlin (Foto: André Franke)

Hier wird die Oberwallstraße zu „Hinterm Gießhaus“. In der Ecke, am Baum, biegt der Straßenzug nach rechts ab zur Mueumsinsel. (Foto: André Franke)

Hier wird die Oberwallstraße zu „Hinterm Gießhaus“. In der Ecke, am Baum, biegt der Straßenzug nach rechts ab zur Mueumsinsel. (Foto: André Franke)

Die Oberwallstraße sollte deshalb mehr werden als Glühwein-Quelle und Hinterhof der Kronprinzengärten. Sie sollte eine echte Aufgabe bekommen:

Das Aufmerksamkeitsgefälle

zwischen nördlichem und südlichem Stadtkern

verringern helfen,

indem sie die Besucherströme verteilt, ein alternatives Angebot zur Touristenbahn „Gendarmenmarkt – Bebelplatz – Lustgarten“ macht und mehr Durchwegungsattraktivität entwickelt.

Natürlich nicht für Autos.

Benedikt gefangen im Bärenzwinger

Ich fahre meine Touren, auch wenn keiner kommt. Dazu muss ich mich gar nicht zwingen. Denn ich weiß, es gibt immer Überraschungen. Als ich am Mittwoch auf dem Stadtkern-Ride am Bärenzwinger vorbeikam, entschied ich mich spontan, in die neue Ausstellung zu gehen. Dort war ich allein. Niemand anderes war da. Der Campingstuhl mit dem gelb-weiß gestreiften Sitzpolster im Empfangsraum war leer. Nur eine Stimme sprach zu mir, die aus dem Raum hinter der Holztür kam. „Hallo?“ Der Wärter hatte sich im Klo eingeschlossen. Die Tür war zugefallen, und er konnte sie von innen nicht öffnen. Ein Vorfall, der offenbar zum ersten Mal in der Ausstellungsgeschichte des Bärenzwingerbaus aufgetreten war. Jetzt war es an mir, Benedikt, wie er hieß, zu befreien.

Über die Kunst, jemanden zu retten, der nicht in Notlage ist …

Als erstes ging ich zum Schrank. Der stand schon halboffen. Drin waren eine Säge, Kleiderbügel, Klopapier. Auch ein Eisenwinkel, den ich herausnahm, und ihn als „Dietrich“ benutzte. Weiß einer heutzutage noch, was ein „Dietrich“ ist? Die Baukammer von Opa war voll mit den Dingern. Ich hätte sie hier und jetzt sowas von gebrauchen können! Benedikt wäre schnell draußen gewesen. Doch er musste sich gedulden. Der Winkel war zu groß.

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Eingang Bärenzwinger im Köllnischen Park

Dann checkten wir das Fenster. Es war vergittert. Die Säge? – Nee. Ich griff lieber zum Kleiderbügel. Mit dem Hängehaken ging ich ins Schlossloch der Tür. Also im Grunde war da gar kein Schloss drin, was Teil des Problems war. Ich bog den Haken zum „Dietrich“ und drehte ihn im Türschloss. Aber der Bolzen ließ sich nicht zurückziehen. Stattdessen verklemmte sich der Haken. Ich kriegte ihn nicht mehr raus. Schließlich brach er.

Klotür mit Schrank

Klotür mit Schrank

Bis zu diesem Zeitpunkt waren Benedikt und ich allein. Es war gegen halb sechs abends. Da kam eine Mutter mit zwei Kindern, die auch in die Ausstellung wollte. Aber schon war sie Mitglied der Rettungsaktion geworden … Sie sagte, es gäbe einen Mann mit Taschenmesser, zeigte in Richtung Spielplatz, wo sie herkam. Kurz darauf kam ein Vater mit Söhnchen. Er sollte entscheidend bei der Befreiung im Bärenzwinger mitwirken.

Inzwischen hatte Benedikt die Feuerwehr angerufen: „Ich bin eingeschlossen im Bärenzwinger“, hörte ich ihn durch die Tür sagen. Was der Feuerwehrmann am anderen Ende der Leitung in diesem Moment wohl gedacht haben muss? Aber er lehnte den Auftrag ab. Es läge keine Notsituation vor.

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sauna mit Taubnessel-Aufguss

Sommer im September: 32 Grad Celsius

Sommer im Bärenzwinger: 32 Grad Celsius im September

So machten wir selber weiter. Der Taschenmesserpassant werkelte zehn Minuten an der Tür rum. Sein Kleiner schaute zu. Ich schaute zu. Saß im Liegestuhl, der eigentlich für den Wärter war. Es half nichts. Als letztes schraubte er noch die Türschloss-Verkleidung ab. Sein Taschenmesser hatte einen Schraubenzieher dran. Ich fand im Schrank noch eine dünne, stiftlange Schraube. Die steckte ich in das erweiterte Loch der Tür. Stach mit ihr nach oben und versuchte, damit den Bolzen zurückzuflippen. Es ging! Zwar nur ein paar Millimeter, aber es reichte, dass der Taschenmessermann mit seiner Punktekarte von REWE zwischen Bolzen und Türrahmen kam. Vorher funktionierte das nicht. Die Türe ging auf. Benedikt sprang heraus, und der Taschenmessermann, sein Sohn und ich sahen endlich, mit wem wir es zu tun hatten.

Benedikt, der Bär

Benedikt bot uns sofort ein Bier an: Berliner Pilsener mit dem roten Bären drauf. Dann führte er mich durch den alten Zwinger von Schnute und Maxi und durch die aktuelle Ausstellung. — Soviel zum Thema Überraschungen. Wobei, eine geht noch: Als ich einen Tag später noch mal in den Zwinger ging, um Fotos zu machen, stand diesmal ein anderer Wärter vor mir. Auf meine Frage, ob Benedikt da sei, erwiderte er etwas ratlos: „Benedikt? Der Bär?“

Was soll aus dem Bärenzwinger aber nach der zweijährigen Zwischennutzung als Ausstellungsort werden? Ich habe gelesen, dass vor Ort über die Zukunft des Zwingers diskutiert werden soll und schlage einen:

Skater-Garten für Kinder

vor.

Warum und wieso? Dazu mehr demnächst …


Mehr Infos zur Aussstellung von Reto Pulfer und Sarah Ancelle Schönfeld im Bärenzwinger unter www.baerenzwinger.berlin

Geländergymnastik gegenüber vom Welterbe

Wanderer, kommst du an diese Kreuzung, dann frage nicht, worin hier der Sinn besteht … Mit den Worten müsste man Schilder an die Ebertbrücke (nahe Museumsinsel) stellen, um Touristen den Lebensmut zurückzugeben. Es würde auch mir selber helfen, nicht auszurasten, wenn ich hier mal als Fußgänger unterwegs bin. Doch die Szene mit den zwangsbeglückenden Stahlrohrgeländern ist letzten Endes ein echter Lacher.

Steigt einer übern Zaun zur Museumsinsel (Foto: André Franke)

Steigt einer übern Zaun zur Museumsinsel (Foto: André Franke)

Kreuzungsalltag an der Museumsinsel

Da kommt eine Gruppe von Leuten aus der Tucholskystraße rüber und erblickt linker Hand die Museumsinsel. Sie geht ungläubig nach rechts in die Straße Am Weidendamm, vom Geländer geführt (entführt!) bis an eine Stelle, wo das Geländer nach zwanzig Metern zwar aufhört, aber alle die Insel schon vergessen haben. So laufen sie halt zur Friedrichstraße. Auch schön, denken sie sich wohl, hier an der Spree lang.

Dann kommt einer, der das Gelände kennt. Und das Geländer. Er sieht aus, als lebte er auf der Straße. Und viele, die das tun, laufen ja stundenlang durch die Stadt. Er kommt ebenfalls von der Tucholskystraße über die Ebertbrücke, möchte aber, geradeaus in die Geschwister-Scholl-Straße. Überlegt nicht lange, guckt nicht nach rechts oder links. Der Mann steigt mit dem Bein durchs Geländer und schwingt in Kniehöhe den Oberkörper geübt hinterher. Jetzt steht er mitten auf der Kreuzung! Muss, um auf den gegenüberliegenden Bürgersteig zu gelangen, durch ein weiteres Geländer durch. Oder drüber. Das machen auch manche, wie der, den ich fotografiert habe (siehe Bild oben).

Einen Hubschrauber möchte ich holen für diese beiden: Ein älteres Pärchen will vom Kupfergraben kommend einfach geradeaus, am Ufer der Spree. Einfach über die Straße. Sie stehen da, stehen da, stehen da immer noch. Dann entscheiden auch sie sich für den Durchbruch. Er scheitert. Das Geländer zwingt sie über die Brücke zu gehen.

Geländerlauf und Stolperfallen

Es gibt jetzt Hoffnung, dass die Epoche der geregelten Entgleisung an der Ebertbrücke zu Ende geht. Die Verkehrsverwaltung hat Baumittel zugesagt, die der Umgebung der Museumsinsel zugute kommen sollen. Vor allem Fußgängern soll der Zugang zum Weltkulturerbe geglättet werden. Es werden Straßen saniert, die es bitter nötig haben, wie die Kopfsteinpflasterstraße Am Kupfergraben. — Das kommt nämlich zum Geländerlauf noch dazu: Dass, wer die Stahlrohre überwunden hat, sich gefasst machen muss, über die herausgewachsenden Pflastersteine zu stolpern.

Wenn aber die Straße neugemacht und die Geländer beseitigt werden (ich hoffe, das ist ein kombinierter Akt), dann müsste doch im gleichen Atemzug auch die ganze Ebertbrücke zur Debatte stehen. Nach der Wende wurde sie gebaut, um die baufällige Weidendammer Brücke zu ersetzen, vorübergehend … Und jetzt liegt sie, das Permanent-Provisorium, an einem „Chipperfield“. Nicht nur das. Der ganze Straßenzug Tucholskystraße/Geschwister-Scholl-Straße ist eine kleine Architekturmeile geworden, wenn man sich das mal genauer ansieht. Ein Grund mehr, die Menschen hier nicht um die Ecke zu bringen, wenn sie geradeaus gehen wollen.


Mehr zur neuen Berliner Baumittelliste: tagesspiegel.de

Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Wenn Thierse meiner Tocher an die Nase fasst …

… dann geht die Schaukel auch durchs Parlament. Und so kam es auch. Null Uhr drei in der Nacht vom Donnerstag zum Freitag stimmte der Bundestag für den Bau des Freiheits- und Einheitsdenkmals (das Video ist hier nachzuschauen auf bundestag.de). Das fand ich schon ein bisschen überraschend, nachdem so ein Hickhack um die Zukunft des Denkmals gemacht wurde und gefühlt zwei Drittel der Leute, die sich öffentlich äußerten, gegen es war (nicht zu reden von den Umfragen): Kultursenator Klaus Lederer, Stadtentwicklungssenatorin Katrin Lompscher, auch von Kulturstaatsministerin Monika Grütters war zu lesen, sie unterstütze das Projekt nicht, weswegen man es ihrer Regie entziehen und in die Hand von Bundesbauministerin Barbara Hendricks geben wollte. Und es protestierten noch am Mittwoch vor der Bundestagsabstimmung mehrere Inititativen und Vereine gegen die Standortwahl des Denkmals auf dem Sockel des früheren Nationaldenkmals (berliner-zeitung.de), die zwar das Denkmal als Anlage nicht ablehnten, aber es in der Leerstelle im „Band des Bundes“, wo mal das Bürgerforum geplant war, für besser aufgehoben hielten. Die wenigen „Thierses“, die Befürworter des Denkmals, schienen in der Minderzahl, jedenfalls hatte ich den Eindruck.

Omen für das Denkmal und ein Kinderspiel

Im Bundestag waren die „Thierses“ aber omnipräsent. Nur die Linken stimmten gegen den Bau. Wenn ich zurückdenke, dann hätte ich das Ergebnis schon Anfang der Woche ahnen können. Denn da stieg ich in die U-Bahn, wo eine Dame meiner Tochter ihren Platz anbot, was ich dankend ablehnte, da wir sowieso gleich wieder aussteigen wollten. Daraufhin lächelten sich beide an, und der Ex-Parlamentspräsident, der daneben saß, kniff mit den Fingern nach der Nase der Kleinen – eine Geste, die Gelassenheit ausstrahlte und die ich heute als ein unbedingtes Omen lese für den langen Denkmal-Donnerstag und sein irgendwie doch vorhersagbares Ergebnis.

Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Protest gegen das Freiheits- und Einheitsdenkmal am Schloss: „Wir lassen uns nicht verschaukeln“ (Foto: Fritz Zimmermann)

Der Standort des Freiheits- und Einheitsdenkmals ist komisch. Das finde ich auch. Aber die Ursache dafür liegt in seiner Umgebung: Barockschloss, Staatsratsgebäude, Bauakademie, Kommandantenhaus … Dazu der stählerne Schwung der Schaukel? Das Denkmal verlangt eher eine exponierte Lage, wo man es von Weitem sieht und wo man von der Bewegung, die auf ihm stattfindet und nach der es benannt ist („Bürger in Bewegung“) angezogen wird. Der Spreebogen und das bislang offen gebliebene Band des Bundes wären tatsächlich der bessere Stadtraum für die Demokratie-Wippe, weil darüber hinaus es an entscheidender Stelle das Anti-Nordsüdachsen-Statement des Band des Bundes zur NS-Germaniaplanung endlich vollenden und auf den Punkt bringen würde. Ich würde das Denkmal auch lieber hier sehen, zwischen Kanzleramt und Löbe-Haus. Wenn da nicht Wolfgang Thierse wäre.

Thierse sticht

Der bringt nämlich das einzige Argument mit, das den Standort auf dem Wilhelm-Sockel nicht nur rechtfertigt. Es verlangt ihn, wenn er das Bild beschreibt, wie Bismarck, Moltke und Wilhelm 1871 die Deutsche Nation „Top Down“ erschufen und mit „Eisen und Blut“; und wie in umgekehrter Richtung das Volk der DDR 1989 mit ihrem gewaltfreien Protest auf der Straße die Wiedervereinigung Deutschlands „Bottom Up“ möglich machten. Dieser geschichtliche Bogen ist schicksalhaft. Könnten deutsche Demokraten so was denn abblasen?

Der geschichtliche Bogen und die Genialität des Denkmalentwurfs sind unschlagbar. Meine Lieblingsschaukel ist gefunden

Unabhängig davon verstehe ich bis heute nicht, warum die Idee des Denkmals bei den Kritikern nicht zu fruchten scheint. Kann man ins Schwärzere treffen, als die Dynamik des Denkmals von einer kritischen Masse abhängig zu machen, die auch im Fall von Revolutionen entscheidend ist? Hätten sich die Leipziger am 9. Oktober an der „Runden Ecke“ vorbeigetraut, wenn wie eine Woche zuvor nur 20.000 von ihnen zur Montagsdemonstration erschienen wären? Es kamen aber 70.000, und sie passierten die Bezirksverwaltung der Staatsicherheit. Wann wanken Diktaturen? Das Freiheits- und Einheitsdenkmal zelebriert doch das „Zünglein an der Waage“, das jenseits von Revolutionssymbolik doch auch in den Parlamenten zum Einsatz kommt. Mit der Zungenspitze von 18 Stimmen Mehrheit entschied der wiedervereinigte Bundestag 1991 über die Zukunft von Bonn und Berlin. Ohne diese zarte Dramatik würden wir über das Denkmal am Schloss gar nicht reden, weil mit Berlin alles anders gekommen wäre.

Für das Kippen der Schale benötigt es übrigens 30 Personen, hab ich gelesen, die auf der einen oder anderen Seite zusammenkommen müssen. Was werden sich die Leute da an den Ärmeln ziehen, in Fremdsprachen zurufen und nach gezielten Absprachen urplötzlich in Gruppen losrennen, damit sich das Ding bewegt! Ich für meinen Teil weiß genau, wo ich ab 2019 mit meinen Kindern schaukeln gehe. Eine eigene, familiäre Mehrheit kriege ich bis dahin zwar nicht auf die Beine gestellt, da fehlen mir knapp 28. Aber vielleicht bringe ich die ganze Kita mit, und dann kriegen wir das Ding schon geschaukelt.

Fake City und die Lügenbauten: Zum Geburtstag von Interbau und Nikolaiviertel

2017 jähren sich zwei Städtebauprojekte, die beide in die Kategorie „Stadtentwicklung im geteilten Berlin“ fallen. Das Nikolaiviertel wurde vor 30 Jahren eröffnet, als man in der Hauptstadt der DDR 750 Jahre Berlin feierte. Das tat man auch in West-Berlin, als das Hansaviertel dort seinerseits schon dreißig Jahre alt wurde. Jetzt wird es 60, und damit die ganze Interbau-Ausstellung von 1957. Ich habe noch von keinen Veranstaltungen gehört oder gelesen, die diese zwei Jubiläen thematisieren.

Interbau - 1

Da muss doch was passieren … Ein Lied!

Weil diesjahr dein Geburtstag ist,

Da habe ich gedacht,

Ich schreibe dir ein kleines Lied,

Weil dir das Freude macht.

***

Berliner Nikolaiviertel,

Oh süßes Nest der Stadt,

Kriegst sämtliche Touristen ab,

Weil keiner Ahnung hat.

***

Das Hansaviertel ganz versteckt,

Im Grünen an der Spree,

Wirbt um den Status Welterbe,

Mit der Karl-Marx-Allee.

***

In Zeiten von Fake-News fällt mir das Wort von der Fake-City zu, und dich, mein Viertel, als solche zu bezeichnen, drängt sich mir zwangsläufig auf. Sorry ey! Alle deine Hotspots der feierlichen Rekonstruktion belügen den Boden, auf dem sie gebaut sind: Die Kneipe „Zum Nussbaum“, die „Gerichtslaube“ und auch das „Lessing-Haus“, in dem die „Minna von Barnhelm“ gefinished worden sein soll, standen woanders. Kann ich ein Städtchen, das zwölf Millionen Gäste im Jahr so an der Nase rumführt, für bare Münze nehmen? Warum vertrauen wir dir noch, Viertel? Ich find´s ganz schön fies gegenüber der Fantasie, die ja Kraft braucht, dass sie sich aufbaut, sich den Heinrich Zille vorm „Nussbaum“ vorzustellen, wie er Bier säuft und auf die Nikolaikirche blickt, wo die Hütte doch drüben in Cölln stand? Nee, du. Aber Glückwunsch zum Dreißigsten.

Hansaviertel verschläft UNESCO

Und dir: Glückwunsch zum Sechzigsten, verschlafenes Hansaviertel. Dich hab ich noch nie zu fassen gekriegt. Mehr Luft als Gebäudesubstanz schwebt hier durch die Baumkronen. Man muss die Häuser ja schon suchen. Geh mal zum Friseur! Zwölf Millionen Menschen sehen dich nicht von den Spreeschiffen aus und denken beim Worte „Bauausstellung“ bestenfalls an Gartenbau. Wie willst du denn in solch dunklen Zeiten, wo deine Bäume mehr Schatten werfen als deine Solitäre Licht ausstrahlen, den Esprit der freien Stadt von vor 60 Jahren vermitteln – frei im Sinne von freiräumlich, freigeräumt, abgeräumt. Ich drücke dir die Daumen, dass die UNESCO dich entdeckt („Euch“ muss man ja sagen, ich drücke „Euch“ die Daumen, es geht ja hier nicht nur um dich, auch um die sozialistische Ost-Allee). Mein Tipp zum großen Jahrestag: Bäume stutzen, und die Marzahner IGA-Seilbahn ab 2018 von der Siegessäule zur Moabiter Heilandkirche schweben lassen.

Auf eine Kaltschale an der Freiheitswaage

Wenn es in Berlin ein Projekt gibt, auf das ich wirklich gespannt bin und das ich hundertmal lieber eingeweiht sehen möchte als den Flughafen eröffnet, dann ist es das Freiheits- und Einheitsdenkmal. Für die „Wippe“ in Mitte würde ich – wenns drauf ankommt – auch beten, und vielleicht ist dieser Zeitpunkt schon nahe. Denn jetzt will auch Berlins Kultursenator Klaus Lederer die Volksschale kaltstellen, nachdem es der Haushaltsausschuss des Bundestages vergeblich versucht hat. Bekommen wir letztlich vorm Schloss eine „Kaltschale“ serviert?

Freiheits- und Einheitsdenkmal als soziale Skulptur (Entwurf: Milla & Partner)

Freiheits- und Einheitsdenkmal als soziale Skulptur (Entwurf: Milla & Partner)

Bitte nicht gleich „verschaukelt“ fühlen! Die Kaltschale ist nur die letzte Konsequenz eines Kunstwerks, das auf alle Regungen eine Antwort parat hat und in alle Richtungen gleichermaßen wirkt. Von der Kaltschale kriegt jeder, was er herauszuschöpfen hofft. Und das Geniale ist: Das Bauwerk wirkt jetzt schon, ohne gebaut zu sein.

Eine Berliner Großwippe, die funktionert

Das Denkmal wippt: Der Bundestag beschloss 2007, ein Denkmal zu bauen (rauf). 2009 brach man den Wettbewerb ab, weil die Jury die Entwürfe doof fand – ich übrigens auch – (runter). Dann führte eine zweite Runde zum Erfolg mit gleich drei Siegern, später fiel die Auswahl auf „Bürger in Bewegung“, wie das geplante Denkmal offiziell heißt (rauf). Das Medienecho (Wippe, Schaukel & Co.) und der verpasste Baustart förderten das schlechte Image des Projekts (runter). Endlich kam 2015 die Baugenehmigung (rauf), aber der Haushaltsausschuss stoppte das Projekt 2016 wegen gestiegener Kosten (runter). Als dasselbe Gremium etwas später 18,5 Millionen Euro für die Schlosskolonnaden am selben Ort bereitstellte, schlug die Wippe hart auf den Boden auf (runter!). Bundestagspräsident Norbert Lammert und das Groko-Machtwort der Bundesfraktionsspitzen brachten das Einheitsdenkmal vor kurzem wieder auf den Plan zurück (rauf), doch Senator Lederer sorgt, wie gesagt, erneut für „Bewegung“ (runter). — Was will man eigentlich mehr? Das Ding funktioniert doch.

Bei diesem ganzen Hin und Her trifft eben auch die Vokabel vom Verschaukeltsein voll ins Schwarze. Braucht man nicht weiter zu erklären.

Standort Einheitsdenkmal

Mythisch aufgeladen: Das Einheitsdenkmal „wippt“ hoch und runter und ist noch nicht gebaut. Das Foto zeigt die Schlossfreiheit von 2012, glaub ich (Foto: André Franke)

Ein Denkmal in Schieflage

Lesen konnte man auch von der „Waage“. Und auch diese Zuschreibung findet ihre Entsprechung in der aktuellen Diskussion. Das Freiheits- und Einheitsdenkmal befindet sich in totaler Schieflage. Alle reden vom Einheitsdenkmal, aber nur einer hebt den Kampf um die Freiheit 1989 hervor. Wolfgang Thierse tut es in diesem NDR-Interview, und ich finde diese Betrachtung bestechend korrekt – genauso wie ich die mechanisch aufwendige, mehrheitsfähige Schwankung der Schale als Sinnbild für eine Revolution perfekt finde. Einfach perfekt. Irgendwann kippt ein System eben, aber es braucht eine kritische Masse. Wieder eine Schlagzeile, eine neue, möcht ich sagen: Auf der „Kippe der Einheit. Da sind manches und so mancher ins Schlittern gekommen, ins Abseits gerutscht.

Selbstbefreite Bürger vor der Haustür hätten dem Palast besser gestanden als dem Schloss

Was hätte eigentlich „Bürger in Bewegung“ für eine Aussage gehabt, wenn statt des Schlosses der Palast der Republik (auch ein „Gekippter“) der Nachbar des Denkmals geworden wäre? Eine stärkere. Und ich stelle fest, das meine Sympathien fürs Schloss sich wieder verflüchtigt haben. Schloss und Schale passen nicht zusammen. Überhaupt nicht, weder inhaltlich noch vom Gestalterischen her. Leider kam das Schloss zuerst, und da es ´ne ziemliche Wucht ist, scheint es die Schale zu bedrängen und zu erdrücken. So eine Plattform, auf der was los ist, soll man doch sehen können, von Weitem. Zumindest aus etwas Distanz. Dazu hätte der Palast die bessere Position gehabt. Auch inhaltlich: Vorm Haus des Volkes ein Denkmal des Volkes … Immer fehlt was.

Am Ende fehlt das Freiheits- und Einheitsdenkmal vielleicht sogar ganz. In folgenden Fällen werde ich das Projekt konsequent nur noch die „Kaltschale“ nennen. Wenn es:

  1. vom Bundestag wieder abgesagt und nie gebaut wird oder
  2. gebaut wird, aber aus Sicherheitsgründen statisch und unbeweglich bleibt wie die Großwippen im Tilla-Durieux-Park am Potsdamer Platz.

Ansonsten nenne ich das Denkmal ab heute „Freiheitswaage“, damit die Einheit auf der Wippe nicht zu dick wird.